# taz.de -- Buch über Filme aus dem Kalten Krieg: Unbotmäßige Drehbücher si… | |
> Regisseur Dominik Graf und Filmwissenschaftlerin Lisa Gotto gehen der | |
> Filmkultur hinter dem Eisernen Vorhang nach. 16 Texte umfasst „Kino unter | |
> Druck“. | |
Bild: Autor und Regisseur Dominik Graf (links mit Kappe) bei den Dreharbeiten z… | |
Das Ende der Coronapandemie scheint in Sichtweite, die Öffnung der Kinos | |
steht zwar noch aus, doch in nicht allzu ferner Zukunft dürften die | |
Lichtspielhäuser der Republik wieder aktiv werden. Das Kino, besonders der | |
deutsche Film, wird dann unter Druck stehen, nach einem Jahr praktisch ohne | |
Einnahmen, aber vor allem nach noch längerer Zeit ohne wirklichen kreativen | |
Schub. Was dem deutschen Kino dabei oft fehlt, sind Konflikt und Reibung. | |
Einer, der seit Jahrzehnten am und im deutschen Kino arbeitet, ist | |
[1][Dominik Graf, dessen jüngster, enorm vitaler Film „Fabian“] | |
voraussichtlich Anfang August ins Kino kommt. Neben seiner praktischen | |
filmischen Tätigkeit hat Graf schon immer auch über das Kino geschrieben, | |
jedoch nicht akademisch-theoretisch, nicht im oft elfenbeinhaften Turm der | |
Filmwissenschaften, sondern feuilletonistisch, voller Begeisterung und | |
Emotion. | |
Im Lauf der Jahre entstanden erst für die Süddeutsche, später für die FAZ | |
und für Cargo oft kurze, skizzenhafte Texte über Filme, die Graf bewegten | |
und inspirierten, auch über Filme, die das sind, was er am deutschen Kino | |
allzu oft vermisst. | |
Eine besondere Schwäche hat Graf für das Kino Osteuropas, polnische, | |
ungarische, tschechische Filme, die während des Kalten Kriegs entstanden, | |
unter oft restriktiven Bedingungen, Filme, die trotz oder gerade wegen der | |
eingeschränkten Freiheit, denen sich Autoren und Regisseure meist | |
unterordnen mussten, eine Frische und Vitalität ausstrahlten, die dem | |
deutschen Kino schon damals und erst recht heute meist abgehen. | |
## Von Wajda und Zanussi über Chytilová und Mészáros | |
Zusammen mit der in Wien lehrenden Filmwissenschaftlerin Lisa Gotto führte | |
Graf in den letzten Jahren eine Korrespondenz über dieses Kino, woraus nun | |
ein kleiner Band entstanden ist. „Kino unter Druck. Filmkultur hinter dem | |
Eisernen Vorhang“ heißt er und ist ein wenig Etikettenschwindel. | |
16 Essays über unterschiedliche Filme aus Osteuropa machen den Kern aus, je | |
acht von Gotto und Graf, doch während die von Gotto verfassten Essays für | |
diesen Band geschrieben wurden, sind die von Graf größtenteils | |
Drittverwertung. Fast alle erschienen zunächst schon vor Jahren in | |
Zeitungen und Zeitschriften, wurden dann in der wunderbaren, ebenfalls im | |
Alexander Verlag erschienen Textsammlung „Schläft ein Lied in allen Dingen“ | |
zusammengefasst und werden nun in neuem Kontext veröffentlicht. | |
Was die Qualität der Analysen von essenziellen Filmen von Andrzej Wajda | |
oder [2][Krzysztof Zanussi] zwar nicht schmälert, den Bezug zum Ansatz aber | |
oft etwas dünn wirken lässt. Gerade Gottos Close Readings von Filmen wie | |
„Ein Sack voller Flöhe“ von Věra Chytilová oder „Das Mädchen“ von M… | |
Mészáros ignorieren meist überraschend konsequent die These des den Band | |
einleitenden Essays, der auch der herausragendste Text ist. | |
Auf diesen ersten gut 40 Seiten führen Graf und Gotto eine Art Dialog, | |
tauschen Gedanken über das Kino Osteuropas aus, jenes Kino, das ihren | |
Worten nach unter Druck stand, in dem Regisseure dennoch Möglichkeiten | |
fanden, ihren Blick auf die kommunistischen Systeme zu transportieren und | |
die Zensur zu umgehen beziehungsweise zu täuschen. | |
## Zensur vs. totale Freiheit | |
Dass solche Zensur kein Alleinstellungsmerkmal autokratischer Staaten ist, | |
zeigt das Beispiel Hollywood, wo der sogenannte Production Code lange Zeit | |
Unziemliches verhindern sollte und gerade dadurch zu besonderer Kreativität | |
führte. | |
Wie wenig dagegen oft deutsche Regisseure mit den totalen Freiheiten, die | |
ihnen ein von Subventionen finanziertes Filmfördersystem ermöglicht, | |
anzufangen wissen, muss erschrecken. | |
Gerade angesichts der Filme und TV-Episoden, die der Graf’sche | |
Säulenheilige in den 70ern und 80ern in Deutschland (!) gedreht hat: Zbyněk | |
Brynych, ein aus der Tschechoslowakei exilierter Regisseur, der die | |
Einschränkungen des deutschen Fernsehens in totale künstlerische Freiheit | |
verwandelte und legendäre Folgen deutscher Krimi-Formate wie „Der | |
Kommissar“ drehte. | |
Ihnen versucht der Regisseur Graf mit seinen radikalen „Tatorten“ und | |
„Polizeirufen“ nachzueifern. Der Autor, vor allem aber der Cineast Graf | |
stellt seinen Kollegen nicht das beste Zeugnis aus, wenn er schreibt: | |
„Zweifellos ist es ein Verschwörungsmythos, dass in unserem | |
bundesrepublikanischen Film-System fantastische, großartige, aber etwas | |
unbotmäßige Drehbücher zu Dutzenden in den Papierkorb fliegen. Es gibt sie | |
schlicht nur selten.“ | |
Ein Kino der Zensur fordert Graf fraglos nicht, aber ein Kino, das Druck | |
empfindet, auch gesellschaftlichen, das nicht nur Fördergremien genügen | |
will, sondern auch einer unmittelbaren Sinnlichkeit. | |
So wie Graf und Gotto es beschreiben, war es genau das, was das Kino | |
Osteuropas ausmachte. Und vielleicht lässt sich davon ja etwas in die | |
Gegenwart holen, erst über Texte, dann hoffentlich auf der großen Leinwand. | |
7 Jun 2021 | |
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## AUTOREN | |
Michael Meyns | |
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