| # taz.de -- Rundfunkgebühren in der Schweiz: Schalten die Schweizer ab? | |
| > Die Schweiz stimmt bald über die „Billag-Gebühr“ ab. Erstmals könnte e… | |
| > europäisches Land seinen öffentlichen Rundfunk abschaffen. | |
| Bild: Alphornblasen gehört zum Schweizer Brauchtum – und das erlebt einen Au… | |
| Chur/Zürich taz | Es ist Montag, der 5. März 2018. „Grüazi miteinandr“, | |
| grüßt der Nachrichtensprecher im Radio. „Die Mehrheit der Schweizer hat | |
| gestern beschlossen, die Gebühr für Funk und Fernsehen abzuschaffen. Zur | |
| Stunde berät der Bundesrat, wie es für die Schweizerische Radio- und | |
| Fernsehgesellschaft, kurz SRG, nun weitergeht.“ | |
| In Bern tritt der Bundesrat zusammen. Die Aufregung ist groß. Für das, was | |
| jetzt ansteht – die Abwicklung des öffentlichen Rundfunks –, gibt es keine | |
| Vorlage. Es ist noch nie in Europa passiert. | |
| In der SRG-Zentrale in Bern herrscht Chaos. Während sich die 6.000 | |
| Mitarbeiter fragen, wie lange ihr Arbeitgeber ihnen noch Gehälter zahlen | |
| kann, beraten die vier Generaldirektoren in einer Telefonkonferenz, wie sie | |
| den Konkurs vermeiden könnten. Die Kolleginnen und Kollegen in den anderen | |
| europäischen öffentlich-rechtlichen Sendern sind schockiert. | |
| Die AfD-Bundestagsfraktion in Berlin dagegen twittert freudig: „Gute | |
| Nachrichten aus der Schweiz: Die Rundfunkgebühr fällt weg. Jetzt muss | |
| Deutschland nachziehen. #staatsfunk #GEZabschaffen“. Auch in Frankreich, | |
| Dänemark, Tschechien, Polen, Österreich und Holland frohlocken die | |
| Rechtspopulisten. | |
| ## Wie es so weit kommen konnte | |
| All das ist nur ein Szenario. Aber eines, das Realität werden könnte, wenn | |
| die Schweizer am 4. März für NoBillag stimmen. Die Initiative will, dass | |
| der Staat keine Rundfunkgebühren mehr erheben und keine eigenen Radio- und | |
| Fernsehstationen betreiben darf. | |
| Auch in Deutschland ist die Kritik an den Öffentlich-Rechtlichen in den | |
| vergangenen Jahren lauter geworden: Als der Ukrainekrieg eskalierte, | |
| schimpften manche Linke, ARD und ZDF berichteten zu russlandkritisch und | |
| Nato-freundlich. Im Sommer 2015 schrien Rechte, ARD und ZDF seien zu | |
| flüchtlingsfreundlich und blendeten Probleme aus. | |
| Mit der AfD sitzt nun eine Partei im Bundestag, die den | |
| Öffentlich-Rechtlichen vorwirft, sie würden „Fake News“ verbreiten. Und d… | |
| es zu ihren politischen Zielen zählt, die Rundfunkgebühr abzuschaffen. | |
| Am Beispiel der Schweiz lässt sich verstehen, wie es so weit kommen kann, | |
| sich ein Diskurs so zuspitzen kann, dass der öffentliche Rundfunk in seiner | |
| Existenz bedroht ist. | |
| „Ich sehe nicht ein, warum ich für etwas zahlen soll, was ich nicht nutze“, | |
| sagt Florian Maier. Vier Wochen vor der Abstimmung sitzt er in einem Café | |
| im Züricher Hauptbahnhof. Er ist 29 Jahre alt, hat in Peking BWL studiert. | |
| In seinem Kapuzenpulli und den ausgebeulten Jeans sieht er aber nicht aus | |
| wie der klassische Betriebswirt. | |
| Maier hat den Text geschrieben, über den die Schweizer abstimmen. Er schaue | |
| kein Fernsehen, höre kein Radio, sagt er. Er lese Zeitung, Neue Zürcher und | |
| Frankfurter Allgemeine. | |
| Maier ist Jungfreisinniger, also Mitglied der jungen Liberalen. Das hört | |
| man auch, wenn er spricht: Er redet viel vom freien Markt, von der | |
