# taz.de -- Kinofilme über die Pandemie: Corona ist so unfotogen | |
> Über ein Jahr Pandemie ist rum, doch auf der Leinwand schlägt sich die | |
> neue Covid-Realität kaum nieder. Das dürfte auch noch Jahre so bleiben. | |
Bild: Dramaturgisch schwer umzusetzen: Kommunikation im Lockdown. Szene aus „… | |
Erste Coronabücher sind längst verfasst und Lockdown-Songs auf den Markt | |
gebracht. Nach über einem Jahr Pandemie machen sich nun auch in der | |
Filmbranche die Covid-Einflüsse langsam bemerkbar. Szenen mit körperlicher | |
Nähe sind seltener, auf Bilder größerer Massen wird verzichtet. Doch | |
inwieweit die Pandemie ernsthaft Gegenstand in Filmen sein wird, ist | |
fraglich. | |
Ein die Welt lahmlegendes Virus, das stetig mutiert, ist eigentlich der | |
perfekte Stoff für Katastrophenfilme. Nicht ohne Grund [1][kam 2020 | |
„Pandemie“ in die internationalen Kinos, obwohl der südkoreanische Film aus | |
dem Jahr 2013 stammte]. Mit „Songbird“ wurde in diesem Jahr zudem der erste | |
während der Pandemie gedrehte Virusfilm auf Amazon Prime veröffentlicht. | |
Darin hat das mehrfach mutierte Coronavirus, Covid23, seine Tödlichkeit | |
maximiert. Wer sich infiziert, wird samt seiner Angehörigen in | |
Quarantänecamps verlegt, die keiner lebend wieder verlässt. Die Kritiken | |
fielen durchweg schlecht aus. Ein wenig mulmig wird einem beim Zusehen | |
schon, allerdings ist die Welt im Covid-Thriller von unserer Realität noch | |
so weit entfernt, dass er nicht ernstlich für Unbehagen sorgt. | |
Ohnehin scheinen Pandemiefilme nur zu überzeugen, wenn das Virus extrem | |
ansteckend ist, innerhalb von Stunden tötet und einen signifikanten Teil | |
der Weltbevölkerung auslöscht. Der meist geschaute Film während der | |
Coronazeit ist [2][„Contagion“ (2011)], da in ihm realistisch der Verlauf | |
einer Virusmutation bis zur Pandemie nachgezeichnet wird. Als er vor zehn | |
Jahren in die Kinos kam, floppte er jedoch: Die Spannungskurve im Thriller | |
ist eher flach, ein Impfstoff schnell entdeckt. | |
Katastrophenfilme sind vor allem deswegen spannend, weil sie eine nicht | |
gänzlich unmögliche Dystopie andeuten. Wie Horrorfilme spielen sie mit | |
menschlichen Urängsten. „Science-Fiction-Filme laden zu einer | |
leidenschaftslosen, ästhetischen Betrachtung der Zerstörung und | |
Gewalttätigkeit [ein]“, schreibt Susan Sontag in ihrem 1965 | |
veröffentlichten und immer noch großteils aktuellen Essay „Die | |
Katastrophenphantasie“. | |
## Pietätlos in der Umsetzung | |
Doch inwieweit lässt sich ein dystopisches Szenario ästhetisch genießen, | |
wenn es unserem Alltag gefährlich ähnlich wird? Trotz seiner öden Umsetzung | |
ist den Machern von „Songbird“ Pietätlosigkeit vorgeworfen worden. Wie | |
harsch würden die Kritiken erst ausfallen, wenn die Storyline noch näher an | |
der Realität verliefe? Etwa das Schicksal einer Großfamilie in einer | |
norditalienischen Stadt nacherzählte? | |
Womöglich eignet sich die Coronapandemie weniger als Thriller-Sujet denn | |
als filmische Gesellschaftsstudie. Ohnehin ist das Virus bereits so sehr | |
Teil unseres Lebens, dass ihm im Film gar keine prominente Rolle zukommen | |
müsste. Trotzdem erscheint es unwahrscheinlich, dass wir in den nächsten | |
zwei Jahren viele Filme sehen, in denen Menschen kommentarlos Maske tragen | |
und einander mit den Ellbogen begrüßen. | |
Der Grund dafür liegt nahe: Einen Spielfilm zu produzieren, kann gut ein | |
bis zwei Jahre dauern. Die Angst von Filmemacher:innen, eine veraltete | |
Realität in der Post-Corona-Zeit zu zeigen, ist nachvollziehbar. | |
## Satiren funktionieren besser | |
In einer Satire lässt sich dieses Spannungsfeld schon besser umspielen: So | |
ließ zuletzt etwa [3][Radu Jude in seinem Berlinale-Gewinner „Bad Luck | |
Banging or Loony Porn“] Covid19 einfließen: Die Geschichtslehrerin Emi | |
bekommt darin Schwierigkeiten wegen eines Pornos, in dem sie trotz Tragen | |
