| # taz.de -- Koalitionsbildungen in Ostdeutschland: Im Osten was Neues | |
| > Nur weil im Bund viel los ist, sind die Regierungsbildungen in Sachsen, | |
| > Thüringen und Brandenburg nicht weniger historisch. Wer es jetzt wo mit | |
| > wem macht. | |
| Bild: Es geht um die Wurst: Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschm… | |
| Berlin taz | Es ist ein bisschen still geworden um Ostdeutschland. Als | |
| „Schicksalswahlen“ hatten Medien, aber auch Sachsens Ministerpräsident | |
| Michael Kretschmer (CDU) die drei Landtagswahlen im September bezeichnet. | |
| Auch die taz hat regionale Foren mit der Zivilgesellschaft organisiert und | |
| die Berichterstattung aus Sachsen, Thüringen und Brandenburg verstärkt. | |
| Die Ergebnisse waren tatsächlich historisch: Erstmals wurde eine | |
| rechtsextreme Partei stärkste Kraft (Thüringen) und verfügt über die | |
| [1][Sperrminorität in zwei Ländern (Brandenburg und Thüringen]). Und das | |
| Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), eine Partei, die es vor einem Jahr noch | |
| gar nicht gab, wurde jeweils drittstärkste Kraft und wird wohl an zwei | |
| Landesregierungen beteiligt sein. Das zeigt, wie sehr sich die | |
| parlamentarische Demokratie im Osten wandelt. Pessimistischer ausgedrückt: | |
| wie fragil sie ist. | |
| Mit dem [2][Bruch der Ampelkoalition] im Bund hat sich die Aufmerksamkeit | |
| der Öffentlichkeit wieder abgewandt. Dabei ist das Ende der Ampel ohne die | |
| Ostwahlen und die katastrophalen Ergebnisse der Ampelparteien kaum zu | |
| erklären. | |
| Das mit der Aufmerksamkeit dürfte sich nächste Woche zumindest kurzzeitig | |
| ändern. Die zukünftigen Koalitionen stehen, nun kommen die Wahlen in den | |
| Landtagen. Überall wackeln die Mehrheiten. Und dann ist da noch die AfD, | |
| die sich noch etwas einfallen lassen könnte. | |
| ## Sachsen | |
| Etwas mehr als hundert Seiten Koalitionsvertrag haben Union und SPD in | |
| Sachsen ausgehandelt. Sie wollen mehr Freiräume für Unternehmen schaffen, | |
| in Bildung investieren, Anreize für mehr Klimaschutz setzen und „irreguläre | |
| Migration“ begrenzen. Allerdings hat der Vertrag einen Haken: Die beiden | |
| Parteien haben zusammen nur 51 Stimmen und keine Mehrheit im Landtag – | |
| ihnen fehlen zehn Stimmen. | |
| Michael Kretschmer, amtierender Ministerpräsident und CDU-Chef in Sachsen, | |
| gab sich entspannt, als er den Vertrag am Mittwoch vorstellte. „Eins nach | |
| dem anderen“, antwortete er auf die Frage, wann er vorhabe, nach Stimmen | |
| für seine Minderheitenkoalition zu suchen. Die stellvertretende | |
| Fraktionsvorsitzende der SPD, Laura Stellbrink, erklärte der taz am | |
| Donnerstag, CDU und SPD hätten sich zunächst untereinander einigen wollen, | |
| bevor sie mit BSW, Grünen oder Linken sprechen. | |
| Dabei drängt die Zeit. Nach taz-Informationen ist der 18. Dezember als | |
| Termin für die Wahl von Michael Kretschmer zum Ministerpräsidenten im | |
| Gespräch. Dafür bräuchte er im zweiten Wahlgang mindestens die Mehrheit der | |
| abgegebenen Stimmen. Vom BSW, den Grünen und Linken hieß es bislang, | |
| Kretschmer habe ihre Stimmen nicht sicher. Mit den 40 Mitgliedern der | |
| AfD-Fraktion will die Minderheitsregierung nicht zusammenarbeiten. | |
| Seit der konstituierenden Sitzung am 1. Oktober läuft eine Frist für den | |
| Landtag: Schafft er es nicht, einen Ministerpräsidenten zu wählen, löst er | |
| sich im Februar auf und es stehen Neuwahlen an. | |
| ## Thüringen | |
| Nach wochenlangen Verhandlungen haben sich [3][CDU, BSW und SPD in | |
| Thüringen auf einen Koalitionsvertrag geeinigt]. Die Diskussion darüber, | |
| wie die Parteien zum Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine stehen, wurde | |
| mit einem Absatz in der Präambel gelöst: Man sei sich einig, einen | |
| diplomatischen Frieden in Europa zu wollen. Wie man den erreichen wolle, da | |
| sei man eben unterschiedlicher Auffassung. | |
| Ob die SPD-Basis und der BSW-Landesparteitag dem Koalitionsvertrag am | |
