# taz.de -- Übersicht zur BND-NSA-Affäre: So spitzelt es sich geschickt | |
> Selektoren, U-Ausschuss und Kleine Anfragen: Sie haben in der BND-Affäre | |
> den Überblick verloren? Macht nichts. Hier steht, was Sie wissen sollten. | |
Bild: Hier werden die Geheimdienste kontrolliert: das Bundeskanzleramt in Berli… | |
Seit Tagen bestimmt die neue Affäre um den Bundesnachrichtendienst die | |
Schlagzeilen. Dabei stehen zahlreiche Vorwürfe im Raum. Sie haben die | |
Übersicht verloren? Die wichtigsten Fragen und Antworten: | |
## | |
Ausgangspunkt sind neue Erkenntnisse über eine sogenannte „Selektorenliste“ | |
des Bundesnachrichtendienstes (BND). Der deutsche Auslandsgeheimdienst | |
kooperiert an vielen Stellen eng mit dem US-Geheimdienst NSA (National | |
Security Agency). Unter anderem leitet der BND eigene Erkenntnisse an die | |
USA weiter – vornehmlich zur Terrorbekämpfung, so hieß es zumindest immer. | |
Auf Basis eines Abkommens aus dem Jahr 2002 kann die NSA unter anderem | |
eigene Suchbegriffe in die Spionagenetze des BND einspeisen. Diese | |
Suchbegriffe werden „Selektoren“ genannt. Meist handelt es sich um | |
technische Angaben wie Handynummern oder IP-Adressen, auf deren Basis | |
Zielpersonen bespitzelt werden können. | |
Das alles ist seit längerem bekannt. Auch dass die NSA ein globales | |
Überwachungsnetz unterhält und dabei auch Wirtschaftsspionage und etwa | |
politische Spionage gegen EU- und UN-Institutionen betreibt, wurde durch | |
die Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden öffentlich. | |
Neu ist also nicht, dass die NSA Unternehmen, Behörden und Politiker | |
innerhalb Europas bespitzelt, sondern dass sie dazu auch die Infrastruktur | |
des BND nutzen wollte – und mutmaßlich auch konnte. Hat sich also der BND | |
daran beteiligt, europäische Partnerorganisationen auszuspitzeln? | |
Wenn ja: Geschah dies wissentlich oder unwissentlich? Und: Wer wusste | |
davon, wer hat dies zu verantworten? Die Affäre birgt also einigen | |
Sprengstoff. Der BND könnte gegen deutsches Recht verstoßen haben. Auch das | |
Bundeskanzleramt, das die Geheimdienste kontrolliert, steht in der Kritik. | |
Bundestagsabgeordnete werfen der Regierung vor, das Parlament wissentlich | |
belogen zu haben. | |
## | |
Fast täglich wurden in den vergangenen Tagen neue Details in der Affäre | |
bekannt. Zunächst [1][berichtete Spiegel Online darüber], dass einzelnen | |
Mitarbeitern im BND spätestens 2008 aufgefallen sein soll, dass sich auf | |
der Selektorenliste bedenkliche Ziele fanden, deren Erfassung nicht im | |
deutschen Interesse stünden. | |
Dennoch soll sich an der Praxis über Jahre nichts geändert haben, obwohl | |
die Bundesregierung in dieser Woche einräumen musste, über die Bedenken | |
informiert gewesen zu sein. Bei einer Prüfung im Jahr 2013 wegen der | |
Snowden-Enthüllungen sollen dann 2.000 Suchbegriffe gefunden worden sein, | |
die gegen deutsche und europäische Interessen gerichtet gewesen seien, | |
berichtete Spiegel Online. | |
Eine kürzlich vorgenommene neuerliche Überprüfung im Zusammenhang mit der | |
Arbeit des NSA-Untersuchungsausschusses im Bundestag soll sogar rund 40.000 | |
solcher bedenklichen Selektoren auflisten. | |
Unklar ist, was genau der BND mit diesen Begriffen tat: Ob und in welchem | |
Umfang er sie einspeiste, wie er sie nutzte und welche Erkenntnisse dann in | |
welchem Umfang an die NSA zurückgespielt wurden. Hat der BND Verbindungs- | |
und Standortdaten gesammelt? Oder hat er auch die Inhalte von | |
Telefongesprächen abgehört, etwa von Unternehmen wie dem Europäischen | |
Rüstungsunternehmen EADS oder Eurocopter, die als Ziele in den | |
Selektorenlisten auftauchen sollen? | |
Immerhin: [2][Wie Süddeutsche Zeitung, WDR und NDR zuletzt berichteten], | |
sollen hochrangige Mitarbeiter im französischen Außenministerium, im | |
französischen Präsidentenpalast sowie in der EU-Kommission vom BND-Standort | |