| Entscheidungsfreiheit des Einzelnen, von Überregulierung in den Medien und | |
| im Gesundheitswesen. Klassisch liberale Themen. | |
| Dennoch: Der Mutterpartei FDP sind die Jungfreisinnigen mittlerweile zu | |
| radikal. Selbst die FDP hat ihre Mitglieder aufgerufen, gegen die | |
| Initiative zu stimmen. Die rechtspopulistische Schweizer Volkspartei (SVP) | |
| unterstützt als einzige Partei die Initiative. | |
| ## Radio- und Fernsehmarkt vollständig liberalisieren | |
| Maier spricht langsam, kurze, präzise Sätze. Er erzählt, wie alles anfing. | |
| Mit zwei Parteifreunden kam er von einer Vorstandssitzung, für ein Bier | |
| wollten sie in eine Kneipe. Müsste man nicht, fragte einer, die Biersteuer | |
| abschaffen? Maier und seine Mitstreiter waren zu der Zeit noch Studenten, | |
| das Geld oft knapp. Maier finanzierte sein Studium mit „Glück an der | |
| Börse“, wie er es nennt. „Griechische Staatsanleihen“, sagt er dazu heute | |
| und grinst. „Danke, Deutschland.“ | |
| Aber die Biersteuer, das ist nicht viel Geld. Gut 25 Franken zahlen | |
| Schweizer Brauer auf 100 Liter Bier. Deswegen waren sich Maiers | |
| Parteifreunde einig: Das wäre kein großer Wurf. „Was uns wirklich mehr Geld | |
| bringen würde, wäre, die Billag-Gebühr abzuschaffen“. Billag, das ist das | |
| Unternehmen, das in der Schweiz die Rundfunkgebühren einzieht. Und so | |
| entstand an diesem Novemberabend 2013 die Idee zu NoBillag. | |
| Die Studenten gründeten eine Facebook-Gruppe, innerhalb kürzester Zeit | |
| wurde diese zur meistgelikten politischen Gruppe der Schweiz. Die ersten | |
| Umfragen im vergangenen Herbst bescheinigten dem Projekt Erfolg. Eine | |
| Mehrheit gab an, für eine Abschaffung zu stimmen. Mittlerweile hat sich das | |
| umgekehrt: Laut der aktuellsten Erhebung wollen nur noch 39 Prozent mit Ja | |
| stimmen. Aber mit Umfragen ist das ja so eine Sache. | |
| Maier und seine Freunde wollen den Radio- und Fernsehmarkt vollständig | |
| liberalisieren. Die Senderechte sollen künftig versteigert werden. Jeder, | |
| der das Geld hat, soll sich so seine eigene Radio- oder Fernsehstation | |
| aufbauen können. Firmen wie Google und Facebook könnten investieren, | |
| Medienunternehmen aus dem In- und Ausland, Multimillionäre, Populisten. Es | |
| wäre das Ende des öffentlichen Rundfunks in der Schweiz. | |
| ## Fernsehen in den vier Amtssprachen | |
| Nein, Maier widerspricht. Er glaubt nicht, dass der Schweizer Rundfunk am | |
| Ende wäre. „Auch die SRG könnte sich auf die Senderechte bewerben. Das | |
| würde sie zum Privatsender machen. Und die Schweizer würden eine Menge Geld | |
| sparen.“ | |
| Tatsächlich ist der Schweizer Rundfunk der teuerste der Welt. 451 Franken | |
| zahlt jeder Haushalt im Jahr, gut 400 Euro. In Deutschland sind es 210 Euro | |
| im Jahr. 17 Radio- und 7 Fernsehprogramme betreibt die SRG, für gerade mal | |
| 8 Millionen Einwohner. Das ist viel, liegt aber auch daran, dass sie in | |
| allen vier Schweizer Amtssprachen sendet: Deutsch, Französisch, Italienisch | |
| und Rätoromanisch. | |
| Kann dieses aufwendige Programm anders finanziert werden? „Die SRG muss | |
| sich ein neues Geschäftsmodell überlegen. Abonnements verkaufen, Pay-TV | |
| werden oder sich stärker über Werbung finanzieren“, sagt Maier. | |
| „Das wird nicht funktionieren“, sagt Laura Zimmermann. Sie ist Maiers | |
