| # taz.de -- Kleingärten in Berlin: Bedrohte Kolonien des Glücks | |
| > Etwas Grün in bester Stadtlage – davon träumen nicht nur die, die auf | |
| > eine Parzelle zum Gärtnern warten: Die Flächen wecken auch | |
| > Begehrlichkeiten als Bauland. | |
| Bild: So in etwa fühlt sich Sommer an – wenn man einen Garten hat | |
| Wir haben eine WhatsApp-Gruppe mit allen Freunden, die uns beim Gärtnern | |
| helfen“, erzählt Anne Lautsch, „und die haben wir ‚Gartenglück‘ genan… | |
| Denn genau das ist es ja.“ So wie Lautsch und die anderen Mitglieder vom | |
| Vorstand der [1][Kolonie am Flughafen] im Schatten üppig behangener | |
| Pflaumen- und Birnbäume um Kaffee und Streuselkuchen sitzen, versteht man | |
| sofort, warum ihr Herz am Gärtnern hängt. Warum sie alles versuchen, um | |
| dieses üppige Stück Kreuzberger Grün zu erhalten. Denn die Zukunft der | |
| Kleingartenanlage ist nicht gesichert. | |
| 97 Parzellen hat die Kolonie zwischen dem Tempelhofer Feld und den | |
| Friedhöfen an der Bergmannstraße, macht mit Wegen und Gemeinschaftsflächen | |
| rund 25.000 Quadratmeter. Die Bruttofläche ist deutlich größer, denn die | |
| Gärten umrahmen einen Fußballplatz und das sogenannte | |
| Regenwassersammelbecken, das die Niederschläge aufnimmt, die von der | |
| riesigen versiegelten Fläche des ehemaligen Flughafenvorfelds abfließen. | |
| Bis 2014 gehörte das Stückchen Stadt zu Tempelhof-Schöneberg, seit einer | |
| Flurbereinigung ist es auch formal Teil des Kreuzberger Bergmannkiezes. | |
| Durchstreift man die Anlage auf ihren Verbindungswegen – was wie in den | |
| meisten Berliner Laubenkolonien ausdrücklich erlaubt ist –, verschwindet | |
| die Stadt hinter einer grünen Wand und macht sich nur durch sanftes | |
| Grundrauschen bemerkbar. | |
| Wolfgang Hahn, in dessen Garten sich die Runde an diesem heißen Sommertag | |
| trifft, pachtet seine Parzelle seit 1983. Als der langjährige | |
| Geschäftsführer des Nachbarschaftshauses Urbanstraße 2006 seinen Ruhestand | |
| antrat, machten sich die Vereinsmitglieder sein Organisationstalent und | |
| seine Vernetzung im Bezirk zunutze und wählten ihn zum 1. Vorstand. „Da | |
| musste ich gleich wieder ran“, sagt der 75-Jährige und lacht. | |
| Es gab aber auch viel zu tun: 2009 wollte der Senat unter Federführung der | |
| damaligen Bausenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) den Berliner | |
| Flächennutzungsplan so ändern, dass auf der Kleingartenfläche ein | |
| „Lilienthalquartier“ errichtet werden könnte: Eigentumswohnungen am Rande | |
| des Tempelhofer Felds, dessen Teilbebauung damals auch noch als gesetzt | |
| galt. | |
| Die Vorstand der Kolonie organisierte eine Befragung der PächterInnen, | |
| warum ihnen ihr Garten wichtig ist, ermittelte, wie viele Menschen die | |
| Parzellen auch mittelbar zur Erholung nutzten – Ergebnis: rund 1.000 mit | |
| Familien, Freunden und Bekannten. Man zeigte Präsenz auf | |
| Bürgerversammlungen. | |
| Die soziale Bedeutung der Gärten war allen natürlich längst klar, neu war | |
| dagegen für viele das Bewusstsein, wie viel man der Stadt auch ökologisch | |
| gibt. „Ich habe damals zum ersten Mal auf einem Satellitenbild gesehen, wie | |
| groß die zusammenhängende Grünfläche ist, zu der wir gehören“, sagt | |
| Wolfgang Hahn, „das hat mich echt beeindruckt.“ Auch Umweltorganisationen | |
| betonen schon lange die Bedeutung grüner Schneisen im Stadtgebiet für das | |
| Mikroklima und den Artenschutz. | |
| Am Ende beerdigte die Senatsverwaltung ihr Vorhaben. Und doch: Die | |
| KleingärtnerInnen wollen und können sich nicht in Sicherheit wiegen. Das | |
| verbietet ihnen die politische Großwetterlage. Denn die Berliner | |
