# taz.de -- Rechte Prepper-Gruppe Nordkreuz: Die Spur nach Güstrow | |
> Ein SEK-Polizist ist für seine rechte Gesinnung bekannt. Warum konnte er | |
> massenhaft Munition horten? | |
Bild: Auch Spezialeinheiten aus den USA sind regelmäßig auf dem Schießplatz … | |
Im November 2016 chatten zwei Männer in Mecklenburg-Vorpommern. Der eine | |
schickt ein Video, darin ein Nussknacker, der seinen Arm nach oben bewegt | |
und „Sieg Heil“ sagt. Im Januar darauf schickt der andere Regeln zur | |
„Reinhaltung der Deutschen Rasse“ von 1938. Am 20. April 2017, dem | |
Geburtstag von Adolf Hitler, dann die Nachricht: „Happy Birthday“. | |
Der eine Mann ist Polizist, ein Präzisionsschütze. | |
Der andere Trainer auf einem privaten Schießplatz, auf dem Spezialkräfte | |
ausgebildet werden. | |
Als sie sich diese Nachrichten schreiben, sind sie Mitglieder einer Gruppe, | |
die im Spätsommer 2017 als Nordkreuz bekannt wurde: Darin vernetzten sich | |
Männer und wenige Frauen, um sich auf einen „Tag X“ vorzubereiten – | |
sogenannte Prepper. Sie wollen gewappnet sein für Naturkatastrophen, für | |
Stromausfälle oder, so schildern es ehemalige Mitglieder, wenn zu viele | |
Geflüchtete kommen. Nordkreuz ist Teil des rechten [1][Hannibal-Netzwerks] | |
in Sicherheitsbehörden, das die taz aufgedeckt hat. | |
Der Polizist heißt Marko G. Beamte des Bundeskriminalamtes hatten Ende | |
August 2017 seine Wohnung, sein Grundstück und sein Auto durchsucht, weil | |
sie wissen wollten, ob manche in dieser [2][Nordkreuz-Gruppe einen | |
rechtsextremen Terroranschlag planen], Menschen umzubringen am Tag X etwa. | |
Das wirft die Bundesanwaltschaft einem Anwalt und einem Kriminalpolizisten | |
vor, die Ermittlungen dauern noch an. Sicher ist: Die beiden hatten Ordner | |
angelegt, in denen sie persönliche Daten von Politikern, Aktivisten und | |
ehrenamtlich Engagierten gesammelt und dafür auch den Polizeicomputer | |
genutzt hatten. | |
In diesem Verfahren gilt Marko G. als Zeuge. Unter dem Pseudonym „Hombre“ | |
war er der Administrator von Chatgruppen, in denen sich die | |
Nordkreuz-Mitglieder vernetzten, er organisierte Treffen, sammelte Geld, um | |
Depots mit Nahrungsmitteln, Treibstoff und Munition anzulegen. Einer aus | |
der Gruppe sollte Leichensäcke organisieren. Laut Bundesregierung | |
manifestiere sich bei dem harten Kern dieser Gruppe, dazu zählt auch Marko | |
G., „eine gefestigte rechtsextremistische Einstellung“. | |
Als die Ermittler damals zu Marko G. ins Haus kommen, finden sie: mehr als | |
zwei Dutzend Waffen und sehr viel Munition. Darunter diverse Sportwaffen, | |
eine Glock, eine Ruger, Blendgranaten, Schießpulver. Bei einer späteren | |
Durchsuchung kommen unter anderem Telekopschlagstöcke und ein zur Fahndung | |
ausgeschriebenes Winchester-Gewehr dazu. Insgesamt finden sie rund 55.000 | |
Schuss Munition. Davon ein wesentlicher Teil aus Polizei- und | |
Bundeswehrbeständen. | |
Dass Marko G. im Keller seiner Schwiegereltern auch noch eine | |
Uzi-Maschinenpistole, eine Kriegswaffe, liegen hat, erzählt er den | |
Ermittlern genauso wenig wie von der Kriegswaffenmunition in seinem | |
Bungalow. Die Uzi war 1993 bei der Bundeswehr in Brandenburg gestohlen | |
worden. Die Ermittler finden sie erst im Sommer 2019. | |
Es ist der 12. Dezember 2019, Marko G. sitzt im Gerichtssaal des Schweriner | |