| Gegenspielerin, dabei kommen beide aus derselben Denkschule. Auch | |
| Zimmermann ist eine junge Liberale, 26 Jahre alt, Juristin, promoviert an | |
| der Uni Zürich. Sie ist Präsidentin der Operation Libero, einer liberalen | |
| politischen Bewegung. | |
| Zimmermann ist das Gesicht der aktuellen Kampagne gegen die Abschaffung der | |
| Billag. Innerhalb kürzester Zeit ist sie zum Medienprofi geworden, sitzt | |
| auf Podien und in Fernsehstudios. NoBillag sei ein „Anschlag auf die | |
| Demokratie“, sagt sie immer wieder. Die Operation Libero befinde sich „im | |
| Krieg“ mit der NoBillag-Initiative. | |
| ## Journalistische Brache | |
| An einem Dienstagabend vier Wochen vor der Abstimmung steht Zimmermann in | |
| einem Großraumbüro in einem Kulturzentrum in Zürich. Der Stammtisch der | |
| Operation Libero findet hier statt. Zimmermann begrüßt ihre Mitstreiter mit | |
| Pathos: „Als Verfassungspatrioten ist es unsere Pflicht, für den | |
| öffentlichen Rundfunk zu kämpfen. Ein gesundes Mediensystem gehört zur | |
| Grundversorgung einer Demokratie.“ | |
| Viele neue Gesichter sind gekommen, sie wollen ihren Rundfunk retten. | |
| Zimmermann liefert ihnen dafür Argumente. Leidenschaftlich wirbt sie für | |
| die Medienfreiheit im Land, führt jeden Gedanken bis ins Detail aus. Sie | |
| tänzelt immer wieder von einem Fuß auf den anderen, ihre Hände hält sie zur | |
| Merkel-Raute geformt. | |
| „Information und Journalismus funktionieren nicht im freien Wettbewerb“, | |
| sagt sie. Es ist ihr wichtigstes Argument, das sie mehrfach wiederholt. Der | |
| Schweizer Medienmarkt sei zu klein und nicht attraktiv für Werbetreibende: | |
| ein Land mit vier Sprachen, das zu 80 Prozent aus Tälern und Bergen | |
| besteht. | |
| Schon jetzt fließt ein großer Teil des Werbebudgets der Schweizer Firmen an | |
| Google und Facebook. Für klassische Medien bleibt immer weniger – und nicht | |
| genug, um sich allein dadurch zu finanzieren, glaubt Zimmermann. „Wenn wir | |
| die Gebühren streichen, stirbt die SRG. Was dann kommt, wäre eine | |
| journalistische Brache.“ | |
| Das deckt sich mit der Vermutung vieler Medienökonomen. Die | |
| Wissenschaftler, die sich öffentlich zu NoBillag geäußert haben, gehen | |
| davon aus, dass die SRG abgewickelt werden müsste, wenn die Abschaffung der | |
| Gebühr beschlossen würde. Belastbare Studien gibt es nicht, dafür aber ein | |
| Land, das als einziges weltweit seinen öffentlichen Rundfunk bereits | |
| abgeschafft hat: Neuseeland. | |
| ## Jodler, Schwinger und Alphornbläser | |
| Mit dem Broadcasting Act 1989 verlor die dortige Fernsehanstalt TVNZ ihren | |
| öffentlichen Programmauftrag und die staatliche Förderung. Der Beschluss | |
| wurde später teilweise zurückgenommen, heute bezieht die Anstalt zum Teil | |
| wieder öffentliche Gelder – aus einer Rundfunkstiftung, die Recherchen | |
| finanziert, die von öffentlichem Interesse sind. Denn eines weiß man aus | |
| Ländern, die keinen öffentlichen Rundfunk haben: Fernsehzuschauer zahlen | |
| nur für drei Sparten Geld – Unterhaltung, Sport und Porno. | |
| Auffällig ist, dass in der Schweiz auf beiden Seiten, im Ja- und im | |
| Nein-Lager, junge Leute so heftig kämpfen. Jene, von denen es heißt, sie | |
| informierten sich nur noch bei Facebook und schauten Netflix. Hört man | |
| beiden Seiten eine Weile zu, erkennt man eine Gemeinsamkeit: Es geht ihnen | |
