| # taz.de -- Fünf Mythen der Hitzewelle: Pommeskrise? Nee! Klimawandel? Ja! | |
| > Es war der fünftwärmste Juli seit 1881. Da fällt es schwer, klar zu | |
| > denken. Und so kursiert viel Hitze-Unsinn. Die taz räumt mit fünf Mythen | |
| > auf. | |
| Bild: Kein Mythos: Baden kühlt bei Hitze wirklich ab | |
| ## Mythos 1: „Alle Bauern sind am Ende“ | |
| Dienstag wird wohl der heißeste Tag des Jahres in Deutschland. „Lokal | |
| können es dann in Mitteldeutschland sogar bis zu 39 Grad werden!“, sagte | |
| Martin Jonas vom Deutschen Wetterdienst (DWD) am Montag. Bisher war laut | |
| DWD 38,0 Grad der Rekord, aufgestellt am 26. Juli. | |
| „Die“ Bauern leiden unter der Hitze, denken viele. Der Bauernverband tut | |
| alles, um das zu suggerieren. Am Montag sprachen seine Lobbyisten von der | |
| „schlechtesten Ernte“ des Jahrhunderts. Das ist erst 18 Jahre alt. Aber vor | |
| allem: In Wirklichkeit haben nur manche Landwirte wegen der Trockenheit | |
| massive Probleme. Betroffen sind vor allem diejenigen, die besonders auf | |
| den Anbau von Getreide angewiesen sind oder mit Gras ihre Tiere füttern. | |
| Wer nicht nur auf wenige Produkte spezialisiert ist, kann Verluste in | |
| diesen Bereichen leichter ausgleichen. Die Obsternte etwa soll dieses Jahr | |
| hoch ausfallen. | |
| Beispiel Erdbeeren: Die erwartete Erntemenge werde wegen des Wetters | |
| zulegen, teilte das Statistische Bundesamt nach einer ersten vorläufigen | |
| Schätzung mit. Die Menge werde 6 Prozent über dem Vorjahresergebnis liegen, | |
| obwohl die abgeerntete Anbaufläche 3 Prozent kleiner sei. | |
| Auch die Spargelernte war nicht schlecht. Die Menge blieb nach ersten | |
| Schätzungen gegenüber dem Vorjahr nahezu konstant (minus 1 Prozent), lag | |
| aber satte 14 Prozent über dem sechsjährigen Durchschnitt. | |
| Anders als im vergangenen Jahr rechnet das Deutsche Weininstitut 2018 | |
| nicht mit einem Ernteminus bei Weintrauben, die Ertragsaussichten seien | |
| „bislang zufriedenstellend“, erklärte die Organisation am Montag. Die | |
| Weinlese beginne so früh wie noch nie. Das begünstige den deutschen | |
| Federweißen im Wettbewerb mit den Importen aus Italien, teilte die | |
| Industrie- und Handelskammer Trier mit. | |
| [1][Dennoch fordert der Deutsche Bauernverband angesichts der | |
| dürrebedingten Ernteausfälle Geld von Bund und Ländern]. „Eine Milliarde | |
| wäre wünschenswert, um die Ausfälle auszugleichen“, sagte der Präsident d… | |
| Organisation, Joachim Rukwied, den Zeitungen der Funke Mediengruppe vom | |
| Montag. Geholfen werden solle den landwirtschaftlichen Betrieben, deren | |
| Ernten mehr als 30 Prozent unter dem Schnitt der letzten Jahre liegen. | |
| Zudem fordert der Verbandspräsident eine steuerfreie | |
| „Risikoausgleichsrücklage“, mit der die Bauern für schwierige Jahre | |
| vorsorgen könnten. Es sei „zwingend erforderlich, dass Deutschland stabile | |
| ländliche Räume mit stabilen Betrieben“ habe, sagte Rukwied. Einbußen von | |
| 50 bis 70 Prozent seien für viele Betriebe existenzbedrohend. | |
| Die ökologisch orientierte Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft | |
| (AbL) dagegen rief Molkereien, Schlachthofunternehmen und die | |
