| # taz.de -- Schwarze Frauen in Deutschland: „Aus der Unsichtbarkeit getreten�… | |
| > May Ayim war eine der wichtigsten Figuren der Schwarzen Frauenbewegung in | |
| > Deutschland. Die Soziologin Natasha Kelly hält ihr Werk für aktuell. | |
| Bild: Seit sich schwarze Frauen mit Begriffen wie „afrodeutsch“ selbst bena… | |
| taz: Frau Kelly, heute wäre May Ayim 57 Jahre alt geworden. Sie war ja | |
| vieles: Pädagogin und Aktivistin, Wissenschaftlerin, aber vor allem auch | |
| Dichterin. Haben Sie ein Lieblingsgedicht von ihr? | |
| Natasha A. Kelly: Vielleicht „grenzenlos und unverschämt“. Das hat sie 1990 | |
| geschrieben, als die Mauer fiel. Es geht darum, dass im Prinzip alle | |
| feiern, nur Schwarze Deutsche nicht. Das war ja eine prägnante Zeit in | |
| Deutschland, als rassistische Hetze nochmals erstarkte, und Menschen, die | |
| eine lange Geschichte hier haben, plötzlich wegverortet und als Ausländer | |
| klassifiziert wurden. | |
| Kommen Ihnen die Zeilen aktuell vor? | |
| Ja, wir erleben ja mit der Pegida-Bewegung und dem Erstarken der AfD gerade | |
| so einen Rückschlag. Rassismus ist natürlich kein neues Phänomen, aber es | |
| ist neu, wie salonfähig er geworden ist. Ayims Werke sind deshalb so | |
| aktuell wie eh und je. | |
| Trotzdem ist May Ayim im Mainstream kaum bekannt. Welche Rolle hatte sie | |
| für die Schwarze deutsche Bewegung? | |
| Sie ist eine der prominentesten Figuren der Schwarzen Community. Mit ihrer | |
| Poesie ist sie viel in der Öffentlichkeit aufgetreten. Mit ihr, Katharina | |
| Oguntoye und anderen wurde die zweite Welle der afrodeutschen Bewegung | |
| überhaupt erst in Gang gebracht. | |
| Moment, was war denn die erste Welle der afrodeutschen Bewegung? | |
| Die antikoloniale Bewegung zur Zeit des deutschen Kolonialismus. Durch die | |
| Kolonialmigration sind ja viele afrikanische Menschen ins Deutsche | |
| Kaiserreich gezogen. Sie haben hier Familien gegründet und hatten | |
| Deutschland als ihren Lebensmittelpunkt. Und sie haben auch schon | |
| Widerstand gegen rassistische Strukturen geleistet. | |
| Wie zum Beispiel? | |
| Sie haben zum Beispiel Petitionsbriefe geschrieben, um auf Missstände | |
| aufmerksam zu machen. Und auch Vereine gegründet, et cetera. Deswegen kann | |
| das, was May Ayim und Katharina Oguntoye gemacht haben, als eine | |
| Fortführung des Kampfes gesehen werden. Aber das ist natürlich Geschichte, | |
| die viele nicht kennen. | |
| Was war May Ayims besonderer Verdienst in den Achtzigerjahren? | |
| Dafür müsste ich nochmal einen Schritt zurückgehen. | |
| Bitte. | |
| Angestoßen wurde das Ganze von der Schwarzen, US-amerikanischen Aktivistin | |
| und Wissenschaftlerin Audre Lorde. Sie wurde im Kontext der Frauenbewegung | |
| in den achtziger Jahren nach Berlin eingeladen, um an der Freien | |
| Universität zu unterrichten. Sie war in den USA in der | |
| Bürgerrechtsbewegung, aber auch in der Frauen- und Lesbenbewegung aktiv. | |
| Sie hat festgestellt, dass vereinzelt Schwarze Studenten in ihren Seminaren | |
| saßen, die aber keine Beziehung zueinander hatten. Das hat sie so sehr | |
| irritiert, denn in den USA gibt es ja ganz andere Communitystrukturen. Da | |
| hat sie einmal nach einer Sitzung alle Schwarzen Studenten darum gebeten, | |
| im Raum zu bleiben. | |
| Was wollte sie? | |
| Sie forderte diese Studenten, unter denen auch May Ayim war, auf: Lernt | |
| euch kennen, lernt eure Geschichte kennen. Ihr habt etwas gemeinsam, was | |
| kann das sein? So kam die zweite Welle der afrodeutschen Bewegung in Gang. | |
| Was war denn das Spezifische der zweiten afrodeutschen Bewegung? | |
| Das Besondere im deutschen Kontext ist, dass diese Bewegung aus der | |
| Frauenbewegung heraus entstanden ist. Sie war nicht so wie in anderen | |
| Ländern eine von Männern angeführte Bewegung, wo sich die Frauen immer | |
| ihren Platz suchen mussten. Lorde hat das Thema Rassismus in die deutsche | |
| Frauenbewegung reingebracht. Sie wollte die bis dahin vermeintlich homogene | |
| Kategorie Frau aufbrechen. Sie wollte immer, dass Unterschiede anerkannt | |
| und als Quelle der Kraft und Kreativität verstanden werden. Denn weiße | |
| Frauen können auch rassistisch sein und sollten ein Bewusstsein dafür | |
| entwickeln und nicht ausschließlich ihre Probleme im Zentrum des Kampfes | |
| stellen. | |
| May Ayim wurde Mitbegründerin der Initiative Schwarze Menschen in | |
