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# taz.de -- Entscheidung des Verfassungsgerichts: Berlin ist zweite Wahl
> Das Gericht erklärt die Wahlen zum Abgeordnetenhaus von 2021 für
> ungültig. Innerhalb von drei Monaten müssen die Berliner*innen erneut
> an die Urnen.
Bild: Die Richterinnen und Richter des Verfassungsgerichts am Mittwoch in Berlin
Berlin taz | Den vielen Erzählungen, was Berlin alles nicht auf die Kette
kriegt, hat das Verfassungsgericht des Landes am Mittwoch eine weitere
hinzugefügt: Die neun Richter*innen erklärten die Wahlen von 2021 zum
Abgeordnetenhaus und zu den zwölf Bezirksparlamenten in vollem Umfang für
ungültig. Grund dafür sind laut Gericht die [1][zahlreichen Pannen und
Fehler insbesondere bereits bei der Vorbereitung] der Wahlen vom 26.
September 2021. Voraussichtlich am 12. Februar 2023 wird in Berlin daher
erneut gewählt.
Das Gericht kam bei seiner Urteilsverkündung zu einem einhelligen Schluss:
Aufgrund der „Häufigkeit und Schwere der Wahlfehler“ sei es erforderlich,
die beiden Wahlen komplett zu wiederholen, erklärte Gerichtspräsidentin
Ludgera Selting. Nur so könne eine „Zusammensetzung des Abgeordnetenhauses
gewährleistet werden, die den rechtlichen Anforderungen an demokratische
Wahlen genügt“.
Man sei sich bewusst, dass das Urteil „ein wohl einmaliger Vorgang in der
Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“ sei. Die Entscheidung fiel mit
sieben zu zwei Stimmen recht eindeutig. Nicht von dem Urteil betroffen sind
die Wahl zum Bundestag in Berlin – dafür sind die Richter*innen nicht
zuständig, sondern der Bundestag selbst – und der erfolgreiche
Enteignen-Volksentscheid, gegen den keine Einsprüche vorlagen.
Die Entscheidung des Gerichts kam [2][trotz ihrer Tragweite nicht
überraschend]. Bereits bei einer Anhörung des Gerichts Ende September zu
den mehr als 30 Einsprüchen gegen die Wahl hatte Selting eine vollständige
Wiederholung als wahrscheinlichstes Urteil dargestellt. In der Folge hatten
sich alle Parteien auf einen erneuten Wahlkampf in diesem Winter
eingestellt. Die meisten Kampagnen sind nach taz-Informationen bereits
fertig.
Während der Urteilsbegründung am Mittwoch betonte Selting stärker als noch
im September die „schweren systemischen Mängel bei der Vorbereitung“ der
Wahlen. Der Grundsatz der Allgemeinheit, Gleichheit und Freiheit sei bei
der Wahl verletzt worden. Schuld daran tragen laut Gericht die
Organisator*innen der Wahl: die längst zurückgetretene
Landeswahlleiterin und der damalige Innen- und heutige Bausenator Andreas
Geisel (SPD).
Die Bewertung der Wahlpannen durch das Gericht ist bemerkenswert, steht sie
doch nach Ansicht vieler Jurist*innen im Widerspruch zur bisherigen
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Die sieht vor, dass Fehler
konkret benannt werden und zudem direkte Auswirkungen auf die
Mandatsverteilung haben müssen – beides sei, so die Kritiker*innen, im
Fall der Berlinwahl nur für wenige Wahlkreise belegt. Die Innenverwaltung
hatte daher in einem Schreiben an das Verfassungsgericht vor wenigen Wochen
appelliert, seine „vorläufige Rechtsauffassung noch einmal“ zu überdenken
oder auch von sich aus das Bundesverfassungsgericht anzurufen. Ersteres
stieß offensichtlich auf wenig Gehör bei den Richter*innen, Letzteres
wiesen sie bei der Begründung explizit zurück.
Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) reagierte prompt: „Diese
Entscheidung nehme ich mit Respekt zur Kenntnis und werde sie
selbstverständlich umsetzen“, teilte sie mit. Der rot-grün-rote Senat hatte
im Vorfeld angekündigt, nicht gegen das Urteil des Verfassungsgerichts
juristisch vorzugehen. Aus Sicht von Berlins CDU-Landeschef Kai Wegner ist
die anstehende Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl eine Chance für
einen Neustart. „Es ist ein guter Tag für die Demokratie. Gleichzeitig ist
heute auch ein Tag der Hoffnung“, so Wegner.
Zwischen Urteil und der nun anstehenden Wahlwiederholung dürfen laut Gesetz
lediglich drei Monate liegen. Der [3][neue Landeswahlleiter Stephan
Bröchler] hatte im Vorfeld bereits angedeutet, dass er diese Frist
möglichst ausschöpfen und den 12. Februar als Termin festlegen will. Damit
der Plakatwahlkampf nicht mitten in den Weihnachtsfeiertagen am 25.
Dezember beginnt, hat das Abgeordnetenhaus eigens für diesen Fall die Frist
für das Aufhängen und -stellen von Plakaten auf sechs Wochen verkürzt.
Bei den Wahlen am 26. September 2021 war es in Berlin zu zahlreichen Pannen
gekommen: Stimmzettel gingen im Laufe des Tages aus oder es wurden falsche
ausgegeben, vor vielen Wahllokalen bildeten sich lange Schlangen, teilweise
wurde mehr als zwei Stunden nach offizieller Schließung der Lokale noch
gewählt.
Vier Abstimmungen hatten an jenem Tag unter strengen Corona-Auflagen
parallel stattgefunden: die Wahlen zum Bundestag, zum Abgeordnetenhaus und
zu den Bezirksparlamenten sowie der Enteignen-Volksentscheid; der
Berlin-Marathon mit zehntausenden Teilnehmer*innen und Zuschauenden
hatte den Nachschub mit Stimmzetteln erschwert. Diese Bedingungen seien bei
den Vorbereitungen weitgehend ignoriert worden, so das Gericht. Es folgte
damit [4][einer Analyse einer vom Innensenator selbst eingesetzten
Arbeitsgruppe], die im Juni ihre Ergebnisse vorgestellt hatte.
Die Wahl 2021 hatte die SPD mit ihrer Spitzenkandidatin, der früheren
Bundesfamilienministerin Franziska Giffey, knapp gewonnen. Sie setzte nach
schwierigen Verhandlungen die Koalition mit Grünen und Linken fort. Bei der
Wiederholungswahl rechnen sich auch CDU und Grüne gute Chancen auf das Rote
Rathaus aus: Union, SPD und Grüne liegen in Umfragen nah beieinander bei je
knapp 20 Prozent. Zuletzt war allerdings über eine Möglichkeit spekuliert
worden, die die Wiederholung noch einmal verschieben könnte: Wenn einzelne
Mitglieder des Abgeordnetenhauses das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe
anrufen. Nach taz-Informationen denken mehrere darüber zumindest nach.
16 Nov 2022
## LINKS
[1] /Wahlchaos-in-Berlin/!5866279
[2] /Wiederholung-der-Wahl-in-Berlin/!5891860
[3] /Wahlchaos-in-Berlin/!5878852
[4] /Lehren-aus-dem-Wahlchaos-in-Berlin/!5862605
## AUTOREN
Bert Schulz
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