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# taz.de -- Bürgerwehr vs. Flüchtlingshelfer: Die gespaltene Gemeinde
> Eine der ersten westdeutschen „Bürgerwehren“ bildete sich in Schwanewede.
> Neben den Flüchtlingsgegnern gibt es aber auch Flüchtlingshelfer.
Bild: Die Bundeswehr ist weg, dafür kamen Familien aus Syrien und dem Iran: Ka…
Schwanewede taz | Als Gudrun Chopin das Wort ergreift, dreht sie sich um.
Statt ans Podium gerichtet, spricht sie zu den anderen Gästen im Saal: Sehr
gut laufe es mit der Flüchtlingshilfe im Ort, sagt sie. Die freiwilligen
Helferinnen und Helfer leisteten ganze Arbeit – aber man könne noch
Unterstützung gebrauchen. Es sind einfache Sätze, doch in diesem Raum, in
dem so viel Hass herrscht, gewinnen sie an Tapferkeit. Flüchtlingshelfer –
hier in Schwanewede?
Der Gemeindesaal ist voll an diesem Abend. Bis in die Tür drängen sich die
Leute, sitzen auf den Tischen, die hinten an die Wände geschoben wurden, um
Platz zu schaffen. Die Stimmung ist angespannt. Worüber informiert werden
soll, haben die meisten schon ein paar Tage zuvor in der Lokalzeitung
gelesen: Die Schwaneweder Flüchtlings-Notunterkunft soll vergrößert werden.
## Zuhören wollen nur manche
Seit September 2015 leben in Schwanewede, nördlich von Bremen, vor allem
syrische und irakische Familien. Die Bundeswehr braucht die ehemalige
Lützow-Kaserne nicht mehr, das Land Niedersachsen dafür umso mehr: Statt
wie bisher 1.200 sollen dort bis zu 2.000 Menschen unterkommen können.
Der Referatsleiter für kommunale Angelegenheiten im Innenministerium ist an
diesem Abend aus Hannover angereist, um all das zu erklären. Manche im
Gemeindesaal wollen ihm wohl auch zuhören. Lauter aber sind diejenigen, die
ihn am liebsten gleich wieder aus dem Dorf jagen würden. Sie nehmen den
Raum ein – wie so oft in letzter Zeit, wenn über Flüchtlinge diskutiert
wird.
Dass er Politikern kein Wort mehr glaube, sagt einer, und dass es doch
immer nur noch mehr Flüchtlinge würden. Dass die Polizei verschweige, wie
kriminell die Flüchtlinge seien. Ein Mann, der sich als Trainer des
örtlichen Fußballvereins vorstellt, erzählt von einem Vorfall, bei dem er
eigenhändig zwei Mädchen vor sie sexuell belästigenden Flüchtlingen
beschützt haben will.
Auch Dennis Z. ist gekommen und lehnt an einer Fensterbank. Z. ist Sänger
der Band „Strafmass“, die der Bremer Verfassungsschutz seit ihrer Gründung
im Jahr 2008 beobachtet: „Hasserfüllte Einstellung gegenüber Ausländern“
propagiere die Band und sehe sich in der Tradition der militanten Neonazis
von „Combat 18“. Er ist in Schwanewede aufgewachsen und einer der
Initiatoren der „Bürgerwehr“, die sich hier Ende 2015 bildete, kurz nachdem
die ersten geflohenen Menschen in die Kaserne eingezogen waren – als eine
der ersten in Westdeutschland. Zuvor hatten sich Hunderte Anwohner
gegenseitig im Internet aufgestachelt, in einer Facebook-Gruppe. Nun
bekamen sie einen Ableger in der wirklichen Welt.
Auf der Veranstaltung im Gemeindesaal bewegt sich Z. unter Gleichgesinnten,
muss selbst gar nicht sprechen. Die Menschen um ihn herum lassen ihren
Ressentiments freien Lauf. Geordnet nimmt Schwanewedes Bürgermeister Harald
Stehnken, SPD, sie dran: einen nach dem anderen. Die Leute interessieren
sich nicht für Argumente an diesem Abend und der Bürgermeister kann ihnen
kaum etwas entgegensetzten. Dann kommt die Flüchtlingshelferin zu Wort:
„Frau Chopin“, sagt Stehnken, „sie wollten doch auch noch etwas erzählen…
Als sie über das örtliche Engagement für die Flüchtlinge spricht, grölt es
im Saal.
