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# taz.de -- Energiekrise: Auf glühenden Kohlen
> Günstiger heizen ohne Gas: Die Nachfrage nach Kohlen explodiert. Für
> Berliner:innen, die mit Öfen heizen müssen, wird das zum Problem.
Bild: Bald wieder rauchende Schlote? Viele Berliner:innen nutzen nun Kohlen zum…
Berlin taz | Gut möglich, dass Anne H. im Winter frieren wird. Ihre Wohnung
in Prenzlauer Berg muss sie mit Kohlen beheizen, doch die sind bei ihrem
Brennstoffhändler derzeit ausverkauft. Sie könne auch nichts reservieren,
sagt H.. „Selbst in den kältesten Wintern war es kein Problem, Kohle zu
bekommen.“
Das ist in diesem Jahr anders: Kohle ist in Berlin derzeit knapp. „Zur Zeit
nicht verfügbar“ heißt es auf der Website eines Brennstoffhändlers, „Koh…
sind momentan ausverkauft“, verkündet die Telefonansage eines anderen. „Wir
würden gerne ausliefern, aber wir können nicht“, sagt auch Peter Engelke,
Brennstoffhändler aus Tempelhof. Es gebe keine Kohlen und wann Nachschub
kommt, sei unklar.
Kohleöfen klingen nach dunkler Vergangenheit. Doch die Technologie erfährt
durch die steigenden Gaspreise eine Renaissance. „Wir haben noch nie einen
Sommer gehabt wie dieses Jahr, wo so viele Menschen nach Kohle fragen“,
sagt Engelke. Sein Sohn und Juniorchef der Firma, Frithjof Engelke,
schätzt, dass die Nachfrage um 30 bis 50 Prozent gestiegen ist.
Das merkt auch Schornsteinfeger Alain Rappsilber. Der Sprecher der Berliner
Schornsteinfeger-Innung erzählt, dass viele Bürger:innen ihre alten
Kachelöfen wieder nutzen wollten. Früher habe er pro Monat zwei bis drei
Anfragen erhalten, einen alten Ofen wieder betriebsfähig zu machen. Heute
seien es gut 20 Anfragen – pro Woche.
## Kohle ist günstiger als Gas
Viele Öfen sind im Laufe der vergangenen Jahrzehnte wegsaniert worden.
Insgesamt gab es im vergangenen Jahr laut Schornsteinfeger-Innung etwa
148.000 Einzelfeuerungsanlagen für feste Brennstoffe. Darunter fallen nicht
nur Kohleöfen, sondern auch moderne Kamine für die Holzverbrennung.
Wer mehrere Heizmöglichkeiten hat, etwa einen alten Ofen und eine
Gasheizung, greift dieser Tage häufig zur Kohle. Doch nicht jede:r hat die
Wahl. Wie viele Wohnungen nur mit Kohle oder Holz beheizt werden können ist
allerdings unklar. Schätzungen zufolge handelt es sich um mehrere tausend.
In einer solchen Wohnung in Nord-Neukölln lebt Veronique G.. Auch sie
möchte ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen. „Ich habe immer im
September angerufen und mir zwei Tonnen Kohlen in den Keller liefern
lassen“, sagt G. Das habe stets gereicht. Mittlerweile hätten nahezu alle
Nachbar:innen in dem 1904 erbauten Haus Gasheizungen. Doch G. lebt in
einer unsanierten Wohnung mit altem Mietvertrag. Nach einer Modernisierung
könnte sie sich die Miete nicht mehr leisten.
„Ich habe keine Alternative: Für mich hieß es, entweder diesen Winter
erfrieren, oder nicht“, erzählt sie mit Blick auf den Kohle-Engpass. „Das
macht schon existenzielle Angst.“ Schuld am Mangel sind in ihren Augen auch
diejenigen, die tonnenweise Kohle hamstern, obwohl sie auch anders heizen
könnten.
Doch G. hat Glück gehabt: Kurz vor dem Telefonat mit der taz habe sie sich
doch noch Kohlen sichern können, sagt sie. Keine Brikett-Bündel zwar,
sondern lose Kohlen, weshalb sie nun öfter aus dem Keller Nachschub holen
müsse.
Auch Barbara Splieth hat Glück gehabt. Sie wohnt im Kreuzberger
Bergmannkiez und kann ebenfalls nur mit Kohlen heizen. Am Vormittag sei sie
spontan bei ihrem Kohlehändler vorbeigekommen, der ihr lose Kohlen anbieten
konnte. Also habe sie direkt eine halbe Tonne Schüttkohle bestellt – für
den doppelten Preis wie sonst. „Selbst wenn ich teure Kohlen kriege, komme
ich besser weg als mit den aktuellen Gaspreisen“, sagt sie.
## Schlecht für Klima und Gesundheit
Braunkohlebriketts werden in Deutschland nur an zwei Standorten produziert:
im Rheinischen Revier und in der Lausitz. Beide Fabriken haben schon vor
dem Krieg in der Ukraine ihre Produktionskapazitäten ausgeschöpft, teilen
die Betreiberfirmen RWE (Rheinland) und LEAG (Lausitz) auf taz-Anfrage mit.
Eine derart starke Nachfrage, auch in den Sommermonaten, sei
„außergewöhnlich und in den letzten 30 Jahren so nicht mehr vorgekommen“,
erklärt eine LEAG-Sprecherin.
Dass immer mehr Menschen zu Kohlen greifen, sieht Marcel Langner mit Sorge.
„Jeder zusätzliche Ofen verschlechtert die Luftqualität“, sagt der Experte
für Luftreinhaltung im Umweltbundesamt. Bei der Kohleverbrennung würden
unter anderem Feinstaub und Schwefelverbindungen ausgestoßen, die für
Mensch und Umwelt gefährlich seien.
Dennoch haben manche Menschen keine andere Wahl. Zwar könnten sie ihre Öfen
mit Holz befeuern, doch das ist bisweilen auch knapp. Vor allem aber ist es
teuer: Holz brennt schneller ab als Kohle, deshalb braucht man deutlich
mehr davon. Enorm teuer wäre auch der Einsatz strombetriebener Heizlüfter.
Für viele Mieter:innen unsanierter Altbauwohnungen ist das nicht drin.
Ob die Kohleversorgung für diesen Winter ausreicht, ist unklar. Noch sieht
der Senat „keine Hinweise auf eine zu erwartende Verknappung von festen
Brennstoffen“ wie Holz und Briketts, hieß es Ende Juli in einer Antwort der
Umweltverwaltung auf eine Anfrage des CDU-Abgeordneten Stefan Evers.
Doch Ende 2022 muss RWE im Rahmen des bundesweiten Kohleausstiegs die
Brikettproduktion im Rheinischen Revier einstellen. Einzig in der Lausitz
werden dann für einige weitere Jahre noch Braunkohlebriketts produziert.
Sollte die Energiekrise andauern, könnte es künftig also noch schwerer
werden, an Kohlen zu kommen.
8 Sep 2022
## AUTOREN
Jonas Wagner
## TAGS
Kohle
Energie
Winter
Heizung
Gasknappheit
Energiekrise
BerlinEnergie
Deutscher Städtetag
Schwerpunkt AfD
Unterstützung
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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