| Gartenkolonien mit ihren rund 70.000 Parzellen stehen schon länger unter | |
| Beschuss. | |
| Immer häufiger wird infrage gestellt, ob der Erhalt der Kolonien unbedingt | |
| nötig ist. Die knapp 3.000 Hektar Stadtfläche, die die Gärten belegen, | |
| machen in einer wachsenden Stadt nicht nur privaten Investoren Appetit – | |
| wie dem Projektentwickler Arne Piepgras, der kürzlich in einem als | |
| Zeitungsanzeige geschalteten „offenen Brief“ an Stadtentwicklungs-Senatorin | |
| Katrin Lompscher (Linke) vorschlug, zur Schaffung von Bauland alle | |
| Kleingärten nach Brandenburg zu verlagern. Auch die landeseigenen | |
| Wohnungsbaugesellschaften sind vor dem Hintergrund des zunehmenden Mangels | |
| an bezahlbarem Wohnraum angehalten zu liefern. | |
| Die meisten der 890 Kleingartenanlagen – mit über 90 Prozent der Fläche – | |
| befinden sich in Landeseigentum, und für 160 komplette Anlagen oder | |
| Teilbereiche ist es schon vorbei mit der Ruhe: Der Flächennutzungsplan | |
| weist sie als potenziellen Standort von Wohnungen oder Gewerbe aus, am 31. | |
| Dezember 2020 geht für sie eine längere Schutzfrist zu Ende. | |
| Das heiße allerdings nicht, dass die betroffenen GärtnerInnen sofort | |
| Heckenscheren und Liegestühle einpacken müssen, sagt Günter Landgraf. Der | |
| Präsident des Landesverbandes Berlin der Gartenfreunde e. V., in dem die | |
| meisten Kleingartenvereine organisiert sind, will das „Signal des Senats“ | |
| vernommen haben, dass in den kommenden Jahren keine dieser Kolonien | |
| verschwinden muss, weil das Land das Grundstück zu Geld macht. | |
| ## Der Garten als Ressource | |
| Denn dass die für Berlin so typischen innerstädtischen Gärten eine | |
| „historisch gewachsene, kulturelle, ökologische und soziale Ressource“ | |
| sind, hat längst auch die Senatsumweltverwaltung erkannt. Sie will nach | |
| eigenem Bekunden die allermeisten Parzellen dauerhaft sichern und hat dafür | |
| schon 2004 einen „Kleingartenentwicklungsplan“ (KEP) aufgelegt. Gerade wird | |
| eine neue Fassung erarbeitet, und auch die Gartenfreunde sind daran | |
| beteiligt, weshalb deren Präsident Hoffnung hat, dass die | |
| Verbandsmitglieder mit dem Ergebnis leben können. Die Vorgängerversionen, | |
| kritisiert Landgraf, seien ja eher „Kleingartenvernichtungspläne“ gewesen. | |
| Dorothee Winden, Sprecherin der Senatsumweltverwaltung, bestätigt der taz: | |
| „Wir wollen möglichst alle Kleingärten erhalten.“ Und zwar auch die, deren | |
| Schutz 2020 erlischt. Für sie sollen „längerfristige Nutzungsperspektiven“ | |
| ermittelt werden. Ein erster Entwurf des „KEP 2030“ liegt bereits vor, ist | |
| aber nicht öffentlich. Nach Abstimmung mit den Bezirken, aber auch mit | |
| zivilgesellschaftlichen Gruppen soll er dem Abgeordnetenhaus zum Beschluss | |
| vorgelegt werden. Ob das in diesem Jahr noch klappt, ist unklar. | |
| Klar ist dagegen: „Es gibt keine gesetzlich verpflichtende Grundlage, einen | |
| Kleingartenentwicklungsplan zu erarbeiten oder Schutzfristen fortzuführen.“ | |
| So formuliert es Umweltstaatssekretär Stefan Tidow in der Antwort auf eine | |
| parlamentarische Anfrage der SPD vom Frühjahr. Ja, der Schutz der Gärten | |
| liege Rot-Rot-Grün am Herzen, aber da die Gesamtentwicklung es nun mal | |
| verlange, „wird geprüft, ob in einzelnen Fällen geeignete landeseigene | |
| Kleingärten für preiswerten Wohnraum und soziale Infrastruktur in Anspruch | |
| genommen werden können“. | |
| Sprich: Auch wenn der Senat diese „Inanspruchnahme minimieren und im | |
| erforderlichen Umfang für Ersatz sorgen“ will, dürfte es spätestens bis | |
| Ende des kommenden Jahrzehnts deutlich weniger Kleingärten in Berlin geben. | |
