# taz.de -- Extreme Rechte im Wendland: Wendland färbt sich grün-braun | |
> In die Gegend zwischen Lüneburg und Lüchow ziehen vermehrt „völkische“ | |
> Siedler. Sie wirken harmlos, sind aber in Nazi-Netzwerke eingebunden. | |
Bild: Seifenblasen bei einer kulturellen Landpartie im Wendland: Bei genauem Hi… | |
Beim Durchfahren wirkt das Wendland wie die pure Idylle. Wiesen und Wälder | |
wechseln sich ab, kleine Fachwerk-Städte und Dörfer mit Lehmhäusern | |
verschmelzen mit der Landschaft. An den Grundstücken stehen viele gelbe | |
Anti-Castor-Kreuze und an den Häusern hängen Transparente gegen die | |
Atom-Politik. Kleine Schilder weisen am Straßenrand auf ökologische Höfe | |
und Bio-Cafés hin. | |
Grün ist hier in der Region zwischen Lüneburg und Lüchow nicht bloß die | |
Natur. Das ist so, seit die SPD-Bundesregierung von Helmut Schmidt und der | |
CDU-Landesregierung von Ernst Albrecht 1977 beschlossen, ein | |
Atommüll-Endlager in Gorleben zu errichten. Seitdem hat sich im Wendland | |
eine alternative Protest- und Lebenskultur etabliert, die irgendwo zwischen | |
Waldorfpädagogik und Kunsthandwerk steht. | |
In der grünen Idylle lebt aber auch braune Provinz: Die Lüneburger Heide | |
und das Wendland ziehen Menschen an, die politisch weit rechts stehen. Sie | |
sind in der NPD aktiv, kommen aus Freien Kameradschaften oder völkischen | |
Zusammenhängen. Bei einem Brauchtumsfest am 1. Mai diesen Jahres zeigte | |
sich, dass auch Beziehungen zur AfD bestehen. In diesem Milieu ist der Mann | |
noch der Mann, und die Frau die Frau. Die Männer arbeiten als Handwerker, | |
Ökobauer, Lehrer oder Physiotherapeut, die Frauen sind Hausfrauen oder üben | |
Sozialberufe aus. | |
Rechte Siedler hier? Gern wird das politische Phänomen im Osten verortet – | |
und im Westen verdrängt. | |
## Umweltbewusst und rechts | |
Und in der Tat haben sich etwa in der Gegend ums mecklenburgische Güstrow | |
rechte Familien angesiedelt, die zusammen auf über 60 Kinder kommen. Seit | |
Jahrzehnten leben solche Familien allerdings auch in Niedersachsen: an | |
Orten wie Masendorf, Toppenstedt, Bienenbüttel, Hohnstorf, Seedorf oder | |
Wibbese. | |
Über 30 Familien sollen zu diesem Milieu gehören. Sie sind ökologisch | |
ausgerichtet, leben naturverbunden und bringen sich in entsprechende | |
Proteste ein. An der Hofeinfahrt einer Familie hängt ein großes Schild: | |
„Keine A 39“, darunter steht ein breiter Naturstein mit eingemeißeltem | |
Familiennamen und Wolfsangel, dem nationalsozialistischen Symbol für | |
Wehrhaftigkeit. Umweltbewusst und rechts – diese Verbindung ist typisch für | |
völkische Bewegung und ihre Gedankenwelt. | |
Im Laufe der Jahre fiel die Präsenz der Rechten im Wendland immer wieder | |
mal auf. „Oh, das ist lange her“, sagt Wendland-Aktivistin Frauke Döring. | |
Bei der Wendlandblockade 1983 war sie als Jugendliche mit dabei. An einem | |
Abend saß sie auf einem Hof in einer Scheune mit 50 Menschen auf | |
Strohballen um ein Feuer herum. „Ein Mann betrat die Scheune, hielt in der | |
Hand einen Batzen schwarze Erde und begann über Fruchtbarkeit, Tradition | |
und Werte zu schwadronieren“, erzählt Frauke Döring. „Die Worte weiß ich | |
nicht mehr genau, aber ich erinnere sehr gut, dass ich dachte: Das ist doch | |
hier Blut-und-Boden-Gequatsche.“ Später erfuhr sie, wer da so geredet | |
hatte: Baldur Springmann, einer der rechtsextremen Ökovordenker nach 1945. | |
Döring erinnert auch: „Keiner sagte was, was mich doch wunderte.“ | |
Der ehemalige Wendländer Claus Brandt erzählt von einer Anzeige eines | |
verstorbenen Apothekers, Wolfgang Fachmann, der sich auf Naturheilkunde | |
spezialisiert hatte. 1987 veranlasste dieser eine ganzseitige Traueranzeige | |
für Rudolf Heß in einem Uelzener Anzeigenblatt. Bis heute gehört die | |
Familie zum rechten Wendland-Netzwerk. | |
## Der tragische Tod des Sighild B. | |
„Die fielen schon auf“, berichtet Nicole Franke, in den 1990ern Schülerin | |
an der Wilhelm Raabe-Schule in Lüneburg, über Kinder aus der rechten Szene, | |
die mit ihr zur Schule gingen. „Das Mädchen kam immer in langen Röcken, | |
Bluse und Zöpfen – fast BDM-Style, dachte nicht bloß ich“, sagt sie, „d… | |
Junge hatte kurze Lederhosen an.“ Die beiden waren in der Minderheit. „Die | |
hatten es nicht leicht, wegen uns.“ | |
Im vergangen Jahr stand eine der Familien wegen des tragischen Todes ihres | |
Kindes Sighild B. vor dem Landgericht Hannover. Ihrem vier Jahre alten Kind | |
gaben sie nicht das nötige Insulin, da sie der „Germanischen Neuen Medizin“ | |
anhingen. Das Gericht verurteilte sie wegen fahrlässiger Tötung zu | |
Bewährungsstrafen. | |
Das Erstarken der Rechten brachte die Grünen im Gemeinderat der | |
Einheitsgemeinde Bienenbüttel unlängst dazu, eine Resolution gegen das | |
„völkische Gedankengut“ einzubringen. Am Ende beschloss der Gemeinderat | |
einstimmig eine Resolution gegen jede „Form des Extremismus“. „Es ist ein | |
Kompromiss, mit dem wir leben können“, sagt Reinhard Schelle-Grote, | |
Fraktionsvorsitzender der Grünen. Und ein weiterer Anstoß für eine | |
Auseinandersetzung, die sich so schnell wohl nicht erledigen wird. | |
16 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Andreas Speit | |
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