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# taz.de -- Neue Methoden zur Genmanipulation: Einfach, schnell und nicht teuer
> Mit CRISPR soll das Verändern eines Gens so einfach werden wie das
> Editieren eines Textes. Wie die Methode funktioniert und was das Problem
> ist.
Bild: Emmanuelle Charpentier hat bei der Entwicklung von CRISPR mitgewirkt
Berlin taz | Die Superlative haben Inflation: Eine „Revolution für die
Biowissenschaften“ – „das erfolgreichste Verfahren der Molekularbiologie
der vergangenen 10 oder gar 20 Jahren“ – „Die größte Erfindung seit
Klonschaf Dolly.“
Die Rede ist von CRISPR, einem neuen Verfahren, mit dem Manipulationen im
Erbmaterial von Lebewesen vorgenommen werden können, so gezielt und präzise
wie niemals zuvor. Selbst Eingriffe, gentherapeutische Verfahren etwa, die
bisher aufgrund fehlender molekularbiologischer Werkzeuge praktisch nicht
durchführbar waren, sollen mit der neuen Wunderwaffe CRISPR jetzt möglich
werden. Sogar die Veränderung der menschlichen Keimbahn, also von
Fortpflanzungszellen, wird jetzt möglich. Bisher wurde dies aus ethischen
Gründen abgelehnt.
CRISPR – ausgesprochen: Crisper – ist ein Akronym und steht für Clustered
Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats. Damit werden kurze
RNA-Abschnitte bezeichnet, mit der zielgenau bestimmte Stellen im Genom
aufgefunden werden können. RNA, also Ribonukleinsäure, ist chemisch ähnlich
wie die DNA aufgebaut und auch ein Informationsträger.
Die Bausteine der RNA müssen wie Schlüssel und Schloss mit der Basenabfolge
der DNA zusammenpassen, die verändert werden soll. Gekoppelt an dieses
Ortungssystem ist eine Gen-Schere, ein Enzym namens Cas9, das genau an
dieser Bindungsstelle die doppelsträngige DNA durchschneidet. Das in den
Zellen vorhandene Repairsystem schweißt dann die zerschnittene DNA wieder
zusammen.
Bei diesem Prozess können Veränderungen in der Basenabfolge der DNA
vorgenommen werden. Es können Gensequenzen entfernt oder neue Gene
hinzugefügt, einzelne Bausteine ausgetauscht oder herausgeschnitten werden.
Die Möglichkeiten sind fast unbegrenzt.
Entdeckt wurde das CRISPR-System vor rund zehn Jahren. Forscher fanden
heraus, dass Bakterien ein Abwehrsystem gegen Viren besitzen. Dringt ein
Virus in ein Bakterium ein, bekommt das CRISPR-System die Erbinformation
des Eindringlings als Zielkoordinate. CRISPR erkennt die DNA des Virus und
die Gen-Schere vernichtet den Eindringling.
Die beiden Wissenschaftlerinnen [1][Jennifer Doudna] von der Universität in
Berkeley und [2][Emmanuelle Charpentier], derzeit Professorin am Berliner
[3][Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie], entwickelten dann vor vier
Jahren das CRISPR-System zu einem vielseitigen Werkzeug für die
Molekularbiologie.
## Schon 3.000 Publikationen
Um einen beliebigen Genort ausfindig zu machen, muss nur der kurze
RNA-Abschnitt von CRISPR mit den entsprechenden RNA-Bausteinen ausgestattet
werden. Dies geschieht außerhalb der Zelle im Reagenzglas. Das
CRISPR-System wird dann in die Zelle eingebracht, wo es die DNA umschreibt.
Im August 2012 veröffentlichten Doudna und Charpentier, damals noch als
Wissenschaftlerin an der schwedischen [4][Universität Umeå], sowie mehrere
KollegInnen ihre bahnbrechenden Erkenntnisse im Wissenschaftsmagazin
[5][Science.] Seitdem schnellte die Anzahl der Publikationen über CRISPR
nach oben. Rund 3.000 Arbeiten sind mittlerweile veröffentlicht worden. Es
gibt wohl kaum ein Gentech-Labor, in dem nicht das CRISPR-Verfahren
eingesetzt wird.
