Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Rundfunkgebühren in der Schweiz: Schalten die Schweizer ab?
> Die Schweiz stimmt bald über die „Billag-Gebühr“ ab. Erstmals könnte e…
> europäisches Land seinen öffentlichen Rundfunk abschaffen.
Bild: Alphornblasen gehört zum Schweizer Brauchtum – und das erlebt einen Au…
Chur/Zürich taz | Es ist Montag, der 5. März 2018. „Grüazi miteinandr“,
grüßt der Nachrichtensprecher im Radio. „Die Mehrheit der Schweizer hat
gestern beschlossen, die Gebühr für Funk und Fernsehen abzuschaffen. Zur
Stunde berät der Bundesrat, wie es für die Schweizerische Radio- und
Fernsehgesellschaft, kurz SRG, nun weitergeht.“
In Bern tritt der Bundesrat zusammen. Die Aufregung ist groß. Für das, was
jetzt ansteht – die Abwicklung des öffentlichen Rundfunks –, gibt es keine
Vorlage. Es ist noch nie in Europa passiert.
In der SRG-Zentrale in Bern herrscht Chaos. Während sich die 6.000
Mitarbeiter fragen, wie lange ihr Arbeitgeber ihnen noch Gehälter zahlen
kann, beraten die vier Generaldirektoren in einer Telefonkonferenz, wie sie
den Konkurs vermeiden könnten. Die Kolleginnen und Kollegen in den anderen
europäischen öffentlich-rechtlichen Sendern sind schockiert.
Die AfD-Bundestagsfraktion in Berlin dagegen twittert freudig: „Gute
Nachrichten aus der Schweiz: Die Rundfunkgebühr fällt weg. Jetzt muss
Deutschland nachziehen. #staatsfunk #GEZabschaffen“. Auch in Frankreich,
Dänemark, Tschechien, Polen, Österreich und Holland frohlocken die
Rechtspopulisten.
## Wie es so weit kommen konnte
All das ist nur ein Szenario. Aber eines, das Realität werden könnte, wenn
die Schweizer am 4. März für NoBillag stimmen. Die Initiative will, dass
der Staat keine Rundfunkgebühren mehr erheben und keine eigenen Radio- und
Fernsehstationen betreiben darf.
Auch in Deutschland ist die Kritik an den Öffentlich-Rechtlichen in den
vergangenen Jahren lauter geworden: Als der Ukrainekrieg eskalierte,
schimpften manche Linke, ARD und ZDF berichteten zu russlandkritisch und
Nato-freundlich. Im Sommer 2015 schrien Rechte, ARD und ZDF seien zu
flüchtlingsfreundlich und blendeten Probleme aus.
Mit der AfD sitzt nun eine Partei im Bundestag, die den
Öffentlich-Rechtlichen vorwirft, sie würden „Fake News“ verbreiten. Und d…
es zu ihren politischen Zielen zählt, die Rundfunkgebühr abzuschaffen.
Am Beispiel der Schweiz lässt sich verstehen, wie es so weit kommen kann,
sich ein Diskurs so zuspitzen kann, dass der öffentliche Rundfunk in seiner
Existenz bedroht ist.
„Ich sehe nicht ein, warum ich für etwas zahlen soll, was ich nicht nutze“,
sagt Florian Maier. Vier Wochen vor der Abstimmung sitzt er in einem Café
im Züricher Hauptbahnhof. Er ist 29 Jahre alt, hat in Peking BWL studiert.
In seinem Kapuzenpulli und den ausgebeulten Jeans sieht er aber nicht aus
wie der klassische Betriebswirt.
Maier hat den Text geschrieben, über den die Schweizer abstimmen. Er schaue
kein Fernsehen, höre kein Radio, sagt er. Er lese Zeitung, Neue Zürcher und
Frankfurter Allgemeine.
Maier ist Jungfreisinniger, also Mitglied der jungen Liberalen. Das hört
man auch, wenn er spricht: Er redet viel vom freien Markt, von der
Entscheidungsfreiheit des Einzelnen, von Überregulierung in den Medien und
im Gesundheitswesen. Klassisch liberale Themen.