Landgerichts, als ein Analyst aus den Chats zitiert, um dessen Gesinnung zu | |
beschreiben. Der Polizist, 49 Jahre alt, ist inzwischen angeklagt, weil er | |
einige der Waffen und Kriegswaffenmunition nicht besitzen durfte. Er wird | |
verurteilt: [3][21 Monate auf Bewährung]. Es geht also nicht um | |
Rechtsextremismus, nicht um Terror, sondern um Verstöße gegen das | |
Waffengesetz und das Kriegswaffenkontrollgesetz. | |
Der Richter betont, dass die Beurteilung der politischen Gesinnung nicht | |
seine Aufgabe sei. Aber wessen dann? | |
Die Durchsuchungen bei Nordkreuz-Mitgliedern vor über zwei Jahren markieren | |
den Beginn unserer Recherche. Wir fragen uns, wie ernstzunehmend die | |
Tötungsfantasien dieser Prepper sind. Wie gefährlich ist es, wenn unter | |
vielen demokratischen Polizisten auch einige rechtsextreme sind? Was | |
passiert, wenn sich all diese Menschen bestens vernetzen können, weil sie | |
sich aus der Bundeswehr, dem Schützenverein, dem Internet gut kennen? | |
Es gibt einen Mann, den diese Fragen besonders beschäftigen müsste. Lorenz | |
Caffier von der CDU, seit 13 Jahren Innenminister von | |
Mecklenburg-Vorpommern. Ihm ist die Polizei unterstellt, der | |
Verfassungsschutz, er ist sogar Mitglied im Reservistenverband, in dem auch | |
Marko G. und andere Nordkreuz-Männer aktiv waren. Wir haben ihn schon vor | |
zwei Jahren vergeblich um ein Hintergrundgespräch gebeten. Als wir im | |
Februar erneut anfragen, verschiebt die Sprecherin das Gespräch auf ein | |
unbestimmtes „Später“. | |
Also bitten wir andernorts um Antworten. Aus dem schriftlichen Urteil gegen | |
Marko G. geht hervor, dass Munition, die bei ihm gefunden wurde, von der | |
Polizei aus mindestens sieben Bundesländern stammt, dazu von der | |
Bundespolizei, der Bundeswehr und dem Zoll. Wir fragen bei den | |
entsprechenden Ministerien nach, ob es Nachforschungen gibt, ob und wie die | |
Behördenmunition nach Mecklenburg-Vorpommern gelangt ist. Die Antwort | |
meist: Das seien Ermittlungen, die die Staatsanwaltschaft in Schwerin | |
führe. | |
Dort erfahren wir: Es laufen offiziell zwar noch Ermittlungen wegen | |
Diebstahls oder Unterschlagung, gegen drei ehemalige SEK-Kollegen von Marko | |
G.. Sie sollen seit mindestens 2012 Munition aus Behördenbeständen | |
gestohlen haben. Gegen Marko G. wurde der Vorwurf nicht weiterverfolgt, | |
weil das neben den anderen Taten für das Strafmaß keine entscheidende Rolle | |
gespielt hätte. Das Landgericht Schwerin schreibt im Urteil, es habe nicht | |
feststellen können, „wie der Angeklagte an einzelne Munitionspositionen | |
gelangt ist“. | |
In Justizkreisen heißt es: Es sei zu aufwendig, die Wege der Munition | |
nachzuverfolgen. | |
Ist Marko G. durch Deutschland gefahren, um sich die Munition zu besorgen? | |
Oder hatte er Verbindungen zu Kollegen in anderen Bundesländern, die ihm | |
die Munition verschafften? | |
Unsere Recherchen legen etwas anderes nahe. Sie führen uns zu einem | |
Schießplatz in Güstrow, dessen Personal enge Verbindungen zu Nordkreuz hat. | |
Und wir erfahren, dass es Gründe gibt, warum die Polizei in | |
Mecklenburg-Vorpommern sich nicht so gerne damit beschäftigt. Diese Gründe | |
reichen bis an die Spitze, zum Innenminister. | |
## Die SEK-Kommission | |
Im Juni 2019 kam Marko G. in Untersuchungshaft. Er wurde nun wegen seines | |
