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# taz.de -- Regierungsbildung in Thüringen: Thüringer Wagenknechte mögen ein…
> Der BSW-Parteitag in Ilmenau stimmt überraschend klar für eine Koalition
> mit CDU und SPD. Allerdings fehlt der Dreierkonstellation im Landtag eine
> Stimme zur absoluten Mehrheit.
Bild: Katja Wolf, Sahra Wagenknecht und Steffen Schütz freuen sich über das A…
Ilmenau taz | Gab es irgendwann Differenzen zwischen dem Thüringer
BSW-Landesverband und der Großen Vorsitzenden Sahra Wagenknecht, gar ein
mühsam kaschiertes Murren gegen deren Einfluss? Beim Zustimmungsparteitag
des BSW Thüringen zum ausgehandelten [1][Koalitionsvertrag mit CDU und SPD]
in Ilmenau blieben davon höchstens noch Journalistenfragen. Was Wunder,
„Über allen Gipfeln ist Ruh´“, beginnt Goethes Gedicht „Wanderers
Nachtlied“, das er hier 1780 am Kickelhahn schrieb. Nicht hundert Prozent
wie tags zuvor in Brandenburg, aber 76 von anwesenden 104 Parteimitgliedern
stimmten am Sonnabend dem „Brombeer“-Vertrag zu.
Die Ruhe des Thüringer Waldes schien die geradezu adventliche Eintracht in
der Festhalle Ilmenau zu stimulieren. Die Thüringer BSW-Familie mit 126
Mitgliedern – immerhin zweieinhalbmal mehr als in Brandenburg – füllte kaum
die Hälfte des Saales. Der gesamte Landesverband passte sogar auf ein Foto
mit der angereisten Sahra Wagenknecht.
Nur angedeutet wurde, dass die Koalitionsverhandlungen Ende Oktober zu
scheitern drohten, weil Wagenknecht die Friedensformel im Sondierungspapier
nicht genügte. Die heikle Aufnahme neuer Mitglieder am Landesverband vorbei
rechtfertigt sie heute mit den Eigenheiten einer jungen Partei, auch
parallele Anträge an den Bundesvorstand zu berücksichtigen. „Schwamm
drüber!“, kommentiert die Landesvorsitzende Katja Wolf, „das passiert uns
nicht nochmal“. Nach einem klärenden Gespräch mit der Bundesvorsitzenden
habe sie immerhin aushandeln können, dass auch der Thüringer Landesverband
in eigener Regie weitere Mitglieder aufnehmen durfte. „Es tut mir in der
Seele weh, wenn versucht wird, einen Keil zwischen Sahra und mich zu
treiben“, begann Wolf ihre Rede an den Parteitag, den sie „historisch“
nannte.
Sie stellte die ablesbaren BSW-Spuren im Koalitionsvertrag heraus, die über
Symbolpolitik hinausgingen. Nicht nur in der Präambel werden diplomatische
Friedensbemühungen um Frieden in der Ukraine favorisiert. Auch im
maßgeblich vom BSW mitgeprägten Bildungskapitel wird die Schule als ein
„Lernort für Freiheit, Toleranz, Völkerverständigung und Frieden“
beschrieben. Die Verhandlungsführung des BSW sei von den Maximen „den
Alltag der Bürger spürbar verbessern“ und dem „Fokus auf einen
funktionierenden Staat“ bestimmt worden. „Wir sind die einzige echte
politische Alternative in Thüringen“, spielte sie auf die AfD-Konkurrenz
an.
Emotionaler präsentierte sich ihr Ko-Vorsitzender Steffen Schütz. Er
beschwor die „ostdeutsche DNA“ größeren Improvisationsvermögens und
geißelte die „Kriegslüsternheit der politischen Klasse“. „Wir werden ei…
Zumutung sein“, drohte er den „Kriegslüsternen“ und jenen an, die die
Probleme der einfachen Bürger vergessen.
Sahra Wagenknecht lastete die Verstimmungen und Kommunikationsprobleme der
„Anspannung und der Fehlerangst in einer jungen Partei“ an. Es sei eine
Gratwanderung gewesen, zu entscheiden, wann man einen Markenkern schützen
und damit glaubwürdig bei Wählern bleiben musste, und wann man sich auf
Kompromisse einlassen konnte. Mit Blick auf den beginnenden
Bundestagswahlkampf kündigte sie an, „auch auf der Bundesebene ein
Machtfaktor“ werden zu wollen.
Dieser selbstbewusste neue Anspruch des Bündnisses entspringt einem auch in
Ilmenau spürbaren Stolz auf überraschende Erfolge in vier Wahlen 2024. Man
hat geschuftet und eine Partei aufgebaut, in Thüringen 15,8 Stimmenprozent
geholt und einen Koalitionsvertrag gezimmert. Das schweißt zusammen. Man
duzt sich generell, man umarmt sich und klopft sich auf die Schulter. „Wir
sitzen in einem Boot, und alle haben ein Paddel in der Hand“, benutzte
Katja Wolf das bekannte Bild, erweiterte es aber um den Satz: „Jetzt
wünsche ich mir nur noch, dass alle in dieselbe Richtung paddeln!“
Bei den Mitgliederstatements überwog die Mahnung, die Chance zu sofortiger
Mitgestaltung zu nutzen, anstatt sich zunächst in die Opposition
zurückzuziehen. Skepsis wurde eher gegenüber den Koalitionspartnern CDU und
SPD laut. Bei der Abstimmung war das nur für 26 Mitglieder ein
Verweigerungs- und für zwei ein Enthaltungsgrund. Inhaltliche Gründe wurden
kaum genannt.
Eigentlich fehlte am Schluss nur noch der Rütlischwur „Wir wollen sein ein
einzig Volk von Brüdern (und Schwestern)“. Deutlich wurde bei aller
Aufbruchstimmung und Friedensromantik aber auch, dass nur der überwiegend
aus der Linken „desertierte“ Teil dieser jungen Partei die Mühen der Ebene
schon kennt. Haushaltsvorbehalte, Finanzierungsfragen überhaupt wurden nur
angedeutet. Einige Tage zuvor hatte die MDR-Fernsehdebatte „Fakt ist“ den
Thüringer Koalitionsvertrag bereits auf den Prüfstand gestellt. Von einem
großen Sprung nach vorn kann beispielsweise bei den realistischen Zahlen
von Lehrer- und Polizistenneueinstellungen nicht die Rede sein. Und die für
jeden Bürger in maximal 20 Minuten erreichbare medizinische Versorgung ist
in der Praxis fast flächendeckend längst Realität.
Der zentrale Punkt der Mehrheitsbeschaffung für die „Brombeerkoalition“
aber wurde überhaupt nicht angesprochen. Sie verfügt nur über genau die
Hälfte der 88 Erfurter Landtagssitze. Am 12. Dezember aber will sich
CDU-Fraktionschef Mario Voigt bereits zum Ministerpräsidenten wählen
lassen. Kann die Linke ein Partner sein und braucht es dafür eine
Vereinbarung, die nicht Tolerierung bedeutet? Während des zweiten Teils des
Ilmenauer Parteitages wählte das Thüringer BSW dann am Nachmittag seine
Kandidaten für den wahrscheinlich im Februar zu wählenden Bundestag.
7 Dec 2024
## LINKS
[1] /Koalitionsabkommen-in-Thueringen/!6048037
## AUTOREN
Michael Bartsch
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