Dennoch: Der Mutterpartei FDP sind die Jungfreisinnigen mittlerweile zu
radikal. Selbst die FDP hat ihre Mitglieder aufgerufen, gegen die
Initiative zu stimmen. Die rechtspopulistische Schweizer Volkspartei (SVP)
unterstützt als einzige Partei die Initiative.
## Radio- und Fernsehmarkt vollständig liberalisieren
Maier spricht langsam, kurze, präzise Sätze. Er erzählt, wie alles anfing.
Mit zwei Parteifreunden kam er von einer Vorstandssitzung, für ein Bier
wollten sie in eine Kneipe. Müsste man nicht, fragte einer, die Biersteuer
abschaffen? Maier und seine Mitstreiter waren zu der Zeit noch Studenten,
das Geld oft knapp. Maier finanzierte sein Studium mit „Glück an der
Börse“, wie er es nennt. „Griechische Staatsanleihen“, sagt er dazu heute
und grinst. „Danke, Deutschland.“
Aber die Biersteuer, das ist nicht viel Geld. Gut 25 Franken zahlen
Schweizer Brauer auf 100 Liter Bier. Deswegen waren sich Maiers
Parteifreunde einig: Das wäre kein großer Wurf. „Was uns wirklich mehr Geld
bringen würde, wäre, die Billag-Gebühr abzuschaffen“. Billag, das ist das
Unternehmen, das in der Schweiz die Rundfunkgebühren einzieht. Und so
entstand an diesem Novemberabend 2013 die Idee zu NoBillag.
Die Studenten gründeten eine Facebook-Gruppe, innerhalb kürzester Zeit
wurde diese zur meistgelikten politischen Gruppe der Schweiz. Die ersten
Umfragen im vergangenen Herbst bescheinigten dem Projekt Erfolg. Eine
Mehrheit gab an, für eine Abschaffung zu stimmen. Mittlerweile hat sich das
umgekehrt: Laut der aktuellsten Erhebung wollen nur noch 39 Prozent mit Ja
stimmen. Aber mit Umfragen ist das ja so eine Sache.
Maier und seine Freunde wollen den Radio- und Fernsehmarkt vollständig
liberalisieren. Die Senderechte sollen künftig versteigert werden. Jeder,
der das Geld hat, soll sich so seine eigene Radio- oder Fernsehstation
aufbauen können. Firmen wie Google und Facebook könnten investieren,
Medienunternehmen aus dem In- und Ausland, Multimillionäre, Populisten. Es
wäre das Ende des öffentlichen Rundfunks in der Schweiz.
## Fernsehen in den vier Amtssprachen
Nein, Maier widerspricht. Er glaubt nicht, dass der Schweizer Rundfunk am
Ende wäre. „Auch die SRG könnte sich auf die Senderechte bewerben. Das
würde sie zum Privatsender machen. Und die Schweizer würden eine Menge Geld
sparen.“
Tatsächlich ist der Schweizer Rundfunk der teuerste der Welt. 451 Franken
zahlt jeder Haushalt im Jahr, gut 400 Euro. In Deutschland sind es 210 Euro
im Jahr. 17 Radio- und 7 Fernsehprogramme betreibt die SRG, für gerade mal
8 Millionen Einwohner. Das ist viel, liegt aber auch daran, dass sie in
allen vier Schweizer Amtssprachen sendet: Deutsch, Französisch, Italienisch
und Rätoromanisch.
Kann dieses aufwendige Programm anders finanziert werden? „Die SRG muss
sich ein neues Geschäftsmodell überlegen. Abonnements verkaufen, Pay-TV
werden oder sich stärker über Werbung finanzieren“, sagt Maier.
„Das wird nicht funktionieren“, sagt Laura Zimmermann. Sie ist Maiers
Gegenspielerin, dabei kommen beide aus derselben Denkschule. Auch
Zimmermann ist eine junge Liberale, 26 Jahre alt, Juristin, promoviert an
der Uni Zürich. Sie ist Präsidentin der Operation Libero, einer liberalen
politischen Bewegung.
Zimmermann ist das Gesicht der aktuellen Kampagne gegen die Abschaffung der
Billag. Innerhalb kürzester Zeit ist sie zum Medienprofi geworden, sitzt
auf Podien und in Fernsehstudios. NoBillag sei ein „Anschlag auf die
Demokratie“, sagt sie immer wieder. Die Operation Libero befinde sich „im
Krieg“ mit der NoBillag-Initiative.
