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# taz.de -- BSW in Koalitionen: Bald an der Macht – aber mit Risiko
> Das Bündnis Sahra Wagenknecht steht vor Regierungsbeteiligungen. Der
> Widerspruch zwischen Systemveränderung und einem Weiter so bleibt
> ungelöst.
Bild: Lebt von den Projektionen der anderen: Sahra Wagenknecht (BSW)
Was hatte es im Vorfeld nicht an Warnrufen gegeben: Wagenknecht sei eine
„Systemsprengerin“, titelte der Spiegel. Sie drohe, die Westbindung
Deutschlands aufzukündigen und die Union zu „zerstören“, fürchteten manc…
in der CDU und forderten einen Unvereinbarkeitsbeschluss. Aber auch in der
SPD gab es Unmut: Brandenburgs SPD-Wirtschaftsminister Jörg Steinbach warf
aus Protest gegen die Koalition mit Wagenknechts Leuten hin.
Diese Überhöhung spielt Sahra Wagenknecht in die Hände. Sie wolle einen
„echten politischen Wandel“, trompetete sie im Wahlkampf, ein „Weiter so�…
werde es mit ihr nicht geben. Darum ist der Streit um die Stationierung von
Raketen und Friedensverhandlungen mit Russland so wichtig für sie, auch
wenn das Thema in der Landespolitik keine große Rolle spielt.
Das Getöse soll den Eindruck erwecken, dass es um Grundsätzliches geht. Das
ist identitätsstiftend. [1][Nun liegen in Brandenburg und Thüringen die
ersten Koalitionsverträge des BSW vor] und siehe da, die Revolution ist
abgesagt, das Abendland geht nicht unter. Sicher, die neue Partei hat
Akzente gesetzt: Das Wort „Frieden“ etwa steht 28 Mal im Thüringer
Koalitionsvertrag. Die Handschrift des BSW ist erkennbar. Doch es ist eine
größtenteils sozialdemokratische und teilweise konservative Handschrift und
sicher keine systemstürzende. Das zeigt: Wagenknecht ist ein Scheinriese.
Sie wirkt aus der Entfernung weitaus größer und bedrohlicher, als sie in
Wirklichkeit ist. Sie lebt von den Projektionen der anderen. Aus der Nähe
betrachtet schrumpft sie auf Normalmaß zusammen.
Bisher kannte Wagenknecht nur die Fundamentalopposition. Nun wird sie in
Thüringen und Brandenburg jeweils drei Ministerien besetzen. Damit geht sie
vor der Bundestagswahl ein großes Risiko ein: Zum einen fehlt ihr das
Personal. Indem sie externe Fachleute ins Amt hievt, könnte Wagenknecht aus
der Not eine Tugend machen. Ihr Vorschlag, nach der Bundestagswahl eine
„Expertenregierung“ zu bilden, weist bereits in diese Richtung.
Zum anderen aber muss ihre Partei Kompromisse eingehen und Verantwortung
tragen – und könnte damit Wähler enttäuschen, die sich mehr erwartet haben.
Der Einbruch, den das BSW derzeit in den Umfragen erfährt, dürfte damit
zusammenhängen. Wagenknecht habe Sorge, „dass wir durch unseren
pragmatischen Thüringer Stil ihr Wahlkampfkonzept einer klaren Abgrenzung
zu anderen Parteien kaputtmachen“, analysierte BSW-Landeschefin Katja Wolf
in der Zeit. Deshalb reagiert Wagenknecht so scharf auf den Vorwurf der
AfD, sie sei bloß eine „Steigbügelhalterin“ und „nützliche Idiotin“ …
„Altparteien“, die sie für ein „Weiter so“ einspannten. Das ist weitaus
imageschädigender als der Vorwurf, sie sei Putins Marionette.
Dabei ist „Weiter so“ genau das, was viele Wagenknecht-Wähler wollen:
[2][Sie wollen möglichst lange weiter Benzin tanken]. Sie wollen nicht,
dass sich ihr gewohntes Umfeld durch Einwanderung zu sehr verändert und
dass sich Russlands Krieg in der Ukraine auf ihren Geldbeutel auswirkt.
[3][Sie fürchten sich vor zu viel Veränderung und um ihre soziale
Sicherheit].
## Realitätsschock wird kommen
Darum hat das BSW ziemlich viel „Weiter so“ durchgesetzt: In Brandenburg
will es den Kohleausstieg hinauszögern und alle Krankenhäuser erhalten. In
Thüringen will es mit CDU und SPD trotz Geburtenrückgangs möglichst viele
Schulen und sogar Kinos auf dem Land retten, die ärztliche Versorgung
garantieren und stillgelegte Bahnstrecken wieder in Betrieb nehmen. Wie das
finanzieren werden soll, ist unklar.
Thüringen schleppt ein strukturelles Haushaltsdefizit von über 1,3
Milliarden Euro mit sich mit, und auch in Brandenburg wachsen die Bäume
nicht in den Himmel: Das Land rechnet mit 403,7 Millionen Euro weniger
Steuereinnahmen als erwartet. Man werde Prioritäten setzen müssen, kündigt
Brandenburgs BSW-Chef Robert Crumbach schon mal an. Und in Thüringen hat
man erkannt, dass man ohne gezielte Anwerbeoffensive für ausländische
Fachkräfte bald nicht mehr genug Ärzte, Pfleger und Apotheker haben wird.
Ganz ohne weitere Einwanderung wird es also auch in Thüringen nicht gehen.
Das BSW kann aber noch für Überraschungen gut sein. Das liegt am
ambivalenten Verhältnis zur AfD. In Brandenburg und Thüringen hat es eine
Zusammenarbeit mit der AfD zwar ausgeschlossen. In Sachsen, wo sich das BSW
einer Koalition verweigerte, hat es aber bereits zwei Mal Anträgen der AfD
zugestimmt: zur Aufarbeitung der Coronamaßnahmen und zur Stationierung von
US-Raketen. Das BSW weicht die Brandmauer nach rechts auf. Damit könnte es
die politische Landschaft langfristig am stärksten erschüttern.
30 Nov 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Daniel Bax
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