| # taz.de -- Koalitionsverhandlungen: Viel Streit, wenig Zeit | |
| > Union und SPD wollen sich in weniger als zwei Wochen einigen. Allerdings | |
| > liegen die Parteien in zentralen Fragen noch weit auseinander. Ein | |
| > Überblick. | |
| Bild: Das kann ja heiter werden: führende SPD-Politiker:innen bei einer Frakti… | |
| Seit Donnerstag verhandeln Union und SPD über eine gemeinsame Regierung – | |
| mit 256 Fachpolitiker*innen in 16 Arbeitsgruppen und unter großem | |
| Zeitdruck. Bis spätestens 24. März soll ein Ergebnis feststehen. Was sind | |
| die möglichen Streitpunkte? | |
| Migration | |
| Union und SPD wollen auf radikale Abschottung setzen. | |
| [1][Asylbewerber*innen sollen zurückgewiesen werden], laut | |
| Sondierungspapier „in Abstimmung“ mit Nachbarstaaten. Eine vage | |
| Formulierung – die SPD interpretiert sie so, dass Rückweisungen nur mit | |
| Einverständnis der anderen Länder möglich sind. Die Union findet dagegen, | |
| es reiche aus, deren Regierungen zu informieren. | |
| Doch selbst wenn die Union sich durchsetzen sollte, scheint es | |
| unwahrscheinlich, dass die kommende Bundesregierung wirklich einen | |
| nationalen Alleingang wagt. Alternativ könnte sie [2][auf eine gemeinsame | |
| europäische Abschottung] setzen. Unklar ist auch, wie viel Geld künftig für | |
| Integrationskurse übrig bleibt. Die Ampelkoalition hatte hier zuletzt | |
| massiv gespart. Bei zahlreichen weiteren Einschränkungen der Rechte von | |
| Geflüchteten sind sich Union und SPD dagegen bereits einig. Frederik | |
| Eikmanns | |
| Wohnungspolitik | |
| Die Mietpreisbremse gilt noch bis Ende des Jahres, jetzt wollen Union und | |
| SPD sie um zwei Jahre verlängern. Viel ist das nicht, schließlich geht es | |
| um ein Gesetz, das dort greift, wo die Wohnungsnot besonders groß ist. | |
| Offen bleibt auch, [3][inwieweit die beiden Parteien an einer Reform | |
| interessiert sind]. Ein Beispiel: Die Mietpreisbremse gilt nicht für | |
| Neubauten – und als Neubau gelten alle Gebäude, die ab Oktober 2014 | |
| vermietet wurden. Schon lange wird diskutiert, den Stichtag anzupassen. | |
| Allgemein kann sich die Arbeitsgruppe „Verkehr und Infrastruktur, Bauen und | |
| Wohnen“ in puncto Mietrecht auf harte Verhandlungen gefasst machen. Denn | |
| die Union will das Mietrecht nicht verschärfen und setzt lieber aufs Bauen. | |
| Das soll, darin sind sich die Parteien immerhin einig, [4][schneller und | |
| einfacher werden]. Auch einen Ausbau des sozialen Wohnungsbaus sehen sie | |
| vor. | |
| Doch werden Förderprogramme so gestaltet, dass sie keine Preistreiber | |
| werden? Und wird das Bauministerium als eigenes Ministerium bestehen | |
| bleiben? Es bleibt spannend. Jasmin Kalarickal | |
| Bürgergeld | |
| Wenn es um die finanzielle Absicherung für Arbeitslose geht, spricht die | |
| Tonlage der Union für sich: „Mitwirkungspflichten und Sanktionen“ für | |
| Arbeitsunwillige [5][sollen verschärft werden], ein „Vermittlungsvorrang“ | |
| solle gelten für Menschen, „die arbeiten können“. „Diese Menschen müss… | |
| schnellstmöglich in Arbeit vermittelt werden“, so steht es im | |
| Sondierungspapier. | |
| Bisher schon erlaubt die Gesetzeslage erhebliche Sanktionen. Im Jahr 2023 | |
| gab es aber nur in etwas mehr als 15.000 Fällen überhaupt Kürzungen des | |
| Regelsatzes wegen Verweigerung oder Abbruch von Arbeit, Ausbildung oder | |
| Maßnahme. Wer sich etwa vom Jobcenter zu einem Hilfsjob in der Zeitarbeit | |
