# taz.de -- Essay BND und NSA: Eine grauenhafte Allianz | |
> Mit einer Reform der Geheimdienste ist es nicht getan. Denn: | |
> Geheimdienste und Demokratie sind nicht miteinander vereinbar. | |
Bild: Protestaktion gegen den staatlichen Überwachungswahn. | |
Schon wieder ein Geheimdienstskandal. Der Bundesnachrichtendienst (BND) hat | |
offenbar im Rahmen seiner Auslandsüberwachung auch Wirtschaftsspionage | |
betrieben – aber nicht etwa im Auftrag der Bundesregierung, sondern | |
klammheimlich im Dienst des US-Geheimdienstes NSA unter dem Deckmantel des | |
gemeinsamen Kampfes gegen den internationalen Terrorismus. | |
[1][Die enge Kollaboration zwischen beiden Geheimdiensten machte es | |
möglich]. Der Whistleblower Edward Snowden hatte recht, als er davon | |
sprach, dass NSA und BND „miteinander ins Bett gehen“ – eine wahrlich | |
grauenhafte Vorstellung. | |
Tatsächlich tauschen sie nicht nur massenhaft Informationen, sondern teilen | |
auch Instrumente, gemeinsame Datenbanken, Spähprogramme sowie | |
Infrastrukturen; und im neuesten Fall nutzte der BND sogenannte Selektoren | |
wie Telefonnummern oder IP-Adressen, die ihm die NSA geliefert hatte. | |
Zigtausende dieser Suchkriterien betrafen deutsche und europäische Firmen | |
und Politiker, deren Kommunikation der BND auf diese Weise für die NSA | |
ausspionierte – ob vorsätzlich, fahrlässig oder einfach willfährig muss | |
sich noch zeigen. | |
Nun hat sich herausgestellt, dass das Bundeskanzleramt, das den BND zu | |
beaufsichtigen hat, bereits seit Jahren über diese illegale Massenspionage | |
informiert ist – offenbar ohne sie gestoppt zu haben. | |
Also haben wir es sowohl mit einem Geheimdienst- als auch mit einem | |
Regierungsskandal zu tun. Skandal? Das klingt so wie Ausnahme, Einzelfall | |
oder Ausreißer. Doch davon müssen wir uns verabschieden – denn die | |
zahlreichen „Skandale“, von denen wir seit Snowdens Enthüllungen, seit | |
Aufdeckung der NSU-Mordserie und der Verwicklungen des | |
„Verfassungsschutzes“ in Neonaziszenen erfahren mussten, führen uns | |
deutlich vor Augen: Diese Skandale haben System, und dieses System ist ein | |
Geheimsystem, das mit den technologischen Möglichkeiten des digitalen | |
Zeitalters Gesellschaften und Demokratien auf immer aggressivere Weise | |
durchsetzt. | |
Der „tiefe Staat“ lässt grüßen. Dafür verantwortlich sind Bundesregieru… | |
und Parlamentsmehrheiten, die dieses System aufrechterhalten und es wuchern | |
lassen – trotz aller Gefährdungen des demokratischen Rechtsstaats und | |
seiner Bürger, trotz millionenfacher Verletzung ihrer Freiheitsrechte und | |
Privatsphäre. | |
## Big Brother Award für BND und Kanzleramt | |
Da fällt mir ein, dass ich erst kürzlich die zweifelhafte „Ehre“ hatte, d… | |
BND mit dem berühmt-berüchtigten Negativpreis Big Brother Award | |
auszuzeichnen. Und vor einem Jahr durfte ich die „Laudatio“ auf das | |
Bundeskanzleramt halten, vertreten durch die Hausherrin, Bundeskanzlerin | |
Angela Merkel (CDU), den Bundeskanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) und den | |
Staatssekretär für Nachrichtendienstangelegenheiten, Klaus-Dieter Fritsche | |
(CSU). | |
Wie sich zeigt, hat es tatsächlich die richtige „Kombi“ erwischt, die | |
Richtigen ohnehin, die es aber versäumten (oder die zu feige waren), die | |
Preistrophäe auch abzuholen. | |
Der Auslandsgeheimdienst BND erhielt den „Preis“ unter anderem, weil er | |
aufs Engste in den NSA-Überwachungsverbund verflochten ist und damit in die | |
globale Massenüberwachung; und weil er täglich Abermillionen von | |
Telekommunikationsdaten sammelt, speichert, auswertet und an ausländische | |
Partnerdienste übermittelt. Darunter auch grundrechtlich geschützte Daten | |
von Bundesbürgern und Unternehmen, deren Weitergabe illegal ist. | |
## Dreiste Vertuschungen | |
Nicht zuletzt erhielt der BND den Negativpreis für seine dreisten | |
Vertuschungen geheimdienstlicher Praktiken vor dem | |
NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags. | |
Und warum verdiente sich das Bundeskanzleramt den Big Brother Award? Weil | |
ihm die oberste Fachaufsicht über den BND obliegt sowie die Koordination | |
aller drei Bundesgeheimdienste untereinander und mit anderen Dienststellen | |
im In- und Ausland. | |
Just hier in dieser politischen Machtzentrale sitzen also die | |
Hauptverantwortlichen dafür, dass deutsche Geheimdienste in die menschen- | |
und völkerrechtswidrige NSA-Überwachungsstruktur verzahnt sind, dass | |
Deutschland das am stärksten überwachte Land Europas ist und dass | |
