# taz.de -- Schwarz-Rot in Berlin: „Zu sparen wäre der falsche Weg“ | |
> Berlins Regierungschef Kai Wegner (CDU) über seine ersten Monate im Amt, | |
> den Haushalt, die AfD – und seine Wahrnehmung der Stimmung in der Stadt. | |
Bild: „Aber wir reden jetzt im Ernst nicht über das Jahr 2025?“: Kai Wegne… | |
Herr Wegner, Ihr Koalitionsvertrag ist mit „Das Beste für Berlin“ | |
überschrieben. Was genau ist denn nun seit Ihrem Start als Regierungschef | |
vor vier Monaten besser geworden? | |
Die Art und Weise des Regierens. Ich spüre das auch in der Stadt, dass das | |
wahrgenommen wird, egal bei welcher Veranstaltung ich bin. Das ist geradezu | |
wohltuend für viele Menschen, dass es nicht mehr diesen Streit auf offener | |
Bühne gibt, sondern dass der Senat gemeinsam handelt, dass er sich | |
verständigt, lösungsorientiert und pragmatisch, und die Positionen dann | |
auch gemeinsam vertritt. Es gibt in Berlin eine gewisse Sehnsucht nach | |
einem neuen Miteinander – gerade nach vielen Jahren Streit unter | |
Rot-Grün-Rot. | |
Jenseits der neuen Nettigkeit: Sie haben versprochen, dafür zu sorgen, dass | |
Berlin jeden Tag ein bisschen besser funktioniert. Das erinnert an die | |
Sprüche von Jürgen Klinsmann, und der war damit weder bei Bayern München | |
noch später bei Ihrem Lieblingsverein Hertha BSC erfolgreich. | |
Das Entscheidende ist doch nicht nur, dass ein Trainer die Ziele vorgibt, | |
sondern dass die Mannschaft gemeinsam agiert. Bei Bayern München ist dies | |
unter Klinsmann nicht gelungen. Bei der deutschen Nationalmannschaft hat er | |
einen guten Job gemacht, und die Mannschaft wurde auch Schritt für Schritt | |
besser. Darum geht es doch am Ende des Tages: Dass wir alle gemeinsam in | |
diesem Senat jeden Tag dafür sorgen, dass Berlin besser funktioniert, im | |
Bereich der Bildung, der inneren Sicherheit, der Digitalisierung, der | |
Verwaltung. Und das machen wir jetzt. | |
Davon kommt bloß noch nicht viel an: [1][Bürgeramtstermine sind weiter | |
rar], zahlreiche unsanierte Schulen gehen munter Richtung | |
Schrottimmobilien, die Beispiele ließen sich fortführen. | |
Sie haben es doch selbst gesagt: Der Senat ist nun seit vier Monaten im | |
Amt. Wir bringen die Dinge auf den Weg, wie bei der [2][Schulbauoffensive], | |
in die jetzt noch mehr Geld fließt. Aber auch wenn der Senat das | |
beschlossen hat, sind die Schulen nicht morgen fertig – trotz aller | |
Beschleunigung gibt es Ausschreibungsvorgaben und Bauzeiten. | |
Sie waren es aber doch, der als CDU-Landeschef seit 2019 bei vielen, vielen | |
Ortsterminen gesagt hat: „Der Senat muss jetzt…“ Ist Ihnen nun, in Ihrem | |
ersten Regierungsamt, klar geworden, dass es so schnell nicht geht, egal | |
wer regiert? | |
Genau wie parlamentarische Verfahren brauchen auch Verwaltungsprozesse ihre | |
Zeit. Das überrascht mich überhaupt nicht. | |
Das sagt jetzt einer, der die Verwaltung früher oft zu lahm und | |
schwerfällig kritisiert hat. | |
Ich glaube immer noch, dass wir Strukturen anpassen und die Digitalisierung | |
vorantreiben müssen. Dass manche Dinge länger dauern, liegt mit Sicherheit | |
nicht an den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ich nehme auf jeden Fall | |
wahr, dass sich in den ersten vier Regierungsmonaten ein neuer Geist, ein | |
neuer Spirit in der Stadt entwickelt hat. Das höre ich überall und das ist | |
für mich eine gute Botschaft. | |
Andere Teile der Stadt spüren zwar auch einen neuen Geist, aber keinesfalls | |
einen guten. Die schauen auf die Pläne fürs [3][Tempelhofer Feld] oder die | |
[4][A100] und sagen: Wegner macht Politik gegen die Innenstadt. | |
Das ist mit Sicherheit nicht so. Ich mache weder eine Politik für die | |
Innen- noch für die Außenbezirke, sondern für ganz Berlin. Dass es immer um | |
den Ausgleich von Interessen geht, ist doch gar keine Frage. Bei den Grünen | |
hatte ich immer den Eindruck: Die haben eine grobe Schablone und legen sie | |
über ganz Berlin – ganz egal, ob es passt oder nicht. Wir schauen uns | |
