# taz.de -- Ziviler Ungehorsam in Berlin: „Wir können nicht länger warten“ | |
> Wenn die Politik keine sicheren Radwege baut, dann machen wir das selbst, | |
> sagen Laila, 24, und Kim, 51, von der Gruppe „Sand im Getriebe Berlin“ | |
Bild: AktivistInnen von Sand im Getriebe beim Protest gegen den „Autogipfel�… | |
Das Bündnis „Sand im Getriebe“ hat im vergangenen Jahr die internationale | |
Automesse IAA in Frankfurt/M. mit zivilem Ungehorsam blockiert. Jetzt wollt | |
ihr als „Sand im Getriebe Berlin“ die Verkehrswende nach Berlin tragen – | |
warum das? | |
Kim: Verkehrswende beginnt im Lokalen: Eine Stadt wie Berlin ist komplett | |
vom Autoverkehr dominiert – das können wir nur hier vor Ort ändern: Mit | |
Fahrradwegen, mehr Bus- und Bahnverkehr und eben dadurch, dass wir Autos | |
systematisch Platz wegnehmen. Das wollen wir mit unseren Aktionen | |
erreichen, hier in Berlin. | |
Laila: Das ist dann nicht nur gut fürs Klima, sondern auch für alle | |
Menschen, die hier leben und dem Autolärm, den Abgasen und den Gefahren | |
ausgesetzt sind. | |
Aber Berlin hat doch schon ein Mobilitätsgesetz, Pop-Up-Bikelanes und sogar | |
ein Stück autofreie Straße in Mitte... | |
Kim: Die Umsetzung des Mobilitätsgesetzes kommt überhaupt nicht voran: In | |
elf von zwölf Bezirken tut sich so gut wie nichts – und die PopUp-Radwege | |
in Kreuzberg will die AfD uns jetzt mit rechtlichen Tricks wieder | |
wegnehmen. Die Klimakrise hat aber jetzt schon schreckliche Ausmaße | |
angenommen – da können wir nicht länger warten. Weil die Regierung und die | |
Verwaltungen versagen, nehmen wir jetzt die Verkehrswende selbst in die | |
Hand. | |
Laila: Viele Menschen können sich die Stadt ohne Autos einfach gar nicht | |
vorstellen. Wir wollen mit kreativen, ungehorsamen Aktionsformen schon mal | |
zeigen und erlebbar machen, wie schön Berlin ohne Autos sein kann. | |
Ist das euer Ziel: eine Stadt ganz ohne Autos? Wie soll das funktionieren? | |
Laila: Wir wollen vor allem eine Stadt für Menschen: In der alle sicher von | |
A nach B kommen können. Das heißt: mehr Platz fürs Radfahren, zu Fuß gehen | |
und für den ÖPNV. Und natürlich keine Autos mehr, klar! Aber das kann nur | |
ein erster Schritt sein. Um die Klimakrise zu stoppen, brauchen wir ein | |
generelles Verbot von Verbrennungsmotoren und den konsequenten Rückbau der | |
Autoindustrie. Das wird nicht leicht, denn die Lobby der kriminellen | |
Autoindustrie von VW und Co. ist in Deutschland unglaublich stark. Aber | |
spätestens der Dieselskandal hat ja gezeigt, dass es mit diesen | |
Konzernmanagern keine Lösung für Klimaschutz geben kann – sondern nur gegen | |
sie. | |
Kim: Auch Elektroautos sind keine Lösung. Wir müssen weg vom motorisierten | |
Individualverkehr, der unsere Städte verstopft und die Privilegien der | |
Reichen sichert. Wir wollen, dass in der Giga-Factory von Tesla in | |
Grünheide nur noch Elektrobusse und -lieferwagen gebaut werden – also, nach | |
der Vergesellschaftung natürlich (lacht). | |
Was für Aktionen habt ihr schon gemacht? Und was sind weitere Pläne? | |
Laila: Es gab Aktionen von Sand im Getriebe hier in Berlin, bei denen wir | |
nachts Pop-Up-Radwege selbst aufgebaut haben, in Neukölln und im Wedding. | |
Das geht wirklich ziemlich einfach – man darf sich nur nicht erwischen | |
lassen. | |
Kim: Weil wir solche ungehorsamen Aktionen hier in Berlin verstetigen | |
wollen, haben wir dann vor Kurzem den Gründungsprozess für die Berliner | |
Ortsgruppe von Sand im Getriebe gestartet. Unsere erste Aktion war ein | |
„Noise Ride“: eine Fahrraddemo gegen den Autogipfel um dagegen zu | |
protestierem, wie Kanzlerin Merkel die Autolobby hofiert. | |
Illegale aufgebaute Radwege verschwinden meist am nächsten Tag wieder – wie | |
wollt ihr mit Euren Aktionen langfristig etwas verändern? | |
Laila: Mit Beharrlichkeit (lacht). Wenn wir immer wieder Aktionen machen | |
und zeigen, wie leicht es gehen kann mit der Verkehrswende, dann können wir | |
den Senat und die Bezirke unter Druck setzen. Unser Ziel ist es, lauter und | |
nerviger zu sein als die ewiggestrigen Autofans, die die Verkehrswende | |
immer noch blockieren. | |
Kim: Es geht auch um Selbst-Empowerment: Wir wollen zeigen, dass wir keine | |
Lust mehr haben, giftige Luft zu atmen und beim Radfahren unser Leben zu | |
riskieren. Mit unseren direkten Aktionen zeigen wir: Wenn ihr keine | |
sicheren Radwege baut, dann machen wir das selbst. Und wenn ihr denkt, ihr | |
könnt weiter mit Eurem Auto die Stadt blockieren, dann nehmen wir Euch den | |
Platz dafür weg. | |
Nun gibt es ja schon viele Fahrrad- und autofrei-Initiativen in Berlin – | |
braucht es Euch da überhaupt noch? | |
Laila: Es ist toll, dass es so viele Initiativen für Radwege und autofreie | |
Kieze gibt – aber den großen Wurf haben die bisher nicht gebracht. Das | |
Mobilitätsgesetz war ein guter Ansatz, aber es wird nicht umgesetzt. Jetzt | |
sind viele ratlos, weil sie mit Unterschriften und angemeldeten Demos | |
allein nicht weiterkommen. Wir gehen da einfach den logischen nächsten | |
Schritt: wir leisten zivilen Ungehorsam, um den Druck zu erhöhen. | |
Kim: Wir haben schon Erfahrung mit Aktionen des zivilen Ungehorsams – mit | |
Ende Gelände gegen Kohle oder vergangenes Jahr bei der IAA-Blockade in | |
Frankfurt (a.M., Anmerkung der Redaktion). Jetzt zeigen wir in Berlin, wie | |
das mit Verkehrswende geht. | |
Die nächste IAA-Messe findet nächstes Jahr im September in München statt, | |
kurz vor der Bundestagswahl – gibt es dazu beim bundesweiten Bündnis von | |
„Sand im Getriebe“ schon Pläne? | |
Kim: Fast ein bisschen schade, dass die Automesse nicht nach Berlin kommt | |
(lacht). Aber klar, dann fahren wir halt nach München. Inmitten der | |
Klimakrise noch eine Messe zu veranstalten, bei der Verbrennermotoren | |
vergöttert werden und eine kriminelle Klimakiller-Industrie den roten | |
Teppich ausgelegt bekommt – das geht wirklich gar nicht! | |
25 Sep 2020 | |
## AUTOREN | |
Lara Eckstein | |
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