| gezwungen fühlt, dürfte sich dem eher durch eine Krankschreibung als durch | |
| offene Verweigerung entziehen, schildert ein Praktiker aus einem Jobcenter, | |
| der anonym bleiben will. | |
| Die SPD hatte in ihrem Wahlprogramm noch eine Fortsetzung des „sozialen | |
| Arbeitsmarktes“, also Beschäftigungsmaßnahmen für schwer vermittelbare | |
| Langzeitarbeitslose, versprochen. Davon ist nun nicht mehr die Rede. | |
| Barbara Dribbusch | |
| Wehrpflicht | |
| Wenn alles nach Plan läuft, soll die Zahl der Soldat*innen in der | |
| Bundeswehr bis zum Jahr 2031 auf 203.000 steigen. [6][Laut dem jüngsten | |
| Bericht der Wehrbeauftragten] des Bundestags geht der Trend jedoch in die | |
| entgegengesetzte Richtung. Das Durchschnittsalter in der Truppe ist auf 34 | |
| Jahre gestiegen, die Zahl der Soldat*innen im Vergleich zum Vorjahr | |
| leicht gesunken. | |
| Federführend für die Außen- und Verteidigungspolitik bei den | |
| Koalitionsverhandlungen ist aufseiten der Union Florian Hahn (CSU). Dieser | |
| sprach sich zuletzt für eine Wiedereinführung der Wehrpflicht aus. „Noch im | |
| Jahr 2025 müssen die ersten Wehrpflichtigen durch die Kasernentore | |
| schreiten“, erklärte er Anfang März. Die Fachpolitiker*innen der SPD | |
| sehen das anders. Die Wehrbeauftragte Eva Högl sagte, die Bundeswehr würde | |
| mangels Kasernen und Ausbilder*innen eine Wiedereinführung der | |
| Wehrpflicht kaum verkraften. Diese sei „weder modern noch hilft sie der | |
| Bundeswehr in irgendeiner Art und Weise, ihr Personalproblem zu lösen“, | |
| warnte Högl. Vielmehr müsse es darum gehen, den Dienst attraktiver zu | |
| machen. Cem-Odos Güler | |
| Demokratieförderung | |
| „Wir wollen unsere Demokratie stärken und schützen“, heißt es vage im | |
| Sondierungspapier. Wie das konkret aussehen soll, darüber sind sich Union | |
| und SPD noch uneinig. Die SPD spricht sich schon lange für ein | |
| Demokratiefördergesetz aus. In der Ampel scheiterte eine Umsetzung jedoch | |
| an der FDP, in der Groko davor an der CDU. | |
| Das könnte auch diesmal drohen. Silvia Breher, zuständig für das im | |
| Familienministerium angesiedelte Thema, [7][plädierte bislang gegen ein | |
| solches Gesetz] – wegen angeblicher Förderung linksextremistischer oder gar | |
| islamistischer Organisationen. Ähnlich [8][sieht es die CSU-Verhandlerin | |
| Susanne Hierl]. Stattdessen könnten sie eine möglichst restriktive | |
| Extremismusklausel fordern. Das schließe eine Einigung mit der SPD aus. | |
| Das Problem bleibt drängend: Im Osten gibt es bereits eine extrem rechte | |
| Hegemonie, die sich nicht nur im verrohten Diskurs niederschlägt, sondern | |
| auch in explodierender rechter Gewalt. Umso dringender fordern | |
| Demokratieprojekte insbesondere dort Sicherheit. [9][Dass die Union bereits | |
| jetzt zusammen mit der AfD Fördergelder streicht] und den rechtsextremen | |
| Mythos vom „tiefen Staat“ [10][in 551 inquisitorischen Fragen zu linken | |
| NGOs wiederkäut], lässt nichts Gutes vermuten. Gareth Joswig | |
| Steuern und Finanzen | |
| Union und SPD wollen die „breite Mitte“ durch eine Einkommenssteuerreform | |
| entlasten. So weit, so Wahlkampfversprechen. Doch was ist mit der | |
| Gegenfinanzierung? Bis zu 64 Milliarden könnten Steuerentlastungen und | |
| Ausweitungen von Sozialleistungen kosten, [11][hat das Deutsche Institut | |
| für Wirtschaftsforschung (DIW) errechnet]. | |
