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# taz.de -- Literaturverfilmung "Jane Eyre": Unter der Sonntagshaube
> Schauspieler-Ensemble und Regisseur versprechen einiges. Und doch mag
> sich Cary Fukunagas Filmversion von Charlotte Brontës "Jane Eyre" nicht
> so entfalten, wie erhofft.
Bild: Das Kino liebt die viktorianische Stofflichkeit: Mia Wasikowska als "Jane…
Ein wüst gezeichneter Himmel. Darunter eine junge, verzweifelte Frau
reinen, aber schweren Herzens, die ins Freie stürmt. Sie kehrt dem Anwesen,
seinem Dienstherrn und seinen hochherrschaftlichen Lügen den Rücken und
verliert sich in der hügeligen Landschaft des viktorianischen Englands, in
dem wohl nur standes- und geistfreie Schafe wunschlos glücklich sein
können.
So oder so ähnlich war es wohl zu erwarten für die x-te Verfilmung von
Charlotte Brontës "Jane Eyre", dieser melodramatischen, autobiografisch
inspirierten Emanzipationserzählung, die das Kino immer wieder verschlingt,
seitdem es eine Tonspur zum Sprechen hat.
Denn wo sonst tritt das Gezeigte mit dem Gesprochenen in so aufgeladene
Konkurrenz wie bei Literaturverfilmungen. Und wo sonst liegt so viel
gesellschaftlicher und geschlechtlicher Sprengstoff in der Kleinigkeit
einer aus dem strengen Scheitel gelösten Locke und in der provokanten
Direktheit einer Hausangestellten, die ihrer Herrschaft einen Dienst
verweigert, wie in den Literaturverfilmungen der Brontë- oder
Jane-Austen-Stoffe.
## Unterdrückte Leidenschaft
Das Kino liebt diese Geschichten der unterdrückten, sich nur mühsam Bahn
brechenden Leidenschaften. Es schwelgt in der viktorianischen Stofflichkeit
vom Taftkleid bis zum Reitstiefel, vom durchsichtig schimmernden
Teetässchen bis zu den grauen Lappen, mit denen das Personal das Silber
poliert. Und nur selten traut es sich, Dekor und Kostüme ins Nebensächliche
zu schieben und eine zeitlose Geschichte vom Streben nach persönlicher
Freiheit und der Sehnsucht nach klassenübergreifendem Glück zu erzählen.
Mit Blick auf den Stab und das Ensemble - Cary Joji Fukunaga, Regisseur von
"Sin Nombre", Mia Wasikowska ("Restless"), Michael Fassbender ("Hunger")
sowie Judy Dench, Sally Hawkins und Jamie Bell - hatte man dieses Mal den
Eindruck, es könnte tatsächlich um mehr gehen als bloß um zurechtgezupfte
Landschaften, Spitzenkrägelchen und Sonntagshauben.
Nämlich um den Scharfsinn und die Präzision einer Autorin, die es prächtig
versteht, hinter der Beschreibung noch so nichtiger Verrichtungen und noch
so ermüdender Gesellschaftsrituale die komplizierten Wechselbeziehungen
zwischen Klasse, Besitz und Geschlecht spürbar zu machen.
## Enttäuschend brave bis ungelenke Adaption
Doch bei aller schauspielerischen Qualitäten ist es am Ende der allzu
erwartungsgemäße und historisierende Look der Produktion und eine durch die
Zeitebenen stolpernde Erzählweise, die "Jane Eyre" als enttäuschend brave
bis ungelenke Adaption daherkommen lässt. Vom preisgekrönten
Regie-Shootingstar Fukunaga hatte man sich Anderes erhofft.
Doch weder die raue, quasidokumentarische Unmittelbarkeit seines
Sundance-Gewinners "Sin Nombre" noch dessen Gespür für den dramaturgischen
Wechsel aus erzählerischer Distanz und emphatischer Nähe sind seinem
jüngsten und sichtbar kalkulierten Arthouse-Auftritt anzusehen.
Kukunaga erzählt in seinem Film die Geschichte der Jane Eyre in ruckartigen
Rückblenden. Wie sie als Waise von lieblosen Verwandten erst verwahrt,
schließlich in ein Internat abgeschoben wird, in dem die Mädchen
misshandelt und von der Leitung gedemütigt werden oder gar von Typhus
geschwächt sterben.
Jane hält durch. Mit unstillbarem Bildungshunger, wahnwitziger Disziplin
und dem festen Willen, sich nicht unterkriegen zu lassen, wird sie selbst
Teil des Lehrkörpers und später als Hauslehrerin für ein kleines
französisches Mädchen abkommandiert. Sie unterrichtet die Pflegetochter von
Edward Rochester. Seinem Werben widersteht Jane so lange, bis sie sich
tatsächlich gemeint fühlt. Die Heirat scheitert, eine Kreolin aus Jamaika,
Edwards erste Ehefrau, lebt als psychotisches Geheimnis unterm Dach. Ehe,
Sicherheit, Ansehen, alles dahin. Jane stürzt davon in eine seelenverwandte
Natur. Siehe Anfang.
Auch Fukunagas Jane Eyre weiß ihrer Mädchenhaftigkeit zum Trotz genau, dass
sie es sich nicht leisten kann, völlig in Träumereien zu verfallen. Dass
sie ihren schäbigen Verwandten, sadistischen Schulmeistern und
übergriffigen Hausherren nur die eigene kritische Distanz, das eigene
Urteilsvermögen und eine schmerzvolle Contenance entgegenzusetzen hat, wenn
sie nicht in den Versorgungs- und Unterwerfungssystemen dieser Zeit
aufgerieben werden will.
## Verrutschte Gesten
Mia Wasikowska und Michael Fassbender verstehen sich auf den
vielschichtigen Tonfall der Vorlage und übersetzen die raffinierte Ironie
und ihre Wendungen in nervös wandernde Blicke und verrutschte Gesten. Ein
Teekränzchen wird so zum Schlachtfeld, eine durchgenäselte Konversation zum
Shootdown durchgeladener Standesdünkel, Chauvinismen und simpler Gier. Aber
Kamera und Regie finden für diesen Subtexte kein rechtes Bild. Nur hoch
aufgeladenes Hell-Dunkel.
Blasse Gesichtsovale im Kerzenschein, in kultivierten Gärten oder
apokalyptisch rauer Natur. Nie atmet das Paar mit seinen modernen Fragen
nach Eigentum, Gleichheit und Freiheit im Jetzt. Es klebt in einer Kulisse,
die sich ähnlich wie die Elendsästhetik in "Sin Nombre" auch als eigener
Schauwert zu genügen scheint. Und so ist diese "Jane Eyre"-Ausgabe, wie so
viele vor ihr, auch nur etwas für die Wand überm Sofa.
30 Nov 2011
## AUTOREN
Birgit Glombitza
## TAGS
Literatur
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