Schneller, sehr viel billiger und sehr leicht handhabbar: Das sind nur
einige der Vorteile, die CRISPR gegenüber den herkömmlichen
Genmanipulationsverfahren hat. Für Charpentier ist das auch eine
Demokratisierung der Forschung. Denn jeder Doktorand kann sie schnell
erlernen und einsetzen.
Ein wichtiger Vorteil der Methode ist auch, dass mit CRISPR gleichzeitig
eine größere Anzahl von Genabschnitten verändert werden kann. Auch müssen
nicht noch zusätzliche Genabschnitte mit eingeführt werden.
## Heimliche Manipulationen werden möglich
Eine Pflanze, die mit herkömmlichen gentechnischen Methoden
widerstandsfähig gegen ein Herbizid gemacht wurde, besaß bisher neben dem
Resistenzgen noch ein zusätzliches Regulator-Gen und auch Sequenzen, die
für die Transformation notwendig sind. Deshalb enthielten diese transgenen
Pflanzen oftmals Gensequenzen von drei oder mehr unterschiedlichen
Organismen. Bei CRISPR ist das zumeist nicht notwendig.
In diesem Vorteil der neuen Methode steckt jedoch auch eine Gefahr: Werden
nur einzelne Bausteine ausgetauscht, ist hinterher nicht mehr erkennbar,
dass überhaupt eine gesteuerte Genveränderung durchgeführt worden ist. Die
Veränderung ist von einer natürlich vorkommenden Genmutation nicht mehr zu
unterscheiden. Zudem birgt der leichte und günstige Zugang zu CRISPR auch
die Gefahr, dass in nicht kontrollierten oder gar geheimen Laboren
unerwünschte Gentech-Organismen geschaffen und auf die Menschheit
losgelassen werden.
Die Wissenschaftswelt spricht bei CRISPR tatsächlich nicht mehr von einer
Genmanipulation oder gentechnischen Veränderung. Die neue Bezeichnung ist
„Genom Editing“.
Damit wird die Vorstellung vermittelt, dass der Eingriff so einfach
durchgeführt werden kann wie das Redigieren eines Textes am Computer. Mit
der Gentechnik, die vor allem bei Pflanzen und Lebensmitteln auf große
Akzeptanzprobleme stößt, soll das dann nichts mehr zu tun haben.
## Hintertür für Gentechnik
Das hat Folgen: Das [6][US-Biotechunternehmen Cibus] hat mit einem
Vorläuferverfahren von CRISPR, das auch als Genom Editing eingestuft wird,
Rapspflanzen widerstandsfähig gegen das Herbizid Glyphosat gemacht. In
mehreren EU-Staaten, unter anderem Schweden, sind Freilandversuche
durchgeführt worden. Ein Genehmigungsverfahren musste die Methode nicht
durchlaufen.
Auch in Deutschland sollte der Cibus-Raps angebaut werden. Das zuständige
[7][Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL)] gab
schon [8][sein Okay], da es sich nach ihrer Einschätzung nicht um
gentechnisch veränderte Pflanzen handelt.
Gentech-Kritiker und Bio-Verbände befürchten, dass damit die Gentechnik
durch die Hintertür kommt, denn derartige Produkte müssten auch nicht
gekennzeichnet werden. Jetzt soll auf EU-Ebene entschieden werden, ob mit
Genom Editing veränderte Pflanzen unter die Gentechnik-Regeln fallen
sollen.
27 Mar 2016
## LINKS
[1] http://rna.berkeley.edu/people.html
[2] https://www.helmholtz-hzi.de/de/forschung/forschungsschwerpunkte/bakteriell…
[3] http://www.mpiib-berlin.mpg.de/
[4] http://www.mims.umu.se/groups/emmanuelle-charpentier.html
[5] http://science.sciencemag.org/content/337/6096/816
[6] http://cibus.com/
[7] http://www.bvl.bund.de/DE/Home/homepage_node.html
[8] http://www.bvl.bund.de/DE/06_Gentechnik/04_Fachmeldungen/2015/2015_06_03_Fa…
## AUTOREN
Wolfgang Löhr
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