| Und das, obwohl das Gärtnern seit Jahren an Beliebtheit gewinnt und | |
| BewerberInnen inzwischen in allen Bezirken jahrelange Wartezeiten in Kauf | |
| nehmen müssen. | |
| „Im Grunde müsste keine einzige Anlage verschwinden“, findet Günter | |
| Landgraf. Natürlich sei Wohnungsbau wichtig, aber es gebe ja genügend | |
| Flächen, die verdichtet werden könnten – etwa die vielen innenstädtischen | |
| Discounter mit ihren ausladenden Parkplätzen. Und: „Wenn wir all den | |
| Menschen, die zusätzlich in die Stadt kommen, auch Lebensqualität bieten | |
| wollen, brauchen wir die grünen Flächen unbedingt. Spätestens nach diesem | |
| Sommer müsste der Politik das klar sein.“ | |
| Dass Kleingartenanlagen ein ungutes Image des Piefigen und Verschlossenen | |
| umweht, weiß Landgraf. Für ihn ist dieses Bild aber längst von der Realität | |
| überholt. Er zählt Projekte auf, bei denen Kiez und Stadt von der grünen | |
| Oase profitieren: Anlagen, in denen Kitagruppen oder Schulklassen das | |
| Gärtnern erproben können, oder solche, wo aktiver Insektenschutz und | |
| Imkerei betrieben werden. | |
| Genau das schwebt auch dem Vorstand der Kolonie am Flughafen vor: Man will | |
| die Flächen stärker für die AnwohnerInnen öffnen, Parzellen für Gruppen | |
| zugänglich machen, soziale und ökologische Angebote ermöglichen. Nachdem | |
| vor acht Jahren die unmittelbare Gefahr der Abwicklung abgewendet war, | |
| blieb aber das dringlichste Anliegen der PächterInnen, künftigen | |
| Verdrängungsversuchen vorzubeugen. Zwar sind ihre Grundstücke auf dem | |
| Flächennutzungsplan weiterhin grün markiert (rot oder rosa würde | |
| Wohnbebauung zulassen), aber sie trauen dem Frieden nicht. Die GärtnerInnen | |
| ließen sich umfassend beraten, gaben ein Gutachten in Auftrag, das den | |
| Verkehrswert der Fläche ermittelte, und gründeten nach ein paar hitzigen | |
| Vereinssitzungen eine Genossenschaft. | |
| ## Gegen die Spekulation | |
| Hauptzweck der „Kolonie am Flughafen eG“ ist der Erwerb der Fläche von der | |
| Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) – in diesem Fall ist der Bund | |
| Eigentümer. Der Bima wurde ein offizielles Kaufangebot unterbreitet, das | |
| Geld dafür liegt sicher verwahrt auf einem Treuhandkonto. „Durch die | |
| Genossenschaft wollen wir der Spekulation mit Flächen etwas | |
| entgegensetzen“, erklärt Hahn den aufwändigen Schachzug. „Und würde das | |
| Gelände dennoch einmal verkauft werden, soll ein möglicher Gewinn dem | |
| Bezirk zweckgebunden zufließen, zur Förderung von Kleingartenanlagen oder | |
| von urbanem Gärtnern.“ Nur: Bislang ist nichts passiert, die GenossInnen | |
| fühlen sich nicht so recht gehört. „Wir stoßen bei der Bima auf Granit“, | |
| sagt Hahn. | |
| Auf taz-Anfrage ist die Bundesanstalt auskunftsfreudiger: Das | |
| Erwerbsinteresse der Pächter und die Genossenschaftsgründung seien „seit | |
| vielen Jahren bekannt“, heißt es in einer schriftlichen Antwort – und ihre | |
| Chancen auf einen Direkterwerb zum aktuellen Verkehrswert stünden sogar | |
| „sehr gut“. Allerdings nur, wenn nicht vorher die öffentliche Hand die | |
| Kolonie kauft: „Da es sich um eine Fläche handelt, die für das Land Berlin | |
| unter dem Kriterium der Sicherung von Flächen, die für die allgemeine | |
| Daseinsvorsorge bzw. für sonstige öffentliche Zwecke […] interessant sein | |
| kann“, habe man sie dem Land zum Direkterwerb angeboten, teilt die Bima | |
| mit. Die Abstimmungen darüber dauerten an. | |
| Von dem möglichen Deal haben auch die KleingärtnerInnen bereits erfahren, | |
| es kam sogar schon zu einem kurzen Gespräch mit Florian Schmidt, dem grünen | |
| Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg. Der habe signalisiert, so Hahn, | |
| dass der Bezirk Interesse am Kauf habe – „aber wir wissen nicht, was er | |
| damit vorhat“. Tatsächlich hat die landeseigene Berliner | |
| Immobilienmanagement GmbH (BIM) die Anfrage der Bima an den Bezirk | |
| weitergereicht. | |
| Laut schriftlicher Antwort von Florian Schmidt an die taz hat „der Bezirk | |
| angegeben, ein Erwerbsinteresse zur Daseinsvorsorge mit Sportflächen und | |
| zum Erhalt der Kleingärten zu haben“. Man erwarte deshalb jetzt, dass BIM | |
| und Bima über den Verkauf verhandelten. Gänzlich beruhigen wird das die | |
| KleingärtnerInnen trotzdem nicht – denn sie wissen, dass das Interesse der | |
| Bezirks- und Landespolitik sich ändern kann, siehe „Lilienthalquartier“. | |
| Wäre es denn nicht auch für den Bezirk gut vorstellbar, dass künftig | |
| genossenschaftliche Gärten seinen südlichsten Zipfel bildeten? „Der Bezirk | |
| möchte die Kleingartensiedlung erhalten, wird jedoch erst nach kompletter | |
| Neuordnung des Areals eigentumsrechtliche Absicherung (z. B. über | |
| Erbbaurechte) vornehmen, also nach Ankauf des Areals“, teilt Stadrat | |
| Schmidt der taz mit. Klingt, als gebe es noch Gesprächsbedarf zwischen den | |
| PächterInnen und Bezirksamt. | |
| Für Anne Lautsch und ihren Mann Marc, dessen Familie schon seit Jahrzehnten | |
| eine Parzelle in der Anlage pachtet, wäre die dauerhafte Sicherung der | |
| Anlage „ein Traum“. Ihr 11 Monate alter Sohn hat Trisomie 21, für ihn ist | |
| der Garten sicherer als etwa ein Spielplatz, sagt seine Mutter: „Kinder mit | |
| Trisomie reißen häufiger mal aus, sobald sie laufen können, habe ich | |
| gelernt.“ Sie kann sich auch gut vorstellen, die Lebenshilfe für ein | |
| Angebot im Garten zu gewinnen. | |
| ## Niedrige Hecken erwünscht | |
| Die Lautschs sind Teil der jüngeren Generation in der Kolonie, die im | |
| Gegensatz zu manch Alteingesessenem keine Berührungsängste hat, wenn es um | |
| Erneuerung geht. Dazu passt die Empfehlung des Vorstands, die Hecken um die | |
| Gärten nicht mehr so hoch wachsen zu lassen, um Abschottung zu vermeiden, | |
| aber auch das Hochbeet, das man gerade auf der Grünfläche außerhalb des | |
| Zauns zur Golßener Straße mit dem Projekt „Weltacker“ angelegt hat. Und m… | |
| einem außergewöhnlichen Gast auf dem Gelände der Kolonie hat man nach | |
| anfänglicher Skepsis Formen der Zusammenarbeit gefunden: die [2][Floating | |
| University], eine temporäre Installation des Architektennetzwerks | |
| Raumlabor, die wie ein Fantasiepalast aus Gerüsten, Planen und Holz über | |
| dem Regenwassersammelbecken zu schweben scheint. Anschauen kann man sich | |
| das bei den „Open Weeks“ ab 30. August. | |
| In der Selbstbeschreibung des Projekts heißt es, hier kämen „Studierende | |
| und Wissenschaftlerinnen, Künstler aus der ganzen Welt, lokale Experten, | |
| Architektinnen, Musikerinnen und Tänzer“ zusammen, „um das alltägliche | |
| urbane Leben zu untersuchen und Vorschläge zur Neuorganisation zu | |
| formulieren“. In der direkten Nachbarschaft mündete das mittlerweile in | |
| kleine Workshops für biologisches Gärtnern, bei denen zwei PächterInnen | |
| Führungen über ihre Grundstücke anboten. | |
| Es kamen Menschen aus den USA, Syrien oder Costa Rica, und sie staunten, | |
| wie fruchtbar, nachhaltig und friedlich so ein kleines Stück Natur mitten | |
| in der Stadt sein kann. | |
| 24 Aug 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.kolonie-am-flughafen.de/ | |
| [2] http://www.floatinguniversity.org/ | |
| ## AUTOREN | |
| Claudius Prößer | |
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