| Die SPD hatte vor der Bundestagswahl noch gedroht, Topverdiener:innen | |
| stärker zur Kasse zu bitten. Wer mehr als 1,3 Millionen Euro verdient (die | |
| sogenannten oberen 1 Prozent), [12][solle ruhig mehr Steuern zahlen]. Im | |
| Sondierungspapier findet sich darauf kein Hinweis mehr. Auch der Begriff | |
| „Erbschaftssteuerreform“ taucht nicht auf. | |
| Druck machen vor allem die Grünen, deren Zustimmung für die geplanten | |
| Grundgesetzänderungen gebraucht wird. Sie wollen den Sondervermögen nicht | |
| zustimmen, wenn Spielräume im Haushalt dann genutzt werden, um | |
| Steuerentlastungen zu bezahlen, von denen Besserverdienende am meisten | |
| profitieren. Schlagworte wie Steuergerechtigkeit und Einbeziehung von | |
| Milliardären [13][müssten im Koalitionsvertrag auftauchen] – für SPD-Linke | |
| wie Tim Klüssendorf und Michael Schrodi sicher ein willkommenes Argument, | |
| um Druck zu machen. Sie haben die SPD-Forderungen nach Vermögens- und | |
| Erbschaftssteuer mit erarbeitet. Anna Lehmann | |
| 15 Mar 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Asylplaene-von-SPD-und-Union/!6071792 | |
| [2] /Plaene-zu-Asyl-der-EU-Kommission/!6075286 | |
| [3] /Mietenpolitik/!6041130 | |
| [4] /Wohnungsnot-in-Deutschland/!6064162 | |
| [5] /CDU-und-Ampel-wollen-sanktionieren/!5996499 | |
| [6] /Geld-fuers-Militaer/!6071654 | |
| [7] https://www.ruhrbarone.de/wir-brauchen-kein-demokratiefoerdergesetz-sondern… | |
| [8] https://susanne-hierl.de/2023/11/03/demokratiefoerderung-fuer-linksextreme-… | |
| [9] /CDU-Anfragen-zu-NGOs/!6071548 | |
| [10] /Antwort-auf-551-Fragen-zu-NGOs/!6071785 | |
| [11] https://www.diw.de/de/diw_01.c.936228.de/publikationen/diw_aktuell/2025_01… | |
| [12] /Steuerrefrom/!6039786 | |
| [13] /Gruene-blockieren-Milliardenpaket/!6075076 | |
| ## AUTOREN | |
| Cem-Odos Güler | |
| Frederik Eikmanns | |
| Jasmin Kalarickal | |
| Barbara Dribbusch | |
| Gareth Joswig | |
| Anna Lehmann | |
| ## TAGS | |
| Friedrich Merz | |
| SPD | |
| GNS | |
| CDU/CSU | |
| Koalitionsverhandlungen | |
| Regierungsbildung | |
| Bürgergeld | |
| Freie Wähler | |
| Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
| Friedrich Merz | |
| Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Verhandlungen von Union und SPD: Koalition unterstellt Erwerbslosen pauschal Fa… | |
| Die künftige schwarz-rote Regierung will schärfere Strafen: Erfahrungen | |
| beim Bürgergeld aber zeigen, dass komplette Sanktionen kaum einlösbar sind. | |
| Finanzpaket im Bundesrat: Nun steht Hubsi doch im Rampenlicht | |
| Die Grünen sind im Boot, doch jetzt muss das Finanzpaket noch durch den | |
| Bundesrat. Und damit kommt es auch auf Hubert Aiwanger an. | |
| Debatte im Bundestag: Merz braucht Nachhilfe – von Merkel | |
| Friedrich Merz will schnellstmöglich die Milliarden für Verteidigung und | |
| Infrastruktur sichern. Viel Verhandlungstalent zeigt er dabei nicht. | |
| Schwarz-rote Sondierungen abgeschlossen: Union und SPD wollen gemeinsam regieren | |
| Union und SPD haben ihre Sondierungen erfolgreich beendet, nun sollen | |
| Koalitionsverhandlungen folgen. Zur Umsetzung des milliardenschweren | |
| Finanzpakets will Friedrich Merz auf die Grünen zugehen. | |
| Schwarz-rote Sondierungen: So einfach darf Merz nicht davonkommen | |
| Investitionen sind dringend notwendig, aber die Finanzpläne von Union und | |
| SPD sind der falsche Weg. Die Grünen sollten sie ablehnen. |