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# taz.de -- Theater-Festival „Spieltriebe“: Die Brachen, die die Welt bedeu…
> Fürs Festival „Spieltriebe“ führt das Theater Osnabrück durch die Stad…
> An „Lost Places“ wie dem Ex-Kaufhaus Ypso gibt es Zeitgenössisches.
Bild: Ein perfekter Ort für Spieltriebe: die Ruine des Parkhauses am Ypso-Geb�…
Ypso. Wer in Osnabrück diesen Namen hört, denkt an Uringestank und Verfall.
Seit fast 15 Jahren steht der riesige Glasfassaden-Klotz leer und mahnt am
Neumarkt, einem der zentralen Plätze der Stadt, wie ruinös der
[1][Kapitalismus] sein kann. Kaufhäuser wie Hertie und Wöhrl waren hier
früher mal drin, am Ende der Restpostenmarkt für Elektronik, dessen so
seltsam klingender Name noch heute draußen dran steht, riesig groß. Auch
die dazugehörige Parkgarage, mehrere Etagen hoch, aus brutalem Beton, steht
leer, umwuchert und verschlossen.
Aber zum Glück sucht das Theater Osnabrück alle zwei Jahre für Spieltriebe,
sein [2][mehrtägiges Festival für Zeitgenössisches Theater], nach
ungewöhnlichen Auftrittsorten. Einer davon ist diesmal das Ypso-Gebäude,
als „Geisterhaus aus einer anderen Zeit“; ein anderer das Parkhaus, dessen
„Abwesenheit von Funktion und Bedeutung“ es „zum perfekten Ort für eine
Neubesetzung, Umdeutung, Umgestaltung“ macht, wie das Team um Intendant
Ulrich Mokrusch es ausdrückt. Er hat das Festival von seinen Vorgängern
geerbt und belebt es nun neu.
Drei der knapp ein Dutzend Produktionen der neunten Ausgabe der Spieltriebe
finden in diesem ruinenhaften Kaufhauskosmos statt. Wo Einkäufe in
Kofferräume geladen wurden, ist „Empört Euch!“ zu sehen, ein Projekt eines
generationenübergreifenden Stadtensembles des Theaters, selbst geschrieben,
nach der Kernidee des gleichnamigen Essays des Résistancekämpfers,
KZ-Überlebenden und Politaktivisten Stéphane Hessel.
Bei Ypso adaptiert Regisseur Caner Arkadeniz in [3][„Ellbogen“] einen
Roman von taz-Redakteurin [4][Fatma Aydemir] über die Selbstfindung einer
jungen Deutschtürkin. Zudem wird Ypso zum Schauplatz für Ali N. Askins halb
dokumentarisches Musiktheaterstück „Insan. Inşaat. Istanbul“, auf Deutsch
also „Mensch. Baustelle. Istanbul“, eine Collage von Geschichten und
Stadtgeräuschen, die das Publikum an den Bosporus versetzen soll.
## Im Kaufhaus zum Bosporus
Die kahle Leere des Ex-Kaufhauses – schon seit Jahren ein Abrisskandidat
und heute einer der größten Lost Places der Osnabrücker Innenstadt –
fordert dem Symphonieorchester, das Askins Istanbul-Porträt umsetzt, eine
akustische Meisterleistung ab.
Sie ist nicht die einzige technische Herausforderung für die
Festivalmacher: Jeder Abend splittet sich in fünf Routen zu je drei
Produktionen und Spielstätten – Farben von Rot bis Lila erleichtern die
Orientierung. Start und Ende ist jeweils am Hauptsitz des Theaters, in dem
Thomas Köcks „Antigone. Ein Requiem“ den gemeinsamen Auftakt bildet. Nach
fünf Stunden klingt das Ganze draußen auf einem chilligen „Beach“ aus.
Für die Zuschauenden sieht das alles easy aus, fürs Orgateam ist es Stress.
Die Transfers von Spielstätte zu Spielstätte, per Busshuttle und zu Fuß,
müssen exakt getaktet sein, denn die Produktionen und die Entfernungen
zwischen ihnen sind nicht gleich lang. Imbiss-Stationen sind zu bestücken,
Wegweiser müssen bereitstehen.
„Die Vorbereitungen sind extrem aufwändig“, erzählt Tobias Fritzsche,
Sprecher des Theaters. „Da ist das Scouting der Orte, das ist oft fast
detektivisch. Überall muss Licht- und Tontechnik rein, Bestuhlung, die sich
als eine der Härten des Festivals erweist: Ein Sitzkissen dabeizuhaben,
schadet nicht. Es geht um Brand- und Lärmschutz, Toiletten, Fluchtwege.“
Die Theatercrew ist an den drei Festivalabenden über die halbe Stadt
verteilt. „Spannend“, sagt Fritzsche, „aber auch echt kompliziert“.
Die 2022er-Ausgabe von Spieltriebe hat zwar kein Motto, aber einen roten
Faden gibt es: sie stellt thematisch die Türkei ins Zentrum, das
Partnerland der Spielzeit. Die Kontraste dabei sind groß: Alle Sparten sind
vertreten, vom Schauspiel bis zum Tanz. Es geht um Innensichten,
Gesellschaftsvisionen. Osnabrücks Tanzdirektorin Marguerite Donlon lässt in
„Kick. Flip. Tanz“ Skating- und Tanzmoves verschmelzen, Fazıl Say,
Komponist aus Istanbul, in „Patara“, einem Quartett für Sopran, Neyflöte,
Klavier und Schlagzeug, Orientalisches mit Mozart.
Nicht alle Spielstätten sind so neu im Spieltriebe-Geschehen wie die
Ypso-Leerstände. Der Hasefriedhof ist eine Wiederholung, auch die herrlich
undergroundige Skatehalle. Das Festival war schon an vielen Orten der Stadt
gewesen, von der Tischlerei bis zum Bunker, von der Indoor-Spielarena bis
zum Gutshof, von einer Schanze aus dem Dreißigjährigen Krieg bis zum
Distributionslager eines Serviettenherstellers.
Die diesjährige Ausgabe führt uns in die Open-Space-Bürolandschaft einer
extravaganten Kreativagentur, in eine Klinik für Psychiatrie und
Psychotherapie. Aber sie führt uns auch in die hauseigene Kleinbühne
Emma-Theater und auf zwei Bühnen des Instituts für Musik der Hochschule
Osnabrück, und das ist dann eher praktisch als spannend. Zudem setzt
Spieltriebe stark auf Musical- und Schauspiel-Studierende, auf
Bevölkerungspartizipation. Elf Produktionen gleichzeitig zu besetzen, reizt
jedes Ensemble aus.
Spieltriebe versteht auch seine neunte Ausgabe als Reise ins Unbekannte,
ins Junge. Bizarrerie und Skurrilität haben das Format bisher geprägt, Witz
und Überraschung, Ernst und der Mut zur Utopie, auch als Experimentierfeld
der Avantgarde. Mokrusch dürfte wissen, was er an den Spieltrieben hat:
Sie verleihen seinem Haus nachhaltig Profil und etwas überregionale
Wahrnehmung.
31 Aug 2022
## LINKS
[1] /Kapitalismus/!t5010783
[2] https://www.theater-osnabrueck.de/spielzeit/spieltriebe/
[3] /Urauffuehrung-von-Ellbogen/!5448814
[4] /Fatma-Aydemir/!a231/
## AUTOREN
Harff-Peter Schönherr
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