Waffenarsenals und der vielen Munition beschuldigt, das führte später zu | |
dem Prozess und zu der Bewährungsstrafe. | |
Lorenz Caffier sagte damals über ihn und die drei anderen Polizisten, gegen | |
die noch ermittelt wird: „Ich bin über das, was als Vorwurf im Raum steht, | |
zutiefst erschüttert.“ Er werde „eine strukturelle und personelle | |
Überprüfung dieser Diensteinheit veranlassen, um jeglichen Anschein und | |
Unterstellungen einer Verstrickung auszuräumen“. Caffier beruft [4][eine | |
Kommission, die die Vorgänge im SEK untersuchen soll]. | |
Mehrere Monate lang reisen ein ehemaliger Chef des Bundesamtes für | |
Verfassungsschutz, einer des Hamburger Landesverfassungsschutzes und ein | |
früherer Bundespolizeichef durch Mecklenburg-Vorpommern. Sie suchen nicht | |
nach Gesetzesverstößen, sondern nach Erklärungen. Polizisten sind Teil der | |
Exekutive, der ausführenden Gewalt, es ist ihre Aufgabe, den demokratischen | |
Rechtsstaat zu verteidigen. Wie kommt es, dass ausgerechnet sie | |
rechtsradikales Gedankengut in sich tragen? | |
Der Kommissionsbericht fällt hart aus. Er beschreibt, wie rechtsextreme | |
Polizisten die Meinungsführerschaft innerhalb einer SEK-Einheit übernehmen | |
konnten und ihre Vorgesetzten nichts dagegen unternahmen. Daraus ließe sich | |
viel lernen, doch die 100 Seiten sind geheim. Einsehen können sie nur | |
wenige, darüber reden dürfen sie nicht. Nur eine achtseitige | |
Zusammenfassung hat das Innenministerium veröffentlicht. Also recherchieren | |
wir der Kommission hinterher, sprechen mit vielen Personen, die mit der | |
Sache beschäftigt waren. | |
Daraus ergibt sich: Marko G. fiel bereits früh rechtsextrem auf. Im | |
Innenausschuss des Landtages erfahren die Abgeordneten beispielsweise von | |
Büchern über die Wehrmacht und die SS, die Marko G. zur Arbeit mitbrachte. | |
Sie hören, von T-Shirts mit einem Spruch, der „eindeutig sei“. Die | |
Kommission schildert auch, dass sich mindestens zwei Polizisten mündlich | |
und schriftlich an Vorgesetzte wandten und Marko G. als „rechts verankert“ | |
beschrieben. Die Vorgesetzten unternahmen nichts. Das war 2009, Marko G. | |
wurde damals für den gehobenen Dienst fortgebildet. | |
Sogar in der alten Bundeswehrakte von Marko G. stoßen die | |
Kommissionsmitglieder auf Auffälligkeiten: Sein „Interesse für die jüngere | |
Militärgeschichte“ sei darin explizit vermerkt. | |
Und noch etwas fällt der Kommission auf. Marko G. sei 1993 als | |
Bundeswehrsoldat ausgerechnet bei der Einheit in einem Brandenburger | |
Panzerbataillon eingesetzt gewesen, bei der jene Uzi verschwand, die 2019 | |
in Marko G.s Arbeitszimmer wieder auftaucht. Das erklärte die Kommission in | |
einer Ausschusssitzung. | |
Vor Gericht hatte Marko G. gesagt, er habe die Uzi auf einem Parkplatz vor | |
einer Waffenmesse in Kassel gekauft. Das Gericht übernimmt diese Aussage in | |
seinem Urteil als Faktum. Bislang hat kein Ermittler beim Veranstalter der | |
Waffenmesse nachgefragt. | |
Bereits Ende 2016 hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz die Männer in | |
Mecklenburg-Vorpommern mit ihren Gedankenspielen zum Tag X beobachtet. Mit | |
„erheblichen“ nachrichtendienstlichen Mitteln, so nannte es ein leitender | |
Verfassungsschutzmitarbeiter im Innenausschuss des Bundestages. Mindestens | |
