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# taz.de -- Russland fackelt Gas ab: Die Flammen von Portowaja
> In der Nähe der Pipeline Nord Stream 1 brennt Russland große Mengen
> Erdgas ab. Experten sprechen von einer Umweltkatastrophe.
Bild: Selbst von Finnland aus ist eine große Flamme zu sehen, die in Portowaja…
Basel taz | Russland fackelt [1][in der Nähe der Kompressorstation der
Ostseepipeline Nord Stream 1 (NS1)] derzeit große Mengen Gas ab. Die
norwegische Beratungsfirma Rystad Energy schätzt, dass dort täglich 4,34
Millionen Kubikmeter Gas verbrennen. Dieses ließe sich beim aktuellen
Gaspreis für 13 Millionen Euro verkaufen.
Die Flamme ist so groß, dass sie auch von Finnland aus gesehen werden kann
und manche vermuten, mit dem Abfackeln wolle Russland eine Botschaft an
Europa senden. Eine andere Beratungsfirma, FlareIntel aus Großbritannien,
sieht allerdings einen anderen Grund dafür, dass Russland dort sein Geld
verbrennt.
Die Flamme lodert in Portowaja rund fünf Kilometer von der
NS1-Kompressorstation. An diesem Ort befindet sich ein nahezu fertiges
Terminal zur Verflüssigung von Gas. Dieses Terminal wurde von der deutschen
Firma Linde errichtet, die Russland aber mittlerweile verlassen hat.
FlareIntel sieht daher zwei mögliche Gründe für die Feuersbrunst: Russland
könnte Gas abfackeln, das eigentlich verflüssigt werden sollte, aber hat
Schwierigkeiten, die Anlage ohne die Unterstützung von Linde zu starten.
Die andere Option ist, dass das Gas zu viel Wasser enthält, was die Anlage
beschädigen könnte, in der das Gas auf minus 162 Grad heruntergekühlt wird.
In diesem Fall würde Russland die Anlage starten können, sobald das
wasserreiche Gas komplett abgefackelt ist.
Unabhängig vom Grund für die Feuersbrunst deutet die Flamme aber auf ein
viel größeres Problem hin: Das massenhafte Abfackeln von Gas durch die Öl-
und Gasindustrie rund um die Welt [2][und allen voran in Russland]. Die
Weltbank schätzt, dass letztes Jahr weltweit 144 Milliarden Kubikmeter Gas
abgefackelt wurden. Dadurch wurden 361 Millionen Tonnen CO2 freigesetzt.
Das entspricht den Emissionen von Italien. Weil das Gas nicht vollständig
verbrennt, wurden beim Abfackeln zusätzlich 39 Millionen Tonnen Methan
freigesetzt, ein Klimagas, das auf 100 Jahre gerechnet eine 30-mal stärkere
Treibhauswirkung hat als CO2. Und das ist noch nicht alles: Beim Verbrennen
von Gas entsteht auch Ruß. Wenn sich dieser auf Eis in der Arktis absetzt,
reflektiert dieses weniger Sonnenlicht und schmilzt eher.
## 2,7 Milliarden Tonnen überflüssig ausgestoßenes CO2
Noch dramatischer werden die Zahlen, wenn man auch das Gas berücksichtigt,
das nicht abgefackelt wird, sondern einfach in die Luft abgelassen wird.
Die Internationale Energieagentur IEA schätzt, dass letztes Jahr weltweit
125 Milliarden Kubikmeter Gas, also Methan, zusätzlich abgelassen wurden
oder wegen Lecks in die Atmosphäre gelangt sind. Zusammengenommen hätte das
abgefackelte, abgelassene und sonst wie ausgetreten Gas eine Klimawirkung
von 2,7 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalenten und entspräche dem Land mit den
fünftgrößten Treibhausgasemissionen nach China, den USA, Indien und der EU.
Dieser ökologische und ökonomische Wahnsinn wäre allerdings nicht nötig.
Die IEA schätzt, dass 70 Prozent der Methanemissionen der Öl- und
Gasindustrie sowie 90 Prozent der Emissionen beim Abfackeln von Gas
verhindert werden könnten. Bei den aktuell hohen Gaspreisen wäre das sogar
lukrativ: Gemäß IEA würden dem Markt dadurch 210 Milliarden Kubikmeter Gas
zusätzlich zur Verfügung stehen und die Produzenten hätten Zusatzeinnahmen
von 90 Milliarden Dollar – deutlich mehr als die Kosten zur Vermeidung der
Emissionen.
## Erfolg der Initiative ist bescheiden
Besonders gefragt sind hier die Länder, die für diese Emissionen
verantwortlich sind. Beim Abfackeln sind dies Russland, Irak, Iran und die
USA, gefolgt von Venezuela, Algerien und Nigeria. Grundsätzlich gibt es
auch zwei internationale Initiativen, die sich darum kümmern: Die
Null-Routineabfackel-Initiative (ZRF) der Weltbank die sich an Firmen
richtet und die Globale Methaninitiative, in der Staaten versprechen, ihre
Methanemissionen zu senken.
Der Erfolg dieser Initiativen ist bislang allerdings bescheiden: Die
Emissionen beim Abfackeln liegen relativ stabil auf dem Niveau von 1990 und
die Methanemissionen sind seither sogar um die Hälfte gestiegen, wie Zahlen
der IEA zeigen. Dabei weiß man, was getan werden müsste: Diesen Emissionen
„kann mit bewährten Strategien und Technologien begegnet werden, darunter
Anforderungen an die Lecksuche und -reparatur, Ausrüstungsvorschriften und
Verbote des Abfackelns und Ablassens, wenn kein Notfall vorliegt“, schreibt
die IEA. Wenn die Flamme von Portowaja dazu beiträgt, dass das Abfackeln
und die Methanemissionen der Öl- und Gasindustrie mehr Aufmerksamkeit
erhalten, dann hätte sie vielleicht sogar ihr Gutes.
6 Sep 2022
## LINKS
[1] /-Nachrichten-im-Ukrainekrieg-/!5878811
[2] /Kriegsschaeden-in-der-Ukraine/!5839848
## AUTOREN
Christoph Müller
## TAGS
Gas
Russland
CO2-Emissionen
Energiekrise
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Unterstützung
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