# taz.de -- NSA und BND: Eine Beziehung mit Knacks | |
> Die Beziehung zwischen BND und NSA gerät aus den Fugen. Nun hat die | |
> Affäre die Spitze des Bundeskanzleramts erreicht. | |
Bild: Der große Lauscher des BND in Bad Aibling. | |
BERLIN/GARMISCH-PARTENKIRCHEN taz | Es ist ein Abend im Frühjahr 2015, und | |
der Mann, dessen Schweiß nun nach und nach auf das Holz perlt, sitzt nackt | |
in der kleinen Hotelsauna in Garmisch-Partenkirchen. Sein Handtuch ist | |
etwas zu kurz, um seine intimsten Stellen zu bedecken. Für viele Menschen | |
aus dem Ausland gehört das Saunieren zu einer mit Scham beladenen | |
Erfahrung. Für ihn nicht. | |
Gerade erst hat der Mann mit dem amerikanischen Akzent die überwältigende | |
Alpenlandschaft genossen, aber eigentlich ist er hier, um einen Schatz der | |
US-Regierung zu pflegen: Knapp 100 Kilometer entfernt von hier, im | |
bayerischen Bad Aibling, steht eine der wohl wichtigsten europäischen | |
Abhörstationen der NSA, und hier in Garmisch-Partenkirchen hat ein | |
besonderes Studienzentrum seinen Sitz: das George C. Marshall Centre, ein | |
„Europäisches Zentrum für Sicherheitsstudien“, und seine gemeinsamen | |
Betreiber sind das deutsche sowie das US-Verteidigungsministerium. | |
Dies ist ihr Thinktank im Kampf gegen den Terror, aber auch wenn es darum | |
geht, die gemeinsame Zusammenarbeit in Sachen Sigint voranzubringen: Signal | |
Intelligence, Fernmeldeaufklärung. Datenspionage, Überwachung. | |
In diesen Tagen hat der US-Beamte wieder in Garmisch zu tun. Es ist seine | |
Behörde, an der standardmäßig all die Aufregung abperlt, wenn in | |
Deutschland wieder einmal eine erhitzte Debatte über die Überwachungspraxis | |
der NSA in Gang kommt. Denn er arbeitet ihm direkt zu, dem Koordinator für | |
Cyberangelegenheiten im US-Außenministerium. Heute Abend pflegt er wieder | |
die Beziehung zwischen Deutschland und den USA. Diese Beziehung hat einen | |
Knacks. | |
Spätestens seit Ende letzter Woche neue Details über die Zusammenarbeit des | |
Bundesnachrichtendienstes mit dem US-Geheimdienst NSA bekannt geworden | |
sind, hat die Affäre um die deutsche Beteiligung an einem Ringtausch | |
internationaler Überwachungserkenntnisse eine neue Dimension bekommen – | |
auch weil selbst im Bundeskanzleramt niemand mehr dementiert, was | |
vorgefallen ist: Über Jahre hinweg soll der Bundesnachrichtendienst (BND) | |
einbezogen gewesen sein, als die Partner aus den USA über das gemeinsame | |
Spionagenetz auch Wirtschaftsspionage innerhalb Deutschlands und Europas | |
betrieben. | |
## Regierungskrise droht | |
Bis zu 40.000 überwachte Handynummern und IP-Adressen – Fachterminus: | |
Selektoren – sollen BND und NSA verwendet haben, deren Überwachung gegen | |
deutsche und europäische Interessen verstieß. Im Moment gibt es niemanden | |
in der Bundesregierung, der beschwören würde, dass deutsche Spione nicht | |
auch daran beteiligt gewesen sein könnten, deutsche oder europäische | |
Politiker auszuspionieren. | |
Die neue Enthüllung scheint eine ganze Reihe früherer Verdachtsmomente zu | |
bestätigen: dass der BND weitaus engmaschiger in die Spitzeleien der | |
US-Regierung eingebunden ist, als bislang zugegeben, und dass die Behörde | |
