# taz.de -- Grüne-Fraktionschefin über Energiekrise: „Ich warne vor Wahlkam… | |
> Die Koalition muss in der Krise zusammen stehen, sagt | |
> Grünen-Fraktionschefin Silke Gebel. Zu Klimaprotesten sagt sie: „Der | |
> Zweck heiligt nie die Mittel“. | |
Bild: Silke Gebel, Fraktionschefin der Berliner Grünen | |
taz: Frau Gebel, am Mittwoch will das Berliner Landesverfassungsgericht | |
über eine [1][Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl von 2021] entscheiden. | |
Wie ist Ihre Gefühlslage – schon wieder Lust auf Wahlkampf? | |
Silke Gebel: Ich hab immer Lust auf die vielen Gespräche vor Ort im | |
Wahlkampf. Aber ich hätte natürlich erwartet, dass die Innenverwaltung die | |
Wahlen so organisiert, dass es keine Wahlwiederholung gebraucht hätte. Es | |
ist doch in einer Demokratie elementar wichtig, dass nach einer Wahl die | |
Regierung und das parlamentarische Geschäft legitimiert arbeiten können. | |
Aber wenn es eine Wiederholung der Wahl gibt, dann werden wir [2][als Grüne | |
wieder bei den Berliner*innen dafür werben, stärkste Kraft zu werden.] | |
Regiert die rot-grün-rote Koalition eigentlich noch oder wahlkämpft sie | |
schon gegeneinander? | |
Je näher ein möglicher Wahltag heranrückt, desto stärker ist bei den | |
einzelnen Parteien das Interesse, noch mal sehr deutlich zu machen, was das | |
eigene politische Profil ist, auch in Abgrenzung zu anderen. Aber wir Grüne | |
wissen: Die Aufgaben in den nächsten Monaten sind so groß – die | |
Energiekrise, die steigenden Zahlen der Geflüchteten – dass es fatal wäre, | |
als Koalition gegeneinander zu arbeiten. Ich warne sehr vor Wahlkampfchaos. | |
Wahlkampf muss ja nicht Chaos bedeuten. | |
Genau. Deshalb ist es für uns wichtig, dass Wahlkampf und die Arbeit in der | |
Koalition getrennt werden. Dann gelingt uns auch der Spagat, gut | |
miteinander zu regieren und gleichzeitig in einen fairen Wettstreit im | |
Wahlkampf zu gehen. Da werden wir sehr klar zeigen, dass wir Grüne wie | |
keine andere Partei für starken Klimaschutz und sozialen Zusammenhalt | |
stehen. | |
Wie kriegt man diese Botschaft ans Volk? | |
Klimaschutz und erneuerbare Energien sparen gerade bares Geld und bringen | |
Sicherheit. Die Energiekrise zeigt sehr deutlich, dass es ein großer Fehler | |
ist, so abhängig von fossilen Energien noch dazu aus Ländern wie Russland | |
zu sein. Deswegen haben wir bei den Entlastungspaketen auch immer wieder | |
gesagt: Es kann nicht sein, dass wir jetzt einfach nur das Geld raus hauen | |
– ohne [3][gezielt zu helfen] und ohne die teuren und klimaschädlichen | |
fossilen Energien zu reduzieren. Wir müssen uns schon jetzt für die nächste | |
Krise wappnen, damit uns der nächste Winter nicht so hart trifft. | |
Das ist der Öko-Aspekt in der Energiekrise, die auch eine soziale Krise | |
ist. Aber welche Antworten haben die Grünen da konkret? | |
Wir denken Klimaschutz und Energiekrise zusammen, weil wir soziale Politik | |
machen. Wir müssen die erneuerbaren Energien ausbauen, zum Beispiel das | |
Solarprogramm für Berliner Dächer. Wir müssen beraten und unterstützen, wie | |
Haushalte auch beim Heizen noch mehr einsparen können. Das Angebot bei den | |
