# taz.de -- Fragen und Antworten zu Energiepreisen: Bleiben die Wohnzimmer warm? | |
> Im dritten Entlastungspaket plant die Regierung eine Strompreisbremse, | |
> lässt aber die Gaskund:innen allein. Und nun? | |
Bild: Geht hier bald das Licht aus? | |
Im Rahmen [1][ihres neuen Entlastungspakets] will die Bundesregierung den | |
Strompreis senken. Wie kann das gelingen? | |
Normalerweise hat die Regierung mit dem Strompreis nicht allzu viel zu tun, | |
denn der Strommarkt ist liberalisiert. Sie bestimmt höchstens Steuern und | |
Abgaben auf den Strom. Jetzt aber soll es eine „Erlösobergrenze“ geben, | |
damit die Gaskrise den Stromkonzernen nicht gigantische Gewinne auf dem | |
Rücken der Verbraucher:innen verschafft. | |
Aber man hört doch immer nur von strauchelnden Energiekonzernen? | |
Das sind die Gasimporteure, die unter den ausbleibenden Lieferungen aus | |
Russland leiden. Bei der Stromproduktion sieht das aber anders aus: Dort | |
treibt das teure Gas auch den Preis hoch, obwohl Strom kaum aus Gas | |
hergestellt wird. Es gibt nämlich nur einen einzigen Preis für Strom am | |
sogenannten Spotmarkt, also an dem Ort, an dem man kurzfristig Energie | |
kaufen kann – obwohl die Kosten der Stromherstellung je nach Energiequelle | |
ja sehr unterschiedlich sind. Um es plakativ zu sagen: Die Sonne schickt | |
ihre Strahlen kostenlos auf den Boden, während man Kohle, Öl und Gas kaufen | |
muss. Den Einheitspreis setzt das Kraftwerk mit den teuersten Grenzkosten – | |
also das, für das es am teuersten ist, über die langfristig geplante | |
Strommenge hinaus etwas mehr zu liefern. Es geht um Angebot und Nachfrage: | |
Als Erstes werden die Kraftwerke mit den geringsten Grenzkosten genutzt. | |
Das sind die erneuerbaren Energien. Zu deren günstigen Preisen lohnt es | |
sich für Unternehmen nicht, extra fossile Kraftwerke zuzuschalten. Ist | |
genau das aber zur Deckung der Nachfrage erforderlich, steigt der Preis | |
deshalb entsprechend. Am teuersten wird es zu den Zeiten, in denen | |
Gaskraftwerke gebraucht werden – erst recht, seit Gas so knapp und | |
entsprechend hochpreisig ist. Das bedeutet: Wer seinen Strom günstiger | |
produziert als das teuerste Kraftwerk, hat eben einfach eine höhere Marge. | |
Wie soll die Strompreisbremse also funktionieren? | |
Steigt der Einheitspreis am Spotmarkt durch den Gasmangel über die | |
Erlösobergrenze, sammelt der Netzbetreiber die Differenz für die | |
Nicht-Gaskraftwerke ein – und verteilt die Summe zurück an die | |
Stromkund:innen. Das Ergebnis: „Den Privathaushalten kann so eine | |
gewisse Menge Strom zu einem vergünstigten Preis gutgeschrieben werden“, | |
wie es im Beschlusspapier des Ampel-Koalitionsausschusses heißt. Das | |
funktioniert also wie eine Umlage, etwa die frühere EEG-Umlage oder auch | |
die ab Oktober greifende Gasumlage, nur eben umgekehrt: Statt um | |
zusätzliche Kosten geht es um Gutschriften auf der Rechnung. Wie hoch die | |
ausfallen werden, ist bislang allerdings unklar. Auf jeden Fall [2][geht | |
die Bundesregierung damit auf eine Kritik an ihrer Gasumlage ein]: Die | |
bekommen nämlich alle Gasimporteure, die unter ausbleibenden Lieferungen | |
aus Russland leiden – selbst wenn sie noch andere Geschäftsfelder wie die | |
Stromgewinnung haben, die gerade florieren. Allerdings sind zur Umsetzung | |
noch viele Fragen offen, auch in Bezug darauf, ob und wie man mit den | |
europäischen Nachbarn zusammenarbeiten muss. | |
So weit zum Strom. Die Hälfte der Haushalte in Deutschland heizt aber mit | |
Gas – hat die Regierung diese beim Preisbremsen vergessen? | |
Die SPD wollte auch ein Grundkontingent an Gas preislich deckeln, die | |
Grünen sind dafür zumindest offen. Parteichefin Ricarda Lang nannte | |
entsprechende Vorschläge am Montag „sehr spannend“. Die Differenz zwischen | |
dem Marktpreis und dem ermäßigten Preis wollten die Sozialdemokraten den | |
Gasversorgern erstatten. Zum Beispiel aus den Einnahmen einer Steuer auf | |
Übergewinne, welche die Energieunternehmen aktuell einstreichen. Laut einer | |
Hochrechnung des Netzwerks Steuergerechtigkeit machen die großen | |
Energiekonzerne infolge des Krieges in der Ukraine in diesem Jahr | |
Extraprofit in Höhe von 113 Milliarden Euro mit Öl (38 Milliarden), Gas (25 | |
