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# taz.de -- Medienwissenschaftler über Satire: „Eine politische Einstiegsdro…
> Dennis Lichtenstein und Cordula Nitsch haben den politischen Inhalt von
> Satire-Sendungen verglichen. Bürger wollen Politik unterhaltsam
> konsumieren, sagt er.
Bild: Politik in leicht konsumierbarer Form
taz am wochenende: Herr Lichtenstein, Sie haben 154 Sendungen ausgewertet.
Das sind gut 126 Stunden Fernsehen, fünf ganze Tage. Konnten Sie am Ende
noch lachen?
Dennis Lichtenstein: Na ja, das kam uns schon irrsinnig lang vor. Aber es
ging uns ja nicht darum, die Witze zu vermessen oder Pointen zu bewerten.
Uns interessierte die Frage nach der politischen Öffentlichkeit, also
inwieweit die „heute-show“, „Die Anstalt“ und das „Neo Magazin Royale…
Informationen vermitteln und politische Orientierung leisten.
Und?
Die Sendungen sind sehr verschieden: „Die Anstalt“ bietet die meiste
politische Information und die meiste Orientierung für den Zuschauer. Sie
bewertet politische Akteure anhand von politiknahen Kriterien wie
Führungskompetenz oder ihren Positionen zu politischen Themen. Das
definieren wir als „produktive Satire“, also produktiv für die politische
Auseinandersetzung. Das Gegenstück dazu ist das „Neo Magazin Royale“. Es
vermittelt politische Informationen oft kontextlos, bewertet Politiker eher
anhand von Persönlichkeitsaspekten. Das definieren wir als
„pseudokritisch“. Die „heute-show“ liegt dazwischen, ist tendenziell ab…
näher an der „Anstalt“.
Dass Jan Böhmermann mit seiner Sendung Ihrer Ansicht nach keinen
politischen Kontext liefert, hat mich überrascht. Wie haben Sie
beispielsweise seine Schmähkritik auf den türkischen Staatspräsidenten
Erdoğan eingeordnet?
Die ist in ihrer Bewertung sehr explizit, könnte dem Zuschauer also
politische Orientierung geben. Allerdings liefert sie keinen Kontext. Sie
hat wenig politische Substanz, bewertet Erdoğan anhand von Äußerlichkeiten
und Klischees.
Aber die eigentliche Satire, beziehungsweise deren Wirkung ging ja über das
bloße Vortragen des Gedichtes hinaus. Daraus entspann sich eine Debatte,
die viel über das politische System und Diplomatie gezeigt hat, an deren
Ende sogar der Paragraf zu Majestätsbeleidigung aus dem Strafgesetzbuch
gestrichen wurde. Das ist ja fast schon ein politikwissenschaftliches
Proseminar.
Das stimmt, das Gedicht hatte eine Wirkung auf den politischen Diskurs. Das
Gleiche könnte man über Böhmermanns Varoufake, den vermeintlich
retuschierten Mittelfinger des damaligen griechischen Finanzministers Yanis
Varoufakis, sagen. Diese Aktion hatte angestoßen, dass Medien sich
selbstkritisch fragten, ob sie in der Griechenlandkrise fair berichtet
hatten. Aber die Anschlusskommunikation war nicht Gegenstand unserer Frage.
Auf der rein inhaltlichen Ebene, und das war die, die uns interessiert hat,
gehen weder die Schmähkritik noch der Varoufake besonders tief.
Aber gehören Wirkung und Rezeption nicht dazu, wenn man darüber spricht,
was Satire kann?
Dafür müsste man eine zweite Analyse machen.
Anders gefragt: Muss Satire überhaupt einen Zweck haben?
Satire muss überhaupt nichts. Satire verstehe ich erst einmal nur als
Zusammenspiel von Kritik und Unterhaltung. Aber wenn wir wissen wollen,
welchen Input und Mehrwert Satire für die politische Öffentlichkeit hat,
dann braucht man dafür eine Inhaltsanalyse wie unsere.
Harald Schmidt wurde neulich gefragt, auf welche Veranstaltungen er noch
Lust habe, und er hat geantwortet: „Nichts Sozialkritisches in kalter
Gegend.“ Inhalte würden nur stören.
Das Selbstverständnis der Satiriker ist nicht unser Anknüpfungspunkt. Viele
sehen sich als Comedians und Spaßmacher, bei Kabarettisten ist das anders.