| um mehr als das Fernsehprogramm. Es geht um die Frage, was die Schweiz | |
| ausmacht – und was die Schweizer bereit sind für das zu zahlen, worauf sie | |
| stolz sind: Freiheit, direkte Demokratie, Sprachenvielfalt, Zusammenhalt. | |
| Pop- und Filmstars sagen: Ohne SRG keine Kultur. Mountainbiker und | |
| Snowboarder warnen: Ohne die SRG nur noch Tennisspiele mit Roger Federer im | |
| Fernsehen. Jodler, Fahnenschwinger, Alphornbläser fürchten, dass das | |
| schweizerische Brauchtum verschwindet. Der Behindertenverband glaubt, dass | |
| niemand mehr ein Programm in Gebärdensprache oder mit Bildbeschreibungen | |
| finanziert. Selbst die Feuerwehr hat eine Videokampagne gestartet, die | |
| sagt: Wir löschen doch auch jedes Feuer und nicht nur das von Leuten, die | |
| unsere Kunden sind. | |
| Jodler, Schwinger und Alphornbläser? Es ist aus deutscher Perspektive nicht | |
| immer einfach, der Debatte zu folgen. Von allen Seiten ziehen die Schweizer | |
| an ihrem Rundfunk. In Deutschland wurde zuletzt nur über die | |
| Flüchtlingspolitik so ausdauernd gestritten. | |
| ## Kollektives Schimpfen | |
| Schaut man genauer hin, zeigen sich Parallelen bei den Mediendebatten. Die | |
| Sender seien zu teuer, klagen viele Schweizer. Tatsächlich verdient ein | |
| 45-Jähriger SRG-Mitarbeiter durchschnittlich 107.454 Franken im Jahr, knapp | |
| doppelt so viel wie der Durchschnittslohn. Es gebe nicht genug | |
| Diskussionsformate, sagen andere, das Programm sei zu flach. Die Sender | |
| brächten nur „linken Einheitsbrei“, beschwert sich die SVP. | |
| All das sind Kritikpunkte, die auch ARD und ZDF kennen. Sie müssen sparen | |
| und wehren sich gegen die Kritik, unausgewogen oder tendenziös zu | |
| berichten. Aber „Tagesschau“ und die „Heute“-Nachrichten sind immer noch | |
| mit Abstand die Informationssendungen mit den höchsten Einschaltquoten. | |
| Und worüber würden sich Menschen informieren, unterhalten und aufregen, | |
| wenn es nicht „Anne Will“ und den „Tatort“ gäbe? Gerade auch das kolle… | |
| Schimpfen über die Unzulänglichkeiten des Programms stellt eine Form von | |
| Gemeinschaft her, die in der zersplitterten Medienöffentlichkeit immer | |
| seltener wird. | |
| Um zu verstehen, was einer Gesellschaft verloren geht, wenn sie ihren | |
| öffentlichen Rundfunk verliert, muss man aus Zürich über die Berge in eine | |
| andere Welt fahren. Eine Welt mit einer Sprache, die nur 60.000 Menschen | |
| sprechen. Und mit Traditionen, die Außenstehende kaum verstehen. | |
| Chur ist die Hauptstadt Graubündens, des einzigen dreisprachigen Kantons | |
| des Landes. Die SRG betreibt hier Radiotelevisiun Svizra Rumantsch, kurz | |
| RTR, den rätoromanischen Radio- und Fernsehsender. Daneben gibt es noch | |
| Radio und TV Südostschweiz, eine private Sendergruppe, die auch über | |
| Gebührengelder finanziert wird. Das ist ein Unterschied zu Deutschland: In | |
| der Schweiz bekommen auch Privatsender Geld aus dem Billag-Topf. Wenn | |
| NoBillag durchkommt, müssten wohl auch sie schließen. | |
| ## Das, was in Deutschland Pegida war | |
| „Es gäbe dann in Graubünden kein Radio und Fernsehen mehr“, sagt Ladina | |
| Heimgartner. Sie ist die Direktorin von RTR und seit Neuestem | |
| Vize-Generaldirektorin der gesamten SRG. Heimgartner sitzt in ihrem Büro in | |
| der Innenstadt von Chur. An schönen Tagen blickt man von hier durch große | |
