# taz.de -- Postkoloniale Perspektive beim taz.lab: Niemals die volle Wahrheit | |
> Das koloniale Deutschland auf Berlins Straßen: Joshua Kwesi Aikins kennt | |
> die Zeichen genau und macht darauf aufmerksam. Eine Spurensuche. | |
Bild: Joshua Kwesi Aikins nach der Einweihung des „May-Ayim-Ufers“ | |
Es ist bitter kalt und vereinzelt fallen Schneeflocken, als plötzlich ein | |
Flugzeug über die Dächer donnert und den Flughafen Berlin-Tegel ansteuert. | |
Wir – eine Gruppe junger Menschen – stehen vor einem Kiosk an der | |
Afrikanischen Straße und hören aufmerksam dem Vortrag von Joshua Kwesi | |
Aikins zu. Trotz Kälte hat er sich dazu bereit erklärt mit uns einen | |
Rundgang durch das afrikanische Viertel in Berlin zu unternehmen. | |
Deutscher Kolonialismus und der damit verbundene Alltags-Rassismus ist die | |
Materie, mit der sich die Führung durch dieses bezeichnende Viertel | |
auseinandersetzt. Togo-, Ghana-, Mohasisstraße. An jeder Ecke halten wir, | |
an jeder Ecke hat der Anfang Dreißigjährige Aikins große Zusammenhänge, | |
aber auch kleine Anekdoten zu erzählen. Man spürt, das Thema ist seine | |
Passion. | |
Sein Interesse rührt schon aus Kindertagen. Bereits den Geschichtsuntericht | |
der Grundschule stellte er in Frage. „In der Schule wurde nicht die ganze | |
Wahrheit gesagt“ bemerkt Aikins. Anfang zwanzig begann der Afrodeutsche im | |
Zuge von Recherchen für eine Projekt-Zeitung Schwarzer Jugendlicher immer | |
mehr Verbindungen zwischen den heutigen Straßennamen Berlins und der | |
Kolonial- und der NS-Zeit zu ziehen. 2006 dann die Gründung der | |
Straßeninitiative Berlin, die „eine konkrete Erinnerungspolitische | |
Intervention durchsetzen möchte.“ | |
Das bekannteste Erfolgsbeispiel ist wohl die Umbenennung des | |
„May-Ayim-Ufer“ an der Spree nahe der Oberbaumbrücke, an der Kwesi Aikins | |
maßgeblich beteiligt war. Dieses Ufer, welches bis 2009 noch an den Gründer | |
des brandenburgischen Versklavungsforts Otto Friedrich von der Gröben | |
erinnerte, ehrt nun die afrodeutsche Aktivistin May Ayim. | |
## Straßennamen sind Ehrungen | |
Auf die Frage, wann er eine solche Umbenennung für notwendig erachtet, | |
entgegnet Aikins: „Straßennamen sind Ehrungen - deswegen ist gesetzlich | |
verfügt, dass Benennungen, die Antidemokraten und Menschenrechtsverletzer | |
ehren, beseitigt werden müssen. Es ist gut, dass alle Straßen, die | |
NS-Größen ehrten, umbennannt wurden, dies muss nun auch für | |
Kolonialverbrecher nachgeholt werden.“ | |
Nennungen von ehemaligen deutschen Kolonien sieht Aikins nicht als Problem. | |
Diese sollten viel mehr kommentiert und aus neuer Perspektive betrachtet | |
werden. Wenn jedoch – wie im Fall von der Gröben – die Straße einen | |
Kolonialverbrecher ehrt, „steht das im Gegensatz zum Grundgesetz und der | |
demokratischen Grundordnung von heute.“ | |
Umbenennungen und Kommentierungen sind für Aikins einerseits eine | |
„symbolische Reparation“ Deutscher Kolonialzeit. Andererseits sind sie ein | |
erster Schritt die Aufmerksamkeit auf den kolonialen Rassismus in unser | |
aller Alltag zu lenken. Kolonialismus ist „keine abgeschlossene Geschichte“ | |
aus Büchern, sondern er wirkt überall. Für Joshua Kwesi Aikins steht fest: | |
Eine andere Perspektive darauf, könnte uns auch neue Wege zu „Globaler | |
Arbeitsteilung, Konsumverhalten oder der Rolle Deutschlands“ aufzeigen. | |
Joshua Kwesi Aikins, Jahrgang 1980, ist Politikwissenschaftler an der Uni | |
Bielefeld und Aktivist unter anderem für Berlin Postkolonial e.V. Auf dem | |
taz.lab wird er einen der sechs Rundgänge anbieten: „Die Alltägliche | |
Gegenwart der kolonialen Vergangenheit“ (11.45 Uhr). | |
17 Apr 2013 | |
## AUTOREN | |
Manuel Insberg | |
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