# taz.de -- Theaterstück über Flüchtlinge: Illegale Helfer | |
> Sie wollen alles andere als Helden sein. Aber sie wollen auch | |
> Flüchtlingen helfen und begeben sich dafür selbst in Gefahr. Auszug aus | |
> einem Theaterstück. | |
Bild: Zivilcourage ist heute notwendiger denn zuvor – Migrant an der auf dem… | |
Es sind politisch engagierte Menschen, die die Grenzen, die das Gesetz | |
festlegt, nicht akzeptieren, die damit auch nicht die Marginalisierung, | |
Kriminalisierung und eben Illegalisierung von Menschen ohne legalen Status | |
akzeptieren. Es sind Leute, deren politischer Protest im Helfen besteht. | |
Die damit eine intakte Zivilgesellschaft repräsentieren, die Verantwortung | |
übernimmt auch oder besonders dann, wenn der eigene Staat und die | |
europäischen Staaten versagen. Sie tun es auch mit Blick auf die | |
nationalsozialistische Vergangenheit. Dass sie sich selbst in Gefahr | |
begeben oder straffällig werden, ihren Beamtenstatus riskieren, nehmen sie | |
in Kauf, sie legen es aber nicht darauf an. Und sie verlieren keine Zeit | |
damit, darüber nachzudenken, was man bloß tun kann – sie tun was. Und sie | |
retten dabei Leben. Ich habe vier Jahre lang – in Zusammenarbeit mit Lars | |
Studer – in vier europäischen Ländern recherchiert und mit den Menschen | |
gesprochen, die in der verborgenen Welt des menschlichen Handels zu Hause | |
sind. Sie setzen viel Zeit, Energie und Fantasie ein, ein halbes Leben, ein | |
Doppelleben, das sie führen. | |
1. Szene | |
Genner, Mitte 60: Zivilcourage ist heute notwendiger denn zuvor, denn es | |
kann ja gelingen, Abschiebungen zu verhindern! Wenn ein Asylwerber Asyl | |
eingebracht hat, wenn er von der Deportation bedroht ist, untertaucht und | |
18 Monate nicht auftaucht, dann tritt für ihn die Dublin-Verordnung außer | |
Kraft. Aber 18 Monate sind eine lange Zeit. Wo soll er hin in dieser Zeit? | |
Lukas, um die 40: Ich hatte mit meinen Kindern eine Zeit auf der Alp bei | |
meinem Freund Jonas verbracht. Er bewirtschaftet einen Wald und mehrere | |
Wiesen in den südlichsten Ausläufern der Schweizer Alpen im Tessin, direkt | |
an der Grenze zu Italien. Ein groß gewachsener, kräftiger Mann von | |
vielleicht Mitte 20 kam den Saumpfad herunter, gestützt auf zwei Stöcke. Er | |
sprach uns freudig an, in einem fast unverständlichen Englisch, strahlte | |
und fragte er, ob er hier in der Schweiz sei. Wir bejahten. Der Mann war | |
dankbar, begeistert eigentlich, die Schweiz! Der Traum geht in Erfüllung, | |
und er fragte weiter, ob, wenn er diesem Weg ins Tal folgen würde, er zu | |
einem Dorf käme. Ja, sagten wir. Ich spürte, wie es mich freute, ihm auf | |
diese Weise helfen zu können. Er überbot sich mit Segnungen. God bless you, | |
sagte er, ich glaube, er nahm meine Hand, ich glaube auch, er berührte | |
meinen Kopf. | |
Genner: Die Zivilbevölkerung ist verpflichtet, Schutzräume zur Verfügung zu | |
stellen, wo Schutzbedürftige und Schutzwürdige, Traumatisierte, Gefolterte | |
untertauchen können, so lange, bis die 18 Monate um sind. Bis dahin müssen | |
die Menschen irgendwo bleiben, und es gibt ja auch Menschen guten Willens, | |
Privatpersonen, Klöster, Kirchen, Bauern, es gibt ja viele! | |
Lukas: Ja, er hat sich gefreut, gestrahlt. Er hat uns umarmt. Er hat immer | |
wieder Schweiz gesagt. Das ist der Weg ins Dorf, haben wir gesagt. | |
