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# taz.de -- "Contagion" von Steven Soderbergh: Ein Virus kennt keine Moral
> Steven Soderberghs "Contagion" verfolgt, wie sich eine Seuche weltweit
> ausbreitet. So klug und komplex, dass es Akteure wie Zuschauer kalt
> umzingelt.
Bild: Das erste Opfer: Gwyneth Paltrow als Beth Emhoff in "Contagion".
Gut sieht sie nicht aus. Erschöpft? Grippe? Jetlag? Man erkennt Poren,
Hautirritationen, einen leichten Schweißfilm. Details einer Sterblichen,
die eigentlich nicht zugelassen sind im Olymp des weiblichen Star-Kinos.
Dieser unverstellte Blick auf Gwyneth Paltrow, die in einem Flughafen-Café
auf ihren Anschlussflieger wartet, hat etwas Intimes. Man sorgt sich. Sie
telefoniert mit jemandem, der nicht ihr Ehemann ist, und fingert nach den
Erdnüssen vor sich, die giftig durch das Glasschälchen glänzen. Als sie zu
Hause ankommt, nimmt sie ihre Kinder und den Mann in den Arm. Danach will
sie gleich ins Bett. Am nächsten Tag bricht sie in der Küche zusammen.
Paltrow ist das erste Opfer der Seuche. Das erste von 26 Millionen. Und
weil die Epidemie keinen Knicks vor Prominenz, Schönheit oder Herkunft
macht, verfährt "Contagion", die jüngste Großproduktion von Steven
Soderbergh, rabiat mit seinen VIPs. Er packt Paltrow auf den
Obduktionstisch und zieht ihr die Gesichtshaut über die Ohren. Und was die
Seuchenexperten da zu sehen bekommen, ist nicht schön. Das Hirn: ein Brei.
Der skalpierte Kopf ist mehr als nur ein gut platzierter Schocker. Es ist
eine Radikalmetapher, wie sie im Splatter gerne kultiviert wird, um das
Innere, Verdrängte nach Außen zu kehren. In Soderberghs "Contagion" geht es
vor allem um das Äußere, um Oberflächen. Es geht um Haut, Fingerspitzen,
Berührungen. Um Objekt- und Virenträger, Abdrücke auf Gläsern oder
Türklinken, um Anschein und Wahrheit. Das wird so klug und komplex
durchdekliniert, dass es Akteure wie Zuschauer kalt umzingelt.
Nur Matt Damon, der Paltrows sehr gefassten Mann spielt – für das
Identifikatorische ist in Katastrophenfilme eh nie viel Zeit –, ist gegen
die Seuche immun. Doch aus seinen Antikörpern lässt sich noch kein
Impfstoff basteln. Kate Winslet setzt als manisch engagierte Ärztin alles
an die Erforschung der "Seuchen-Cluster". Mit ihr lernen wir
Infektionskarten zu lesen, globale Verläufe zu kartografieren und den
Erreger klinisch einzukreisen.
## Kein symbolischer Ostblock
Als sie selbst Symptome zeigt, recherchiert die Bienenfleißige weiter nach
möglichen Überträgern. Sogar im Sterben reicht sie noch ihre Daunenjacke an
Frierende weiter. Ihr amoralischer Gegenpart ist der Blogger Alan Krumwiede
(Jude Law). Er mimt vor der Webcam erst den Sterbenskranken, dann den von
eigenen Wundermittelchen geheilten Menschheitsretter. Mit seinen
Verschwörungsthesen gibt er der Todesangst der Menschen den hysterischen
Rest.
In den Seuchenfilmen seit Wolfgang Petersens "Outbreak" gibt es schon lange
keine äußeren, fest lokalisierten Feinde, keinen symbolischen Ostblock
mehr. Die Bedrohung muss schon aus dem Innern des Menschen kommen. Ein
biologischer GAU. Alle Erfindungen und ihre marktwirtschaftliche
Verteilung, die unsere Fortbewegung und Kommunikation ermöglichen und
aufeinander abstimmen, sind nun der größte Fluch.
So wie der Film mit den Erregern von Hongkong nach Europa und Amerika
jettet und die Seuche alle Globalisierungseffekte für ihre Verbreitung zu
nutzen weiß, landet sie in Gedanken auch schnell bei der eigenen
Fortbewegung, dem letzten benutzen Handtuch, dem am Vorabend geleerten
Weinglas. Das Hüsteln hinten links im dunklen Kinosaal pflanzt sich im
scheppernden Husten zehn Reihen weiter fort und manch einer stößt nun die
Saaltür lieber mit den Ellenbogen auf.
## Grandioses Handwerk, große Eleganz
Einen derart subkutan wirkenden Film in der Zeit der ersten Grippewelle in
die Kinos zu bringen, hat schon etwas Fieses. Leider bringt der
puritanische Bestrafungsmechanismus des amerikanischen Mainstreams die
Seuche am Ende auch noch als Strafe ins Spiel. Gwyneth Paltrow hatte Sex
mit dem Ex. Ihr Kontakt mit chinesischem Essen und dessen Koch in einem
Spielcasino addiert die Spiellust im Strafregister dazu und das Vorurteil,
dass es in Asiens Küchen grundsätzlich unhygienisch zuginge, wieder auf den
Tisch.
Davon abgesehen ist es schlicht beeindruckend, wie gut Soderbergh sein
Handwerk versteht. Er gibt dem Genre mit großer Eleganz, was es braucht,
und kann dabei auf den üblichen mythologischen Schmalz von klassen-,
rassen- und geschlechterübergreifender Versöhnung in der Not verzichten.
Mit chirurgischer Präzision zieht seine Kamera die Bewegung ihrer
Protagonisten nach und nimmt das zwischenmenschliche Wechselgeld in den
Blick. Begrüßungen, Verabschiedungen, weitergereichte Touchpads,
Haltegriffe in der U-Bahn. Kleinigkeiten, die unser soziales Leben
bestimmen und jetzt den Weg des Krankheitserregers markieren.
Was den Menschen ausmacht, seine Sehnsucht nach Nähe und Berührung, wird
zur Übermittlungsroute des tödlichen Keims. Das ist im Kern das Drama von
"Contagion". Und das ist, nun ja, berührend.
"Contagion". Regie: Steven Soderbergh. Mit Matt Damon, Kate Winslet, Jude
Law, Gwyneth Paltrow, USA 2011, 106 Min.
20 Oct 2011
## AUTOREN
Birgit Glombitza
## TAGS
Science-Fiction
Spielfilm
Trennung
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