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# taz.de -- Empowerment und Kritik: #BlackGirlMagic
> Das Poem von Amanda Gorman bei Bidens Amtseinführung wurde unter dem
> Hashtag #BlackGirlMagic gefeiert. Doch nicht alle wollen magisch sein.
Bild: Amanda Gorman trägt zur Amtseinweihung von Joe Biden am 20. Januar 2021 …
Als Joe Biden Anfang Januar als US-Präsident eingeschworen wurde,
verfolgten Millionen Menschen, auch in Deutschland, das Spektakel im Netz.
Doch gefühlt bekam die meiste Aufmerksamkeit nicht der Schwur des
74-Jährigen; eine junge Poetin hatte ihm die Show gestohlen. [1][Amanda
Gorman], erst 22 Jahre alt, performte ein Gedicht, bei dem alle hinhörten.
Sie sprach von Bürden der Geschichte, von Verantwortung und dem Erklimmen
von Bergen. Tausende rührte sie damit zu Tränen. Als Poetin und als
Schwarze Frau.
Über Tage hinweg wurde Gorman vor allem in sozialen Medien gefeiert. Zitate
von ihr verbreiteten sich millionenfach bei Twitter, ein Video von ihrem
Auftritt machte bei Instagram die Runde, etablierte Medien interviewten
sie, und Gedichtinterpretationen waren auf einmal wieder en vogue; häufig
versehen mit dem Hashtag #BlackGirlMagic.
Ein Hashtag, der im Zusammenhang mit den Erfolgen und Errungenschaften
Schwarzer Frauen immer wieder auftaucht. Es ist der Slogan einer
Onlinebewegung, die konkret seit 2013 existiert. Der von CaShawn
Thompson kreierte Hashtag war dazu gedacht, junge Schwarze Frauen zu
empowern. Ein Zeichen zu setzen gegen rassistische Stereotype und
Zuschreibungen, Entmenschlichung und Respektlosigkeit, die vor allem
Darkskin Schwarze Frauen über sich ergehen lassen müssen.
Die Bewegung soll ihren Anhängerinnen die Liebe und Bewunderung zukommen
lassen, die sie verdienen. Sie soll vor allem innerhalb der Community
bekräftigen und vereinen. Auch wenn es um die Urheberin der Bewegung heute
still geworden ist, füllt die Suche nach dem Hashtag ganze Youtube
Compliations oder Instagram Feeds mit Frauen, die scheinbar Wahnsinniges
vollbringen, besonders gut aussehen, das College abschließen oder auf
Neudeutsch „slayen“. Unter den 25 Millionen Beiträgen, die bei Instagram
mit #BlackGirlMagic verschlagwortet sind, finden sich neben Dutzenden
Selfies nicht berühmter Schwarzer Frauen auch Videos von der Turnerin
Simone Biles oder eben von Amanda Gorman.
## Michelle Obama nickt beherzt
Doch wieso ist es „magisch“, wenn Schwarze Frauen etwas leisten, wenn sie
ihren Job machen und Erfolge feiern? Als Gorman bei ihrem Auftritt bei der
Inaugurationsfeier von ihrem Werdegang als Tochter einer alleinerziehenden
Mutter bis zum womöglich größten Auftritt ihres Lebens spricht, sehen wir,
wie Michelle Obama im Hintergrund beherzt nickt.
Wir haben das Gefühl, live dabei zu sein, wenn Geschichte geschrieben wird.
Schwarze Geschichte, um genau zu sein, denn wider Erwarten spielt die
Hautfarbe der jungen Poetin und all der anderen „magischen“ Frauen eine
große Rolle. Eine Schwarze Frau scheint vor allem dann zu beeindrucken,
wenn wir sie an Orten sehen, an denen die Dominanzgesellschaft sie nicht
erwartet. Orte, an denen wir sonst andere sehen. Meist Männer, manchmal
weiße Frauen.
Auch wenn #BlackGirlMagic ein hauptsächlich US-amerikanisches Phänomen ist,
sehen wir es auch in Deutschland, wenn Schwarze Frauen wie Aminata Touré
oder Nikeata Thompson scheinbar neue Orte erreichen: die roten Teppiche,
den Landtag oder das deutsche Privatfernsehen.
Worte und Auftritte, die uns anders zu berühren scheinen, als wir es von
Politikerinnen oder C-Prominenz gewohnt sind. Ihre Präsenz steht im
Kontrast zu dem, was wir gelernt haben. Ob bewusst oder unbewusst. Die
Worte und Handlungen von Schwarzen Frauen werden als politisches Statement
und als gewonnener Kampf aufgeladen. Die Überraschung, eine Schwarze Frau
an einem Ort zu sehen, wo sie nicht erwartet wird, macht sichtbar, wie
erschwert die Bedingungen in einer weiß dominierten Welt für Teile der
Community sind.
