# taz.de -- Klimatologin über Stadtplanung: „Die Leute haben Hitzestress“ | |
> Erd- und Gebäudeoberflächen, Windrichtungen, Höhe und Pflege von | |
> Stadtgrün: Alles beeinflusst das Klima in der Stadt, sagt Sahar Sodoudi. | |
Bild: Selbstgemachte Kühlbeutel – auch eine Möglichkeit, mit der Hitze umzu… | |
taz: Frau Sodoudi, was ist Stadtklimatologie? | |
Sahar Sodoudi: Wenn wir im Radio hören: „Heute in Berlin 26 Grad“, ist die | |
Frage: Wo? Das Stadtklima wird von Gebäuden und Stadtstrukturen | |
beeinflusst. | |
Was heißt das konkret? | |
Ein Beispiel: Die Messstation in Dahlem ist im Botanischen Garten, ein | |
regelmäßig bewässerter Park. Messen wir im Tiergarten, haben wir schon eine | |
andere Temperatur. Besonders nachts ist das interessant. In einer heißen | |
Sommernacht haben wir in Berlin bis zu 9 Grad Unterschied. Entscheidend ist | |
also, wo genau gemessen wird und wie dort die örtlichen Gegebenheiten sind. | |
Welche Grünflächen haben wir? Wie ist die Gebäudegeometrie? Wie hoch sind | |
die Gebäude? Wie sind die Oberflächenmaterialien, wie die Farbe? Wie die | |
Versiegelung? Ist der Boden Gras, Sand oder Asphalt? Wo sind Schatten? Alle | |
Faktoren zusammen bestimmen das Mikroklima. | |
Sie haben sich mit dem Einfluss der räumlichen Anordnung von Grünflächen | |
auf das Stadtklima beschäftigt. Was ist damit genau gemeint? | |
Wir wollten herausfinden, wie mit Grünflächen Temperatur reduziert werden | |
kann. Unser Untersuchungsgebiet war das Tempelhofer Feld. Wenn wir dort als | |
Klimaanpassungsstrategie einen Park planen würden, wie sollte der aussehen? | |
Sollte es ein großer zentraler Park sein oder vier kleine Parks? Oder | |
stattdessen 16 noch kleinere Parks? Oder vier schmale Parkstreifen parallel | |
zueinander, in beide Richtungen? | |
Also in Nord-Süd-Richtung und in Ost-West-Richtung? | |
Genau. Und dann haben wir den Vegetationstyp geändert. Wir haben Gras mit | |
10 Zentimeter und mit 50 Zentimeter Höhe berücksichtigt. Dann haben wir | |
Büsche und Hecken genommen und Bäume mit kleinen Kronen, also junge Bäume, | |
und große, richtige Schattenbäume. | |
Haben Sie alles gleichzeitig berücksichtigt? | |
Nein, einmal nur Gras, einmal nur Hecken und Büsche und so weiter. Stellen | |
Sie sich eine Tabelle vor: Oben sind die fünf verschiedenen Anordnungen und | |
an der Seite die fünf Vegetationsarten. Das sind also 25 Szenarien. Die | |
Grundfläche beträgt immer 2.500 Quadratmeter. Wir fanden heraus, dass nur | |
die großen Bäume wegen ihres Schatteneffekts viel Abkühlung bringen. | |
Deswegen müssen wir unsere Straßenbäume auf jeden Fall bewässern. Sie sind | |
wichtig für unser Stadtklima. | |
Und was ist nun besser: ein großer oder viele kleine Parks? | |
Ein zentraler Park bringt maximale Abkühlung. Je dichter die Vegetation, | |
desto größer die Abkühlung, aber sie ist lokal. Das Gebiet außerhalb des | |
Parks ist in Windrichtung auch deutlich kühler. 16 kleinere Parks sind zwar | |
weniger kühl, aber die abgekühlte Fläche ist viel größer. Sogar der Asphalt | |
entgegen der Windrichtung kühlt sich dann ab. In Windrichtung parallele | |
Grünflächen sind noch besser. Deswegen sollten wir Straßenbäume planen. | |
Straßenbäume planen? | |
Ja, denn Bäume können den Wind stoppen. Schatten ist nicht alles. Wir | |
brauchen auch Wind. Auch sind in einer Ost-West-orientierten Straße mehr | |
Bäume sinnvoll, weil dort den ganzen Tag die Sonne scheint. Wenn die Straße | |
in die andere Richtung geht, ist der Effekt von Schattenbäumen kleiner. | |
Wie wichtig sind Grasflächen? | |
Auch Wiesen sind wichtig. Der Effekt ist zwar nicht vergleichbar mit dem | |
von Bäumen, aber Wiesen sind trotzdem besser als Asphalt. Doch: Werden | |
Rasenflächen nicht bewässert, beeinflussen sie unser Stadtklima negativ. | |
Denn bei trockenen Rasenflächen entsteht keine Verdunstungskälte. Sie | |
