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# taz.de -- Ökoforscher über neue Gentech-Methode: „CRISPR hat großes Pote…
> Urs Niggli ist der wichtigste Wissenschaftler der Bioszene, die jede
> Genmanipulation ablehnt. Nun macht er seine innere Wende öffentlich.
Bild: Auch die Weinbauern könnten von den neuen Gentech-Methoden profitieren, …
taz: Herr Niggli, Sie haben jahrzehntelang gegen die Gentechnik in der
Landwirtschaft gekämpft. Jetzt kann man mit der neuen Gentechmethode
„CRISPR/Cas“ Pflanzen und andere Lebewesen viel einfacher und genauer
manipulieren als mit den bisherigen Verfahren. Müssen Sie Ihre Haltung zur
Gentechnik ändern?
Urs Niggli: CRISPR/Cas hat großes Potenzial. Sie hat aber wie jede
Technologie auch Risiken und kann falsch verwendet werden. Das sollte man
für jede Anwendung einzeln bewerten, statt diese Technik generell
abzulehnen. Ich weiß jetzt schon Anwendungen, die Sinn machen. Man muss
schauen, wie die Risiken im Vergleich zu denen anderer Lösungen für die
Probleme sind, bei denen man sie einsetzen will.
Welche Anwendungen wären denn sinnvoll?
Man kann zum Beispiel Gene für Krankheitsanfälligkeit ausschalten oder
Resistenzgene aus der verwandten Wildpflanze wieder in moderne Sorten
einführen. Das sind Eigenschaften, die zum großen Teil durch die Züchtung
auf Ertrag oder Qualität in den letzten hundert Jahren verloren gegangen
sind. Da könnte man tatsächlich in großem Maßstab Pestizide einsparen.
Pflanzen, die sich besser gegen Krankheitserreger wehren – das wäre doch
auch etwas für die Ökolandwirtschaft, oder?
Ja, im Biolandbau ist zum Beispiel die Pilzkrankheit Falscher Mehltau ein
ungelöstes Problem. Sie reduziert bei der Kartoffel, der Weinrebe, bei
vielen Gemüsen oder beim Hopfen die Erträge und erhöht die Kosten. Wenn wir
Ökobier trinken, dann wurde der Hopfen mit einem kupferhaltigen Pestizid
behandelt. Das Ende der EU-Zulassung für Kupfer ist aber absehbar, weil es
ein Schwermetall ist, das im Boden nicht abgebaut wird, und weil es dort
Bakterien und Pilze hemmen kann. Wir arbeiten am Forschungsinstitut für
biologischen Landbau an Pflanzenextrakten, um Kupfer zu ersetzen, doch es
ist noch ein langer Weg bis zur Vermarktung.
Die Bioverbände lehnen CRISPR/Cas ab. Was sagen Sie zu deren Argument, man
könnte durch traditionelle Kreuzung krankheitsresistente Sorten züchten?
Das würde vermutlich 30, 40 Jahre Züchtungsarbeit und große Geldmittel
voraussetzen. Ich bezweifle, dass die Gesellschaft bereit ist, das zu
finanzieren. Es dauert in der Regel 20 Jahre, eine Apfelsorte zu züchten,
die gegen die Schorfkrankheit resistent ist. Oft verändert sich der Erreger
dann schon nach 5 Jahren so, dass er die Früchte doch wieder schädigen
kann.
Empfehlen Sie der Ökobranche, CRISPR/Cas zu akzeptieren?
Die Biobauern entscheiden das selber, und es überwiegt eine ablehnende
Skepsis. Für den Ökolandbau sind nicht nur technische Überlegungen
relevant, es geht auch um die Natürlichkeit und die Authentizität der
Lebensmittel. Da könnte CRISPR/Cas bereits ein Schritt zu viel sein.
Welche Folgen hätte es, wenn die Branche bei ihrer Ablehnung von
CRISPR/Cas-Pflanzen bleibt?
Ich gehe davon aus, dass die Biobranche konsequent bleibt, die Technik
grundsätzlich ablehnen und keiner Fall-zu-Fall-Beurteilung jeder einzelnen
Anwendung zustimmen wird. Das bedeutet, dass die Ökoszene ihre
Anstrengungen für die eigene Züchtung vervielfachen muss. Es wäre unschön,
wenn der konventionelle Bauer eine Kartoffelsorte hätte, die ohne Pestizide
auskommt – und der Biobauer eine Kartoffelsorte, die er mit Kupfer spritzen
muss.
Die alte Gentechnik wird vor allem dazu genutzt, Pflanzen resistent gegen
chemische Pestizide zu machen und konventionelle Monokulturen zu
erleichtern. Warum glauben Sie, dass die neue Gentechnik nun Sinnvolleres
schaffen kann?
Die alte Gentechnik ist getrieben durch die großen Konzerne, denn sie ist
sehr teuer – unter anderem wegen all der Sicherheitsauflagen, die zu Recht
da sind. Diese Unternehmen haben eine industrielle Landwirtschaft im Blick
und das Interesse, nicht nur Saatgut, sondern auch dazu passende
Unkrautvernichtungsmittel zu verkaufen. CRISPR/Cas können auch kleine
Züchter anwenden: Sie ist technisch extrem einfach, und eine Anwendung
kostet nur ungefähr 50 bis 60 Euro.