| Deutschland, die sich bis heute gegen Rassismus und für die Rechte von | |
| Schwarzen in Deutschland einsetzt. Fast zeitgleich gab sie 1986 zusammen | |
| mit Katharina Oguntoye und Dagmar Schultz das Buch „Farbe bekennen“ heraus, | |
| das als Meilenstein in der afrodeutschen Bewegung gilt … | |
| Es ist ein Standardwerk, weil es tatsächlich die erste Kritik von Schwarzen | |
| Frauen am deutschen Kolonialismus ist. Kolonialismus war ja in den | |
| Achtzigerjahren in der deutschen Mehrheitsgesellschaft überhaupt kein | |
| Thema. In dem Buch wurde historische Arbeit geleistet und eine Linearität | |
| aufgezeigt: Schwarze Deutsche sind nicht erst mit den US-Soldaten nach dem | |
| Zweiten Weltkrieg hierher gekommen, ihre Präsenz reicht bis ins 18. | |
| Jahrhundert zurück. | |
| In diesem Buch dokumentierte May Ayim also Schwarzes Leben in Deutschland. | |
| Darin wird einerseits eine historische Abhandlung gemacht: Von Anton | |
| Wilhelm Amo, der im 18. Jahrhundert der erste Schwarze Philosoph an einer | |
| deutschen Universität war bis hinein in die Gegenwart der 1980er Jahre. | |
| Hinzu kamen Interviews und Biografien von Schwarzen Frauen aus | |
| verschiedenen Generationen. | |
| In „Farbe bekennen“ ist der der Neologismus Afrodeutsch entstanden. | |
| Ja, richtig, Schwarze Frauen haben sich selbst benannt und sind damit aus | |
| der Unsichtbarkeit getreten. | |
| Warum war das so wichtig? | |
| Durch die Selbstbenennungen „Afrodeutsche“ und „Schwarze Deutsche“ wurd… | |
| rassistische Fremdbenennungen abgelöst. Dadurch haben wir eine politische | |
| Stimme bekommen. Ich nenne Ayim immer change agent: Sie hat unseren | |
| gesellschaftlichen Wandel aus der Objektposition in eine Subjektposition | |
| ermöglicht. Denn die weiße Norm wurde erst ab dem Punkt sichtbar, als sich | |
| Schwarze Deutsche benannt und positioniert haben. Das ist ja auch der | |
| Ansatz der Critical Whiteness. Die Selbstbenennung war so etwas wie eine | |
| Grundsteinlegung. | |
| In den letzten zwanzig Jahren hat sich etwas bewegt: In Berlin wurde 2010 | |
| etwa das Groebenufer in May-Ayim-Ufer umbenannt. Gibt es ein verändertes | |
| Bewusstsein in der Mehrheitsgesellschaft? | |
| Die Gesellschaft verändert sich, aber nur langsam. Die Umbenennung ist nur | |
| durch langen Widerstand zustande gekommen! Es wurde aus einer klar | |
| definierbaren politischen Position mit Fakten argumentiert: Otto Friedrich | |
| von der Groeben war ein Kolonialverbrecher, und Schwarze Initiativen haben | |
| recherchiert und seine Morde und Verbrechen an der Menschlichkeit | |
| aufgezeigt. Da konnten die Entscheider nicht mehr sagen, wir machen das | |
| nicht. Mit dieser Straßenumbenennung wurde Schwarze deutsche Identität in | |
| nationale Geschichte eingeschrieben. Das war ein Riesenschritt nach vorne. | |
| Welche Rolle spielte May Ayim für Sie persönlich? | |
| May Ayim hat mir bei meiner Identitätssuche geholfen. In meiner Jugendzeit | |
| wollte ich nie deutsch sein. Ich habe ja tatsächlich eine unmittelbare | |
| Migrationsgeschichte, was viele Schwarze Deutsche nicht haben. Aber | |
| Deutschland hat mich einerseits abgelehnt und andererseits mehr geprägt als | |
| jedes andere Land, auch die Sprache. Mit den Texten von May Ayim habe ich | |
| aufgehört mich dagegen zu wehren. Heute kann ich deutsch sein – | |
| afrodeutsch! | |
| Wo steht denn die Schwarze, feministische Bewegung heute? | |
| Die Schwarze feministische Bewegung ist vielfältig. Aber ich denke, | |
| insgesamt ist die politische Stimme von Schwarzen Frauen stärker geworden. | |
| Außerdem gibt es eine größere Vernetzung. Und auch aufgrund der | |
| demographischen Entwicklung kommen wir plötzlich in Positionen hinein, wo | |
| wir mehr Handlungs- und Entscheidungsmacht haben. Das hätte ich vor dreißig | |
| Jahren nicht für möglich gehalten. | |
| Und wie soll die Zukunft aussehen? | |
| Ich bin die Vision meiner Vorfahren, die frei sein wollten, nicht versklavt | |
| sein wollten, die lesen und schreiben lernen wollten. Ein Doktortitel war | |
| für sie ganz weit weg. Ich bin diese wahr gewordene Vision, weil sie dafür | |
| gekämpft haben. Wir schulden ihnen und den nächsten Generationen neue | |
| Visionen, die auch irgendwann Wirklichkeit werden. | |
| 3 May 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Jasmin Kalarickal | |
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