Genner: Vor jedem ehrlichen Schlepper, der saubere Arbeit macht, der seine | |
Kunden sicher aus dem Land des Elends und Hungers, des Terrors und der | |
Verfolgung herausführt, der sie sicher hereinbringt, den Grenzkontrollen | |
zum Trotz, habe ich Achtung. | |
Lukas: Ja. Wir schickten ihn womöglich direkt ins Verderben. Denn im Dorf | |
unten wachen die Nachbarn über die Straße, in großer Angst vor den | |
Flüchtlingen. Früher war dieser Weg die Hauptroute der Schmuggler und | |
Flüchtlinge. Eine solche Angst hatten die Leute im Dorf, dass sie die | |
unteren Fenster vergittert und sich Schrotflinten angeschafft haben. Als er | |
weg war, fuhr es mir wie ein Blitz durch die Knochen. Wir hätten ihn | |
dabehalten sollen, auf der Alp! Ihn schützen. Wir hätten ihm drei Tage | |
schenken sollen, ihn in Decken wickeln und ihm eine Suppe machen können. | |
Mit ihm diese unglaublich genauen Schweizer Karten studieren und mit meiner | |
Tante Ulrike telefonieren, die seit über 20 Jahren Flüchtlingen hilft. Wir | |
hätten ihm einfach helfen können. War das nicht unterlassene Hilfeleistung? | |
Gesetzgeber: Richtlinie zur Definition der Beihilfe zur unerlaubten Ein- | |
und Durchreise und zum unerlaubten Aufenthalt. 1) Eines der Ziele der | |
Europäischen Union ist der schrittweise Aufbau eines Raums der Freiheit, | |
der Sicherheit und des Rechts; dies bedeutet u. a., dass die illegale | |
Einwanderung bekämpft werden muss. Der Rat der EU hat folgende Richtlinie | |
erlassen: Artikel 1: Allgemeiner Tatbestand: Jeder Mitgliedstaat legt | |
angemessene Sanktionen für diejenigen fest, die: a) einer Person, die nicht | |
Angehörige eines Mitgliedstaats ist, vorsätzlich dabei helfen, in das | |
Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats unter Verletzung der Rechtsvorschriften | |
des betreffenden Staates über die Einreise oder die Durchreise von | |
Ausländern einzureisen oder durch dessen Hoheitsgebiet zu reisen. | |
Genner: Menschen verschwinden in die Schubhaft. Und wir wissen nichts. Wir | |
erfahren es nur, wenn ein Mensch, ein Freund, ein Bruder, ein Vater, ein | |
Onkel zu uns kommt und sagt: Mein Bruder wurde abgeholt. | |
Genner: Wir gehen dann ins Gefängnis, wir lassen uns eine Vollmacht | |
erteilen und vertreten sie dann. Wir haben auch schon wieder welche | |
zurückgebracht, die mitten im Abschiebevollzug waren. | |
Lukas: Genner, was für ein Mensch bist du eigentlich? | |
Genner: Ich berate und vertrete Asylwerber im Asylverfahren. Ich schreibe | |
für sie Berufungen. Begleite sie zu den Einvernahmen. Ich bringe ihre Fälle | |
an die Öffentlichkeit. Ich decke die Missstände auf. | |
Lukas: Ja, aber abgesehen davon: Warum machst du das? | |
Genner: Ich bin seit meinem 18. Lebensjahr politisch tätig. | |
Lukas: Aber warum machst du das? | |
Genner: Ich war in der 68er-Bewegung, ich war bei der Jugendorganisation | |
Spartakus, die den Kampf gegen die Heime und Erziehungsanstalten geführt | |
hat. | |
Lukas: Und persönlich? Oder privat? | |
Genner: Die Arbeit, die ich jetzt mache, ist der wichtigste Teil meines | |
politischen Lebensweges. Ich komme aus einer Familie, die in der Nazizeit | |
politisch und auch rassisch verfolgt wurde, das hat mich geprägt. Ist das | |
ein Anlass, oder ein Funke, den du suchst? | |
Lukas: Oder leidest du am Helfersyndrom? | |
Genner: Ich freue mich über jeden Flüchtling, der durch mich Asyl erhalten | |