Milliarden) und Strom (50 Milliarden) allein auf dem deutschen Markt. Die | |
Sozialdemokraten hätten aber auch andere Quellen angezapft und wären offen | |
dafür gewesen, etwa die Schuldenbremse zu lockern oder auf andere Maßnahmen | |
wie den Ausgleich der kalten Progression bei der Einkommenssteuer zu | |
verzichten. Allein: Beides fand Finanzminister Christian Lindner (FDP) | |
unzumutbar. Die Übergewinnsteuer durch die Hintertür, die über die | |
Strompreisbremse eingeführt wird, aber nicht so heißen darf, ist für ihn | |
ein gesichtswahrender Kompromiss. | |
Hätte es denn Ideen für Gaspreisdeckel gegeben? | |
Einen ersten Vorschlag hatte der Wirtschaftswissenschaftler Sebastian | |
Dullien vom gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und | |
Konjunkturforschung schon im März vorgelegt. Als Grundbedarf schlug er | |
8.000 Kilowattstunden pro Jahr vor – das entspräche dem halben | |
Durchschnittsverbrauch für eine Wohnung mit 100 Quadratmetern. Für | |
Haushalte mit vielen Mitgliedern gäbe es noch etwas dazu. Für die | |
Grundmenge dürften die Gasversorger nur einen staatlich festgelegten | |
Höchstpreis verlangen; die Differenz zum Einkaufspreis würde ihnen der Bund | |
erstatten. Gasverbrauch, der über den Grundbedarf hinausgeht, müssten die | |
Kund*innen zum Marktpreis bezahlen. Die Vorteile: Es gäbe weiterhin einen | |
Anreiz, beim Heizen zu sparen – und wer viel verbraucht, weil er sich eine | |
große Wohnung leisten kann, würde nicht übermäßig entlastet. | |
Eine Weiterentwicklung des Modells haben die Wirtschaftsweise Veronika | |
Grimm und der baden-württembergische Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) am | |
Wochenende vorgestellt. Der subventionierte Grundbedarf läge darin bei 75 | |
Prozent des Durchschnittsverbrauchs deutscher Haushalte. Wer noch weniger | |
verbraucht, bekäme dafür eine Prämie ausgezahlt. Der Anreiz zum Einsparen | |
wäre also noch größer. | |
Was spricht denn gegen einen Gaspreisdeckel? | |
Dass der hohe Preis beim Gas eben anders als beim Strom nicht hauptsächlich | |
durch ein spezifisches Markt-Design kommt – sondern dadurch, dass Gas | |
weltweit schlicht knapp ist. Es muss also dringend gespart werden, jede | |
künstliche Preissenkung könnte dem entgegenstehen. Das könnte auch zu | |
weiteren internationalen Ungerechtigkeiten führen. Beispielsweise beklagen | |
sich jetzt schon asiatische Länder, [3][dass Europa ihnen das Gas wegkaufe] | |
– während man sich hierzulande darüber freut, dass sich die Speicher | |
füllen. Dieses Argument spricht aber natürlich nicht dagegen, die | |
Verbraucher:innen auf anderem Wege entsprechend zu entlasten. Der | |
Gaspreis hat sich gegenüber dem früher normalen Niveau mehr als | |
vervierfacht. Je nach Wohnungsgröße und Dämmzustand können im Falle einer | |
Gasheizung so durchaus Mehrkosten von mehreren Tausend Euro auflaufen. | |
Wie geht es jetzt weiter? | |
Da der Koalitionsausschuss zu keiner Einigung kam, tat er, was man in | |
solchen Fällen eben tut: Er gründete einen Arbeitskreis. Laut | |
Beschlusspapier soll eine „Expertenkommission mit Vertreterinnen und | |
Vertretern u. a. aus Wissenschaft, Wirtschaft, Gewerkschaften und | |
Verbraucherschutz“ klären, „ob und wie“ ein Gaspreisdeckel realisierbar | |
ist. Sprecher*innen der Bundesregierung konnten am Montag noch nicht | |
sagen, wie die Kommission genau besetzt wird, ab wann sie tagt und wann es | |
ein Ergebnis gibt. Grünen-Chefin Lang forderte, dass die Gewerkschaften in | |
dem Gremium „eine besondere Rolle“ spielen und Ergebnisse | |
„schnellstmöglich“ kommen sollten. Klar ist: Hält die Kommission den | |
Gaspreisdeckel grundsätzlich für möglich, geht der Ball wieder zurück an | |
die Ampel. Sie müsste sich dann über die Finanzierung verständigen, sich | |
also beispielsweise doch zu einer breiten Übergewinnsteuer oder zur | |
Aussetzung der Schuldenbremse durchringen. | |
Soll ich mir jetzt einen Heizstrahler für meine Wohnung kaufen? | |
Bloß nicht – sonst könnte eintreten, wovor etliche | |
Energieexpert:innen warnen: dass das Stromsystem wegen der | |
unerwarteten Nachfrage teils zusammenbricht. | |
5 Sep 2022 | |
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## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
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