ein Mal informierte die Bundesbehörde das Landesamt für Verfassungsschutz | |
über Nordkreuz. Trotzdem erfährt die SEK-Kommission: Das Landesamt verfügt | |
über so gut wie keine eigenen Erkenntnisse. | |
Der Innenminister hat auf den Bericht der Kommission reagiert. Unter | |
anderem soll das SEK künftig nicht mehr dem LKA unterstellt sein, sondern | |
der Bereitschaftspolizei. Auch zwei Führungspersonen wurden versetzt. Der | |
LKA-Chef beispielsweise. Er arbeitet nun beim Verfassungsschutz des Landes | |
– im Fachbereich Rechtsextremismus. | |
## Der Schießplatz in Güstrow | |
Einmal im Jahr trafen sich 70 Kilometer von Schwerin entfernt auf einem | |
Schießplatz Spezialkräfte aus ganz Deutschland und darüber hinaus. | |
Sondereinsatzkommandos, Bereitschaftspolizeieinheiten, GSG-9-Teams, EKO | |
Cobra aus Österreich, SWAT-Teams aus den USA, KSK-Soldaten, kurzum: | |
Einheiten mit besonderen Schießfähigkeiten. Die lernen sie von einem Mann | |
mit erstaunlicher Geschichte: Frank T., mehrfacher deutscher Meister mit | |
der Kurzwaffe. | |
Wo man sich in der Sicherheitsbranche auch umhört, T. gilt als einer der | |
größten Könner. Bei seiner Firma Baltic Shooters in Güstrow können | |
Fachkräfte üben, was so nur an wenigen Orten in Deutschland geht: Schießen | |
aus der Bewegung, auf lange Distanz, aus dem Auto heraus. Und weil nur die | |
besten Berufsschützen zu Frank T. kommen, zieht er die großen | |
Rüstungsfirmen an: Heckler & Koch, Rheinmetall, Schmeisser Waffen, Sig | |
Sauer, Ruag, MEN. | |
„Special Forces Workshop“ heißt die renommierteste Veranstaltung, sie fand | |
jedes Jahr drei Tage lang im Sommer statt. Mitveranstalter war bis 2018 das | |
Landeskriminalamt, Marko G.s früherer Arbeitgeber. Innenminister Lorenz | |
Caffier war Schirmherr und schaute meist auch selbst vorbei. | |
Als die Nordkreuz-Ermittlungen 2017 bekannt werden, sind sie kein Grund für | |
das Innenministerium, die Kooperation einzustellen. Dabei ist schnell klar, | |
dass auch Frank T. Mitglied der Nordkreuz-Gruppe war. Das hatte ein Zeuge | |
dem BKA gesagt, wir haben später in der taz darüber geschrieben. | |
Eher als andere war Frank T. aus der Nordkreuz-Gruppe ausgetreten, ihr aber | |
als Unterstützer verbunden geblieben. Nordkreuz-Mitglieder kauften bei ihm | |
Waffen und Munition, sie gingen bei ihm schießen. Mehr noch: Auch andere | |
frühere Nordkreuz-Mitglieder arbeiten für Frank T. als Trainer, so auch der | |
Mann, dem Marko G. an Hitlers Geburtstag „Happy Birthday“ schickte. Sogar | |
Marko G. selbst war in Güstrow Trainer für zivilen Schießsport. | |
Erst nach den erneuten Durchsuchungen im Sommer 2019, als Ermittler auch | |
bei Frank T.s Schießstand auftauchen, beendete das Land die Nutzung der | |
Anlage. | |
Aber wie kann es sein, dass die wichtigsten Schießtrainings bei Zivilisten | |
stattfanden? | |
Kurz gesagt: Es gab den Bedarf und es gab das Angebot. Auf Details wurde | |
offenbar nicht geachtet. Die SEK-Kommission rügt in ihrem Bericht die enge | |
Zusammenarbeit des LKA mit dem Betreiber des Schießplatzes. | |
Vergaberechtliche Vorgaben seien nicht beachtet worden und waffenrechtliche | |
Besonderheiten nicht genügend berücksichtigt. Und weiter: „Ein besonderes | |
Problem sieht die Kommission darin, dass einem privaten Betreiber | |
ermöglicht wurde, genaue Einblicke in polizeiliche Interna zu erlangen.“ | |