| Fenster auf ein Postkartenpanorama der Alpen. Heute ist der Himmel grau, | |
| aber gerahmte Fotos an den Wänden zeigen die Gletscher rund um Chur. | |
| Heimgartner sitzt zurückgelehnt in ihrem Lederstuhl. Die kurzen blonden | |
| Haare liegen akkurat am Kopf an. 37 Jahre ist sie alt, die erste Frau an | |
| der Spitze des Senders. Zu ihrem Aufgaben rund um RTR kommt sie aber | |
| derzeit wenig. Fast ununterbrochen ist sie im Einsatz gegen NoBillag. Den | |
| Schweizer Printmedien gilt sie als die „Hoffnung der SRG“, als „Waffe geg… | |
| NoBillag“. | |
| Vieles macht sie dabei besser, als die SRG-Spitze im Jahr 2015. Damals gab | |
| es schon eine Abstimmung über die Rundfunkabgabe. Es ging um die Frage, wie | |
| die Gebühr erhoben werden sollte – pro Empfangsgerät oder pro Haushalt. Die | |
| Billag-Gegner machten aus der technischen Frage eine über die SRG im | |
| Allgemeinen. Ihren Auftrag, ihre Programm, ihre Daseinsberechtigung. | |
| Spricht man mit SRG-Mitarbeitern über 2015, sagen die: „Wir haben es | |
| versäumt, auf diese Debatte adäquat zu reagieren.“ Wahrscheinlich war das | |
| der große Fehler, der Moment, in dem die Gegner Rückenwind bekamen. Die | |
| Reaktionen damals führten dazu, dass selbst SRG-Befürworter sagen: „Viele | |
| Mitarbeiter der SRG sind arrogant. Sie ruhen sich auf ihrem Gebührenpolster | |
| aus, nehmen ihr Publikum nicht ernst.“ | |
| Vermutlich war diese Abstimmung für die Schweiz das, was in Deutschland | |
| Pegida war. Die fremdenfeindlichen Protestler liefen, „Lügenpresse“ rufend, | |
| durch die Straßen. Das Misstrauen gegenüber Journalisten wuchs, | |
| Berichterstatter wurden auf Demos angegriffen, Mikros und Kameras wurden | |
| ihnen weggeschlagen. Eine so aggressive Stimmung gab es in der Schweiz | |
| nicht, und auch nicht ein so kondensiertes Hochkochen von Misstrauen. | |
| ## „Größe wirkt tendenziell unsympathisch“ | |
| Aber die Abstimmung über die Haushaltsgebühr 2015 brachte das knappste | |
| Ergebnis, das bei einer Volksabstimmung in der Schweiz je zustande kam: | |
| 50,1 Prozent der Schweizer votierten dafür, die Gebühr pro Haushalt zu | |
| erheben. Mit der Einführung der Haushaltsgebühr versprach die | |
| Medienministerin, den Beitrag zu senken. Ab 2019 zahlt jeder Privathaushalt | |
| nur noch 365 Franken im Jahr. Einen Franken pro Tag. | |
| Ladina Heimgartner sagt, die Politik hätte nach der Abstimmung an Reformen | |
| gearbeitet. Und sie selbst habe aus der Abstimmung gelernt, auf ihre Gegner | |
| zuzugehen, Verständnis zu zeigen, Selbstkritik zu üben. Der Vorwurf, den | |
| Heimgartner immer wieder hört, lautet: Die SRG sei zu groß, zu aufgeblasen. | |
| Beispiel Olympia. 200 Leute schickte die SRG zu den Winterspielen nach | |
| Pyeongchang, von insgesamt 6.000 Festangestellten – etwa jeder 30. feste | |
| Mitarbeiter. ARD und ZDF schickten zusammen 350 Mitarbeiter, bei | |
| zusammengenommen mehr als 26.000 festen Mitarbeitern. Das ist etwa jeder | |
| 75. | |
| „Ja, wir sind ein – für Schweizer Verhältnisse – großes Unternehmen“… | |
| Heimgartner. „Größe wirkt in der Schweiz tendenziell unsympathisch. Aber | |
| wir müssen groß sein, damit wir in vier Sprachen senden können. Von der ARD | |
| mag ein Reporter im Zielraum der olympischen Langlaufrennen stehen, von uns | |
| stehen dort vier.“ Sicher würde es auch kleiner gehen, aber nicht, ohne | |