## Die AfD will „Mut zum Widerstand stiften“
Es ist eine Stimmung, die auch die AfD im Ort für sich nutzt. Als die
Debatte richtig hochkochte, im Oktober, lud die Partei zu einer
Veranstaltung in den Kinosaal des ehemaligen Soldatenheims, fünf Minuten zu
Fuß von der damals noch neuen Flüchtlingsunterkunft entfernt. Über das
„Asylrecht als Fehlkonstruktion“, wollte man informieren und „Mut zum
Widerstand stiften“.
50, vielleicht 60 Zuhörer folgten damals der Einladung, auch Dennis Z. war
dabei. Von Männern in Jacken der bei Neonazis beliebten Marke „Thor
Steinar“ wurde er mit Handschlag begrüßt. Als die AfD-Lokalgröße Uwe
Wappler davon spricht, dass man die machthabenden PolitikerInnen und allen
voran Angela Merkel irgendwann noch ihrer gerechten Strafe zuführen werde,
klatschten sie. Die Bürgerwehr, sagte der Kreisverbandsvorsitzende, der
auch als „Oberstleutnant d. R.“ firmiert, werde von der AfD
selbstverständlich begrüßt.
Harald Stehnken sitzt hinter seinem Schreibtisch und beugt sich über einen
Stapel Papiere. Notizzettel, Locher, Briefbeschwerer – er hat es gerne
geordnet. Stehnken trägt ein Sacko mit Hemd, das wohl nicht allzu
zugeknöpft wirken soll. Seit 2001 ist der frühere Finanzbeamte
hauptamtlicher Bürgermeister im Ort.
Die 4.000 Bundeswehrsoldaten, die lange hier stationiert waren, die fehlten
schon, sagt er, auch ihre Kaufkraft. „Wir schaffen das in Schwanewede“, das
sagt der Sozialdemokrat auch, wenn es um die Flüchtlinge geht. In diesem
Frühjahr, mit dem Nachlassen der Migrationsbewegung nach Deutschland, seien
es ohnehin nur noch rund 500 Menschen, die in der alten Lützow-Kaserne
leben.
„20 zu 80“, sagt Stehnken, sei die Stimmung im Ort verteilt. Die Mehrheit
sehe die Anwesenheit der Flüchtlinge positiv. Aber der Bürgermeister bangt
um den Ruf seiner Gemeinde. Er verweist auf Gudrun Chopin, auf den Pastor
Klaus Fitzner und die anderen im Ort, die sich für Flüchtlinge einsetzen.
Klar, sagt er, bekomme auch er die schlechte Stimmung mit – etwa, wenn ihm
wieder mal ein Brief geschrieben wurde.
„Aber ich lade die Leute dann einfach ein, hier zu mir ins Büro“, sagt
Stehnken. Und erklärt ihnen, dass die Polizei kaum Vorkommnisse zu
verzeichnen hat im Zusammenhang mit den Flüchtlingen. Dass diese Menschen
Strapazen hinter sich haben. Diejenigen, die sich beschwerten, hätten
Angst, sagt Stehnken, weil die Neuankömmlinge nicht so aussähen wie sie
selbst. Um Schwanewedes Bürgerwehr allerdings sei es in letzter Zeit
ruhiger geworden.
## Unterwegs in leeren Straßen
Der Mann ist gerade aus einem schwarzen Kombi mit Bremer Nummernschild
gestiegen und wartet. Es dauert nicht lange, bis von der anderen
Straßenseite ein Mann zu ihm herüberschlendert. Dieser hatte dort drüben an
einer Bushaltestelle gewartet. In den nächsten zehn Minuten wird sich hier
eine kleine Gruppe bilden: zwei Frauen, sechs Männer. Jeweils einzeln
stoßen sie hinzu, einer hat immer die Gegend im Blick. Durchweg tragen sie
dunkle Kleidung und sind von eher kräftiger Statur. Einer hat ein
Teppichmesser an der Seite seiner Zimmermannshose stecken.
Noch ein paar Minuten später zieht die Gruppe los: ins Wohngebiet gleich um
die Ecke, von Vorgarten-Zaun zu Vorgarten-Zaun. Zwei haben Taschenlampen
dabei, leuchten mal hier den Rasen ab, mal dort zu einem Eingang hin.
Irgendwo müssen sie ja sein, die kriminellen Ausländer. Mit ihrem
Auftreten, dem Schatten und den Lichtkegeln ihrer Lampen erinnert die
Bürgerwehr selbst an eine Gruppe unvorsichtiger Einbrecher, von Weitem
wenigstens.