## Journalistische Brache
An einem Dienstagabend vier Wochen vor der Abstimmung steht Zimmermann in
einem Großraumbüro in einem Kulturzentrum in Zürich. Der Stammtisch der
Operation Libero findet hier statt. Zimmermann begrüßt ihre Mitstreiter mit
Pathos: „Als Verfassungspatrioten ist es unsere Pflicht, für den
öffentlichen Rundfunk zu kämpfen. Ein gesundes Mediensystem gehört zur
Grundversorgung einer Demokratie.“
Viele neue Gesichter sind gekommen, sie wollen ihren Rundfunk retten.
Zimmermann liefert ihnen dafür Argumente. Leidenschaftlich wirbt sie für
die Medienfreiheit im Land, führt jeden Gedanken bis ins Detail aus. Sie
tänzelt immer wieder von einem Fuß auf den anderen, ihre Hände hält sie zur
Merkel-Raute geformt.
„Information und Journalismus funktionieren nicht im freien Wettbewerb“,
sagt sie. Es ist ihr wichtigstes Argument, das sie mehrfach wiederholt. Der
Schweizer Medienmarkt sei zu klein und nicht attraktiv für Werbetreibende:
ein Land mit vier Sprachen, das zu 80 Prozent aus Tälern und Bergen
besteht.
Schon jetzt fließt ein großer Teil des Werbebudgets der Schweizer Firmen an
Google und Facebook. Für klassische Medien bleibt immer weniger – und nicht
genug, um sich allein dadurch zu finanzieren, glaubt Zimmermann. „Wenn wir
die Gebühren streichen, stirbt die SRG. Was dann kommt, wäre eine
journalistische Brache.“
Das deckt sich mit der Vermutung vieler Medienökonomen. Die
Wissenschaftler, die sich öffentlich zu NoBillag geäußert haben, gehen
davon aus, dass die SRG abgewickelt werden müsste, wenn die Abschaffung der
Gebühr beschlossen würde. Belastbare Studien gibt es nicht, dafür aber ein
Land, das als einziges weltweit seinen öffentlichen Rundfunk bereits
abgeschafft hat: Neuseeland.
## Jodler, Schwinger und Alphornbläser
Mit dem Broadcasting Act 1989 verlor die dortige Fernsehanstalt TVNZ ihren
öffentlichen Programmauftrag und die staatliche Förderung. Der Beschluss
wurde später teilweise zurückgenommen, heute bezieht die Anstalt zum Teil
wieder öffentliche Gelder – aus einer Rundfunkstiftung, die Recherchen
finanziert, die von öffentlichem Interesse sind. Denn eines weiß man aus
Ländern, die keinen öffentlichen Rundfunk haben: Fernsehzuschauer zahlen
nur für drei Sparten Geld – Unterhaltung, Sport und Porno.
Auffällig ist, dass in der Schweiz auf beiden Seiten, im Ja- und im
Nein-Lager, junge Leute so heftig kämpfen. Jene, von denen es heißt, sie
informierten sich nur noch bei Facebook und schauten Netflix. Hört man
beiden Seiten eine Weile zu, erkennt man eine Gemeinsamkeit: Es geht ihnen
um mehr als das Fernsehprogramm. Es geht um die Frage, was die Schweiz
ausmacht – und was die Schweizer bereit sind für das zu zahlen, worauf sie
stolz sind: Freiheit, direkte Demokratie, Sprachenvielfalt, Zusammenhalt.
Pop- und Filmstars sagen: Ohne SRG keine Kultur. Mountainbiker und
Snowboarder warnen: Ohne die SRG nur noch Tennisspiele mit Roger Federer im
Fernsehen. Jodler, Fahnenschwinger, Alphornbläser fürchten, dass das
schweizerische Brauchtum verschwindet. Der Behindertenverband glaubt, dass
niemand mehr ein Programm in Gebärdensprache oder mit Bildbeschreibungen
finanziert. Selbst die Feuerwehr hat eine Videokampagne gestartet, die
sagt: Wir löschen doch auch jedes Feuer und nicht nur das von Leuten, die
unsere Kunden sind.
