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# taz.de -- Neuer Film von Woody Allen: Traumata in San Francisco
> In „Blue Jasmine" begleitet der US-Regisseur eine junge Neureiche auf den
> Spuren ihres gesellschaftlichen Abstiegs. Damit ist Allen als Dramatiker
> zurück.
Bild: Diesmal in der Hauptrolle: Cate Blanchett.
Jasmine hieß früher Jeannette. Die Titelfigur in Woody Allens neuem Film
„Blue Jasmine“ betont die eigene Neuerfindung gleich mehrfach – als Auswe…
einer selbstgemachten Erfolgsbiografie, die sich selbst nicht ganz geheuer
ist.
Die Leistungsschau ist ein hässlicher neureicher Gestus, doch für
Jasmine/Jeannette bedeutet die Bezugnahme auf ihr früheres Leben mehr als
nur Selbstlegitimation. Es äußert sich darin auch eine vermessene
Uneinsicht, denn Jasmine befindet sich, als sie am Anfang mit ihrem
Louis-Vuitton-Köfferchen im schäbigen Mission District in San Francisco
strandet, bereits wieder auf dem Weg die soziale Leiter hinab.
Jasmine verwandelt sich also zurück in Jeannette, und um dies zu
verdeutlichen, hat Allen seinem Film einen grandios verblendeten Monolog
Cate Blanchetts vorangestellt, der sich ohne Atempause von der
Passagierkabine eines Linienflugs bis zum Gepäckband fortsetzt. Die
Verzweiflung in den Augen ihrer wehrlosen Platznachbarin verrät einiges
über das Ausmaß an Empathie, die Allen Jasmine wie in einem perfiden
Sozialexperiment abwechselnd entgegenbringt und wieder entzieht.
So unversöhnlich wie in „Blue Jasmine“ hat man Woody Allen lange nicht
erlebt. US-Kritiker haben als Referenzfilm „Harry außer sich“ (1997)
ausgemacht, einige erinnern sich sogar an „Verbrechen und andere
Kleinigkeiten“ (1989), das letzte Großwerk der klassischen Allen-Phase.
Die Mühe bei der Suche nach einer Vergleichsgröße zeigt vor allem eins:
dass Allen Fans und Kritiker nach einer Reihe von belanglosen
Touristikfilmen, deren einziger Zweck darin zu bestehen schien, attraktive
Stars vor weltberühmten Sehenswürdigkeiten zu fotografieren, und ermüdenden
Variationen alter Standards (absoluter Tiefpunkt „Whatever Works“) auf dem
falschen Fuß erwischt hat. Er ist immer noch für eine Überraschung gut. Der
gefälligen Gleichförmigkeit seines Spätwerks hält Allen mit „Blue Jasmine…
seine scharfe Beobachtungsgabe entgegen.
Jasmine ist nach San Francisco gekommen, um für eine Weile bei ihrer
Halbschwester Ginger (Sally Hawkins) zu wohnen, die ihren Lebensunterhalt
im Niedriglohnsektor verdient. Jasmines Mann Hal (Alec Baldwin) hat bei
illegalen Investmentgeschäften fremdes Geld (auch den Lottogewinn von
Ginger und ihrem Ex-Mann Augie) verzockt. Geblieben sind ihr einige
Designer-Accessoires und die Erinnerung an den verflossenen Luxus.
Ohne finanzielle Sicherheiten liegen ihre Nerven blank. „Panikattacken,
Albträume und Nervenzusammenbrüche“, erklärt sie mit zittriger Stimme, „…
Mensch kann nur eine gewisse Anzahl an Traumata ertragen, bevor er anfängt,
auf der Straße herumzuschreien.“ Wenn Allen in Rückblenden aus Jasmines
früherem Leben erzählt, beginnt Jasmine also manchmal mit sich selbst zu
reden. Die Enge von Gingers Wohnung, in der sich gerade ihr neuer Lover
eingenistet hat, bringt die gegensätzlichen Lebensentwürfe der beiden
Schwestern schließlich zur Eskalation.
## Ohne Überheblichkeit
„Blue Jasmine“ schlägt einen existenzialistischen Tonfall an, den man von
Allen nicht mehr kannte. Bei aller Penetranz verfällt er Jasmine gegenüber
nie in Häme. Die Unvoreingenommenheit gegenüber den Figuren balanciert die
im Kern der Geschichte angelegte Farce in Richtung Tragödie aus. Allen hat
in den letzten Jahren zwar einige böse Filme (etwa „Cassandras Dream“)
gedreht, aber in „Blue Jasmine“ verzichtet er endlich wieder auf die
Überheblichkeit des allwissenden Erzählers. Jasmine steht nicht nur dank
Blanchetts herrlich dünnhäutigem Spiel den Ingmar-Bergman-Heldinnen aus
Allens früheren Filmen näher als den intriganten Schnöseln aus „Match
Point“.
Zudem beweist Allen einen entspannten Blick auf die untouristischen Seiten
San Franciscos, dessen Straßenzüge eher wie eine Arbeiterhochburg gefilmt
sind. Selbst der Ausflug nach Chinatown besitzt ein ehrliches Lokalkolorit.
Und die einzige Ansicht auf die Golden Gate Bridge ist ganz unspektakulär
von der anderen Seite der Bucht.
Worin „Blue Jasmine“ aber letztlich überzeugt, ist Allens Verhältnis zu
seinen eigenen Wurzeln. Ganz nebenbei hat er mit zwei schönen kleinen
Rollen für Louis CK und Andrew Dice Clay zwei Kollegen aus der
Stand-up-Comedy Reverenz erwiesen. Das ist möglicherweise auch als
Eingeständnis Allens zu verstehen, dass seine Zeit als Komiker vorbei ist.
Als Dramatiker ist mit ihm weiter zu rechnen.
7 Nov 2013
## AUTOREN
Andreas Busche
## TAGS
Woody Allen
Woody Allen
Woody Allen
Woody Allen
Komiker
Michael Douglas
Film
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