# taz.de -- "Midnight in Paris" von Woody Allen: Auf Augenhöhe mit der Avantga… | |
> In "Midnight in Paris", kehren der Held und sein Regisseur in die Boheme | |
> der zwanziger Jahre zurück. Das ist kitschig, aber vorwerfen kann man das | |
> Woody Allen nicht. | |
Bild: Flanieren durch Paris: Adriana (Marion Cotillard) und Gil (Owen Wilson). | |
In "Matchpoint" konnte man bestaunen, wie gut sich Woody Allen auf die | |
moralischen Defekte unbedingten Aufstiegs und die komplizierte Rhetorik | |
britischer Teegesellschaften versteht. In "Vicky Cristina Barcelona" folgte | |
man einem herrlich neurotischen Reigen um Sex, Neurosen und Mythos des | |
schöpferischen Aktes. In seinem jüngstem Film, der wieder in Europa spielt, | |
trifft man auf ein hoffnungslos verkitschtes Paris. Aber auch auf eine | |
heitere und konsequent durchgeschwungene dramaturgische Idee. | |
"Midnight in Paris" erzählt von dem amerikanischen Parisurlauber und | |
erfolgreichen Drehbuchautor Gil (Owen Wilson), der von den eigenen | |
Popcorn-Kino-Stoffen die Nase voll hat und von der Boheme der zwanziger | |
Jahre träumt. Nach einem missglückten Abend mit seiner Verlobten Inez | |
(Rachel McAdams) verliert sich Gil in den Gassen des Rive Gauche. Ein | |
Oldtimer hält, lässt ihn einsteigen und fährt ihn zur angesagtesten Party | |
dieser Nacht. | |
Der Gastgeber ist Jean Cocteau. Das ist kein Witz und wird nicht zu mühsam | |
durchgehampelter Klamauk, sondern entfaltet sich mit hübscher | |
Selbstverständlichkeit als Zutritt zu einer Vergangenheit, so wie sie | |
sicher nie gewesen ist. Das Paris der zwanziger Jahre wird für Gil zum | |
reichlich bevölkerten Themenpark seiner ungebremsten und absolut | |
privatistischen Verklärung der Moderne. Jener Epoche also, die die Malerei | |
endgültig vom Abbildungsauftrag befreite, die Welt in kubistische | |
Perspektiven zerlegte und mit Freuds Etablierung des Unterbewussten eine | |
kopernikanische Wende einleitete, in der das Ich nicht – das Künstler-Ich | |
schon gar nicht – mehr länger moralisch, sexuell oder schöpferisch Herr im | |
eigenen Haus sein konnte. Gil hätte die Scharniere seiner Vorstellungskraft | |
also kaum günstiger anbringen können. | |
## Carla Bruni als Museumsführerin | |
Im wirklichen Leben wird Gil, der liberale Intellektuelle, vom Vater seiner | |
Zukünftigen, einem erzkonservativen Republikaner, nicht für voll genommen. | |
Und auch Paul, Inez Uni-Schwarm, lässt Gil mit seinen fabulierenden | |
Welterklärungen wie einen dummen Jungen am Rand stehen. Dass Paul auch der | |
Museumsführerin (Carla Bruni in einem sehr kurzen, sehr verspannten | |
Auftritt) über den Mund fährt, hat bei der Cannes-Premiere nicht nur die | |
Klatschpresse ausgiebig genossen. | |
Doch was kratzten einen die Zumutungen einer viel zu kleinen gegenwärtigen | |
Welt, wenn im Zweituniversum Gertrude Stein (Kathy Bates) sich freundlich | |
bereit erklärt, den eigenen Roman zu kritisieren, Cole Porter im | |
Hintergrund klimpert oder Hemingway (Corey Stoll) mit dramatisch | |
verhangenem Blick Gil die Geburt wahrer Männlichkeit an der Front oder in | |
Stierkampfarenen erklärt. Und zwar von Kerl zu Kerl. | |
Gil ist angekommen. Nicht unter seinesgleichen, aber doch auf freundlicher | |
Augenhöhe mit der Avantgarde der zwanziger Jahre. Gil genießt diese | |
Parallelexistenz in vollen Zügen. Aber Woody Allen lässt ihn sich diese | |
Utopie auch redlich verdienen, in dem er sein zutiefst sympathisches Alter | |
Ego mit aufrichtigem Interesse, freundlicher Zurückhaltung und | |
ungekünstelter Begeisterungsfähigkeit ausstattet. | |
## Verblasste Fotos einer Urlaubserinnerung | |
Natürlich kann man Woody Allen den gesamten Kitsch, der schon im Topos des | |
Amerikaners in Paris zementiert liegen mag, vorwerfen. Schließlich sieht | |
das Paris gleich zu Beginn aus wie die hübsch verblassten Fotos einer | |
verklärten Urlaubserinnerung, am schönsten findet Gil die Stadt der Städte, | |
wenn es regnet. Auch was sich da in den Zwanzigern in Bistros, Bars und auf | |
Opiumpartys versammelt, ist die Moderne, die wir vom Sparkassen-Kalender | |
und Readers Digest kennen. | |
Doch Allen genau diese Klischees um die Ohren zu hauen wäre zwar | |
naheliegend, aber auch langweilig und falsch. Ganz einfach, weil Allen es | |
nun einmal genau auf sie abgesehen hat, gerade weil sie eben die | |
Vorstellung vieler amerikanischer Intellektueller ausmalen, die Paris nur | |
von ihren Reisefotos kennen. Und weil man mit diesen Vorstellungen | |
unvermittelt spielen kann, ohne einen Überbau nachreichen zu müssen. Und | |
schließlich, weil man dem Schwärmer die Farben seiner Schwärmereien schon | |
selber überlassen muss. | |
Warum also sich nicht entspannt zurücklehnen, die Zigarettenspitze füllen, | |
einen Whisky Sour an die Lippen setzen und sich über einen immer leicht | |
verschwitzten Hemingway amüsieren, der mit brennenden Augen von den | |
Schlachtfeldern beim Sex und beim Kampf fabuliert. Oder Gesprächen wie | |
diesen lauschen, über das Leben in zwei Welten: "Ich sehe einen Film", sagt | |
Buñuel, "Ich sehe ein Foto", das ist die Stimme von Man Ray, "Ich sehe ein | |
Rhinozeros", Dalí natürlich. | |
"Midnight in Paris". Regie: Woody Allen. Mit Owen Wilson, Rachel McAdams | |
USA 2011, 94 Min. | |
17 Aug 2011 | |
## AUTOREN | |
Birgit Glombitza | |
## TAGS | |
Woody Allen | |
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