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# taz.de -- Kommentar Bachmann-Preisträgerin: Mehr als nur ein Ei
> Sharon Dodua Otoo setzt sich seit Jahren für mehr Sichtbarkeit von
> Schwarzen Frauen ein. Ihre Ehrung setzt ein starkes Signal.
Bild: Die strahlende Gewinnerin (r), neben ihr Klagenfurts Bürgermeisterin (m)…
Als Sharon Dodua Otoos Name am Sonntag durch die Presse geht, hören viele
Medienrezipient_innen das erste Mal von der Autorin. Otoos Geschichte über
ein altes Ehepaar und ein Ei hat die Kritiker_innen überzeugt. Und so ist
die kurze Erzählung: Eine ausgezeichnete [1][Autorin wurde mit dem
Ingeborg-Bachmann-Preis geehrt].
Die längere Erzählung ist: Erstmalig hat eine Schwarze Frau einen der
prestigeträchtigsten Literaturpreise im deutschsprachigen Raum erhalten.
Eine Frau, die sich selbst seit Jahren für mehr Sichtbarkeit von Schwarzen
Frauen einsetzt – in ihren Texten und als Aktivistin. Die Stärke dieses
Signals ist unermesslich.
In der Novelle „die dinge, die ich denke, während ich höflich lächle“
([2][edition assemblage], 2012) beschreibt Otoo den Alltag einer Frau, die
sich gerade von ihrem Mann trennt. Eine scheinbar gewöhnliche Geschichte.
Nur die Perspektive ist ungewöhnlich. Es ist die einer Schwarzen Frau, etwa
in der Berliner U-Bahn: „Weiße Menschen sehen mich manchmal so an, als sei
ich ihre eigene private Völkerschau. Zurückstarren hilft nicht.“
Jetzt schaut Otoo zurück. Und sie schaut sehr genau. In ihrem
Gewinnerinnenbeitrag [3][„Herr Gröttrup setzt sich hin“] beschreibt sie
einen alten Mann, der Regionalbahnen ohne Verspätung schätzt, den Münchner
Merkur liest und um Punkt 7.30 Uhr mit seiner Frau zu Frühstück isst.
## Die Seele des deutschen Biedermeier
Bei einem solchen Frühstück passiert es, dass dem werten Herr Gröttrup
plötzlich das überhaupt nicht feste Eigelb seines Frühstückseis auf die
Krawatte spritzt. „Das waren doch auf die Sekunde siebeneinhalb Minuten!
Oder etwa nicht?“ Das Ei, das später auch aus Ich-Perspektive erzählt,
weigert sich, den Erwartungen dieser druchgeregelten Welt der Gröttrups zu
entsprechen. Es bleibt weich und widerständig.
Otoo erzählt die Geschichte in Loriot-Manier, so beschreiben es viele
Kritiker_innen. Mit diesem Kniff ist Otoo in die Seele des deutschen
Biedermeier-Humors eingedrungen und hat so eine Zugänglichkeit geschaffen,
die ihre vorherigen Texte bisher nicht erreichen konnten. Diese waren
ebenso „fein gearbeitet“ wie ihr Bachmann-Preis-Beitrag, beschrieben den
Alltag jedoch dezidiert aus Schwarzer Perspektive.
Weniger politisch als ihre vorherigen Texte ist „Herr Gröttrup setzt sich
hin“ aber keineswegs. Otoo beschreibt nicht nur die Geschichte eines
unangepassten Eis, sondern nutzt auch Worte wie „jemensch“ statt „jemand�…
oder „Cis-Mann“ statt einfach nur „Mann“.
Beide Begriffe sind Teil eines bei Sharon Dodua Otoo tief verwurzelten
Verständnisses von diskriminierungsarmer Sprache. Eine Sprache, die über
ein binäres Denken über Geschlechtsidentitäten hinausgeht. Und eine, von
der diskriminierende Begriffe ausgeschlossen sind. Wie etwa das N-Wort.
## Das taz-Podium verlassen
Vor etwas mehr als drei Jahren diskutierte das deutsche Feuilleton und bald
der ganze Medienbetrieb, ob es eine Verunstaltung der deutschen Sprache
sei, in Kinderbüchern oder auch im alltäglichen Gebrauch auf das N-Wort als
Bezeichnung Schwarzer Menschen zu verzichten.
Otoo vertritt die Position: Das Wort ist verletzend für Schwarze Personen.
Darüber diskutierte die Autorin im April 2013 auch auf einem Podium der taz
– und verließ den Raum, weil der Moderator ihre Bitte ignorierte, das Wort
nicht gedankenlos immer weiter zu wiederholen.
[4][Später schrieb Otoo in einem Artikel in der taz]: „Wenn ich für eine
gendergerechte und rassismusfreie Sprache plädiere, dann, weil ich andere –
und mich selber – für die eigenen Privilegien zu sensibilisieren versuche.“
Dies tut Otoo seit Jahren auf verschiedenen Ebenen: als Autorin,
Herausgeberin der Reihe „Witnessed“, in der Schwarze Autor_innen von ihren
Erfahrungen in Deutschland schreiben, und als Aktivistin.
## Es ist nur der Anfang
Die seit einigen Jahren in Berlin lebende Britin ist Teil der Initiative
Schwarze Menschen in Deutschland (ISD e.V.). Eines [5][der Hauptziele] des
Vereins ist das Fördern eines Schwarzen Bewusstseins. Integrale Stütze
dafür ist die Sichtbarkeit Schwarzer Menschen.
Die Auszeichnung von Sharon Dodua Otoo mit dem diesjährigen
Ingeborg-Bachmann-Preis bedeutet genau auch das: Sichtbarkeit. Eine
Schwarze Frau gewinnt einen der wichtigsten Literaturpreise. Noch dazu eine
Frau, die seit Jahren weiße Vorherrschaft anprangert und mehr Teilhabe
fordert.
In ihrer Laudatio bezeichnete Sandra Kegel den Text als eine
„unangestrengte Satire über den typisch deutschen Alltag“. Das Ei ist aber
nur der Anfang. Sharon Dodua Otoo wird im deutschsprachigen
Literaturbetrieb eine Spur deutlicher Worte hinterlassen. Das werden viele
als anstrengend empfinden. Aber es wird allen ungemein gut tun.
4 Jul 2016
## LINKS
[1] /Bachmann-Preis-2016-3-Tag/!5318490
[2] http://www.edition-assemblage.de/die-dinge-die-ich-denke-waehrend-ich-hoefl…
[3] http://files2.orf.at/vietnam2/files/bachmannpreis/201619/herr_grttrup_setzt…
[4] /Eklat-bei-tazlab-Veranstaltung/!5068405
[5] http://isdonline.de/
## AUTOREN
Katrin Gottschalk
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