# taz.de -- Gründer über das Morgenland-Festival: „Ein Ort des Respekts“ | |
> Osnabrücks Morgenland-Festival präsentiert die Musikkultur Westasiens | |
> zwischen Tradition und Avantgarde. Nun hört Festival-Gründer Michael | |
> Dreyer auf. | |
Bild: Romantisierende Brückenbau-Rhetorik hat er als Festival-Leiter nie bedie… | |
taz: Herr Dreyer, warum gehen Sie? | |
Michael Dreyer: Es war eine tolle, beglückende Zeit. Aber 20 Jahre sind | |
lang, und jetzt übergebe ich an eine neue Generation. Das ist gar nicht | |
einfach; das Festival hat natürlich 20 Jahre mein Leben massiv geprägt. | |
Aber es ist richtig so, und fühlt sich sehr organisch an. | |
Nächstes Jahr kuratiert der syrische Klarinettist und Komponist Kinan | |
Azmeh. | |
Ja. Und danach übernimmt die junge iranische Klarinettistin und Kuratorin | |
Shabnam Parvaresh. Beide haben das Festival seit Jahren mitgeprägt, kennen | |
seinen Geist. Sie bringen neue Energie mit, neue Netzwerke. | |
Blicken wir auf 2005 zurück: Gibt es einen Gründungsmythos? | |
Den gibt es. Als jemand, der Musik studiert und eine Plattenfirma gegründet | |
hat, immer unter MusikerInnen war, habe ich mich gefragt: Du siehst jeden | |
Tag die Nachrichten über den Nahen und Mittleren Osten, aber was wird da | |
eigentlich für Musik gemacht? Gibt es [1][Jazz in Syrien] oder | |
[2][Rockmusik im Iran]? Niemand wusste es. Dabei reden wir über eine der | |
kulturprägendsten Regionen der Welt. Also bin ich hingefahren. Das war der | |
Anfang einer sehr langen Reise. | |
„Morgenland“, das ist ja eine problematische Bezeichnung. Haben Sie je | |
darüber nachgedacht, das Festival umzubenennen? | |
Das habe ich. Morgenland ist das deutsche Wort für Orient, und Orient ist | |
als Begriff heute nicht mehr tragbar. Aber wie nennt man die Region? | |
Westasien? Mena-Region? | |
Für „Middle East and North Africa“, „Naher Osten und Nordafrika“ … | |
… mit beidem kann kaum jemand etwas anfangen. Irgendwann war ich mit einem | |
syrischen Kollegen von Damaskus nach Aleppo unterwegs, und an jeder Ecke | |
waren Schilder wie „Oriental Kitchen“, „Oriental Furniture“ zu sehen. I… | |
sagte zu ihm: Ich bemühe mich, nicht von orientalischer Musik zu sprechen; | |
aber wie macht ihr das? Er sah mich an und sagte: „Ihr Deutschen könnt aber | |
auch alles kompliziert machen! It’s oriental music!“ | |
Ist „Morgenland“ zur Marke geworden? | |
Ja, zwischen New York und Shanghai kennt man das Festival – und überall | |
heißt es „Morgenland“. Das wird sogar anglisiert. | |
Ist das Festival politisch? | |
Wir haben nie politische Positionen artikuliert. Ich habe immer Wert darauf | |
gelegt, dass wir ein Musikfestival sind. Aber uigurische oder kurdische | |
Musik zum Programmschwerpunkt zu machen, ist sicher ein Statement. Ich | |
hoffe, dass wir Interesse wecken, das angeblich Fremde kennenzulernen. Das | |
ist dann nicht politisch, aber hat doch einen gesellschaftlichen Aspekt. | |
Gab es KünstlerInnen, die Ihnen abgesagt haben, etwa unter Hinweis auf die | |
deutsche Staatsräson in Sachen Nahost? | |
Nein, nie. Wir haben aber auch nie diese romantisierende | |
Brückenbau-Rhetorik bedient. Die Musikerinnen und Musiker kommen hier | |
zusammen, um gemeinsam neue Musik entstehen zu lassen. Vor einigen Jahren | |
hatten wir ein Orchesterkonzert. Der Dirigent war türkischer | |
Staatskünstler, die Hauptsolistin kurdisch, ein Gastsolist armenisch. Wir | |
haben das nicht thematisiert, denn sonst signalisiert man: Es ist | |
erstaunlich, dass das funktioniert. Aber wir wollen ja, dass es Normalität | |
ist; also behandeln wir es auch so. | |
Sie sagen, das Festival sei ein „Utopia“. Wie meinen Sie das? | |
Menschen aus der ganzen Welt kommen hier in einem sehr besonderen Geist | |
zusammen. Wenn ich das sehe, denke ich mir: Warum ist die Welt nicht immer | |
so? Das hat mit Respekt zu tun, Neugierde, Schönheit, Liebe. Utopia ist ja | |
unser Traum einer gerechteren, besseren Welt. Und das Festival ist ein | |
solcher Ort. | |
Die Stadt Osnabrück bezeichnet das Festival als „Leuchtturm“. Gefällt Ihn… | |
der Begriff? | |
Ich finde ihn generell heikel. Leuchtturm klingt elitär. Ich glaube, wir | |
sind sehr nah dran an den Menschen. Kommunen betrachten Kultur zunehmend | |
als Marketinginstrument, und das ist ein großer Fehler. Marketing kann nie | |
der Beweggrund für ernsthafte künstlerische Aktivitäten sein. | |
Was war der düsterste Augenblick für Sie persönlich, in den 20 Jahren? | |
Nach einem Sinfoniekonzert in Teheran [3][schrieb Henryk M. Broder] auf | |
„Spiegel online“, wir hätten Propaganda für das Mullah-Regime gemacht. Das | |
war natürlich totaler Unsinn; es war ein Triumph gegen das Regime, da | |
überhaupt ein Konzert auf die Beine zu stellen. Aber ich bekam Hunderte | |
Mails, man solle mich bespucken, wie könne ich meinen Kindern noch in die | |
Augen sehen. Das war schon spooky. Das geht nicht einfach so an dir vorbei. | |
Und der schönste? | |
Da gab es unfassbar viele. Da bist du dann sprachlos vor Glück. In erster | |
Linie waren das natürlich musikalische Erlebnisse. Aber auch, wenn wir nach | |
vielen Kämpfen Visa erhalten haben, zum Beispiel [4][für uigurische | |
Musikerinnen und Musiker]. Ich habe damals persönlich für sie gebürgt. Das | |
war die einzige Chance. | |
Und wie geht es jetzt für Sie weiter? | |
Ich habe einen Fulltime-Job als Manager [5][der NDR Bigband], eine | |
Plattenfirma und natürlich meine Familie. Langeweile werde ich nicht haben. | |
30 Jul 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Michael-Dreyer-ueber-syrische-Musik/!5385869 | |
[2] /Vergessenes-iranisches-Poptalent/!5852801 | |
[3] https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/deutsches-symphonie-orchester-in… | |
[4] /Morgenland-Festival-Osnabrueck/!5137371 | |
[5] https://www.ndr.de/orchester_chor/bigband/ | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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