Jodler, Schwinger und Alphornbläser? Es ist aus deutscher Perspektive nicht
immer einfach, der Debatte zu folgen. Von allen Seiten ziehen die Schweizer
an ihrem Rundfunk. In Deutschland wurde zuletzt nur über die
Flüchtlingspolitik so ausdauernd gestritten.
## Kollektives Schimpfen
Schaut man genauer hin, zeigen sich Parallelen bei den Mediendebatten. Die
Sender seien zu teuer, klagen viele Schweizer. Tatsächlich verdient ein
45-Jähriger SRG-Mitarbeiter durchschnittlich 107.454 Franken im Jahr, knapp
doppelt so viel wie der Durchschnittslohn. Es gebe nicht genug
Diskussionsformate, sagen andere, das Programm sei zu flach. Die Sender
brächten nur „linken Einheitsbrei“, beschwert sich die SVP.
All das sind Kritikpunkte, die auch ARD und ZDF kennen. Sie müssen sparen
und wehren sich gegen die Kritik, unausgewogen oder tendenziös zu
berichten. Aber „Tagesschau“ und die „Heute“-Nachrichten sind immer noch
mit Abstand die Informationssendungen mit den höchsten Einschaltquoten.
Und worüber würden sich Menschen informieren, unterhalten und aufregen,
wenn es nicht „Anne Will“ und den „Tatort“ gäbe? Gerade auch das kolle…
Schimpfen über die Unzulänglichkeiten des Programms stellt eine Form von
Gemeinschaft her, die in der zersplitterten Medienöffentlichkeit immer
seltener wird.
Um zu verstehen, was einer Gesellschaft verloren geht, wenn sie ihren
öffentlichen Rundfunk verliert, muss man aus Zürich über die Berge in eine
andere Welt fahren. Eine Welt mit einer Sprache, die nur 60.000 Menschen
sprechen. Und mit Traditionen, die Außenstehende kaum verstehen.
Chur ist die Hauptstadt Graubündens, des einzigen dreisprachigen Kantons
des Landes. Die SRG betreibt hier Radiotelevisiun Svizra Rumantsch, kurz
RTR, den rätoromanischen Radio- und Fernsehsender. Daneben gibt es noch
Radio und TV Südostschweiz, eine private Sendergruppe, die auch über
Gebührengelder finanziert wird. Das ist ein Unterschied zu Deutschland: In
der Schweiz bekommen auch Privatsender Geld aus dem Billag-Topf. Wenn
NoBillag durchkommt, müssten wohl auch sie schließen.
## Das, was in Deutschland Pegida war
„Es gäbe dann in Graubünden kein Radio und Fernsehen mehr“, sagt Ladina
Heimgartner. Sie ist die Direktorin von RTR und seit Neuestem
Vize-Generaldirektorin der gesamten SRG. Heimgartner sitzt in ihrem Büro in
der Innenstadt von Chur. An schönen Tagen blickt man von hier durch große
Fenster auf ein Postkartenpanorama der Alpen. Heute ist der Himmel grau,
aber gerahmte Fotos an den Wänden zeigen die Gletscher rund um Chur.
Heimgartner sitzt zurückgelehnt in ihrem Lederstuhl. Die kurzen blonden
Haare liegen akkurat am Kopf an. 37 Jahre ist sie alt, die erste Frau an
der Spitze des Senders. Zu ihrem Aufgaben rund um RTR kommt sie aber
derzeit wenig. Fast ununterbrochen ist sie im Einsatz gegen NoBillag. Den
Schweizer Printmedien gilt sie als die „Hoffnung der SRG“, als „Waffe geg…
NoBillag“.
Vieles macht sie dabei besser, als die SRG-Spitze im Jahr 2015. Damals gab
es schon eine Abstimmung über die Rundfunkabgabe. Es ging um die Frage, wie
die Gebühr erhoben werden sollte – pro Empfangsgerät oder pro Haushalt. Die
Billag-Gegner machten aus der technischen Frage eine über die SRG im
Allgemeinen. Ihren Auftrag, ihre Programm, ihre Daseinsberechtigung.