deutsches Recht bricht, sich verselbstständigt hat, dass sie | |
unkontrollierbar geworden ist. Mehr noch: dass sogar Vertreter des | |
Bundeskanzleramts und BND-Mitarbeiter im Zeugenstand vor dem | |
parlamentarischen Untersuchungsausschuss im Bundestag die Unwahrheit gesagt | |
haben könnten. | |
Es droht eine Regierungskrise – und sie ist das Ergebnis einer | |
Partnerschaft zwischen dem BND und der NSA, die auf einem lange gepflegten | |
Missverständnis beruht: dass es schon irgendwie möglich sein wird, zwei | |
vermeintlich unvereinbare Herausforderungen miteinander zu verbinden: | |
Effektive Geheimdienstarbeit im Sinne der NSA und grundrechtskonforme | |
Geheimdienstarbeit im Sinne der deutschen Rechtslage. Denn an einem ließ | |
die Bundesregierung nie einen Zweifel: Die weitaus mächtigeren Partner aus | |
den USA zu vergrätzen, so hieß es stets aus dem Bundeskanzleramt, könne man | |
sich schlichtweg nicht leisten. Dafür macht die Bundesregierung seit Langem | |
Kompromisse, die im Grenzbereich dessen liegen, was in Deutschland | |
rechtlich zulässig ist. | |
So kam es in der Vergangenheit immer wieder zu Streit, als | |
Bundestagsabgeordnete im NSA-Untersuchungsausschuss Dokumente einforderten, | |
deren Veröffentlichung die US-Regierung oder die Partner vom nicht minder | |
aggressiven britischen Geheimdienst GCHQ nicht veröffentlicht wissen | |
wollten, auch nicht für Parlamentarier, auch nicht in der | |
Geheimschutzstelle. Was aber wiegt schwerer: das Interesse fremder | |
Geheimdienste, die immer wieder auch massiv gegen deutsche Interessen | |
vorgingen – oder das Recht des deutschen Parlaments, eigene | |
Aufklärungsarbeit über die rechtswidrige Überwachungspraxis in Deutschland | |
zu betreiben? | |
## Reflex der Langeweile | |
Schon als amerikanische Dienste vor Jahrzenten ihr weltweites | |
Überwachungssystem Echelon aufbauten, spielte Bad Aibling eine wichtige | |
Rolle – die wechselnden Bundesregierungen hatten nichts dagegen. Heute tut | |
die Bundesregierung überrascht, dass von Bad Aibling massiv | |
Telekommunikationsdaten abgefischt werden. Seit den Veröffentlichungen | |
Edward Snowdens wurden zahlreiche handfeste Spionageskandale bekannt – doch | |
durch alle navigierte die Merkel-Regierung ohne bleibende Schäden. Als | |
bekannt wurde, dass der Bundesnachrichtendienst unter dem Codenamen | |
„Eikonal“ der NSA direkten Zugriff auf den Frankfurter Internetknotenpunkt | |
De-Cix gewährte, reagierte das Bundeskanzleramt lässig. | |
Und selbst als in deutschen Medien die Überwachung des Handys der | |
Bundeskanzlerin über Wochen hinweg die Schlagzeilen bestimmte, rang sich | |
die Bundesregierung nicht zu besonders kritischen Tönen gegenüber den USA | |
durch. Im Gegenteil: Der damalige Kanzleramtsminister Ronald Pofalla sorgte | |
für allgemeine Erheiterung, als er die NSA-Affäre offiziell für beendet | |
erklärte. Doch was sollte er tun? In Bad Aibling und Garmisch-Partenkirchen | |
waren zeitgleich die US-Partner dabei, im sogenannten Kampf gegen den | |
Terror Informationen an die deutschen Partner zu geben und ihrerseits in | |
offenbar großem Stil einzusammeln. Und im US-Außenministerium zuckten die | |