| dass ein Teil des Publikums etwas verlöre. | |
| Zum Beispiel das Volkstümliche. 50 Prozent der Musik, die RTR spielt, | |
| stammt aus der Schweiz, 30 Prozent aus Graubünden. RTR überträgt die großen | |
| Volksfeste der Jodler. Und die der Schwinger, einer Schweizer Sonderform | |
| des Ringens. Halbnackte Männer packen sich gegenseitig am Gürtel und | |
| versuchen den anderen auf die Schultern zu werfen. | |
| ## Schweizer Brauchtum erlebt Aufschwung | |
| Die SRG ist eine der größten Finanziers dieser Volkskultur. Gerade hat sie | |
| einen neuen Vertrag mit dem Schwingverband geschlossen: In den kommenden | |
| fünf Jahren überträgt das Schweizer Fernsehen sieben Schwingfeste im Jahr. | |
| Es sind die Höhepunkte der Saison. | |
| „Wenn wir das große Eidgenössische Schwingfest übertragen“, sagt | |
| Heimgartner, „dann sitzen alle vor dem Fernseher und schauen zu, wer | |
| Eidgenössischer Schwingkönig wird. In solchen Momenten sind wir eine | |
| Schweiz.“ | |
| Das Schweizer Brauchtum erlebt wieder einen Aufschwung. Firmen laden ihre | |
| Geschäftspartner zu Schwingfesten ein, auch in den großen Städten gibt es | |
| Schwing- und Jodelvereine. Das liege auch an den Fernsehübertragungen, | |
| glauben die Schwing- und Jodelpräsidenten. | |
| Nun kann man sich fragen, wie volkstümlich ein Brauchtum noch ist, das | |
| darauf angewiesen ist, vom öffentlichen Fernsehen querfinanziert zu werden. | |
| Aber darum gehe es nicht, sagt Heimgartner. Der öffentliche Rundfunk müsse | |
| auch für den nationalen Zusammenhalt sorgen, Sprachgemeinschaften | |
| zusammenbringen, kulturelle Vielfalt abbilden. „Das ist in der | |
| viersprachigen Schweiz noch ein bisschen wichtiger als in anderen Ländern.“ | |
| Ganz ohne Medien wäre Chur nicht, wenn die SRG wegfiele. Es gäbe noch das | |
| Bündner Tagblatt, die Lokalzeitung mit einer Auflage von rund 8.000 Stück. | |
| Aber das Tagblatt ist in der Krise. Vor einem Jahr wurde es mit der zweiten | |
| Churer Lokalzeitung zusammengelegt, weil beide zunehmend Leser und | |
| Werbeeinnahmen verloren. | |
| ## Redaktion in ehemaligem Bordell | |
| So geht es vielen Zeitungen und Verlagen in Europa, doch die kleine Schweiz | |
| mit ihren vier Kleinstmärkten ist besonders betroffen. Gab es im Jahr 1990 | |
| noch 273 Zeitungen in der Schweiz, waren es 2014 nur noch 181. Mitten | |
| hinein in den Niedergang vieler Blätter tritt nun mit Wucht ein | |
| Onlinemagazin, das noch ein zartes Pflänzchen ist, aber trotzdem schon für | |
| einiges Aufsehen sorgte: Republik. | |
| Im April 2017 startete der Journalist Constantin Seibt dieses „Projekt R“. | |
| Innerhalb von sechs Wochen sammelten er und ein Mitstreiter 3,4 Millionen | |
| Franken ein – eine Summe, die kein Medien-Start-up zuvor in so kurzer Zeit | |
| sammeln konnte. Mittlerweile 19.000 Abonnenten haben sich bereit erklärt, | |
| 240 Franken jährlich zu bezahlen. Seit Januar ist Republik online, bringt | |
| bis zu drei Texte am Tag, die meisten sind lang und hintergründig. | |
| In einem ehemaligen Bordell unweit des Züricher Hauptbahnhofs arbeitet die | |
| Redaktion. Auf einer Schultafel werden mit Kreide die Texte für die | |
| kommenden Wochen geplant. Die Sektkorken, die zum Start des Magazins | |
| knallten, stehen noch auf einem Wandvorsprung. | |
| Für Republik hat Daniel Binswanger seinen sicheren Job beim Magazin, der | |