können heißer werden als Asphalt. Auf dem Tempelhofer Feld, wo keine Bäume | |
sind, ist vertrocknete Rasenfläche auf jeden Fall schlecht für unser | |
Stadtklima. | |
Welche Rolle spielen Eigenschaften von Oberflächen? | |
Stadtmaterialien haben ganz andere thermische Eigenschaften als | |
Grünflächen. Beton zum Beispiel hat sehr hohe Wärmespeicherkapazität. Am | |
Tag speichert er Wärme, und nach Sonnenuntergang gibt er sie sehr langsam | |
ab. In der Nacht haben wir deshalb eine Wärmeinsel über der Stadt. | |
Welche Wirkung haben verglaste oder verspiegelte Gebäude? | |
Neben der Wärmespeicherkapazität sind die Strahlungseigenschaften von | |
Oberflächen wichtig. Eine ist die Reflexionsrate, also wie viel Sonnenlicht | |
reflektiert wird. Die andere ist die emittierte Strahlung, das ist die | |
Abstrahlung von Wärme. Das beeinflusst das Stadtklima und ist schlecht für | |
Straßenbäume. | |
Welchen Effekt hat die Gebäudegeometrie? | |
Durch sie haben wir nicht nur horizontale, sondern auch vertikale | |
Versiegelung. Das bedeutet: Die Wärme wird zwischen Gebäuden reflektiert. | |
Man sagt, sie wird gefangen. In dicht bebauten Wohnvierteln steigen dadurch | |
vor allem nachts die Temperaturen. Für Anwohner bedeutet das zusätzliche | |
Hitzebelastungen. | |
Sie werden krank? | |
Genau. Deswegen arbeiten wir in unserer Arbeitsgruppe nicht nur an | |
Klimaanpassungsmaßnahmen, sondern wir evaluieren auch, welche Maßnahmen die | |
thermische Belastung verbessern. Wir haben ein Messgerät entwickelt und auf | |
einem Rollator installiert. Damit laufen wir durch die Straßen und sehen, | |
wo die Probleme sind. | |
Berlin ist eine grüne Stadt. Es müsste uns doch gut gehen. | |
Ja, 44 Prozent, fast die Hälfte von Berlin, sind grün. Aber wo die Bebauung | |
sehr dicht ist, haben Leute trotzdem Hitzestress. Überall in der Stadt | |
müssen deshalb flächendeckend kleine Parks entstehen. | |
Grünflächen wie die Elisabeth-Aue sollen bebaut werden. Hat das Folgen für | |
das Stadtklima? | |
Ja. Unsere Messstation in der Elisabeth-Aue misst mit die niedrigsten | |
Temperaturen von unseren insgesamt 34 Stationen. An einem Tag mit über 30 | |
Grad Celsius geht die Temperatur dort nachts auf 16 Grad herunter. Baut man | |
solche Kälteinseln zu, verschlechtert das das Stadtklima. Es wird heißer – | |
es entsteht eine Wärmeinsel. | |
Also lieber gar nicht bauen? | |
Berlin wächst. Wir brauchen neue Lebensräume, mehr Wohnungen. Aber wenn wir | |
bauen, müssen wir klimatische Folgen bedenken. Bebauung hat immer negative | |
Auswirkungen, wir können aber versuchen, sie zu minimieren. | |
Wie denn? | |
Indem wir unterschiedliche Szenarien modellieren und schauen, wo Probleme | |
auftauchen. Wir müssen Gebiet, Straßenorientierung, Gebäudeart und | |
Windfelder berücksichtigen. | |
Ist die Gefahr größer, dass Risiken zu spät erkannt werden, wenn schnell | |
gebaut wird? | |
Ja, das sehe ich so. Wir müssen planen, aber auch Ergebnisse evaluieren. Es | |
ist wichtig für unsere Zukunft, mit Architekten und Stadtplanern | |
zusammenzuarbeiten. Wir können dabei Empfehlungen geben – ob das umgesetzt | |
wird, ist nicht mehr unsere Aufgabe. Wir forschen nur. | |
Werden Sie bei der Stadtplanung zu Rate gezogen? | |
Ja, von Architekturbüros. | |
Ihre Arbeit wird mit öffentlichen Mitteln gefördert. Das bedeutet: Ihre | |
Forschungsergebnisse gehen an den Senat. Werden sie dort berücksichtigt? | |
Es ist unser Wunsch, dass unsere Ergebnisse wahrgenommen werden. Man | |
braucht einen besseren Dialog, eine stärkere Zusammenarbeit. | |
Wissenschaftler und Entscheidungsträger müssen Hand in Hand arbeiten. | |
Unsere Zusammenarbeit mit den Senatsverwaltungen für Stadtentwicklung und | |
Umwelt ist leider nicht so ausgeprägt. | |
8 Aug 2018 | |
## AUTOREN | |
Brigitte Denck | |
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