Spricht man mit SRG-Mitarbeitern über 2015, sagen die: „Wir haben es
versäumt, auf diese Debatte adäquat zu reagieren.“ Wahrscheinlich war das
der große Fehler, der Moment, in dem die Gegner Rückenwind bekamen. Die
Reaktionen damals führten dazu, dass selbst SRG-Befürworter sagen: „Viele
Mitarbeiter der SRG sind arrogant. Sie ruhen sich auf ihrem Gebührenpolster
aus, nehmen ihr Publikum nicht ernst.“
Vermutlich war diese Abstimmung für die Schweiz das, was in Deutschland
Pegida war. Die fremdenfeindlichen Protestler liefen, „Lügenpresse“ rufend,
durch die Straßen. Das Misstrauen gegenüber Journalisten wuchs,
Berichterstatter wurden auf Demos angegriffen, Mikros und Kameras wurden
ihnen weggeschlagen. Eine so aggressive Stimmung gab es in der Schweiz
nicht, und auch nicht ein so kondensiertes Hochkochen von Misstrauen.
## „Größe wirkt tendenziell unsympathisch“
Aber die Abstimmung über die Haushaltsgebühr 2015 brachte das knappste
Ergebnis, das bei einer Volksabstimmung in der Schweiz je zustande kam:
50,1 Prozent der Schweizer votierten dafür, die Gebühr pro Haushalt zu
erheben. Mit der Einführung der Haushaltsgebühr versprach die
Medienministerin, den Beitrag zu senken. Ab 2019 zahlt jeder Privathaushalt
nur noch 365 Franken im Jahr. Einen Franken pro Tag.
Ladina Heimgartner sagt, die Politik hätte nach der Abstimmung an Reformen
gearbeitet. Und sie selbst habe aus der Abstimmung gelernt, auf ihre Gegner
zuzugehen, Verständnis zu zeigen, Selbstkritik zu üben. Der Vorwurf, den
Heimgartner immer wieder hört, lautet: Die SRG sei zu groß, zu aufgeblasen.
Beispiel Olympia. 200 Leute schickte die SRG zu den Winterspielen nach
Pyeongchang, von insgesamt 6.000 Festangestellten – etwa jeder 30. feste
Mitarbeiter. ARD und ZDF schickten zusammen 350 Mitarbeiter, bei
zusammengenommen mehr als 26.000 festen Mitarbeitern. Das ist etwa jeder
75.
„Ja, wir sind ein – für Schweizer Verhältnisse – großes Unternehmen“…
Heimgartner. „Größe wirkt in der Schweiz tendenziell unsympathisch. Aber
wir müssen groß sein, damit wir in vier Sprachen senden können. Von der ARD
mag ein Reporter im Zielraum der olympischen Langlaufrennen stehen, von uns
stehen dort vier.“ Sicher würde es auch kleiner gehen, aber nicht, ohne
dass ein Teil des Publikums etwas verlöre.
Zum Beispiel das Volkstümliche. 50 Prozent der Musik, die RTR spielt,
stammt aus der Schweiz, 30 Prozent aus Graubünden. RTR überträgt die großen
Volksfeste der Jodler. Und die der Schwinger, einer Schweizer Sonderform
des Ringens. Halbnackte Männer packen sich gegenseitig am Gürtel und
versuchen den anderen auf die Schultern zu werfen.
## Schweizer Brauchtum erlebt Aufschwung
Die SRG ist eine der größten Finanziers dieser Volkskultur. Gerade hat sie
einen neuen Vertrag mit dem Schwingverband geschlossen: In den kommenden
fünf Jahren überträgt das Schweizer Fernsehen sieben Schwingfeste im Jahr.
Es sind die Höhepunkte der Saison.
„Wenn wir das große Eidgenössische Schwingfest übertragen“, sagt
Heimgartner, „dann sitzen alle vor dem Fernseher und schauen zu, wer
Eidgenössischer Schwingkönig wird. In solchen Momenten sind wir eine
Schweiz.“
Das Schweizer Brauchtum erlebt wieder einen Aufschwung. Firmen laden ihre
Geschäftspartner zu Schwingfesten ein, auch in den großen Städten gibt es
Schwing- und Jodelvereine. Das liege auch an den Fernsehübertragungen,
glauben die Schwing- und Jodelpräsidenten.
Nun kann man sich fragen, wie volkstümlich ein Brauchtum noch ist, das
darauf angewiesen ist, vom öffentlichen Fernsehen querfinanziert zu werden.