| Lebensmittelketten zur Solidarität mit den Bauern auf. Die Unternehmen | |
| müssten den Lebensmittelerzeugern faire Preise zahlen, heißt es in einem | |
| am Montag veröffentlichten Brief der AbL an die Marktpartner. Sie rief zu | |
| „sehr zeitnahen Verhandlungen“ darüber auf. | |
| „Es ist zu einfach, jetzt vor dem Bund-Länder-Agrartreffen in Berlin | |
| staatliche Hilfen einzufordern“, erklärte die AbL. Was den Betrieben | |
| schnell helfen könne, „das sind faire Erzeugerpreise für unsere bäuerliche | |
| Arbeit und für unsere gesunden Lebensmittel“. | |
| Die Entwicklung der Landwirtschaft und des Konsums in den letzten | |
| Jahrzehnten sei sehr kritisch zu hinterfragen, erklärte die AbL. „Wir | |
| müssen nicht nur über ein Umsteuern im Ackerbau und in der Tierhaltung | |
| weiter diskutieren. Zusammen mit den politisch Verantwortlichen müssen alle | |
| Marktpartner damit praktisch und ernsthaft beginnen“, sagte | |
| AbL-Bundesvorsitzender Martin Schulz. | |
| Jost Maurin (mit dpa, afp) | |
| ## Mythos 2: „Pommes werden unbezahlbar“ | |
| Wegen der Dürre könnten Pommes frites teurer werden, meldeten mehrere | |
| Medien am Montag. Grundlage war eine Stellungnahme des Bundesverbands der | |
| obst-, gemüse- und kartoffelverarbeitenden Industrie. Er erklärte, mit der | |
| Trockenheit spitze sich die Lage „dramatisch“ zu. Schon jetzt werde mit | |
| Ernteausfällen bei Kartoffeln von bis zu 40 Prozent gerechnet, berichtete | |
| der Geschäftsführer des Verbands, Horst-Peter Karos. „Wenn kein | |
| Wetterumschwung kommt, ist die Missernte da“, sagte Karos. | |
| Wahr ist: Selbst wenn die Bauern für [2][Kartoffeln] mehr bekämen und die | |
| Industrie die hiesigen Ernteausfälle nicht durch Lieferungen aus anderen | |
| Regionen ausgleichen würde, müssten Verbraucher etwa in Gaststätten nur | |
| wenig mehr bezahlen. Laut einer Musterkalkulation der Gaststätten-Beratung | |
| Hoga kosten 200 Gramm [3][Pommes] die Gastronomie beispielsweise nur 31 | |
| Cent. Verkauft werden sie mitunter für 2 Euro. | |
| Minimal ist auch bei anderen Lebensmitteln der Preisanteil für die Bauern, | |
| der jetzt steigen könnte. Denn die Landwirte erhalten im Schnitt nur 21 | |
| Prozent von jedem Euro, den die Verbraucher für Nahrungsmittel ausgeben. | |
| Den Rest kassiert zum Beispiel der Handel. (jma) | |
| ## Mythos 3: „Die Brauereien machen Verluste“ | |
| Falsch! Wenigstens die Brauer jammern nicht über die Hitze: Das weitgehend | |
| trockene und heiße Sommerwetter hat den Absatz von Bier in Deutschland im | |
| ersten Halbjahr 2018 angetrieben. Die produzierte Menge stieg im Vergleich | |
| zum Vorjahreszeitraum um 0,6 Prozent auf 47,1 Millionen Hektoliter, wie das | |
| Statistische Bundesamt am Montag mitteilte. Daran änderte auch die aus | |
| Sicht der deutschen Nationalmannschaft verpatzte Fußball-WM wenig. | |
| „Letztlich ist das Sommerwetter für den Bierabsatz entscheidender – und das | |
| spielt in diesem Jahr mit“, erklärte der Deutsche Brauer-Bund. Vor diesem | |
| Hintergrund blickten die Unternehmen weiterhin optimistisch auf das | |
| laufende Geschäftsjahr. | |
| Dazu dürften auch die höheren Preise beitragen. Im Juni mussten die | |