Davon abgesehen sind die Straßen leer: Keine Passanten, keine Fahrradfahrer
– und auch keine Flüchtlinge mit Diebesgut. Als sie wieder zu Hause sind
und vor ihren Computern sitzen, schreiben die dunkel Gekleideten von ihrer
„Gegenwehr“ und davon, dass sie Pfefferspray oder Schlagwaffen im Auto
haben – für den Fall der Fälle, der bislang nicht eingetreten ist.
Ihre Wut muss tief sitzen: Monate lang, manchmal mehrmals pro Woche, machen
sie ihren Rundgang, starten am ehemaligen Soldatenheim und schwenken dann
um, ins Wohngebiet. Und immer führt ihr Weg auch vorbei an der
Begegnungsstätte.
Die ist in Schwanewede Jugendfreizeitheim, Sozial- und Kulturzentrum und
Dorfgemeinschaftshaus – und der Ort der Flüchtlingshilfe. 1981 wurde das
Haus eingeweiht, so lange ist auch Gudrun Chopin, ehemals Lehrerin, schon
aktiv. Damals seien vor allem Menschen aus Afghanistan, Indien und Sri
Lanka nach Schwanewede gekommen, erinnert sie sich. So habe sich die
örtliche „Ökumenische Initiative für Flüchtlinge und Asylsuchende“
gegründet. Chopin trägt ihr Haar bis zum Kinn und eine weit geschnittene
Hose. Und sie kann sich durchsetzen.
Als im September 2015 die ersten Flüchtlinge in der Lützow-Kaserne ankamen,
legten Chopin und ihre Mitstreiter los: Zusammen mit Kindern von der
nahegelegenen Waldschule bildete sich ein kleines Empfangskommitee.
„Wilkommen“ schrieben sie auf Schilder, auf Deutsch und Arabisch. Und im
Gegensatz zu den Unterstützern aus Bremen, die eigens nach Schwanewede
kamen, werden sie am Eingang zur Unterkunft nicht mehr abgewiesen. Eine
Kleiderkammer gibt es auf dem Gelände und einen Raum der Stille. 25
freiwillige Patinnen und Paten kümmern sich um Neuankömmlinge.
„Wir waren vorbereitet“, sagt Chopin. An diesem Tag ist wieder Frauencafé,
so wie seit inzwischen 21 Jahren einmal im Monat. 40 Frauen sind da, jede
zweite trägt Kopftuch. Damit die Besucherinnen auch wirklich Zeit und Ruhe
finden, sich auszutauschen, werden die Kinder nebenan betreut.
## Zehn Euro für ein Rad von den drei Männern im Keller
Seit einem Dreivierteljahr gibt es im Keller der Begegnungsstätte auch die
Fahrradwerkstatt – in Schwanewede eine Männerdomäne: Wilfried Gorisch,
Vehbi Vojvoda und Helmut Bier haben sie in einem Heizungskeller
eingerichtet. Alte Fahrradmäntel liegen hier herum, Lappen, Werkzeug,
Kettenschmiere. Bier ist noch nicht so lange dabei. Für Flüchtlinge bietet
er nun auch Deutschunterricht an. Ganz anders sei das, als er es aus der
Schule kenne, sagt Bier: „Weil die Leute ja freiwillig kommen.“ Der
pensionierte Lehrer hat einen grau-braunen Arbeitsoverall an, wie ihn
richtige Handwerker tragen.
Mit den anderen steht er um ein Fahrrad herum und werkelt am Sattel.
Ramadan R. will es gleich abholen kommen. R. kam aus Syrien nach
Schwanewede, für das Rad soll er nun zehn Euro bezahlen. Seinen Namen
registrieren sie in der Werkstatt, jeder Flüchtling soll nur eins bekommen
und muss es auch persönlich abholen. Im Keller nebenan stehen noch weitere
Drahtesel zur Abholung bereit, ehemals kaputte, gespendet und von den drei
Männern im Keller geflickt und verkehrstüchtig repariert.
100 solcher Räder seien schon verteilt worden, erklärt Gudrun Chopin. Die
Bürgerwehr? Sei ihr nie begegnet. Man müsse „heftig dagegen arbeiten“. So
etwas wie auf der Veranstaltung im Gemeindesaal, sagt sie, wolle sie nie
mehr erleben. „Lieber ein Licht anzünden als auf die Dunkelheit schimpfen.“
7 Mar 2016
## AUTOREN
Jean-Philipp Baeck
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