Aber darum gehe es nicht, sagt Heimgartner. Der öffentliche Rundfunk müsse
auch für den nationalen Zusammenhalt sorgen, Sprachgemeinschaften
zusammenbringen, kulturelle Vielfalt abbilden. „Das ist in der
viersprachigen Schweiz noch ein bisschen wichtiger als in anderen Ländern.“
Ganz ohne Medien wäre Chur nicht, wenn die SRG wegfiele. Es gäbe noch das
Bündner Tagblatt, die Lokalzeitung mit einer Auflage von rund 8.000 Stück.
Aber das Tagblatt ist in der Krise. Vor einem Jahr wurde es mit der zweiten
Churer Lokalzeitung zusammengelegt, weil beide zunehmend Leser und
Werbeeinnahmen verloren.
## Redaktion in ehemaligem Bordell
So geht es vielen Zeitungen und Verlagen in Europa, doch die kleine Schweiz
mit ihren vier Kleinstmärkten ist besonders betroffen. Gab es im Jahr 1990
noch 273 Zeitungen in der Schweiz, waren es 2014 nur noch 181. Mitten
hinein in den Niedergang vieler Blätter tritt nun mit Wucht ein
Onlinemagazin, das noch ein zartes Pflänzchen ist, aber trotzdem schon für
einiges Aufsehen sorgte: Republik.
Im April 2017 startete der Journalist Constantin Seibt dieses „Projekt R“.
Innerhalb von sechs Wochen sammelten er und ein Mitstreiter 3,4 Millionen
Franken ein – eine Summe, die kein Medien-Start-up zuvor in so kurzer Zeit
sammeln konnte. Mittlerweile 19.000 Abonnenten haben sich bereit erklärt,
240 Franken jährlich zu bezahlen. Seit Januar ist Republik online, bringt
bis zu drei Texte am Tag, die meisten sind lang und hintergründig.
In einem ehemaligen Bordell unweit des Züricher Hauptbahnhofs arbeitet die
Redaktion. Auf einer Schultafel werden mit Kreide die Texte für die
kommenden Wochen geplant. Die Sektkorken, die zum Start des Magazins
knallten, stehen noch auf einem Wandvorsprung.
Für Republik hat Daniel Binswanger seinen sicheren Job beim Magazin, der
Wochenendbeilage des Tages-Anzeigers, gekündigt. Der Geldsammel-Erfolg des
Projekts hat ihn überrascht, aber er kann ihn sich erklären: „Die Schweizer
haben genug von Zeitungen, die immer dünner werden, die fusioniert werden,
die nur noch Infotainment betreiben. Sie haben genug von der Eintönigkeit
der Presselandschaft, die sich unter anderem in der neuen reaktionären
Linie der Neuen Zürcher Zeitung zeigt.“
## Ohne SRG drohe ein schweizerisches Fox News
Binswanger, die dunklen halblangen Haare wirr durcheinander, spricht
ausschweifend. Er kommt von einem Thema zum nächsten, wirft Stichworte ab,
ist aber gleich schon wieder bei einem anderen Gedanken. Er spricht viel
von Demokratie, von Diskurs, von rechter Propaganda. Binswanger ist eine
linke Stimme in der oft von rechts getriebenen Schweizer Öffentlichkeit.
„In dieser Zeit den öffentlichen Rundfunk abzuschaffen wäre ein Wahnsinn“,
sagt er.
Aber zeigt nicht gerade Republik, dass es möglich ist, Medien über einen
freiwilligen Beitrag zu finanzieren? „Die Pointe ist: Wenn die SRG
abgeschafft würde, dann wären wir finanziert“, sagt Binswanger. „Aber
gerade weil die Schweizer Presselandschaft so viel schlechter geworden ist,
weil viele Redaktionen Kompetenz und Kontinuität in der politischen
Berichterstattung eingebüßt haben, braucht es die SRG mehr denn je. Niemand
erfüllt die gesellschaftliche Funktion der vierten Macht so wesentlich wie
sie.“
Binswanger hat einen viel kommentierten Text geschrieben über den Aufstieg
des konservativen US-Fernsehsenders Fox News, gegründet als Gegenstimme zu
den „linken Mainstreammedien“. Der Sender ist heute die Nummer eins der
amerikanischen Nachrichten-Kabelsender. Fox ist in seiner Geschichte immer
weiter nach rechts gerückt, verbreitet nachweislich Lügen und Propaganda
der Republikaner. Binswangers These: Wenn die SRG wegfällt, dann wäre das
Entstehen eines schweizerischen Fox News unausweichlich.