notwendige Abwehr- und Schutzmaßnahmen unterlassen wurden. | |
Denn sämtliche Bundesregierungen haben es bis heute sträflich unterlassen, | |
die Bürger und von Wirtschaftsspionage betroffene Betriebe vor illegalen | |
Überwachungsattacken zu schützen – obwohl es zu ihren | |
verfassungsrechtlichen Kernaufgaben gehört, diesen Schutz zu gewährleisten. | |
## Gehilfe und Mittäter | |
Die geradezu unterwürfige Haltung der Bundesregierung gegenüber den USA ist | |
der engen deutsch-amerikanischen Kooperation geschuldet und auch der | |
Tatsache, dass Deutschland längst Teil des US-„Kriegs gegen den Terror“ | |
geworden ist. Seit Jahren und Jahrzehnten sind die Bundesregierungen und | |
ihre Nachrichtendienste Komplizen, Gehilfen, ja Mittäter im großen | |
aggressiven Zusammenspiel westlicher Geheimdienste – oder, anders | |
formuliert, willfährige Partner. | |
Deshalb und angesichts der amtlichen Lethargie nach Snowdens Enthüllungen | |
haben sich die Internationale Liga für Menschenrechte und die | |
Datenschutzvereine Digitalcourage und Chaos Computer Club 2014 genötigt | |
gesehen, beim Generalbundesanwalt Strafanzeige gegen Bundesregierung und | |
Geheimdienstverantwortliche zu erstatten. | |
Bekanntlich hat der oberste Ankläger ein offizielles | |
Strafermittlungsverfahren eingeleitet – aber nur wegen des unfreundlichen | |
US-Spionageangriffs auf das Handy der Kanzlerin. Eine Entscheidung, die an | |
der Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz zweifeln lässt. Denn auf ein | |
Ermittlungsverfahren wegen der ungleich schwerer wiegenden massenhaften | |
Ausspähung der ganzen Bevölkerung verzichtet der Generalbundesanwalt – | |
kurioserweise mangels „zureichender Tatsachen“. | |
Offenbar soll der BND sein Image als „Wurmfortsatz“ der NSA, wie ihn | |
NSA-Exmitarbeiter Thomas Drake despektierlich nannte, loswerden und sich | |
vom großen Bruder emanzipieren. Was wir gerade erleben, ist kein | |
In-sich-Gehen, kein Innehalten angesichts der ungeheuerlichen Praktiken. | |
## Globaler Informationskrieg | |
Im Gegenteil, anstatt endlich die Menschen und Unternehmen vor | |
geheimdienstlicher Ausforschung zu schützen, werden wir Zeugen eines | |
fatalen Wettrüstens im globalen Informationskrieg der Geheimdienste – einem | |
Informationskrieg, in dem es nicht nur um „Terrorbekämpfung“ und | |
„Sicherheit“ geht, sondern um geostrategisch-wirtschaftliche Interessen | |
sowie um präventive Vormacht- und Herrschaftssicherung bis hin zur | |
Absicherung militärischer Operationen. | |
Mit Enthüllungen und „lückenloser“ Aufklärung, so wichtig sie auch sind, | |
ist es nicht mehr getan. Auch bloße Reformen, wie derzeit in Planung, | |
werden an den grundsätzlichen Problemen, die Geheimdienste verursachen, | |
nicht allzu viel ändern. | |
Warum? Weil Geheimdienste, die Staat, Verfassung und Demokratie schützen | |
sollen, selbst demokratischen Prinzipien der Transparenz und | |
Kontrollierbarkeit widersprechen und deshalb zu Verselbstständigung, | |
Machtmissbrauch und Willkür neigen. Wenn Geheimdienste ihre Finger im Spiel | |
haben, dann bleibt Aufklärung regelmäßig auf der Strecke. Denn das | |
Geheimhaltungssystem etwa zum Schutz von Informanten, V-Leuten und | |
verdeckten Ermittlern umschlingt auch Justiz und Parlamente, die | |
Geheimdienste kontrollieren sollen und zumeist daran scheitern. | |
## Auch Kontrolle ist nicht demokratisch | |
Die parlamentarische Kontrolle erfolgt ihrerseits geheim, also wenig | |
demokratisch; und Gerichtsprozesse, in denen etwa V-Leute eine Rolle | |
spielen, werden zu Geheimverfahren, in denen Akten manipuliert und | |
geschwärzt, Zeugen gesperrt werden oder nur mit beschränkten | |
Aussagegenehmigungen auftreten dürfen. | |
Angesichts solch struktureller Defizite und Bedrohungen ist es tatsächlich | |
höchste Zeit, das fundamentale Problem von Geheimdiensten in einer | |
Demokratie anzugehen und diesen undurchsichtigen und übergriffigen | |
Überwachungs- und Datenkraken das Handwerk zu legen. Dazu bedarf es einer | |
wirksamen Abrüstung und Zerschlagung des ausufernden | |
geheimdienstlich-informationell-militärischen Komplexes. | |
Um dafür den nötigen politischen Druck aufzubauen, braucht dieses Land | |
dringend eine starke Bürgerrechtsbewegung und widerständige Menschen, die | |
demokratische Gegenwehr entwickeln, die Bürgerrechte und Privatsphäre für | |
das digitale Zeitalter neu erkämpfen und die sich staatlichem | |
Überwachungswahn mit Fantasie widersetzen. | |
2 May 2015 | |
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Rolf Gössner | |
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