einer OP-Maske zu erkennen ist. Auch in [4][Denis Côtés „Sozialhygiene“ | |
(2021)] wird Social Distancing praktiziert: Die Darsteller:innen stehen | |
auf einer Wiese und schreien sich einige Meter voneinander entfernt | |
lautstark an. Côté zufolge kam ihm die Idee jedoch bereits vor der | |
Pandemie. | |
Auf einen aktuellen Coronafilm, der seine Figuren zwischen Quarantäne und | |
Impfneid agieren lässt, wartet man bislang noch. Verständlich: Was ereignet | |
sich schon zwischen Home Office und Home Schooling? Wer will solche | |
Geschichten überhaupt sehen? | |
Malte Wirtz versucht es trotzdem. Der Regisseur dreht momentan einen Film | |
über eine Berliner WG im Lockdown. Dabei konzentriert er sich nur auf ein | |
Medium: Der Film wird gänzlich über Zoom gefilmt. Die | |
Schauspieler:innen interagieren über ihre Bildschirme miteinander und | |
improvisieren in großen Teilen. Wirtz verfolgt den Dreh über seinen | |
Computer, Regieanweisungen schickt er an die Schauspieler:innen per | |
SMS. | |
## Ein Pandemiegefühl vermitteln | |
„Die Dramaturgie ist schon ganz anders“, sagt Wirtz. „Ich gehe davon aus, | |
dass der Film sehr lang wird – das braucht es irgendwie, um dieses | |
Pandemiegefühl zu vermitteln. Es wird ausufernd und eine Herausforderung | |
für die Zuschauer:innen.“ Das Ganze sei ein Versuch, vielleicht werde man | |
so einen Film nie wieder machen wollen, sagt der 41-Jährige. „Aber dann hat | |
es eben Zeitdokumentcharakter.“ | |
Wirtz ist Direktor des unfiltered artist-Filmlabors. Er sehe es als seine | |
Aufgabe an, die Grenzen der Filmsprache auszutesten und zu erweitern. „Wenn | |
man so einen freien Film machen kann, sollte man die Chance auch nutzen, um | |
nach neuen Formaten zu suchen“, meint er. Im Herbst soll „Digital Life“ | |
Premiere feiern. | |
Einen ähnlichen Versuch, die neue digitale Realität abzubilden, unternimmt | |
die Netflix-Miniserie „Social Distance“ (2020). Thema ist der Alltag im | |
Lockdown, dargestellt meist über Videoanrufe. Auch hier waren die Kritiken | |
überwiegend negativ. Doch vielleicht wurde gar nicht das Coronathema als | |
langweilig empfunden, sondern sorgte vielmehr der Übereinsatz von Technik | |
für Missfallen; denn ohne Laptop und Smartphone lässt sich der | |
Pandemiealltag schlecht darstellen. | |
## Auszeit aus der Realität | |
Es ist kurios: Unsere Welt ist vernetzt wie nie, trotzdem spielt | |
Alltagstechnologie in Filmen meist keine große Rolle. Spannungsmäßig hat | |
das durchaus Sinn: Geschichten lassen sich schlecht erzählen, wenn dauernd | |
ein Handy dazwischen funkt. Filme sollen uns eine Auszeit aus der eigenen | |
Realität ermöglichen; nicht umsonst spielen Thriller, Sci-Fi- und | |
Liebesfilme das meiste Geld ein. Eskapismus erscheint gerade zu | |
Pandemiezeiten oft als einziger Weg, die momentane Ungewissheit | |
auszuhalten. | |
Verständlich, dass Coronafilme momentan eher unattraktiv erscheinen. Wird | |
an dieses Pandemiejahr also gar kein größeres filmisches Zeitdokument | |
erinnern? Vielleicht braucht es dafür einfach Zeit. 9/11-inspirierte Filme | |
wurden auch erst gut fünf Jahre nach dem Anschlag produziert. Bis dahin | |
werden die Auswirkungen der Pandemie trotzdem spürbar bleiben. Auch bei den | |
neuesten Filmstarts fällt auf: Darunter sind einige, die mit nur einem | |
kleinen Cast arbeiten. Etwa der [5][Netflix-Erfolgsschlager „Malcom & | |
Marie“], der kammerspielartig eine Paarbeziehung verhandelt. | |
Selbst Hollywood traut sich mittlerweile an das Thema und zeigt in „Locked | |
Down“ die Beziehungskrise eines eingesperrten Paars in London. | |
Corona-Alltag ist hier jedoch nur in Maßen zu sehen: Um der | |
Lockdown-Langeweile zu entfliehen, entschließt sich das Paar dazu, einen | |
Diamanten zu stehlen. | |
7 May 2021 | |
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## AUTOREN | |
Julia Hubernagel | |
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