| # taz.de -- Faire Produkte aus dem Kriegsgebiet: Turnbeutel aus Syrien | |
| > Die deutsche Unternehmerin Lanna Idriss lässt in Syrien Accessoires | |
| > herstellen. Damit schafft sie Jobs für Frauen, die so ihre Familie | |
| > ernähren können. | |
| Bild: Es geht darum, Marktzugänge in Deutschland für Produkte aus Syrien zu s… | |
| Handbestickte Laptoptaschen und Turnbeutel aus Syrien. Aus einem Land also, | |
| in dem jeder Zweite auf der Flucht ist, 6 Millionen Menschen sich bereits | |
| ins Ausland retten mussten und wohl mehr als 250.00 Menschen getötet | |
| wurden. Wie passt das zusammen? | |
| Lanna Idriss antwortet geduldig und resolut auf alle Fragen. Sie | |
| [1][gründete Gyalpa] im letzten Oktober. Seit Beginn des Kriegs engagiert | |
| sich die Bankdirektorin aus Frankfurt am Main in der Syrienhilfe und | |
| sammelte bislang Geld insbesondere für Bildungs- und Schulprojekte für | |
| Kinder, die aus Syrien flüchten mussten. „Wie aber kann ich etwas dazu | |
| beitragen, dass Syrerinnen und Syrer wieder selbst erwirtschaften können, | |
| was sie zum Leben brauchen?“ Immer wieder habe sie sich das gefragt. Hilfe | |
| zur Unabhängigkeit, bloß kein Mitleid, sondern Wertschätzung und | |
| Unterstützung! | |
| Das sind die ideellen Grundpfeiler von Idriss und damit auch von Gyalpa, | |
| das sich als soziales Handelsunternehmen begreift. „Wir geben keine | |
| Almosen, sondern bezahlen einen fairen Preis für gute Arbeit.“ So steht es | |
| im Programm. In der Folge geht es darum, Marktzugänge in Deutschland für | |
| Produkte aus Syrien zu schaffen. Denn in Syrien selbst gibt es kaum noch | |
| Absatzmöglichkeiten. Auf Basare zu gehen, ist meist zu gefährlich geworden | |
| – außerdem: Wer hat noch Geld für Dinge, die zwar schön, aber nicht | |
| lebensnotwendig sind? | |
| „Zunächst habe ich überlegt, ob wir die wunderbar duftenden und leicht | |
| transportierbaren Gewürze in unser Sortiment aufnehmen sollten“, erzählt | |
| Idriss weiter. „Aber da hat mich die deutsche Hygieneordnung schnell auf | |
| den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Diesen Bestimmungen zu genügen, ist | |
| im Moment nicht möglich. Und so kamen wir auf Stoffe und Handarbeit.“ | |
| Gyalpa verkauft neben den Turnbeuteln und Laptoptaschen auch Hand- und | |
| Einkaufstaschen, Schals, Kosmetikbeutel für die Reise, Badetücher und | |
| Kissenbezüge. Jedes Stück ist ein Unikat. Die Preise variieren zwischen 15 | |
| und 50 Euro. Häufig müssen Stoffreste genügen. Improvisation und Recycling | |
| gehören zum Alltag in Krisengebieten. | |
| ## Was gefällt den Deutschen? | |
| Gemeinsam mit den Näherinnen und der libanesischen Designerin Yara Cheiab | |
| wurden Designs entworfen, die die traditionelle Muster, wie etwa die in | |
| Syrien berühmte, uralte Akhbani-Stickkunst, an deutsche Geschmäcker | |
| anpasst. „Das bedeutet weniger Goldfäden und weniger bunt“, erklärt Idriss | |
| lächelnd. | |
| „Zunächst waren die Syrerinnen etwas enttäuscht: Warum gefällt euch nicht, | |
| was wir nähen? Also haben wir geredet. Das ist mir so wichtig: Ich will den | |
| Frauen nicht ein Muster vorsetzen, am besten per SMS aus Deutschland, nach | |
| dem Motto: Macht das mal so! Sondern wir überlegen gemeinsam, was für den | |
| deutschen Markt Sinn machen könnte. Und dass wir Deutschen es nun mal | |
| schlichter mögen, ist keine Kritik an der morgenländischen | |
| Farbbegeisterung, sondern benennt nur eine kulturelle Differenz.“ | |
| Um herauszufinden, was sich in Deutschland verkauft und was nicht, stellte | |
| sich Idriss mit ihren Mitarbeiterinnen im letzten Winter auf | |
| Weihnachtsmärkte. Eine reguläre Produktforschung wäre viel zu teuer | |
| gewesen. Das Ergebnis war eindeutig: Weniger ist mehr. | |
| Das Schlichte hat aber auch den Vorteil, dass es nicht ganz so | |
| arbeitsaufwändig ist. Die Frauen werden per Stück bezahlt, bar auf die | |
| Hand. Niemand muss ein Konto haben. Und je mehr Taschen oder Tücher die | |
| Frauen schaffen, desto mehr Geld verdienen sie. Die Sensibilisierung für | |
| den deutschen Markt zahlt sich für sie also direkt aus. Und da es | |
