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# taz.de -- Klimaneutrales Berlin bis 2050: „Eine Frage des Tempos“
> Noch reichen die Maßnahmen des Senats nicht aus, um die Paris-Ziele zu
> erreichen, sagt Fritz Reusswig vom Potsdam-Institut für
> Klimafolgenforschung.
Bild: So könnte es aussehen: Der Alexanderplatz wird im Jahr 2050 zum grünen …
taz: Herr Reusswig, Sie haben an der Machbarkeitsstudie „Klimaneutrales
Berlin 2050“ mitgewirkt. Warum wurde die Studie angesetzt?
Fritz Reusswig: Nach längeren Jahren relativen Stillstands hat sich der
Berliner Senat 2011 auf das Klimaneutralitätsziel bis 2050 festgelegt und
uns – das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) – und
Partnerinstitute damit beauftragt herauszufinden, ob dieses Ziel
tatsächlich erreichbar ist. 2014 haben wir diese Machbarkeitsstudie
vorgelegt und 2015 – wieder mit Partnern – dargelegt, mit welchen Maßnahmen
man dabei beginnen muss.
Wie genau sind Sie vorgegangen?
Wir haben uns Vergangenheit und die Ausgangssituation angeschaut und dann
den Beitrag der verschiedenen Sektoren zur CO2-Gesamtbilanz ausgerechnet.
Das war nicht ganz leicht, weil die offizielle CO2-Statistik in Berlin den
Gebäudesektor nicht gesondert ausweist und auch beim Flugverkehr die
Realität nicht vollständig abbildet. Wir haben bei der Maßnahmenentwicklung
eng mit Politik, Verwaltung und Stadtgesellschaft zusammengearbeitet und
für jede Maßnahme den CO2-Minderungsbeitrag sowie die Kosten abgeschätzt.
Und welche Sektoren sind für die meisten CO2-Emissionen verantwortlich?
Das wiedervereinigte Berlin hat im Basisjahr 1990 rund 30 Millionen Tonnen
CO2 emittiert und lag 2015 bei etwa 20 Millionen Tonnen. Ein Teil dieses
Rückgangs geht auf das Konto der „Sanierung“ von DDR-Altlasten im Gebäude…
Verkehrs- und Erzeugungsbereich. Von den 20 Millionen Tonnen gehen 47
Prozent auf das Konto des Gebäudesektors (Heizung, Warmwasser), 23 Prozent
erzeugt der Verkehr (speziell der Autoverkehr), 21 Prozent werden in der
Wirtschaft erzeugt, und für 9 Prozent sind die privaten Haushalte
verantwortlich.
Wie können die Emissionen in den verschiedenen Sektoren gesenkt werden?
Das ist sehr unterschiedlich – und auch unterschiedlich schwierig. Der
dickste „Brocken“ – der Gebäudesektor – umfasst Wirtschafts- und
Wohngebäude, die meisten davon sind Mietwohnungen. Die aktuelle
Sanierungsrate liegt bei unter 1 Prozent, sie muss dringend angehoben
werden. Nach gegenwärtiger Rechts- und Finanzlage belastet das aber die
Kaltmieten und führt zu sozialen Schieflagen. Hier müssen wir dringend an
der Gesetzeslage etwas ändern. Solvente Privateigentümer und die Wirtschaft
müssen aber schon heute mehr gefordert werden. Der Verkehrsbereich ist ein
bundesweites Sorgenkind, doch in Berlin ist der ÖPNV heute schon
überdurchschnittlich gut. Hier braucht es noch Netzverdichtungen,
Taktverdichtungen und Anschlussangebote, wie Restmobilität über Elektro.
Fuß- und Radverkehr müssen gestärkt werden. Private Haushalte brauchen mehr
Beratung und bessere Rahmenbedingungen.
Was bedeutet Klimaneutralität im Kontext Ihrer Studie?
Machbarkeitsstudie und das Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm (BEK)
sind noch vor den Vereinbarungen des Pariser Klimaabkommens geschrieben
worden. Wir haben uns damals am 2-Grad-Ziel orientiert und einen Zielwert
von 4 Millionen Tonnen CO2 als Obergrenze bis 2050 ausgegeben – und das bei
wachsender Bevölkerung. Nachdem in Paris das 1,5-Grad-Ziel beschlossen
wurde, müssen wir ehrgeiziger werden. Der Berliner Senat lässt derzeit
prüfen, was das genau bedeutet.
Ist ein klimaneutrales Berlin 2050 möglich?
Unseren damaligen Berechnungen zufolge: ja. Die neue Studie müssen wir
abwarten.
Ist es notwendig?
Auf jeden Fall. Natürlich müssen wir das weltweit erreichen, nicht nur in
Berlin. Aber wenn die Hauptstadt einer der reichsten Volkswirtschaften auf
diesem Planeten nicht vorangeht, sendet das das falsche Signal aus.
Was ist seit Ihrer Studie an Klimaschutzmaßnahmen in Berlin geschehen?
Die meisten der von uns vorgeschlagenen rund 100 Maßnahmen befinden sich
laut Monitoringbericht des Senats von 2019 in Vorbereitung. Einige sind in
Umsetzung, einzelne sind beschlossen. Der Senat hat alles in allem knapp
100 Millionen Euro in die Hand genommen, um die Maßnahmen des BEK
finanziell zu untersetzen. Die Gelder sind noch nicht ausgeschöpft worden
und werden zukünftig hoffentlich aufgestockt – auch im Lichte der
Paris-Anpassung wird das nötig sein. Die Umweltverwaltung hat ein
Verkehrsgesetz auf den Weg gebracht, das letzte Braunkohlekraftwerk wurde
2017 stillgelegt, die Steinkohle soll folgen. Es gibt eine
Solardachinitiative und vieles mehr.
Wie bewerten Sie die Maßnahmen?
Als gut, aber noch nicht ausreichend. Es ist auch eine Frage des Tempos.
Sind wir auf einem guten Weg das Ziel klimaneutrales Berlin 2050 zu
erreichen?
Nach meiner Einschätzung haben die energie- und klimapolitischen Akteure
aus SPD, Grünen und der Linken gut zusammengearbeitet und sind mit
Engagement bei der Sache. Ich kenne einige Landes- und Stadtregierungen,
und nicht überall ist das gegenseitige Verständnis und der gemeinsame Wille
zur Veränderung so deutlich wie in Berlin. Auf der Ebene der Regierung
insgesamt und der anderen Senatsverwaltungen – auch bei einigen Bezirken –
hakt es dagegen noch. Es sind auch Anzeichen der Verzettelung erkennbar.
Ich würde mir wünschen, dass der oder die zukünftige Regierende
Bürgermeisterin das Thema Klimaschutz wirklich zur Chefsache machen würde.
25 Sep 2020
## AUTOREN
Enno Schöningh
## TAGS
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Klimaneutralität
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