# taz.de -- Koreanischer Thriller „Pandemie“ im Kino: Rettet die Antikörper | |
> Der südkoreanische Katastrophenthriller „Pandemie“ dramatisiert die | |
> Folgen einer Virusinfektion. Jetzt kommt er hierzulande zum ersten Mal | |
> ins Kino. | |
Bild: Atemmasken werden in „Pandemie“ selbstverständlich auch getragen | |
Können Filme Leben retten? Als sich das Coronavirus im Frühjahr rapide auf | |
der ganzen Welt zu verbreiten begann, tauchte unter den meistgestreamten | |
Filmen sehr bald [1][Steven Soderberghs Virenklassiker „Contagion“ von | |
2011] auf einem der vorderen Plätze auf. Das Drama über eine globale | |
Infektionswelle ist allein schon deshalb eine dankbare Wahl, weil es | |
nüchtern schildert, wie sich Virologen bemühen, einen Impfstoff gegen einen | |
neuartigen Erreger zu finden und zugleich dessen Verbreitung | |
einzuschränken. | |
So bietet „Contagion“ die Möglichkeit, sich über Soderberghs | |
künstlerisch-fiktive Herangehensweise bei gleichzeitig realistischer | |
Darstellung aus sicherem Abstand mit einem Thema zu beschäftigen, das | |
plötzlich den eigenen Alltag bestimmt. Man konnte dort etwa vor Jahren | |
längst lernen, was eine Reproduktionszahl ist, bekam anschaulich | |
vorgeführt, wie ein Erreger mühelos und rasend schnell im Flugzeug die | |
Kontinente überquert. Sogar eine leichte Ahnung von den psychischen Härten | |
einer Kontaktsperre vermittelt „Contagion“. | |
Zwei Jahre später legte der Koreaner Kim Sung-su mit seinem Beitrag | |
„Pandemie“ nach. Seinerzeit hatte der Film in Südkorea mehr als 3 Millionen | |
Zuschauer. Aus aktuellem Anlass bekommt er jetzt, mit sieben Jahren | |
Verspätung, einen deutschen Kinostart. Auch in diesem Fall geht es um einen | |
Virus, der sich unkontrolliert auszubreiten beginnt. Wobei sich das | |
Geschehen auf die Stadt Bundang nahe Seoul beschränkt. | |
Während Soderbergh ganz bei der Sache bleibt und seine Geschichte über das | |
Schicksal einer Kleinfamilie ohne überflüssige Nebenhandlungen erzählt, | |
beginnt Kim Sung-su seinen Film einigermaßen bemüht mit dem | |
spektakelträchtigen Einsatz des Rettungshelfers Ji-goo (Jang Hyuk). Dieser | |
muss in einen Bauschacht hinabgelassen werden, um die Insassin eines Autos | |
zu retten, das dort hineingestürzt ist. Wie sich später herausstellt, ist | |
die in letzter Sekunde Gerettete In-hae (Su Ae) eine Ärztin, die als | |
Virologin in einer Klinik arbeitet. | |
Die Ausbreitung der titelgebenden Krankheit, einer Form der Vogelgrippe, | |
beginnt wie bei Soderbergh mit einem Husten. Zudem lässt Kim Sung-su die | |
Infizierten gut sichtbar Blut spucken, was bei einer Vogelgrippe jedoch zu | |
den selteneren Symptomen zu gehören scheint. | |
## Verteilung von Aerosolen beobachten | |
Der Drastik dient es allemal. Binnen kürzester Zeit ist die Stadt Bundang | |
von derart Hustenden erfüllt. Ein Vorzug von „Pandemie“ ist dabei, dass die | |
Verteilung von Aerosolen im Raum optisch eindrucksvoll zu beobachten ist. | |
Anders als bei Soderbergh bringt Kim Sung-su die Politik stärker ins Spiel. | |
Da gibt es einerseits Gerangel zwischen den Politikern und den beratenden | |
Medizinern, die auf einen Lockdown drängen, während die Entscheidungsträger | |
ihre Zustimmungswerte im Blick haben. | |
Und als es schließlich zur Evakuierung der Bevölkerung in Quarantänelager | |
kommt, schreckt die Regierung nicht vor radikalen militärischen Einsätzen | |
zurück. Auch hier scheint die Drastik das bevorzugte Mittel gewesen zu | |
sein. | |
Um die Katastrophendynamik aufzulockern, gibt es in „Pandemie“ zwischendrin | |
immer wieder ein wenig Buddy-Humor zwischen Ji-goo und seinem clownesken | |
Kollegen Kyung-ub (Yoo Hae-jin). Und irgendwann bekommen einzelne Figuren | |
obendrein überlebensgroße Bedeutung, begleitet von allerlei rührigen | |
Gesten. | |
Insbesondere die Tochter von In-hae gerät im Verlauf der Handlung zu einer | |
Heilsfigur, weil sie als einzige Trägerin von Antikörpern ein Impfmittel | |
entwickeln zu helfen verspricht. Ein illegaler Migrant, der zuvor schon | |
Antikörper ausgebildet hatte und dem die Tochter ihre Heilung verdankt, | |
muss hingegen gewaltsam sterben. | |
## Kaum Proteste gegen Hygieneregeln | |
Was in beiden Filmen aus heutiger Perspektive mit ein wenig | |
Pandemieerfahrung zu kurz kommt, sind die sozialen Auswirkungen. In | |
„Contagion“ müssen die Leute zumindest den Umgang untereinander | |
einschränken. Doch die Proteste von Teilen der Bevölkerung gegen die | |
Hygieneregeln von Regierungen kommen weder bei Soderbergh noch bei Kim | |
Sung-su richtig ins Spiel. | |
Was vielleicht daran liegt, dass in einem Katastrophenfilm niemand groß | |
davon überzeugt zu werden braucht, dass da draußen eine ernstzunehmende | |
unsichtbare Gefahr lauert. Und dass Freiheitsbeschränkungen in einer | |
solchen Situation dazu dienen können zu verhindern, dass Einzelne die | |
eigene Freiheit auf Kosten der Freiheit anderer ausleben. | |
Dass das Anschauen von „Contagion“ oder „Pandemie“ allerdings die | |
[2][Skeptiker oder Leugner in Sachen Corona] zum Nachdenken bewegt, darf | |
bezweifelt werden. Besonders „Pandemie“ ist in seinem Willen zur Action, | |
wobei die Politik nur allzu bereit ist, totalitär zu handeln, mehr als | |
zwiespältig. Der schlechtere Film ist es ohnehin. | |
6 Aug 2020 | |
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## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
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