# taz.de -- Gentech-Food durch die Hintertür: Gentechnik reloaded | |
> Mit neuen Entwicklungen versucht die Industrie, ihre Gentech-Früchte doch | |
> auf den Teller zu bringen. Die Verbraucher sollen davon nichts merken. | |
Bild: Rapspollen können vom Wind über große Strecken weitergetragen werden. | |
Berlin taz | Gentechnik auf dem Teller? Für die meisten Menschen in | |
Deutschland kommt das nicht in Frage. Bisher konnten sie Lebensmittel aus | |
gentechnisch veränderten Pflanzen auch leicht meiden, weil diese auf der | |
Packung gekennzeichnet werden müssen. Doch diese Vorschrift könnte | |
wirkungslos werden – und „Genfood“ unbemerkt im Essen landen. | |
Das erste Produkt wäre wohl Öl aus Raps des US-Herstellers Cibus. | |
Wissenschaftler haben die Pflanze mit Hilfe einer neuen Spielart | |
gentechnischer Veränderung namens Oligonukleotid-gesteuerte Mutagenese so | |
umgebaut, dass sie Duschen mit einem Unkrautvernichtungsmittel überlebt; | |
trotzdem hat das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit | |
(BVL) in einem Bescheid festgestellt, dass die Rapsvarianten von Cibus | |
„keine gentechnisch veränderten Organismen im Sinne des Gentechnikgesetzes | |
darstellen“. | |
Denn was selbst der Gentechnikkritik unverdächtige Experten wie | |
Gruppenleiter Jochen Kumlehn vom Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und | |
Kulturpflanzenforschung in Gatersleben im Gespräch mit der taz klar als | |
Gentechnik bezeichnen, muss noch lange nicht juristisch als solche gelten. | |
Durch eine Anfang Juli einreichte Klage haben Gentechnikgegner vorerst | |
verhindert, dass der Bescheid rechtskräftig wird. Doch sollte sie | |
scheitern, dürften die Pflanzen ab sofort ohne besondere Genehmigung unter | |
freiem Himmel angebaut werden, um sie zu testen. Zwar hat die EU-Kommission | |
kürzlich in ziemlich vagem Englisch einen „schützenden Ansatz“ empfohlen, | |
aber anders, als manche Medien berichtet haben, hat sie solche Feldversuche | |
keinesfalls verboten. | |
Wenn der Raps diese in der Regel drei Jahre dauernden Tests des | |
Bundessortenamts besteht, könnten Bauern ihn sofort aussäen – ohne | |
Sicherheitsabstände zu normalen Feldern zu beachten. Und Lebensmittel, die | |
die Pflanze oder Teile davon enthalten, müssen nicht als gentechnisch | |
verändert gekennzeichnet werden. | |
„Der Cibus-Raps droht Türöffner für eine ganze Reihe von Produkten zu | |
werden, die mit Hilfe neuer Gentechnikverfahren hergestellt werden und dann | |
ohne Zulassungsprüfung und Kennzeichnung auf den Markt kommen können“, | |
warnt Christoph Then, Gentechnikgegner und Geschäftsführer des Vereins | |
Testbiotech. Denn Berater des BVL haben auch andere Methoden , die unter | |
dem Oberbegriff „Genome Editing“ bekannt geworden sind, als nicht | |
genehmigungspflichtig eingestuft. Damit sind Gentechforscher, die in den | |
vergangenen Jahren in Deutschland keinen Fuß auf den Boden bekommen haben, | |
wieder in der Offensive. | |
Seit 2013 werden ihre Pflanzen hierzulande nicht einmal zu | |
Forschungszwecken im Freiland angebaut. Keine einzige ist für den | |
kommerziellen Anbau zugelassen. Zu groß ist der Widerstand der Verbraucher, | |
die Gentechnik leicht boykottieren können, da Lebensmittel mit den Pflanzen | |
gekennzeichnet werden müssen. [1][Die Große Koalition diskutiert gerade | |
darüber,] sogar von der EU für den Anbau zugelassene Gentech-Pflanzen in | |
der Bundesrepublik zu verbieten. Doch mit der neuen Gentechnik könnten die | |
Wissenschaftler so ein Verbot umgehen, befürchten Kritiker. | |
## Die Ausnahmen im Gesetz | |
Zumindest, wenn sich das BVL mit seiner Interpretation des | |
Gentechnikgesetzes durchsetzt. In der Vorschrift steht, dass ein Organismus | |
vor allem dann als gentechnisch verändert gilt, wenn sein „genetisches | |
Material in einer Weise verändert worden ist, wie sie unter natürlichen | |
Bedingungen durch Kreuzen oder natürliche Rekombination nicht vorkommt“. | |
Ausgenommen davon sind aber ausdrücklich Produkte der Mutagenese: also von | |
Techniken, die Mutationen im Erbgut auslösen. | |
Der Cibus-Raps aber, so das BVL, sei durch genau so eine Technik | |
entstanden. Die Experten der US-Firma haben einen kurzen Teil der Raps-DNA | |
– also des Moleküls, das die die Erbinformationen speichert – im Labor | |
nachgebaut und an einer Stelle modifiziert. | |