| Wochenende wie erwartet grünes Licht geben, stand zum Redaktionsschluss | |
| noch aus, aber der nächste Schritt ist schon geplant: Am Donnerstag tritt | |
| im Thüringer Landtag CDU-Chef Mario Voigt bei der Wahl zum | |
| Ministerpräsidenten an. Er hat die Stimmen seiner CDU, der SPD und des BSW | |
| sicher. Trotzdem kommt er nur auf 44 der 88 Stimmen, keine Mehrheit. Aber | |
| es genügt, wenn Voigt im dritten Wahlgang die meisten Stimmen bekommt. | |
| Allerdings deutet sich an, dass die AfD erneut tricksen könnte, um für | |
| Aufsehen zu sorgen – wie 2020, als sie den FDP-Politiker Thomas Kemmerich | |
| zum Ministerpräsidenten wählte. Um ihn in Erklärungsnot zu bringen, könnte | |
| die rechtsextreme Partei im ersten Wahlgang geschlossen für Voigt stimmen, | |
| obwohl sie ihn als Ministerpräsidenten ablehnt. | |
| Wie reagiert Voigt, sollte sich trotz geheimer Wahl abzeichnen, dass er mit | |
| AfD-Stimmen ins Amt gekommen ist? „Man macht sich nicht abhängig vom | |
| Verhalten der AfD“, sagt er. Was das konkret bedeutet, ließ Voigt offen. | |
| Genauso offen ist bislang, wie die CDU-BSW-SPD-Koalition Gesetze durch den | |
| Landtag bringen möchte. Zwar gab es Gespräche mit der Linken, doch die | |
| fordert ein schriftliches Abkommen. Die CDU schließt das aus. Sie verweist | |
| auf ein „prälegislatives Konsultationsverfahren“, mit dem die Regierung | |
| frühzeitig die Opposition mit einbeziehen möchte. Wie das Verfahren | |
| aussehen soll, darüber äußern sich die Koalitionsparteien unterschiedlich. | |
| ## Brandenburg | |
| Stoisch ist vielleicht das beste Wort für das [4][Zustandekommen der | |
| Koalition aus SPD und BSW in Brandenburg]. Stoisch räumte Ministerpräsident | |
| Dietmar Woidke (SPD) alles ab, was dem Bündnis im Weg stehen könnte. | |
| Stoisch verhandelte BSW-Landes- und Fraktionschef Robert Crumbach erst das | |
| Sondierungspapier, dann den Koalitionsvertrag. | |
| Nun steht der 67-seitige Vertrag. Wer handfeste Überraschungen erwartet | |
| hat, mag enttäuscht sein. Vieles bleibt, wie es ist, das schreibt sich vor | |
| allem die märkische SPD aufs Habenkonto. Und das BSW freut sich über 500 | |
| zusätzliche Stellen für die Polizei, ein Bekenntnis zum Erhalt aller | |
| Krankenhäuser sowie ein Handyverbot in den Grundschulen. Klimaschutz spielt | |
| fortan eine untergeordnete Rolle, auch wenn am Kohleausstieg 2038 | |
| festgehalten wird. Am Freitagabend stimmten beide Landesverbände auf ihren | |
| Parteitagen dem Koalitionsvertrag zu. Dietmar Woidke könnte also am 11. | |
| Dezember wieder zum Ministerpräsidenten gewählt werden. | |
| Schon bald nach der Landtagswahl am 22. September hatte sich abgezeichnet, | |
| dass von allen möglichen Regierungsbeteiligungen des BSW die in Brandenburg | |
| am wahrscheinlichsten sein dürfte. Kein Machtkampf mit Sahra Wagenknecht | |
| wie in Thüringen, kein Streit in der Fraktion wie in Sachsen: In der Mark | |
| wurde erst geräuschlos sondiert, dann verhandelt, stoisch eben. | |
| Selbst das Lob von Sahra Wagenknecht für die im Sondierungspapier gefundene | |
| Formulierung zum sogenannten Friedensthema brachte keine Unruhe in die SPD. | |
| Dietmar Woidke kam dem BSW auch deshalb weit entgegen, weil er keine | |
| andere Wahl hatte. Nur eine Koalition mit der Wagenknecht-Partei hat im | |
| Potsdamer Landtag eine Mehrheit: 46 von 88 Sitzen. Ein Bündnis mit der AfD | |
| hatten SPD und CDU zuvor ausgeschlossen. | |
| Dass Rot-Lila ein Erfolgsmodell wird, ist trotz allem Stoizismus nicht | |
| gesetzt. Das hat die Ankündigung des BSW-Abgeordneten [5][Sven Hornauf] | |
| gezeigt, Woidke wegen der Stationierung eines israelischen | |
| Waffenabwehrsystems nicht wählen zu wollen. Sollte er dabei bleiben, hätte | |
| Rot-Lila nur eine Stimme Mehrheit. Spannend also, aber bis dahin bleiben | |
| alle stoisch. | |
| 8 Dec 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Kersten Augustin | |
| David Muschenich | |
| Uwe Rada | |
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