Und es gab wohl noch ein anderes Problem. Der Schießplatz in Güstrow ist | |
ein Ort, an dem sich Marko G. sehr gut seine Munition besorgt haben könnte. | |
Wir haben in Innenministerien, beim Zoll und der Bundeswehr nachgefragt, | |
wie der Munitionsgebrauch bei Übungen nachvollzogen wird, um mögliche | |
Verluste zu bemerken. Man teilt uns mit, das werde dokumentiert. Als wir | |
bei Munitionsherstellern anrufen, erfahren wir: Detailliert lässt sich | |
Munition oft gar nicht verfolgen. | |
Ein Beispiel: Die Ermittler finden bei Marko G. 12 Kartons à 10 Patronen | |
„Remington Sniperline“, Kaliber 223 von MEN. Sie sind mit einer Losnummer | |
markiert, mit der Hersteller nachvollziehen können, an wen sie verkauft | |
wurde. Das Problem allerdings: Losnummern identifizieren nicht einzelne | |
Patronen, sondern nur eine Produktionscharge, also beispielsweise Patronen | |
eines Typs, die in einem Durchlauf gefertigt wurden. | |
Die Ermittler finden so heraus, an wen die Munition ging, von der sie 120 | |
Patronen später bei Marko G. fanden: 5.270 Stück gingen an Workshops des | |
Munitionsherstellers MEN, 1.000 Stück an die Polizei im niederländischen | |
Apeldoorn, 90 Stück an Polizeispezialeinheiten in Nordbayern, 3.000 Stück | |
an das Polizeipräsidium Frankfurt. In diesem Fall erscheint es in der Tat | |
schwierig, nachzuverfolgen, woher die Patronen bei Marko G. ursprünglich | |
stammten. | |
Bei anderen ist das einfacher. Tausende der bei Marko G. gefundenen | |
Patronen sind der Firma Baltic Shooters oder Frank T. zuzuordnen. Auf | |
manchen Kisten steht sogar sein Name. Andere gingen an das SEK | |
Mecklenburg-Vorpommern, das jahrelang auf dem Schießplatz trainierte, an | |
das LKA oder an die Polizeiverwaltung. Diese Munition kann Marko G. auf dem | |
Platz entwendet oder von jemandem bekommen haben. | |
Wieder andere Chargen, von denen Patronen bei Marko G. sichergestellt | |
wurden, gingen bundesweit an Polizeidienststellen. Es wäre nun denkbar, | |
dass Marko G. durch Deutschland fuhr, um sie zu klauen. Er könnte auch | |
Komplizen gehabt haben, die ihm Munition besorgten. Oder er hat vom | |
Umschlagplatz Güstrow profitiert. | |
So wurden bei Marko G. 356 Patronen einer Charge gefunden, die 2009 und | |
2010 unter anderem an Schleswig-Holstein und die Polizei Berlin geliefert | |
wurden. Aus beiden Ländern waren in den Folgejahren Teams in Güstrow. | |
Oder 102 Patronen, die im Mai 2018 an das Polizeiverwaltungsamt Sachsen | |
geliefert wurden. Im Juli 2018 nahmen sächsische Polizisten am Workshop | |
teil. | |
Mehr als 1.900 Patronen stammen aus NRW. Mitglieder mehrerer | |
Spezialeinheiten von dort waren immer wieder in Güstrow. | |
In fast allen Fällen lassen sich unter den Munitionsempfängern | |
Polizeibehörden finden, deren Beamte in Güstrow waren. Auch mehrere | |
Munitionshersteller – darunter Ruag und MEN – brachten Patronen zum | |
Workshop mit. | |
Eine Person, die vor einigen Jahren am „Special Forces Workshop“ | |
teilgenommen hat, schildert uns: „Die Munition stand offen rum, man konnte | |
sich Patronen nehmen und ballern.“ Es sei nichts aufgeschrieben worden und | |
es habe auch keine Kontrollen gegeben. „Ich hätte sogar eine Pumpgun | |
einstecken können und rauslaufen.“ | |
Wir haben das Innenministerium Schleswig-Holstein gefragt, ob derartige | |