im bayerischen Bad Aibling, auf dem auch die NSA vertreten ist, ausgespäht | |
worden sein. | |
## | |
Das bestreitet Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) vehement. Er | |
steht ganz besonders in der Schusslinie, weil sein Ministerium erst vor | |
zwei Wochen in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion | |
behauptete, der Bundesregierung lägen keinerlei Hinweise auf eine mögliche | |
Wirtschaftsspionage durch die NSA vor. | |
De Maizière behauptet nun, er habe sich nicht vorzuwerfen, dürfe aber aus | |
Geheimhaltungsgründen nicht öffentlich darüber sprechen. Das ist halb | |
richtig und halb falsch. Zwar unterliegen die fraglichen Informationen der | |
Geheimhaltung, es ist jedoch die Bundesregierung, die jederzeit beschließen | |
könnte, angesichts der im Raum stehenden Vorwürfe bestimmte Informationen | |
mitzuteilen – auch, um zur Aufklärung beizutragen. | |
De Maizière will nun am Mittwoch vor dem Parlamentarischen Kontrollgremium | |
Rede und Antwort stehen. Darin sitzen ausgewählte Bundestagsabgeordnete. | |
Sie tagen jedoch ebenfalls geheim und können kaum zur öffentlichen | |
Aufklärung beitragen. | |
## | |
Deutschland ist das einzige Land, das wegen der Snowden-Affäre einen | |
parlamentarischen Untersuchungsausschuss eingerichtet hat. Der | |
NSA-Untersuchungsausschuss (NSA-UA) hat sich seitdem als wichtigstes | |
Aufklärungsgremium etabliert – sicher auch deshalb war die Einrichtung | |
eines solchen Ausschusses zuvor politisch heiß umkämpft. | |
Die Mitglieder fordern nun, umgehend Selektorenliste des BND in die Hände | |
zu bekommen, auf der die bedenklichen Ziele erfasst sein sollen. Dann | |
könnten sie selbst prüfen, welche Spähziele wirklich im Fokus der NSA | |
standen. Im Rahmen eines Konsultationsverfahrens müsste die Bundesregierung | |
nun bei der NSA um deren Zustimmung bitten. | |
Doch die Parlamentarier haben bereits klar gemacht, dass sie auf diese | |
Zustimmung pfeifen. Sie fordern Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf, | |
ihnen die Liste sofort und bedingungslos auszuhändigen, um die weitere | |
Aufklärung der Affäre nicht zu verschleppen. Diese Stimmen kommen nicht nur | |
aus der Opposition, sondern auch vom Koalitionspartner SPD. | |
Wollten die Parlamentarier jedoch wirklich wissen, welche der Ziele der BND | |
für bedenklich hielt und welche nicht, müssten sie wohl die gesamte | |
Selektorenliste des Bundesnachrichtendienstes anfordern und durcharbeiten. | |
Laut Süddeutscher Zeitung soll es sich dabei um 690.000 Handynummern und | |
knapp sieben Millionen IP-Adressen handeln, die allein von 2002 bis 2013 | |
zusammenkamen. Angeblich will der BND diese Liste nun komplett überprüfen. | |
## | |
Die Linksfraktion war die erste Fraktion, aus deren Reihen | |
Rücktrittsforderungen laut wurden. Doch selbst innerhalb der SPD und teils | |
sogar in der CDU will niemand mehr personelle Konsequenzen ausschließen. | |
Im Kern der politischen Verantwortung steht eine Reihe von Männern, die in | |
den vergangenen zehn Jahren im Bundeskanzleramt und Bundesnachrichtendienst | |
für die Geheimdienstkoordination und -kontrolle zuständig waren. Politisch | |
brisant ist das Thema für die Bundesregierung, weil die | |
Geheimdienstkontrolle Sache des Bundeskanzleramtes ist – und damit eine | |
direkte Verbindungslinie zu Angela Merkel gezogen werden kann. | |
Merkel hat jedoch Übung darin entwickelt, die zahlreichen deutschen Bezüge | |
zur NSA-Affäre nicht zu nah an sich herankommen zu lassen. In diesem Fall | |
scheint es allerdings möglich, dass auch die Kanzlerin Kratzer abbekommt. | |
Am Donnerstag forderte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker, dass | |
Deutschland die Aufklärung der Affäre energisch vorantreibe. Auf die Frage, | |
ob er dem Satz von Bundeskanzlerin Angela Merkel, wonach Ausspähen unter | |
Freunden nicht gehe, zustimme, antwortete Juncker knapp – mit: „Ja.“ | |
Der Airbus-Konzern will wegen der Spionageaffäre um den US-Geheimdienst NSA | |