| Wochenendbeilage des Tages-Anzeigers, gekündigt. Der Geldsammel-Erfolg des | |
| Projekts hat ihn überrascht, aber er kann ihn sich erklären: „Die Schweizer | |
| haben genug von Zeitungen, die immer dünner werden, die fusioniert werden, | |
| die nur noch Infotainment betreiben. Sie haben genug von der Eintönigkeit | |
| der Presselandschaft, die sich unter anderem in der neuen reaktionären | |
| Linie der Neuen Zürcher Zeitung zeigt.“ | |
| ## Ohne SRG drohe ein schweizerisches Fox News | |
| Binswanger, die dunklen halblangen Haare wirr durcheinander, spricht | |
| ausschweifend. Er kommt von einem Thema zum nächsten, wirft Stichworte ab, | |
| ist aber gleich schon wieder bei einem anderen Gedanken. Er spricht viel | |
| von Demokratie, von Diskurs, von rechter Propaganda. Binswanger ist eine | |
| linke Stimme in der oft von rechts getriebenen Schweizer Öffentlichkeit. | |
| „In dieser Zeit den öffentlichen Rundfunk abzuschaffen wäre ein Wahnsinn“, | |
| sagt er. | |
| Aber zeigt nicht gerade Republik, dass es möglich ist, Medien über einen | |
| freiwilligen Beitrag zu finanzieren? „Die Pointe ist: Wenn die SRG | |
| abgeschafft würde, dann wären wir finanziert“, sagt Binswanger. „Aber | |
| gerade weil die Schweizer Presselandschaft so viel schlechter geworden ist, | |
| weil viele Redaktionen Kompetenz und Kontinuität in der politischen | |
| Berichterstattung eingebüßt haben, braucht es die SRG mehr denn je. Niemand | |
| erfüllt die gesellschaftliche Funktion der vierten Macht so wesentlich wie | |
| sie.“ | |
| Binswanger hat einen viel kommentierten Text geschrieben über den Aufstieg | |
| des konservativen US-Fernsehsenders Fox News, gegründet als Gegenstimme zu | |
| den „linken Mainstreammedien“. Der Sender ist heute die Nummer eins der | |
| amerikanischen Nachrichten-Kabelsender. Fox ist in seiner Geschichte immer | |
| weiter nach rechts gerückt, verbreitet nachweislich Lügen und Propaganda | |
| der Republikaner. Binswangers These: Wenn die SRG wegfällt, dann wäre das | |
| Entstehen eines schweizerischen Fox News unausweichlich. | |
| ## Lügen, hetzen, schmähen | |
| Das Personal dafür wäre da. Zuallererst Christoph Blocher, Unternehmer und | |
| SVP-Patriarch. Durch den Kauf eines Chemiekonzerns wurde Blocher in den | |
| 1960er Jahren zu einem der reichsten Menschen der Schweiz. Als Präsident | |
| der SVP, Nationalrats- und Bundesratsmitglied trug er in den vergangenen 40 | |
| Jahren wesentlich zum Erfolg und Rechtsruck der Partei bei. Blocher habe, | |
| sagt Binswanger, die Medienpolitik zu seiner Priorität gemacht, um seine | |
| „Propagandamacht“ auszubauen. | |
| 2010 begann Blocher gemeinsam mit seiner Tochter die Basler Zeitung zu | |
| beraten. Mittlerweile gehört ihm ein Drittel des Verlags. Vergangenen | |
| Sommer kaufte die Basler Zeitung 25 Gratiszeitungen in der Schweiz. Mit | |
| seinen Medien erreicht Blocher nun mehr als 1 Million Leser am Tag. | |
| Und er ist nicht der einzige Rechtspopulist, der sich medial ausbreitet. | |
| 2006 kaufte der Schweizer Nationalrat und SVP-Politiker Roger Köppel die | |
| ehemals linksliberale Weltwoche und baute sie zu einem rechten Kampfblatt | |
| um. 2014 versuchten Rechte, den nationalkonservativen Blocher-Kumpel Markus | |
| Somm zum neuen Chef der liberalen Neuen Zürcher Zeitung zu machen. | |