Auch Monsanto und andere Saatgutkonzerne sind an CRISPR/Cas dran. Werden
sie mit der Methode ihre jetzt schon große Marktmacht ausbauen?
Das sehe ich nicht so. CRISPR/Cas ist eine demokratische Methode.
Mittlerweile nutzen sie ja Tausende von staatlichen Labors.
Könnten nicht auch Pflanzen der neuen Gentechnik patentiert werden, sodass
Züchter sie nur mit Genehmigung der Patentinhaber weiterentwickeln dürfen?
Die Patentsituation ist zurzeit völlig unklar. Bei dem Einsatz, wie ich ihn
mir vorstelle, wird nur ein winziger Teil des Erbguts verändert: weniger
als 20 Basenpaare, von denen eine Pflanze insgesamt etwa 70 Milliarden hat.
Und die Mutation ist nicht von einer natürlichen zu unterscheiden. Da
dürfte es schwierig werden, eine Patentverletzung nachzuweisen.
Wie sollte man Saatgut und Lebensmittel aus CRISPR/Cas-Pflanzen
kennzeichnen?
Ich unterstütze das Anliegen der Bioverbände, dass die Züchtungsmethode
gekennzeichnet wird. Wenn man aber „gentechnisch verändert“ draufschreibt,
ist die Methode gestorben, bevor man sie kennt. Denn kaum jemand in Europa
würde solche Lebensmittel kaufen. Vielleicht könnte man eine neue
Kennzeichnung einführen, zum Beispiel „CRISPR/Cas“.
Sollen CRISPR/Cas-Pflanzen nach den gleichen Regeln zugelassen werden wie
Produkte der alten Gentechnik?
Nein. Ich plädiere für ein neues, sehr differenziertes Prüfverfahren. Es
wird Eigenschaften wie Krankheitsresistenzen geben, die sich durch kleinste
Änderungen des Genoms etwa von einer amerikanischen Rebsorte auf eine
europäische übertragen lassen und vermutlich risikoarm sind. Da sollten die
Anforderungen nicht so streng sein, wie wenn zum Beispiel artfremde Gene
eingeführt werden.
Warum ein „Zulassungsverfahren light“ für manche CRISPR/Cas-Pflanzen?
Sonst müssten die Züchter für jedes CRISPR/Cas-Produkt bei der Zulassung
ein gigantisches Dossier mit Versuchsergebnissen und Analysen vorlegen. Das
werden sich dann vor allem die großen Konzerne leisten können. Die
Zulassung muss transparent sein, es muss auch auf Risiken geprüft werden.
Aber wenn jede CRISPR/Cas-Pflanze genauso wie eine Sorte der alten
Gentechnik behandelt wird, dann wird das die vernünftigen Anwendungen und
die kleinen Züchter abwürgen.
Was genau bei CRISPR/Cas im Erbgut passiert, wissen wir nicht – damit
besteht sehr wohl ein Risiko, oder?
Das weiß man auch bei einer traditionellen Züchtung nicht. So kann auch ein
Apfel ein leicht erhöhtes Allergiepotenzial haben, der aus einer Kreuzung
einer modernen Sorte mit dem schorfresistenten Japanischen Wildapfel
entstanden ist.
Ein weiteres Gegenargument ist, dass auch die neue Methode CRISPR/Cas
manchmal ungewollte Mutationen produzieren würde und deshalb ein
unkalkulierbares Risiko sei.
Dass wir eine Nullrisikostrategie verfolgen sollen, finde ich weltfremd.
Jäger begannen vor 10.000 Jahren, die Kuh zu züchten, und sahen, dass mit
Kuhmist die Gräser auf ihren Äckern viel besser wachsen. Wenn die nach dem
Maßstab Nullrisiko vorgegangen wären, hätten die den Kuhmist nie aufs Feld
getan.
Was halten Sie denn davon, die Technik bei Bio-Tieren anzuwenden?
Die Probleme in der Tierhaltung kann man komplett auf dem normalen
Züchtungsweg lösen. Da sehe ich keine Notwendigkeit. Da stellen sich bei
mir im Gegensatz zu den Pflanzen größere ethische Probleme.
Die Biolobby kämpft dafür, dass CRISPR/Cas-Pflanzen wie Pflanzen der alten
Gentechnik eingestuft werden. Ist Ihr Plädoyer für ein neues
Zulassungsverfahren da nicht Verrat?
Ich habe bereits vor 25 Jahren an vorderster Front gegen Gentechnik
gekämpft und geholfen, dass die Schweiz ein Anwendungsmoratorium für
gentechnisch veränderte Pflanzen hat. CRISPR/Cas unterscheidet sich stark
von der damaligen Gentechnik und berücksichtigt zahlreiche Kritikpunkte von
damals. Mit einer differenzierteren Betrachtung gebe ich meine Ideale also
nicht auf.
Lehnen Sie die Kampagne der Biobranche gegen CRISPR/Cas ab?
Nein. Es ist klar, dass man jetzt politisch Druck machen muss, damit eine
Kennzeichnungspflicht kommt und die Wahlfreiheit bestehen bleibt. Aber die
Gefahr ist, dass man völlig überreagiert und irrationale Ängste schürt.
6 Apr 2016
## AUTOREN
Jost Maurin
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