Schilderungen zutreffen. Dort erklärt man uns, der Verbrauch der Munition | |
sei vor Ort vermerkt worden. Das widerspricht der Darstellung des | |
Teilnehmers. | |
Frank T. antwortet nicht auf eine taz-Anfrage. Der Munitionshersteller Ruag | |
Ammotec teilt mit, an Teilnehmer sei nur „Munition in geringer Stückzahl“ | |
abgegeben worden und im Anschluss an die Veranstaltungen habe man „keine | |
Fehlbestände beim Material festgestellt“. MEN wollte sich nicht äußern. Die | |
Sprecherin des Innenministers in Schwerin schreibt uns knapp, es habe keine | |
Personen- oder Gepäckkontrollen durch das Landeskriminalamt gegeben. | |
Ob es zutrifft, dass Lorenz Caffier als Schirmherr auf den Güstrower | |
Schießstand kam und sich auch von Frank T. an der Waffe ausbilden ließ, | |
lässt sie hingegen unbeantwortet. Genauso wie die Frage, ob das | |
Innenministerium eine Sicherheitsüberprüfung von Frank T. und seinen | |
Mitarbeitern durchgeführt hatte, bevor sie Zugang bekamen zum sensibelsten | |
Wissen, über das eine Polizei verfügt. | |
Stattdessen heißt es in der Antwort: „Mit der Genehmigung zum Betreiben | |
eines Schießstandes oder der Gewerbeanmeldung für ein Einzelunternehmen | |
wie,Baltic Shootersʻ sind gewerberechtliche und waffenrechtliche Auflagen | |
zu erfüllen, deren Einhaltung durch die zuständigen Ämter (Gewerbeamt, | |
Untere Waffenbehörde etc.) überprüft bzw. kontrolliert werden.“ | |
Kurzgefasst: Irgendeine Behörde wird das schon gemacht haben. | |
In einer dieser Waffenbehörden arbeitet ein Mann, der als Zeuge vor Gericht | |
gegen Marko G. aussagte. Gemeinsam mit einem Kollegen ist er für einen | |
ganzen Landkreis zuständig. Er hat Marko G. die Waffenbesitzkarten | |
ausgestellt, den Munitionserwerbsschein, er bestätigt, dass G. selbst als | |
Sachverständiger registriert ist. Manchmal, erklärt er vor Gericht, habe er | |
sich bei ihm Rat geholt. Die beiden duzen sich. Was der Behördenmitarbeiter | |
nicht sagt: Auch er war Mitglied im Reservistenverband, wie so viele aus | |
dem engeren Kreis von Nordkreuz. Auch er ging gerne schießen. | |
Nach der ersten Durchsuchung nimmt er Marko G.s Waffen und Munition mit. | |
Später entzieht er ihm alle Berechtigungen. Und Marko G. durfte bestimmen, | |
was mit den legalen Waffen und der Munition passiert: Sechs Waffen und | |
Munition wurden laut der Behörde an einen Waffenhändler übergeben. | |
„Welcher Waffenhändler war das, an den die Gegenstände ausgehändigt | |
wurden?“, fragt die Staatsanwältin. | |
„Das ist ein Waffenhändler in Güstrow“. Der Beamte der Waffenbehörde | |
blättert in dem Ordner, der vor ihm auf dem Tisch liegt. | |
Staatsanwältin: „Ich helfe ihnen auf die Sprünge. Könnte es Herr T. sein? | |
Behördenmitarbeiter: Ja. | |
Den Angaben der Behörde zufolge wurden nicht alle der sichergestellten | |
Patronen an den Eigentümer der Firma Baltic Shooter übergeben, unklar ist, | |
wie viele es waren und welche. | |
Weil er keinen Platz mehr gehabt habe, sagt der Behördenmitarbeiter vor | |
Gericht, habe Frank T. die Waffen später der Behörde zurückgegeben. Und | |
beiläufig berichtet er dann noch vom Verbleib von Patronen, deren Weg zu | |
Marko G. wohl nie mehr offiziell geklärt werden wird. Er sagt: „Die | |
Munition wurde verschossen.“ | |
4 Apr 2020 | |
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