| Redaktion und Verwaltungsrat verhinderten das, doch die rechte | |
| Medienoffensive geht weiter: Zuletzt wollten SVP-nahe Unternehmer die | |
| Blick-Gruppe kaufen, deren Gratis-Boulevardzeitung Blick am Abend das | |
| zweitmeistgelesene Blatt der Schweiz ist. | |
| Blocher und jeder, der Senderechte kaufen würde, könnte bei einem Erfolg | |
| von NoBillag senden, was und wie er wollte: lügen, hetzen, schmähen. Denn | |
| auch das möchte NoBillag: Der Schweizer Verfassungsartikel, der Radio und | |
| Fernsehen verpflichtet, ausgewogen und sachgerecht zu berichten und die | |
| „Vielfalt der Ansichten“ abzubilden, soll gestrichen werden. Das sei ein | |
| „Gummiparagraf“, sagt Kampagneninitiator Florian Maier. Der Paragraf | |
| entwerfe einen Idealzustand, den auch die heutige SRG nicht erfülle. Die | |
| neuen Privatsender, die nach NoBillag entstünden, sollten frei sein in der | |
| Art und Weise, wie sie senden. | |
| ## AfD will „Newsroom“ im Bundestag | |
| Daniel Binswanger von Republik sieht genau darin den Hebel, der ein | |
| Hetzmedium wie Fox News möglich machen könnte. Und dann? „Spaltet sich die | |
| Öffentlichkeit“, sagt Binswanger. In den USA könne man beobachten, wie Fox | |
| News dazu geführt habe, dass in der amerikanischen Öffentlichkeit heute | |
| beinahe alles behauptet und alles bestritten werden könne. „Ohne Fox News | |
| wäre Donald Trump wahrscheinlich nie US-Präsident geworden.“ | |
| In Deutschland sind die Bedingungen anders. Der entscheidende Unterschied | |
| zur Schweiz ist: Deutschland ist keine direkte Demokratie. Eine | |
| Volksabstimmung über die Rundfunkgebühr wird es hier so schnell nicht | |
| geben. Zumal sie 16 Mal stattfinden müsste, weil Rundfunk Ländersache ist. | |
| Demnächst handeln die Ministerpräsidenten aus, wie hoch die Rundfunkgebühr | |
| ab 2021 sein wird. Kaum ein Politiker traut sich zu sagen: Viel billiger | |
| wird’s nicht. CSU-Chef Horst Seehofer forderte vor eineinhalb Jahren, ARD | |
| und ZDF zusammenzulegen. Und der Medienminister Sachsen-Anhalts, Rainer | |
| Robra von der CDU, sprach sich kürzlich dafür aus, das „Erste“ in seiner | |
| jetzigen Form abzuschaffen und zu einem Regionalsender umzubauen. | |
| Die AfD will im April ein PR-Büro mit Fernsehstudio, das sie selbst | |
| „Newsroom“ nennt, im Bundestag eröffnen. 20 Mitarbeiter sollen von dort | |
| AfD-Positionen verbreiten. | |
| Vielleicht ist die Debatte in der Schweiz doch schon näher, als wir denken. | |
| Mitarbeit: Peter Weissenburger | |
| 28 Feb 2018 | |
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| Anne Fromm | |
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| Erwachsene liefern. Dafür wird bei der Musik gespart. | |
| Hass-Kommentare in Online-Netzwerken: Strategie einer rechten Minderheit | |
| Nur fünf Prozent der Accounts sind für die Hälfte aller Hassposts auf | |
| Facebook verantwortlich. Es sind AfD-Anhänger und Identitäre, die gemeinsam | |
| vorgehen. | |
| Medienwissenschaftler über Satire: „Eine politische Einstiegsdroge“ | |
| Dennis Lichtenstein und Cordula Nitsch haben den politischen Inhalt von | |
| Satire-Sendungen verglichen. Bürger wollen Politik unterhaltsam | |
| konsumieren, sagt er. | |
| Medien im Jahr 2018: Da kommt was auf uns zu | |
| 2018 wird ein wichtiges Jahr für viele Medien. Diese vier Fragen werden | |
| Verlage und Sender in diesem Jahr beschäftigen. |