| Biertrinker im Schnitt 4,1 Prozent mehr bezahlen als ein Jahr zuvor, haben | |
| die Testkäufer des Statistikamtes festgestellt. „Brauereien mussten | |
| teilweise sogar Sonderschichten fahren, um genügend Getränke an den Handel | |
| und die Gastronomie liefern zu können“, berichtet der Brauer-Bund. Aber: | |
| [4][Wegen der höheren Nachfrage werde in manchen Regionen das Leergut | |
| knapp]. Doch das betrifft nur Teile der Branche. (dpa) | |
| ## Mythos 4: „So heiß war es noch nie!“ | |
| [5][39 Grad werden an diesem Dienstag in Teilen Deutschlands erwartet]. Das | |
| klingt nach einem Rekord, aber tatsächlich war es hierzulande schon heißer: | |
| Die höchste je an einer offiziellen Wetterstation gemessene Temperatur lag | |
| bei 40,3 Grad, und zwar am 5. Juli 2015 im fränkischen Kitzingen. Auch die | |
| Anzahl der Tage mit über 30 Grad war im Juli nicht rekordverdächtig. An 10 | |
| Tagen wurde diese Temperaturmarke in Freiburg bisher geknackt, davon waren | |
| 4 Tage am Stück. Im Jahr 2006 gab es ebenfalls dort laut | |
| kachelmannwetter.de 19 Hitzetage mit über 30 Grad hintereinander. | |
| Anders dagegen stellt sich die Lage in anderen Teilen der Welt dar. Vor | |
| allem auf der Nordhalbkugel sind im Juli vielerorts neue Hitzerekorde | |
| aufgestellt worden: In Schweden herrschten selbst nördlich des | |
| Polarkreises mit 34,5 Grad tropische Temperaturen. Fast genauso warm – und | |
| damit etwa 20 Grad wärmer als normalerweise – war es auch in Ostsibirien. | |
| Im kanadischen Montreal wurde Anfang Juli mit 36,6 Grad der höchste Wert | |
| seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen vor 147 Jahren gemessen, und auch | |
| Japan verzeichnete in der vergangenen Woche mit 41,1 Grad einen neuen | |
| Temperaturrekord. (mkr) | |
| ## Mythos 5: „Klimawandel ist das nicht“ | |
| Wie bei jedem Extremwetter kommt auch bei der aktuellen Hitzewelle die | |
| Frage auf, inwieweit sie mit dem Klimawandel zusammenhängt. Die | |
| Standardantwort aus der Wissenschaft lautet: Aus einem einzelnen | |
| Wetterereignis kann grundsätzlich kein Rückschluss auf eine | |
| Klimaveränderung gezogen werden. Als Entwarnung darf dies aber nicht | |
| verstanden werden – auch wenn Klimawandelleugner das gern tun. | |
| Denn diese jeweiligen „Einzelereignisse“ zeigen zusammen einen klaren | |
| Trend. Nicht nur der aktuelle Juli ist laut Deutschem Wetterdienst der | |
| fünftwärmste seit Beginn der Messungen im Jahr 1881, eine Erwärmung ist | |
| generell zu beobachten: Von den 10 wärmsten Jahren seit Beginn der | |
| Wetteraufzeichnung im Jahr 1871 lagen laut Deutschem Wetterdienst 8 in | |
| diesem Jahrtausend. Und diese Entwicklung passt genau zu den Vorhersagen | |
| der Klimaforscher, die in Nordeuropa mehr Hitzewellen erwarten. „Der | |
| Klimawandel führt schon heute zu spürbar mehr Temperaturextremen“, meint | |
| der Kieler Klimaforscher Mojib Latif. Und auch für Fred Hattermann vom | |
| Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung steht fest: „Deutschland ist | |
| schon mitten im Klimawandel.“ (mkr) | |
| 31 Jul 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jost Maurin | |
| Malte Kreutzfeldt | |
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