## Lügen, hetzen, schmähen
Das Personal dafür wäre da. Zuallererst Christoph Blocher, Unternehmer und
SVP-Patriarch. Durch den Kauf eines Chemiekonzerns wurde Blocher in den
1960er Jahren zu einem der reichsten Menschen der Schweiz. Als Präsident
der SVP, Nationalrats- und Bundesratsmitglied trug er in den vergangenen 40
Jahren wesentlich zum Erfolg und Rechtsruck der Partei bei. Blocher habe,
sagt Binswanger, die Medienpolitik zu seiner Priorität gemacht, um seine
„Propagandamacht“ auszubauen.
2010 begann Blocher gemeinsam mit seiner Tochter die Basler Zeitung zu
beraten. Mittlerweile gehört ihm ein Drittel des Verlags. Vergangenen
Sommer kaufte die Basler Zeitung 25 Gratiszeitungen in der Schweiz. Mit
seinen Medien erreicht Blocher nun mehr als 1 Million Leser am Tag.
Und er ist nicht der einzige Rechtspopulist, der sich medial ausbreitet.
2006 kaufte der Schweizer Nationalrat und SVP-Politiker Roger Köppel die
ehemals linksliberale Weltwoche und baute sie zu einem rechten Kampfblatt
um. 2014 versuchten Rechte, den nationalkonservativen Blocher-Kumpel Markus
Somm zum neuen Chef der liberalen Neuen Zürcher Zeitung zu machen.
Redaktion und Verwaltungsrat verhinderten das, doch die rechte
Medienoffensive geht weiter: Zuletzt wollten SVP-nahe Unternehmer die
Blick-Gruppe kaufen, deren Gratis-Boulevardzeitung Blick am Abend das
zweitmeistgelesene Blatt der Schweiz ist.
Blocher und jeder, der Senderechte kaufen würde, könnte bei einem Erfolg
von NoBillag senden, was und wie er wollte: lügen, hetzen, schmähen. Denn
auch das möchte NoBillag: Der Schweizer Verfassungsartikel, der Radio und
Fernsehen verpflichtet, ausgewogen und sachgerecht zu berichten und die
„Vielfalt der Ansichten“ abzubilden, soll gestrichen werden. Das sei ein
„Gummiparagraf“, sagt Kampagneninitiator Florian Maier. Der Paragraf
entwerfe einen Idealzustand, den auch die heutige SRG nicht erfülle. Die
neuen Privatsender, die nach NoBillag entstünden, sollten frei sein in der
Art und Weise, wie sie senden.
## AfD will „Newsroom“ im Bundestag
Daniel Binswanger von Republik sieht genau darin den Hebel, der ein
Hetzmedium wie Fox News möglich machen könnte. Und dann? „Spaltet sich die
Öffentlichkeit“, sagt Binswanger. In den USA könne man beobachten, wie Fox
News dazu geführt habe, dass in der amerikanischen Öffentlichkeit heute
beinahe alles behauptet und alles bestritten werden könne. „Ohne Fox News
wäre Donald Trump wahrscheinlich nie US-Präsident geworden.“
In Deutschland sind die Bedingungen anders. Der entscheidende Unterschied
zur Schweiz ist: Deutschland ist keine direkte Demokratie. Eine
Volksabstimmung über die Rundfunkgebühr wird es hier so schnell nicht
geben. Zumal sie 16 Mal stattfinden müsste, weil Rundfunk Ländersache ist.
Demnächst handeln die Ministerpräsidenten aus, wie hoch die Rundfunkgebühr
ab 2021 sein wird. Kaum ein Politiker traut sich zu sagen: Viel billiger
wird’s nicht. CSU-Chef Horst Seehofer forderte vor eineinhalb Jahren, ARD
und ZDF zusammenzulegen. Und der Medienminister Sachsen-Anhalts, Rainer
Robra von der CDU, sprach sich kürzlich dafür aus, das „Erste“ in seiner
jetzigen Form abzuschaffen und zu einem Regionalsender umzubauen.