konkret an, was es vor Ort braucht und was da funktioniert. Beispiel | |
Radwege: Wir wollen Fahrradwege, damit Menschen sicher von A nach B kommen. | |
Unser Ziel ist es nicht, den Autoverkehr auszubremsen. Die Debatte über die | |
Radwegeplanung hat aber auch wieder gezeigt: Die Stadt ist tief gespalten, | |
sie wurde tief gespalten – und diese Spaltung will ich beenden. | |
Wie soll denn eine von vielen bekämpfte Randbebauung des Tempelhofer Felds | |
zur großen Versöhnung beitragen? | |
Wir als CDU haben zum Tempelhofer Feld seit vielen Jahren eine klare | |
Position. Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, dass es einen | |
Internationalen Wettbewerb über eine mögliche Randbebauung am Tempelhofer | |
Feld gibt und dass danach die Berlinerinnen und Berliner entscheiden. Aber | |
dafür müssen wir erst einmal eine Idee zur Gestaltung entwickeln. | |
Kommen wir mal zu einer Herzenssache Ihres Koalitionspartners SPD: dem | |
[5][29-Euro-Ticket] für alle. Die Verkehrsverwaltung schätzt die Kosten | |
hierfür auf bis zu 335 Millionen Euro pro Jahr. Sie selbst hatten das | |
Vorgängerticket vor gut einem Jahr noch als verfehlt gegeißelt. Hand aufs | |
Herz: Verfolgen Sie dieses Projekt ernsthaft weiter? | |
Eine Richtigstellung: Als Oppositionsführer vor einem Jahr habe ich nicht | |
das 29-Euro-Ticket an sich gegeißelt. Wir hatten in unserem Wahlprogramm | |
ein ähnliches Ticketmodell, das 365-Euro-Jahresticket. Aber: Ich habe mich | |
darüber geärgert, dass Brandenburg von Berlin bloßgestellt worden ist und | |
der Vorschlag für ein 29-Euro-Ticket in der Öffentlichkeit war, bevor man | |
überhaupt mit Brandenburg verhandelt hat. Das war der falsche Weg, denn ich | |
glaube an einen starken Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg. Wenn wir über | |
Mobilität in Berlin reden, müssen wir die gesamte Hauptstadtregion in den | |
Blick nehmen. Denn der tägliche Pendelverkehr und die Stausituation sind | |
Alltag für viele Menschen. | |
Das beantwortet jetzt nicht wirklich die Frage, ob denn nun die | |
Ticket-Neuauflage kommt. | |
Das 29-Euro-Ticket ist ein zentrales Versprechen in unserem | |
Koalitionsvertrag, und viele Berlinerinnen und Berliner warten auf das | |
Ticket. Deshalb arbeiten wir gerade daran, gemeinsam mit Brandenburg und | |
dem VBB das Ticket umzusetzen. Ich bin sehr optimistisch, dass wir in Kürze | |
Ergebnisse präsentieren werden. | |
In Kürze meint was? Das berühmte unkonkrete „zeitnah“? | |
Ich sage: in Kürze. Ganz bewusst nicht: zeitnah. | |
Wo wir gerade beim Landeshaushalt sind: Die Ausgaben sollen 2024 und 2025 | |
nochmals steigen, von einem neuen [6][Rekordhaushalt] ist die Rede. | |
SPD-Chef Raed Saleh sagt, der Haushalt trage vor allem eine | |
sozialdemokratische Handschrift. Wir vermuten, das lassen Sie nicht auf | |
sich sitzen? | |
Die Sozialdemokraten sind unser Koalitionspartner. Da ist es völlig in | |
Ordnung, wenn der Haushalt auch eine sozialdemokratische Handschrift trägt. | |
Mir ist aber gar nicht wichtig, wessen Handschrift wo zu finden ist. Für | |
mich ist entscheidend, was wir mit diesem Haushalt für die Stadt bewirken | |
können. Die Berlinerinnen und Berliner fragen doch auch nicht nach | |
Handschrift, sie interessiert, was der Haushalt am Ende für sie bedeutet. | |
Und da komme ich zu dem Ergebnis, dass da viele Themen im Haushalt sind, | |
die für die Berlinerinnen und Berliner richtig und wichtig sind. | |
Dafür wollen Sie aber auch massiv an die Reserven gehen. | |
Stimmt. Und gleichzeitig haben wir eine hohe Inflation mit hohen | |
Belastungen für fast alle Menschen. Wir spüren überall eine Verunsicherung. | |
In solchen Krisenzeiten die Axt anzulegen und einen Sparhaushalt zu fahren, | |
wäre der falsche Weg. Wir können uns nicht aus einer Krise heraus sparen, | |
sondern wir müssen investieren: in Infrastruktur, Gebäudesubstanz, | |
Klimaschutz. Das sind Zukunftsinvestitionen, die wir jetzt tätigen müssen, | |
weil über viele Jahre vieles in Berlin auf Verschleiß gefahren worden ist. | |