Die haben schon den Anspruch, Politisches zu vermitteln. Das trifft, denke
ich, auch auf Claus von Wagner und Max Uthoff von der „Anstalt“ zu. Es gab
mal eine „Maischberger“-Sendung, in der der Kabarettist Dieter Hildebrandt
und Harald Schmidt genau darüber gestritten haben: Muss Satire politisch
sein? Sie fanden keinen Konsens, weil das die ewige Diskussion in der
Satire ist.
Die quotenstärkste Satireshow im deutschen Fernsehen ist die „heute-show“.
Die berichtet, schreiben Sie, am meisten über Politik und liefert
substanziellen Kontext. Als Zuschauerin ist mein Problem oft Oliver Welkes
Tonfall: Er ist zynisch und transportiert ein „Die da oben machen doch eh
alle, was sie wollen“, von dem ich glaube, dass es Populisten in die Hände
spielt. Was daran ist „produktive Satire“?
Uns ging es im Wesentlichen um das gesprochene Wort. Aber was Sie
ansprechen, haben wir unter der Positionierung der Sendung verbucht und in
dem Punkt rangiert die „heute-show“ eher unter pseudokritischer Satire.
Indem sie sich zwar kritisch zur Politik äußert, die Kritik aber oft nicht
inhaltlich untermauert, trägt sie nicht unbedingt dazu bei, dass der
Zuschauer sich inhaltlich mit Politik auseinandersetzt, sondern fördert
Distanz und Zynismus gegenüber Politikern.
Woher kommen eigentlich die Begriffe „produktiv“ und „pseudokritisch“? …
klingen ungewohnt wertend für einen deutschen Wissenschaftsdiskurs.
Sie stammen aus den USA. Dort gibt es viel Forschung zu Inhalt und Wirkung
von Satire. In Deutschland gibt es bislang kaum Studien. Unsere ist die
erste Inhaltsanalyse, die unterschiedliche Formate miteinander vergleicht.
Deswegen haben wir die Begriffe übernommen. Ich habe in den sozialen Medien
gesehen, dass sie teilweise so verstanden wurden, dass wir die Satire an
sich als gut oder schlecht bewerten. Aber das tun wir nicht.
Die „heute-show“ hatte zeitweise mehr Zuschauer als die Nachrichtensendung
„heute“. Was glauben Sie, woran das lag?
Ich glaube, es gibt ein Bedürfnis bei den Zuschauern, Politik unterhaltend
zu konsumieren. Aber empirisch wissen wir darüber wenig. Ich würde nicht so
weit gehen wie viele Kollegen in den USA. Dort glaubt man, die Nachrichten
hätten so sehr an Qualität verloren, dass die Leute sie nicht mehr gucken.
Das liegt unter anderem an Fox News, dem Nachrichtensender, der mit
konservativer Schlagseite berichtet, alles emotional-dramatisch
untermauert. Unsere Nachrichtensendungen in Deutschland kann man damit aber
nicht vergleichen. Die sind gut und meist verlässlich.
Medienjournalisten, Wissenschaftler und Kritiker sind sich uneinig darüber,
was Satire bewirkt: Klärt sie auf oder führt sie zu Politikverdruss? Welche
Schlüsse lassen Ihre Studie zu?
Der Rezeptionsprozess ist komplex, man kann von unserer Studie aus nicht
sicher über die Wirkung der Sendungen sprechen. Ich würde aber immer die
Chancen sehen: Satire spielt eine wachsende Rolle auch im politischen
Diskurs, wie ich am Beispiel von Böhmermanns Varoufake erklärt habe. Für
Zuschauer können solche Sendungen eine „Einstiegsdroge“ sein, sich mit
Politik zu beschäftigen, sich vielleicht sogar zu engagieren. Für Politiker
bietet Satire die Möglichkeit, Kontakt zu einem Publikum herzustellen, das
sie sonst nicht erreichen. Wenn der CSU-Politiker Markus Söder dem
„heute-show“-Außenreporter Lutz van der Horst das Mikrofon wegnimmt, dann
weiß er natürlich, dass das Publikum das lustig findet. Die Gefahr dabei
ist, dass das den politischen Diskurs entleert: Wenn wir uns nur noch
satirisch und slapstickartig mit Politik beschäftigen, dann ist für den
aufgeklärten Diskurs nicht viel gewonnen. Aber da würde ich doch auch das
Publikum nicht unterschätzen. Das ist schon ziemlich klug und weiß die
meisten Inhalte einzuordnen.
2 Feb 2018
## AUTOREN
Anne Fromm
## TAGS
Satire
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Humor
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