| inzwischen häufig die Frauen sind, die ihre Kinder ernähren müssen, weil | |
| ihre Männer, Väter und Brüder entweder an der Front, auf der Flucht oder | |
| verstorben sind, macht jedes gefertigte Produkt mehr oder weniger einen | |
| Unterschied. | |
| ## 80 Prozent der Leute sind arbeitslos | |
| Bislang kauft Gyalpa Produkte von vier verschiedenen Produktionsstätten an, | |
| drei davon arbeiten in Syrien, eine ist im Beiruter Flüchtlingsviertel | |
| Schatila angesiedelt. Und genau dort nahm alles seinen Anfang. So stellte | |
| die NGO Basmeh & Zeitooneh (Lächeln & Olivenzweig) den Kontakt zu den | |
| Produzentinnen her. Basmeh & Zeitooneh wurde 2011 von Libanesen und Syrern | |
| gemeinsam gegründet. | |
| Dank ihr können derzeit etwa 300 Kinder wieder zur Schule gehen. | |
| Gleichzeitig haben sie in Schatila kleine Wohnungen angemietet, dort eine | |
| Frauenwerkstatt eingerichtet und bieten Workshops zur Fortbildung für | |
| Frauen an. Sie erreichen damit etwa 160 Frauen. Alle können mitmachen, die | |
| Teilnahme ist kostenlos und für Kinderbetreuung ist gesorgt. | |
| Organisiert wird das alles von Farah Azrak. Sie ist 28 Jahre alt, wuchs in | |
| Syrien auf, ging dann zum Studium ins Ausland und kehrte schließlich nach | |
| Beirut zurück, um ihren Landsleuten zu helfen. „Für uns war es wie ein | |
| Wunder, als Lanna Idriss auf uns zukam und sagte, dass sie ein richtiges | |
| Unternehmen aufbauen wolle. Das bedeutet richtige Jobs für die Frauen hier! | |
| Vielleicht kann man sich in Deutschland nicht vorstellen, wie wertvoll das | |
| für uns hier ist! Aber in Schatila sind etwa 80 Prozent der Leute | |
| arbeitslos. Und ein Job bedeutet Geld, aber auch ein neues | |
| Selbstbewusstsein.“ | |
| Hinzu kommt: So wichtig Spenden sind, so unberechenbar sind sie auch. „Im | |
| Moment“, berichtet Azrak, „ist Foundraising für Schatila fast unmöglich | |
| geworden.“ Generell gingen die Spenden zurück, und das, was noch | |
| zusammenkommt, werde in andere Flüchtlingslager investiert. Um so wichtiger | |
| ist daher die Kooperation mit Gyalpa. Denn Nachhaltigkeit ist ein | |
| Schlüsselwort für Azrak. „Wir brauchen Zeit, um Strukturen aufbauen zu | |
| können. Und dafür brauchen wir eine gewisse Planbarkeit.“ | |
| ## „Wir wollen Gewinn machen“ | |
| Wie kommt nun das Geld an die Frauen in Syrien? Alles basiert auf Vertrauen | |
| und einem ausgefeilten sozialen Netzwerk. Die Frauen erhalten ihr Geld per | |
| Boten und ebenfalls per Booten kommt ihre Ware nach Beirut. Von dort geht | |
| es dann per Flugzeug weiter nach Deutschland. Hier werden die Sachen | |
| bislang per Internetshop, in dem Berliner Laden „Schönes aus Syrien“ und ab | |
| Mai auch im taz Shop verkauft. | |
| Die deutschen MitarbeiterInnen von Gyalpa arbeiten vorwiegend ehrenamtlich. | |
| Von dem Erlös werden zudem Transportkosten und Zollgebühren abgezogen, der | |
| Rest geht direkt an die Näherinnen. Trotzdem ist Gyalpa kein | |
| Nonprofitunternehmen. Lanna Idriss betont das mehrfach. „Wir wollen Gewinn | |
| machen und so effizient wie unter diesen Umständen möglich arbeiten. Erfolg | |
| ist ja nichts Böses, Gewinn auch nicht – zumal wenn man ihn ins Unternehmen | |
| reinvestiert, damit noch mehr Frauen und auch Männer über Gyalpa ihre Waren | |
| verkaufen können. Außerdem haben wir das Ziel, in der Zukunft mit unserer | |
| Arbeit, auch Bildungsprojekte für syrische Flüchtlingskinder zu | |
| unterstützen.“ | |
| Nichts ist für die Syrerinnen wichtiger, als dass ihre Kinder wieder zur | |
| Schule gehen können. Dass sie wieder eine Kindheit haben dürfen, obwohl sie | |
| bereits so viel Schreckliches mit ansehen mussten. | |
| Und was hat Idriss am meisten an der Zusammenarbeit mit den Syrerinnen | |
| überrascht? Die Frankfurterin zögert für einen Moment und sagt dann: „Die | |
| Energie dieser Frauen, mit ihr hatte ich nicht gerechnet. Die ist | |
| umwerfend.“ | |
| 12 May 2015 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.gyalpa.com/ | |
| ## AUTOREN | |
| Ines Kappert | |
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