# taz.de -- Gesetz zur Überwachung in Frankreich: „Nach Belieben Daten abzwe… | |
> Der Netzaktivist Jérémie Zimmermann warnt vor dem Gesetz, das die | |
> französische Regierung ins Parlament bringt. Es begünstige | |
> Massenüberwachung. | |
Bild: Der BND soll auch französische Regierungsbeamte ausspioniert haben | |
taz: Herr Zimmermann, der deutsche Bundesnachrichtendienst soll | |
französische Regierungsbeamte ausspioniert haben. Die Reaktionen aus Paris | |
sind überschaubar. Wie kommt das? | |
Jérémie Zimmermann: Das wundert mich nicht. Die französische Regierung hat | |
ein großes Interesse daran, dass diese ganze Debatte keine hohen Wellen | |
schlägt. | |
Wieso das? | |
Weil sie selbst an diesem Dienstag ein neues Gesetz zur Massenüberwachung | |
in Frankreich einführen und die Rechte ihrer Geheimdienste massiv ausweiten | |
will. Das Gesetz öffnet den Nachrichtendiensten, Polizei- und Zollbehörden | |
in sehr allgemeiner Weise alle möglichen Abwehr- und Angriffsmöglichkeiten, | |
wo etwa ein „besonderes ökonomisches Interesse Frankreichs“ oder die | |
„Verteidigung außenpolitischer Interessen“ berührt sind. | |
Was geschieht dann? | |
Weil in vielen Fällen der Richtervorbehalt abgeschafft wird, bleiben | |
künftig weite Teile der Justiz außen. Gleichzeitig können Sie mit diesen | |
Regelungen ebenso Atomkraftgegner unter Überwachung stellen wie europäische | |
Energieunternehmen, die beispielsweise zum französischen Nukleraunternehmen | |
AREVA in Konkurrenz stehen. | |
Was genau wird mit dem Gesetzespaket erlaubt? | |
Unsere Behörden können künftig etwa ganz legal eigene Spähsoftware in den | |
Rechenzentren privater Unternehmen, die die Telekommunikationsinfrastruktur | |
betreiben, installieren und dort nach Belieben Daten abzweigen. | |
Terrorbekämpfung soll algorithmisch werden. | |
Bitte? | |
Die Idee ist, dass Algorithmen genutzt werden, um Datenströme zu | |
durchleuchten und verdächtiges Verhalten zu ermitteln. Sie gehen also in | |
die Herzkammern der Kommunikationsnetzwerke und durchleuchten alles, was | |
vorbeikommt, nicht nur Verbindungsdaten, sondern auch | |
Kommunikationsinhalte. Begründet wird das mit den Worten: Wir tun es doch | |
sowieso, dann müssen wir es jetzt auch endlich mal legalisieren. | |
Die Regierung sagt, das Gesetz sei nötig, um Terroranschläge wie den auf | |
die Redaktion von Charlie Hebdo zu unterbinden. Was ist daran falsch? | |
Es ist gelogen. Dieses Gesetz liegt seit zwei Jahren fertig in der | |
Schublade und wurde kurz nach dem Attentat hervorgeholt. Jetzt geht es im | |
Eilverfahren durch die Instanzen. | |
Sie argumentieren formal, nicht inhaltlich? | |
Doch. Es ist eine naive Vorstellung, dass man Terroristen über | |
algorithmische Suchen ausfindig macht. Terroristen handeln höchst | |
konspirativ, sie verfangen sich nicht in offenen Netzinfrastrukturen. Die | |
Charlie Hebdo-Attentäter standen vor der Tat bereits unter Überwachung, die | |
Dienste waren dran. Diese Überwachung wurde einige Monate vor den | |
Attentaten gestoppt. Die Fehlerquelle war eine qualitative | |
Fehleinschätzung, eine falsche Analyse. Wer Terror verhindern will, muss | |
hier ansetzen. Weniger Massendaten, aber mehr Menschen in die | |
Geheimdienste, bessere Analysen. | |
Sie wollen die Geheimdienstapparate vergrößern? | |
Ich bin ja kein Träumer. Es gab immer Geheimdienste und es wird sie immer | |
geben, aber es ist an der Zeit sie transparenter zu gestalten, sie endlich | |
demokratisch kontrollierbar zu machen. | |
Der rechtsextreme Front National, der meist keine Chance auslässt, | |
antimuslimische Ressentiments zu schüren, gehört zu den Gegnern des | |
Anti-Terror-Pakets. Wie ist das zu erklären? | |
Das ist besonders paradox. DerFront National hat sich – vermeintlich – auf | |
die Seite der Bürgerrechte gestellt. Ich möchte mir nicht ausmalen, was | |
geschehen würde, wenn ausgerechnet der Front National eines Tages an die | |
Regierung käme und diese Instrumente in die Hand bekäme. Deswegen ist es | |
auch nötig, so gut es geht eine internationale Bürgerrechtsdebatte über | |
diese Punkte zu organisieren. In Deutschland sind sie da schon sehr weit. | |
Das sehen viele in Deutschland anders. | |
Immerhin haben Sie es zu einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss | |
gebracht. Das ist einmalig in der Welt. Auch die derzeit laufende Debatte | |
zur BND-Affäre zeigt ja zumindest, dass die deutsche Öffentlichkeit ein | |
gutes Gespür und kritische Perspektiven auf das Treiben ihrer Geheimdienste | |
hat. Es gibt zwar in Frankreich auch viel Kritik an den geplanten Gesetzen, | |
doch das Dogma der Hypersicherheit herrscht noch vor. | |
Was meinen Sie damit? | |
Das ist die Vorstellung einer Welt der absoluten Kontrolle und | |
Kontrollierbarkeit. Diese Ideologie entwickelt sich meinem Eindruck nach zu | |
einem neuen Staatsdogma der westlichen Welt. Das wirft auch die Frage nach | |
gesellschaftlicher und politischer, aber auch individueller Verantwortung | |
neu auf. Es bringt die Bürger in eine neue Position. | |
Wie meinen Sie das? | |
Wir erkennen, dass wir an einer historischen Stelle der | |
Technologieentwicklung stehen. Wir dachten jahrelang, dass diese den | |
Bürgern in die Hände spielt, dass sie sie ermächtigt und ihnen hilft, sich | |
zu verwirklichen. Wir dachten, dass die Geräte in unseren Taschen uns | |
gehorchen und mussten feststellen, dass das ein Irrtum war. Wir wissen | |
nicht, was die Chips in unseren Handys und Computern tun, wenn sie in Gang | |
gesetzt werden, mit welchen Netzwerken sie sich verbinden. | |
Und was folgt daraus? | |
Dass die Geräte möglicherweise anderen Besitzern gehorchen. Den Unternehmen | |
im Silicon Valley oder den Programmieren im Fort Meade, wo die NSA ihren | |
US-Sitz hat. Daraus entsteht eigentlich auch ein Handlungsdruck für die | |
Bürger. | |
Welcher denn? | |
Letztlich ist es eine Anforderung an uns, kollektiv zu handeln. Nicht nur | |
politisch, sondern auch auf der sehr konkreten Ebene des Programmierens, | |
des Entwickelns und Neuerfindens von Software und Hardware. Der erste | |
Schritt dahin ist, freie und offene Software zu benutzen, kleine, | |
dezentrale Anbieter zu stärken und uns gegenseitig beizubringen, | |
Verschlüsselungstechniken zu benutzen. | |
4 May 2015 | |
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