Kollegen lediglich mit den Schultern. | |
Briefe der deutschen Regierung blieben über Monate hinweg unbeantwortet. | |
Und so war das Bundeskanzleramt selbst zur „Lame Duck“ verkommen, einer | |
lahmen Ente, die, wie es schien, in Sachen NSA-Affäre ohne echte | |
Handlungsoptionen war, wollte sie nicht die Geheimdienstkooperation mit den | |
US-Diensten gefährden. Die Öffentlichkeit war nachsichtig: Mochten sich die | |
Geheimdienstaffären auch summieren, unter dem Strich stellte sich wohl eher | |
ein Reflex der Langeweile ein. | |
Snowden? NSA? Schon wieder? Dinge können belanglos werden, wenn man sie zu | |
oft hört. | |
## Der Staat im Staate | |
Doch seit Bekanntwerden der neuen Details in der vergangenen Woche steht | |
das Kanzleramt nun vor durchaus ernsten Problemen. Denn erstmals scheint | |
keine alternative Adresse in Sicht, die an eigener Stelle zur Verantwortung | |
gezogen werden könnte. Zwar versuchte das Kanzleramt, zunächst die | |
Verantwortung auf den BND selbst abzuwälzen, und sprach von „technischen | |
und organisatorischen Defiziten“ im BND. Übersetzt: Unsere Spione haben | |
Mist gebaut, uns selbst trifft keine Schuld. Doch dann wurde bekannt, dass | |
das Kanzleramt schon 2008 über Unregelmäßigkeiten informiert war. | |
Die Behörde ging dem Verdacht damals aber nicht nach. Entweder weil ihr die | |
Neugierde der Amerikaner egal war – in dem Fall hätte sie in Kauf genommen, | |
dass BND und NSA gemeinsam gegen deutsches Recht verstoßen. Oder weil sie | |
die Hinweise und deren Brisanz damals übersehen hat – in dem Fall hätte das | |
Kanzleramt versagt; die Kontrolle der Geheimdienste wäre der Regierung über | |
den Kopf gewachsen. | |
Der Staat im Staate, ein Geheimdienstapparat, der kaum kontrollierbar ist – | |
Realität? Wie konnte das passieren, wo doch spätestens 2013 alle | |
Fachreferenten im Kanzleramt hätten wissen müssen, womit seitens der NSA zu | |
rechnen ist? | |
Und so rückt die neue Entwicklung das Bundeskanzleramt selbst in die | |
Schusslinie. Bundeskanzlerin Merkel versprach am Montag eine lückenlose | |
Aufklärung im BND. Doch diese Aufklärung wird nun vor allem in ihrem | |
eigenen Hause nötig sein. Die Opposition ruft nach personellen Konsequenzen | |
– und auch der Koalitionspartner, die SPD, feuert auf das Kanzleramt und | |
stellt personelle Konsequenzen zur Debatte. Denn für die Kontrolle des BND | |
ist der jeweilige Kanzleramtsminister zuständig: Das waren seit 2008 der | |
heutige Innenminister Thomas de Maizière, dann Ronald Pofalla und | |
schließlich heute Peter Altmaier. | |
Mitglieder des NSA-Untersuchungsausschusses haben schon klargemacht, dass | |
alle drei möglichst bald vor dem Ausschuss aussagen sollen. Aber sie alle | |
hatten eine gemeinsame Vorgesetzte. Im Organigramm der Behörde steht ihr | |
Name ganz oben: Angela Merkel. Dass es ihr eigenes Haus war, das bei der | |
Pflege der Beziehungen zu den USA zu weit gegangen ist, wird sie nicht mehr | |
abstreiten können. Die Frage, die aber offen ist: Wer wird am Ende nackt | |
dastehen? | |
27 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Martin Kaul | |
Tobias Schulze | |
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