und den Bundesnachrichtendienst Anzeige erstatten. „Wir haben die | |
Bundesregierung um Auskunft gebeten. Wir werden jetzt Strafanzeige gegen | |
Unbekannt wegen des Verdachts der Industriespionage stellen“, sagte ein | |
Airbus-Sprecher am Donnerstagabend in München. | |
30 Apr 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/ueberwachung-neue-spionageaffaere… | |
[2] http://www.sueddeutsche.de/politik/geheimdienst-affaere-bnd-half-nsa-beim-a… | |
## AUTOREN | |
Martin Kaul | |
## TAGS | |
BND | |
Thomas de Maizière | |
Bundeskanzleramt | |
Bundesnachrichtendienst | |
Geheimdienst | |
Schwerpunkt Überwachung | |
Schwerpunkt Überwachung | |
Große Koalition | |
Datenschutz | |
BND | |
Geheimdienst | |
Schwerpunkt Angela Merkel | |
Edward Snowden | |
Edward Snowden | |
Österreich | |
NSA | |
Thomas de Maizière | |
NSA-Affäre | |
USA | |
de-cix | |
Wirtschaftsspionage | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
BND-NSA-Skandal: Das Rätsel der Selektoren | |
Ist die BND-Affäre ein großer Skandal oder eine aufgebauschte Affäre? Eine | |
Übersicht zu den Erkenntnissen und den wichtigsten Fragen. | |
Kommentar BND-Affäre: Gabriel sieht rot | |
Die BND-Affäre ist ein Gewinnerthema für die Sozialdemokraten. Und SPD-Chef | |
Sigmar Gabriel nutzt das weidlich aus. | |
Gesetz zur Überwachung in Frankreich: „Nach Belieben Daten abzweigen“ | |
Der Netzaktivist Jérémie Zimmermann warnt vor dem Gesetz, das die | |
französische Regierung ins Parlament bringt. Es begünstige | |
Massenüberwachung. | |
Neue Gesetzgebung für Überwachung: Frankreichs strategisches Schweigen | |
Frankreich will die Rechte der Geheimdienste ausweiten. Dann darf ohne | |
richterliche Anordnung angezapft und auf Vorrat gespeichert werden. | |
Kommentar Geheimdienstkontrolle: Gegen das Eigenleben der Dienste | |
Jeder neue Geheimdienstskandal zeigt, dass mehr Kontrolle nötig ist. Die | |
muss aber unabhängig von Regierungsvorgaben funktionieren. | |
Reaktionen auf BND-Affäre: Bundestag will mehr Kontrolle | |
Im Zuge der BND-Affäre fordern Politiker die Stärkung der parlamentarischen | |
Geheimdienstaufsicht. SPD und Grüne: Merkel muss aussagen. | |
Essay BND und NSA: Eine grauenhafte Allianz | |
Mit einer Reform der Geheimdienste ist es nicht getan. Denn: Geheimdienste | |
und Demokratie sind nicht miteinander vereinbar. | |
Kolumne Macht: Penis, Penis, Penis | |
NSA. BND. Nun auch NSA & BND. Interessiert allerdings niemanden. Doch der | |
Journalist John Oliver hat herausgefunden, wie man das ändern kann. | |
BND–NSA–Affäre: 12.000 Suchbegriffe gelöscht | |
Der BND hat dem US-Geheimdienst offenbar geholfen, europäische Regierungen | |
auszuspähen. Im Zuge dessen sollen Tausende Selektoren eleminiert worden | |
sein. | |
Kooperation NSA und BND: Frankreichs Regierung Spähziel | |
Medien berichten über neue Details in der Affäre um die Geheimdienste BND | |
und NSA. Demnach ist der Élysée-Palast in Paris abgehört worden. | |
Innenminister und BND-Affäre: Nichts Gutes zu sagen | |
Er sucht die Vorwärtsverteidigung – doch diese verfängt nicht. In der | |
BND-Affäre steht Bundesinnenminister Thomas de Maizière massiv unter Druck. | |
Kommentar BND-Affäre: Das ist Chefinsache | |
In der BND-Affäre werden die Namen möglicher Bauernopfer sortiert. Das darf | |
nicht blind machen: Verantwortlich ist Angela Merkel. | |
NSA und BND: Eine Beziehung mit Knacks | |
Die Beziehung zwischen BND und NSA gerät aus den Fugen. Nun hat die Affäre | |
die Spitze des Bundeskanzleramts erreicht. | |
Kommentar BND/NSA-Affäre: Opfer oder Mittäter? | |
Die Rolle des BND in der Spionageaffäre ist unklar. Und die der | |
Bundesregierung auch. Es könnte in dem Fall noch einige Überraschungen | |
geben. | |
NSA-Tricks vor Jahren von BND gemeldet: Die Regierung wusste Bescheid | |
Die Bundesregierung war seit Jahren über Versuche der NSA informiert, den | |
Bundesnachrichtendienst zur Wirtschaftsspionage zu benutzen. |