Wenn wir jetzt nicht investieren, zahlen das die künftigen Generationen. | |
[7][Kritiker nennen den Entwurf dennoch unseriös] und warnen, wenn sich auf | |
der Einnahmenseite nichts tue, drohten Berlin bei der nächsten | |
Haushaltsaufstellung 2025 riesige Sparprogramme. | |
Berlin ist doch nicht das einzige Bundesland, das an die Reserven geht. Das | |
machen auch andere, vermeintlich finanziell starke Bundesländer. Es | |
bestärkt mich in meiner Forderung, dass wir die Schuldenbremse für | |
Investitionen aussetzen müssen. Dass die Opposition den Haushalt | |
kritisieren, gehört zu den Spielregeln – und ist im Übrigen auch Aufgabe | |
der Opposition. | |
Nun ja, wenn das Geld aus den Reserven 2025 weg ist, ist es weg, und ein | |
quietschender Sparhaushalt muss her, wohl vor allem mit Folgen im | |
Sozialbereich. Das liegt doch nahe, oder? | |
Was wurde nicht alles während der Aufstellung des Haushalts über Kürzungen | |
im sozialen Bereich spekuliert – teilweise als sehr durchsichtige | |
politische Manöver. Nichts davon ist geschehen. Und ich sage Ihnen: Berlin | |
kann sich Kürzungen im Sozialbereich gar nicht leisten. Schauen Sie sich | |
die Situation in der Stadt an: Alters- und Kinderarmut sind bittere | |
Realität in unserer Stadt. Wenn wir die Stadt zusammenführen wollen, geht | |
es vor allem auch über die soziale Frage. Aber wir reden jetzt im Ernst | |
nicht über das Jahr 2025? | |
Doch, wir reden über 2025. | |
Also, ich kenne keine Steuerschätzung für das Jahr. Ich weiß noch nicht | |
einmal, ob wir 2025 noch eine Schuldenbremse in der heutigen Form haben. | |
Was ich aber weiß: Ich werde immer dafür kämpfen, dass es gerade im | |
sozialen Bereich keinen Kürzungswahn geben wird. | |
Sie haben jüngst Ihrem CDU-Bundeschef Friedrich Merz widersprochen und | |
darauf gepocht, dass [8][die Brandmauer zur AfD] hält. Nun sind Sie | |
möglicherweise selbst [9][dank AfD-Stimmen] Regierungschef geworden. | |
Wollten Sie da nochmal was klarmachen? | |
Da musste ich gar nichts klarmachen, denn ich bin der felsenfesten | |
Überzeugung, dass mich die Koalitionsmehrheit gewählt hat und ich keine | |
einzige Stimme von der AfD bekommen habe (die Wahl im Abgeordnetenhaus am | |
27. April war geheim, d. Red). | |
Die vorangegangenen zwei Wahlgänge am 27. April, in denen Sie an Ihrer | |
eigenen Koalition scheiterten, deuteten nicht darauf hin. | |
Das ist doch genau die Strategie der AfD, so etwas zu unterstellen, Zweifel | |
zu säen und damit Parlamente und den Staat an sich zu delegitimieren. Ich | |
hatte genau die Mehrheit der Koalitionsfraktionen. Ich muss überhaupt | |
nichts klarstellen. Vielmehr wundere ich mich, dass Sie eher der AfD | |
glauben als der Koalition aus CDU und SPD. | |
Wir glauben nicht der AfD, wir sehen nur die Zahlen Ihrer Wahlergebnisse. | |
Für mich ist jedenfalls völlig klar: Es darf, egal auf welcher Ebene, keine | |
Zusammenarbeit mit der AfD geben. Vor allem aber bin ich sehr dankbar | |
dafür, dass diese Debatte innerhalb der CDU beendet wurde. Denn die Zweifel | |
an der Klarheit und die damit verbundenen Debatten nutzen in erster Linie | |
der AfD. Die AfD ist kein normaler politischer Mitbewerber, die AfD ist | |
mein politischer Feind. | |
Klar ist auch: Nach der Wahl gab es auf der linken Seite eine große | |
Betroffenheit. Der CDU-Sieg im Februar wurde als eigenartiges Ereignis | |
wahrgenommen. Berlin, heißt es, bleibe auch unter Ihnen eine linke Stadt. | |
Was heißt denn „linke Stadt“? Die meisten Menschen können mit diesen | |
Etiketten gar nichts anfangen. Ich möchte eine Stadt, die lebenswert ist. | |
Ich möchte eine Stadt, in der die Berlinerinnen und Berliner sagen: Ich bin | |
hier gern zu Hause. Ich will, dass die Verwaltung funktioniert, dass wir | |
genug Schulen und Kitaplätze haben, dass Menschen sicher von A nach B | |
kommen. Wenn das eine „linke Stadt“ ausmacht, dann soll es so sein. | |
4 Sep 2023 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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