## Tradiertes Stereotyp
Doch dieses Sichtbarmachen, das besondere Hervorheben der Leistung
Schwarzer Frauen wird auch kritisiert: #BlackGirlMagic würde Frauen
entmenschlichen. Schwarze Frauen als „magisch“ anzusehen sei ein tradiertes
Stereotyp.
Die Autorin Linda Chavers schrieb [2][schon 2016 in der US-amerikanischen
Elle], dass sie kein Interesse mehr daran habe, ihre Fähigkeiten als
magisch, also unnatürlich erachtet zu sehen. Sie wolle Respekt und
Anerkennung für ihre Errungenschaften, nicht aber verstanden werden als
eine Person, die anders als weiße im gleichen Metier durch eine Art höhere
Macht ihre Ziele erreicht habe. Anstatt zu zelebrieren und zu
normalisieren, sorge die Bewegung #BlackGirlMagic dafür, dass am Ende alle
darüber redeten, wie herausragend und übernatürlich Schwarze Frauen in
Erscheinung treten würden. Andersbehandlung statt Gleichstellung.
Die Kritik ist im Kontext einer weißen Dominanzgesellschaft berechtigt.
Dort, wo der Blick auf Schwarze Menschen auf rassistischen Stereotypen
beruht und Teile der Community Jahrzehnte dafür kämpften diese zu
überwinden, scheint es kontraproduktiv zu sein, sich direkt einen neuen
auszudenken. Nicht aber, wenn es um Selbstermächtigung innerhalb der
Community geht. Kleinen Schwarzen Mädchen, ihren großen Schwestern, Müttern
und Großmüttern zu zeigen, was sie alles sein können, was sie erreicht
haben, obwohl sie in einer Welt leben, die es ihnen teilweise unmöglich
macht, das war CaShawn Thompsons Ziel.
#BlackGirlMagic kann als Bewegung verstanden werden, die uns daran
erinnert, dass Repräsentation nichtweißer Personen noch immer etwas
Besonderes ist. Auch wenn vielerorts behauptet wird, schon längst über
Hautfarben und entsprechende Andersbehandlung hinweggekommen zu sein.
## Und dann Nia Dennis
Dass Repräsentation uns regelmäßig umhaut und beeindruckt, zeigte zuletzt
[3][auch die Performance der jungen Turnerin Nia Dennis], die als
Teammitglied der University of California im Januar alle mit ihrer Bodenkür
in den Bann zog. An einer Stelle, wo Flötentöne, klassische Klänge und
Pirouetten zu erwarten sind, gab es RnB-Klassiker und Bewegungen, die aus
Hip-Hop-Musikvideos oder Black TikTok bekannt sind.
Dennis machte den Sport nicht nur nahbar, sie machte die Turnkunst durch
ihr Talent und die bewusste Auswahl von Musik und Bewegungen zu einem
Mittel der Repräsentation. Einer Turnerin mit Braids oder einer Weave statt
mit blondem Dutt, mit Kendrick Lamar statt Chopin. Dennis betitelt das
gepostete Instagram-Video ihrer Kür mit „I had to … for the Culture“.
Kulturgeschichte anders denken. Neu schreiben. Auch das ist
#BlackGirlMagic.
Im Februar findet wieder der Black History Month statt. Ein Monat, der der
Schwarzen Geschichtsschreibung dienen soll. Büchern, die lange missachtet,
und Protagonist:innen, die geringgeschätzt wurden, soll die ihnen
zustehende Aufmerksamkeit geschenkt werden. Während die Dominanzkultur
neben unseren Weltkarten auch das Kulturverständnis und vieles mehr
vereinnahmt hat, gilt dieser Monat anderen Geschichten.
Er gilt Menschen [4][wie der Dichterin May Ayim], der Infektiologin
Marylyn Martina Addo oder [5][der Sängerin Marie Nejar]. Schwarze Frauen
der deutschen Vergangenheit und Gegenwart, die zu wenig Aufmerksamkeit
bekommen. #BlackGirlMagic kann auch in Deutschland ein wichtiges Werkzeug
sein. Nicht nur um den wenig Gesehenen mehr Aufmerksamkeit zu geben,
sondern auch um Strukturen und Machtdynamiken aufzudecken.
18 Feb 2021
## LINKS
[1] /Inaugural-Poem-von-Amanda-Gorman/!5744435
[2] https://www.elle.com/life-love/a33180/why-i-dont-love-blackgirlmagic/
[3] https://www.youtube.com/watch?v=UYZ4GvoZih8
[4] /Was-sollen-die-letzten-Worte-sein/!1367194/
[5] /Das-Maedchen-das-Leila-Negra-war/!5043956
## AUTOREN
Fabienne Sand
## TAGS
Black Lives Matter
Initiative Schwarze Menschen in Deutschland
Empowerment
US-Wahl 2024
Schwerpunkt Rassismus
Joe Biden
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Afro-Punk
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