hat. Ich freue mich auch über die wenigen Schweine, die wir aus dem Apparat | |
herausschießen konnten. Sind viel zu wenige, aber manche sind es doch. | |
2. Szene | |
Ulrike, 84: Ich muss vielleicht der Reihe nach anfangen: Der Allererste kam | |
aus Bangladesch, Mamun, ein noch nicht volljähriger, knapp 16-jähriger | |
junger Mann, der zweite junge Mann, Tarek, kam aus Afghanistan, der hatte | |
ein abgeschlossenes Studium, dann kam der Dritte, das war ein Eritreer aus | |
einer Volksgruppe, die verfolgt wurde, ein großer Sportler mit zum Teil | |
hohen Gewinnen, früher, der Dehab. Sie waren alle drei allein gereist. Dann | |
kam über den Dehab sein Freund Salem hinzu. Als fünfte Person kam die | |
Lebensgefährtin vom Afghanen hinzu, die Malika, das war so der Anfang. | |
Lukas: Wie kamt ihr darauf, das zu tun? | |
Ulrike: Man kann sagen, sie haben uns einfach gefallen, ich fand sie | |
sympathisch, ein bisschen verloren auch, der kleine Mamun, der Junge, das | |
war ja fast noch ein Kind. | |
Lukas: Eigentlich ein sehr einfacher Einstieg in eine Geschichte. | |
Ulrike: Ja, und es sind alles große Geschichten geworden und sind’s immer | |
noch. Da ging’s um die harten Kämpfe der Aufenthaltsbewilligungen, wir | |
haben Anwälte eingesetzt oder grad je nachdem kirchliche Stellen gesucht. | |
Wir kamen so richtig hinter die Kulissen dieser Asylpolitik, wie zufällig | |
da vieles ist und wie machtlos man ist. Das war schlimm, manchmal schlimm. | |
Also der Mamun, der Bangladeschi, der hatte das zehnte Schuljahr gemacht, | |
davor noch ein Vorbereitungsjahr aufs zehnte Schuljahr, das zehnte | |
Schuljahr, dann die Aufnahmeprüfung an die Berufsschule als Schreiner, und | |
als er nach dem ersten Jahr so richtig integriert und drin war, kam der | |
Negativbescheid. Da ist er untergetaucht. Jetzt ist er in guten Händen, | |
jetzt ist er sicher und gut, aber davon erzähl ich besser nicht zu viel. | |
Lukas: Ihr habt wegen der Gesetze beschlossen, etwas zu tun? | |
Ulrike: Das mit dem Helfen ist immer viel komplizierter. Es ist mehr das | |
Selbstverständliche, dass wenn man in die Situation kommt und sieht, hier | |
könnte ich, wenn ich wollte, etwas tun, und dann tust du’s, eher so. | |
Lukas: Du bist Lehrerin, dein Freund verbeamtet, war das nicht gefährlich? | |
Ulrike: Ungewollt wurde es oft gefährlich, es geht nicht anders, es gibt | |
Situationen, wo wir aufgrund der Menschenrechte mit der Wahrheit locker | |
umgehen mussten. Ja. Es geht zum Beispiel darum, und das ist so eine | |
häufige Frage, woher du kommst, und du sagst, ich kam aus Italien in die | |
Schweiz, dann wirst du nach Italien ausgeschafft, das ist das erste Land, | |
wo du ankommst, da wirst du wieder hingeschickt. Also darfst du nicht | |
sagen, ich kam aus Italien, sondern „aus irgendeinem Land, ich weiß nicht | |
genau, in Europa“. Mein Mann und ich waren uns immer einig, wo und wie wir | |
helfen wollen, und aus diesen Beziehungen ist so eine Art Adoptivfamilie | |
geworden für uns. Und ist’s heute noch. So gesehen ist es eine Entwicklung, | |
sind es Beziehungen, die gehen ja auch nicht irgendwann planbar zu Ende, | |
die gehen schon manchmal zu Ende, aber nicht unbedingt geplant. | |
25 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Maxi Obexer | |
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