Die AfD will im April ein PR-Büro mit Fernsehstudio, das sie selbst
„Newsroom“ nennt, im Bundestag eröffnen. 20 Mitarbeiter sollen von dort
AfD-Positionen verbreiten.
Vielleicht ist die Debatte in der Schweiz doch schon näher, als wir denken.
Mitarbeit: Peter Weissenburger
28 Feb 2018
## AUTOREN
Anne Fromm
## TAGS
Schweiß
Rundfunkgebühren
Tradition
Brauchtum
Lesestück Recherche und Reportage
Schweiz
SVP
Rundfunkgebühren
Schwerpunkt Pressefreiheit
"No Billag"-Initiative
Rundfunk
Schweiß
Maischberger
Medien
Deutschlandradio
Schwerpunkt AfD
Satire
ARD
## ARTIKEL ZUM THEMA
Streit über Rahmenvertrag mit der EU: Schweizer Börse als Geisel
Von der Freizügigkeit bis zum Schutz des Lohnniveaus: Die EU-Kommission
will das Rahmenabkommen mit der Schweiz endlich über die Bühne bringen.
Biografie über Roger Köppel: Der will nicht nur spielen
Roger Köppel ist ein bekannter Kopf der Schweizer Medien: Chefredakteur,
Politiker, Rechtspopulist. Eine neue Biografie beleuchtet seinen Weg.
Öffentlich-Rechtliche in Skandinavien: Schweden schafft Rundfunkgebühr ab
Bisher zahlt nur, wer ein TV-Gerät besitzt. Jetzt soll es eine Steuer
geben. Die Öffentlich-Rechtlichen fürchten um ihre Unabhängigkeit.
Rechtspopulisten bedrohen Pressefreiheit: Das angeblich bessere Früher
In Österreich will ein FPÖ-Politiker dem ORF Auslandskorrespondenten
streichen und Trump fordert eine Journalisten-Kartei.
Rundfunk-Abstimmung in der Schweiz: Weniger Gebühren heißt weniger Jobs
Nach dem Nein zur Abschaffung der Rundfunkgebühren geht die Debatte weiter.
Jetzt streitet man über Sparmaßnahmen und Reformen.
Kommentar „NoBillag“-Abstimmung: Schweizer Fingerzeig für ARD und ZDF
Die Schweizer haben zwar deutlich für die Öffentlich-Rechtlichen gestimmt.
Aber „NoBillag“ hat Probleme aufgezeigt, die auch in Deutschland
existieren.
Nein zu „NoBillag“ in der Schweiz: Sieg der „Zwangsgebühren“
Mit großer Mehrheit hat die Schweiz für den Erhalt des
öffentlich-rechtlichen Rundfunks gestimmt. Die NoBillag-Initiative sieht
sich dennoch erfolgreich.
Talkshow über ARD und ZDF: Monologe bei Maischberger
Die Maischberger-Debatte über ARD und ZDF bildet gut ab, wie
widersprüchlich die Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk oft ist.
Abstimmung über Rundfunkgebühren: Angriff auf die Schweizer ARD
Marktradikale und Rechtspopulisten fordern ein Verbot von „Zwangsgebühren“
zur Finanzierung von öffentlich-rechtlichen Medien.
Neue Abendsendung bei DLF Nova: Radio-Talk wie ein WG-Gespräch
Mit dem „Nova Club“ will der Deutschlandfunk mehr Information für junge
Erwachsene liefern. Dafür wird bei der Musik gespart.
Hass-Kommentare in Online-Netzwerken: Strategie einer rechten Minderheit
Nur fünf Prozent der Accounts sind für die Hälfte aller Hassposts auf
Facebook verantwortlich. Es sind AfD-Anhänger und Identitäre, die gemeinsam
vorgehen.
Medienwissenschaftler über Satire: „Eine politische Einstiegsdroge“
Dennis Lichtenstein und Cordula Nitsch haben den politischen Inhalt von
Satire-Sendungen verglichen. Bürger wollen Politik unterhaltsam
konsumieren, sagt er.
Medien im Jahr 2018: Da kommt was auf uns zu
2018 wird ein wichtiges Jahr für viele Medien. Diese vier Fragen werden
Verlage und Sender in diesem Jahr beschäftigen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.