Diesen synthetischen DNA-Abschnitt schleusten sie in die Pflanzenzelle ein. | |
Anschließend passte sich laut BVL die Raps-DNA per Mutation der künstlichen | |
Vorlage an. Das künstlich hergestellte Muster, so erklärt die Behörde, sei | |
danach nicht in der Zelle geblieben, sondern abgebaut worden. Die | |
Veränderungen seien „nicht unterscheidbar von solchen“, die „spontan unt… | |
natürlichen Bedingungen entstehen können.“ | |
## Mutagenese in der Pflanzenzucht | |
Gentechnikgegner bestreiten aber, dass das Cibus-Verfahren eine | |
Mutagenese-Technik im Sinne des Gesetzes sei. Die Regeln seien geschrieben | |
worden, als Pflanzenzüchter Mutationen künstlich nur durch Chemikalien oder | |
radioaktive Strahlungen verursachten, sagt Aktivist Then. Das | |
Cibus-Verfahren gab es damals ja noch nicht. | |
„Die herkömmliche Mutagenese ist ein Zufallsereignis. Ich kann nicht | |
vorhersagen, an welcher Stelle das Erbgut reagieren wird“, erklärt der | |
studierte Tiermediziner. „Normalerweise wird die Genregulierung der Zelle | |
auch dafür sorgen, dass viele Mutationen stillgelegt und biologisch nicht | |
aktiv werden. Das ist hier anders.“ | |
Für Then sind zahlreiche Fragen noch ungeklärt: „Die genauen | |
Wirkungsmechanismen sind nicht bekannt.“ Auch wenn die Methode viel | |
gezielter als die herkömmliche Mutagenese ist, würde auch sie ungewollte | |
Mutationen produzieren. Then überzeugt auch nicht, dass anders als bei den | |
meisten Gentechpflanzen in Raps keine artfremden Gene eingefügt wurden. | |
Denn es würden ja sehr wohl synthetische DNA-Stücke in eine Zelle | |
geschleust. „Das kann mit Risiken einhergehen, muss es aber nicht.“ Dazu | |
seien „zu wenig verlässliche, industrieunabhängige Daten“ bekannt. Deshalb | |
fordert er, die möglichen Gefahren systematisch zu prüfen, bevor die | |
Pflanze zugelassen wird. | |
## Widerstandsfähig gegen Herbizide | |
Für das BVL ist die Cibus-Methode aber „risikoärmer als die chemische oder | |
strahlenbedingte Mutagenese“. Schließlich würden bei der herkömmlichen | |
Mutagenese viel mehr ungewollte Mutationen entstehen. | |
Unabhängig vom Herstellungsprozess kritisieren Umweltschützer, dass der | |
Raps resistent gegen Unkrautvernichtungsmittel ist. „Weil das ja nur dazu | |
führt, dass mehr Herbizide ausgebracht werden“, sagt Sophia Guttenberger, | |
Gentechnikreferentin des Vereins „Umweltinstitut München“. | |
„Wenn ich eine Pflanze habe, die resistent gegen etwas ist, dann ist es ja | |
logisch, dass ich dieses Herbizid auch ausbringe, um andere Pflanzen zu | |
töten“, so Guttenberger. Pestizide sind ein Grund, weshalb die | |
Landwirtschaft Biologen zufolge die Hauptschuld daran trägt, dass Pflanzen- | |
und Tierarten in Deutschland aussterben. | |
Then weist auch darauf hin, dass etwa in den USA auf Gentechnikfeldern so | |
intensiv Herbizide gespritzt wurden, dass manche Unkräuter sich angepasst | |
haben und sich nun nicht mehr mit den Chemikalien bekämpfen lassen. | |
## Patentantrag eingereicht | |
Stören dürfte die Gentechnikgegner auch: Cibus hat für die Pflanze Patente | |
erhalten oder zumindest beantragt, wie die Firma der taz mitteilte. | |
Patentierte Pflanzen dürfen von Züchtern nicht weiterentwickelt werden, | |
wenn diese nicht dem Patentinhaber teils saftige Lizenzgebühren zahlen. | |
Cibus und andere Unternehmen versuchten jetzt, „die Manipulation von Erbgut | |
einfach anders zu bezeichnen“ und das Gentechnikgesetz zu umgehen, | |
argumentieren 30 Organisationen – von Thens Testbiotech über die | |
Umweltorganisation Bund bis zu dem Ökobauernverein Bioland. Sie haben eine | |
Unterschriftensammlung initiiert, damit Bundesagrarminister Christian | |
Schmidt (CSU) verhindert, dass der Raps angebaut werden darf. Begründung: | |
„Bei diesen neuen Verfahren kann man Risiken nicht ausschließen.“ | |
Cibus will mit Feldversuchen sowieso warten, bis die EU-Kommission bekannt | |
gibt, wie sie den Raps einstuft. Sollte sie entscheiden, dass er doch als | |
Gentechnikpflanze zu behandeln ist, dann wäre der Persilschein aus Berlin | |
automatisch ungültig. Die Brüsseler Behörde will ihr Urteil bis Ende des | |
Jahres fällen. | |
10 Jul 2015 | |
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[1] /Anbau-von-Gentech-Pflanzen/!5210855/ | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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