# taz.de -- Dritter Tag Filmfestival Berlinale: Die Bilder der Pandemie | |
> Im Programm der Berlinale tauchen die ersten Filme der Coronazeit auf. | |
> Sie zeigen bunte Masken aus Stoff und Menschen, die Abstand halten. | |
Bild: Szene aus „Bad Luck Banging or Loony Porn“ des rumänischen Regisseur… | |
Was tut die Coronapandemie mit der Filmproduktion? Wie sehr behindern die | |
erforderlichen Schutzmaßnahmen das Entstehen von Filmen? Inwiefern eröffnen | |
sie neue Ansätze mit einer eigenen Ästhetik? Wie einige der Filme im | |
Programm der Berlinale zeigen, gibt es durchaus Möglichkeiten, aus den | |
geltenden Einschränkungen eine Form der kreativen Selbstbeschränkung zu | |
machen. | |
Der [1][rumänische Regisseur Radu Jude] geht die Sache in seinem | |
Wettbewerbsfilm „Bad Luck Banging or Loony Porn“ frontal und offensiv an. | |
Wie der ganze Film in seinem Auftreten keinesfalls zurückhaltend ist. Setzt | |
er doch mit einer recht expliziten Heimporno-Sequenz ein, in der eine | |
kostümierte Frau dem mutmaßlichen Kameramann einen Blowjob verpasst. | |
Wenn die eigentliche Handlung einsetzt, sieht man eine Frau im schlichten | |
grauen Kostüm (Katia Pascariu), die zu Fuß durch Bukarest läuft und | |
Besorgungen macht. Sie trägt eine OP-Maske, wie auch die Menschen, denen | |
sie begegnet, alle Masken tragen. Pandemie-Alltag eben. | |
## Geschichtslehrerin an einer renommierten Schule | |
Die Frau, erfährt man bald, ist identisch mit der Frau aus dem Video. Das | |
ist inzwischen ohne ihr Wissen im Netz verbreitet worden, und Emi, so ihr | |
Name, drohen Konsequenzen. Schließlich ist sie Geschichtslehrerin an einer | |
renommierten Schule. Ein Elternabend steht bevor. | |
In „Bad Luck Banging“ setzt Radu Jude die Pandemie als realen Hintergrund | |
ein, eigentlich geht es ihm aber um andere Viren dieser Zeit. Das für Emi | |
höchst peinliche und karrieregefährdende Video nutzt er zu einem Kommentar | |
über den Irrsinn der sozialen Medien, lässt den Elternabend zum | |
Schauprozess werden, in dem die aufgebrachten Eltern sich wie | |
Internet-Trolle gebärden und selbst vor Verschwörungstheorien wie „jüdische | |
Propaganda“ nicht haltmachen. | |
Der Elternabend ist zugleich ein historisches Dokument, erinnert er doch in | |
seiner Kostümierung der Eltern an die Phase der Coronapandemie, in der die | |
bunte Vielfalt der Stoffmasken vorherrschte. Eine krasse | |
Gesellschaftssatire, mit einigen analytisch kühl-bitteren Kommentaren zur | |
nicht allein in Rumänien verbreiteten Neigung, die unerwünschten Seiten der | |
eigenen Geschichte zu verdrängen. | |
## Die Darsteller agieren in der Distanz | |
Man kann allerdings auch, wie der [2][Kanadier Denis Côté], seine | |
Darsteller einfach auf Abstand halten. Im sprechend betitelten | |
„Sozialhygiene“ in der Sektion Encounters stehen die Figuren mit mehreren | |
Metern Distanz zueinander auf der grünen Wiese, malerische Gebirgszüge in | |
der Ferne. Auch die Kamera wahrt meistens deutlichen Abstand, man kann die | |
Gesichter der Schauspieler mitunter kaum erkennen. | |
Im Mittelpunkt steht Antonin (Maxim Gaudette), ein Außenseiter, der sich | |
wenig um die Anforderungen der Gesellschaft schert. Er könnte ein Dandy des | |
19. Jahrhunderts sein, und die künstliche Sprache, in der er und die | |
weiblichen Figuren, mit denen er zusammentrifft, ausdauernd reden, scheint | |
auch eher dorthin zu passen. Ginge es nicht um heutige Dinge wie Facebook | |
oder einen Volkswagen, in dem Antonin schläft. | |
Alle Frauen, denen er begegnet, seine Schwester Solveig, seine Frau | |
Églantine, die von ihm verehrte Cassiopée, auch die Finanzbeamtin Rose | |
weisen Antonin in seine Schranken. Was im Bild folgenlos zu bleiben | |
scheint, stehen die Darsteller doch statisch an ihren Plätzen. | |
„Sozialhygiene“ ist gefilmtes Freilufttheater, das durch seine | |
Entstehungsbedingungen zugleich einen anderen Sinn bekommt. Bis hin zum | |
lautstarken Deklamieren, das durch den Abstand erforderlich wird. | |
3 Mar 2021 | |
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## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
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