Stromspar-Checks für Privathaushalte wird ja bereits massiv erweitert. | |
Klimafreundliche Mobilität muss für jeden bezahlbar sein: Wir haben uns | |
als Grüne deshalb sehr starkgemacht beim [4][29-Euro-Ticket, genau wie beim | |
9-Euro-Sozialticket]. | |
Vom Berliner 9-Euro-Nachfolge-Ticket für den ÖPNV sagt die SPD, sie habe es | |
erfunden. | |
Ich bin ja vom Team „Gönnen können“: Es kann ja gerne jeder erfunden habe… | |
wenn es am Ende des Tages bei den Leuten ankommt. Und dafür hat Bettina | |
Jarasch als Verkehrssenatorin gesorgt. | |
Das ist eine noble Einstellung – aber bei der Wahl bringt es Ihnen keine | |
Punkte, wenn die Leute das viel debattierte Ticket der SPD zuordnen. | |
Bei der Mobilitätswende sind wir das Original – mit klarem Kompass für mehr | |
ÖPNV, aber eben auch mehr Radwegen, oder Kiezblocks. Ich bekomme von vielen | |
Berlinerinnen mit, dass sie genau merken, dass sich hier erst etwas | |
geändert hat seit wir Grünen verkehrspolitische Verantwortung in Berlin | |
übernommen haben. Wir haben ja gerade wieder die Diskussion um den | |
Weiterbau der A100, da sieht man, dass die SPD ihre Prioritäten | |
autofreundlich setzt. | |
[5][Bei der Friedrichstraße] musste die grüne Verkehrssenatorin aber gerade | |
eine Schlappe für die Verkehrswende einstecken: Nach einem Gerichtsurteil | |
dürfen dort ab dem 22. November wieder Autos fahren. | |
Die Friedrichstraße zeigt eben, wie dick die Bretter noch sind. Die | |
Straßenverkehrsordnung ist eher autofreundlich und nicht | |
menschenfreundlich. Aus diesem Grunde fokussieren wir alle unsere Kräfte | |
auf eine Fahrradstraße in der Charlottenstraße und auf eine echte | |
Fußgängerzone in der Friedrichstraße. Weil es das ist, was den Menschen | |
wirklich mehr Lebensqualität bringt. | |
Dennoch wird bei den Menschen in Erinnerung bleiben: Die Grünen haben es | |
nicht hinbekommen, für die Friedrichstraße rechtzeitig ein Konzept | |
vorzulegen – und das hat ihnen ein Gericht um die Ohren gehauen. | |
Es gibt ja das Konzept der Fußgängerzone, das wir im Austausch mit | |
Anrainern noch einmal überarbeitet haben. Dieses Konzept ist vom Gericht | |
auch nicht hinterfragt worden, sondern die Frage, ob die Sperrung nach dem | |
Verkehrsversuch weiterlaufen durfte. Einige feierten hier einen | |
kurzfristigen Erfolg für das Auto, langfristig kommt aber die | |
Fußgängerzone. Und das ist gut für Mensch, Umwelt und Wirtschaft. | |
Können Sie die Weinhändlerin aus der Charlottenstraße verstehen, die mit | |
ihrer Beschwerde das Urteil des Verwaltungsgerichts ausgelöst hat, weil sie | |
ihre Existenz bedroht sah? | |
Was die oft zitierten Umsatzeinbußen der Geschäfte dort angeht: Wir wissen | |
doch aus anderen Städten, dass die Einkaufsstraßen dort florieren und dem | |
Onlinehandel trotzen, wo Shoppen ohne Stress und zu Fuß klappt. Ich bin | |
zweimal in dem Wahlkreis angetreten und habe Charlottenstraße und | |
Friedrichstraße nie als Flaniermeilen erlebt – bis die Autos raus waren. | |
Mit wem wollen die Grünen eigentlich regieren, sollten sie bei einer | |
mutmaßlichen Wahlwiederholung am 12. Februar stärkste Kraft werden? | |
Ich glaube, es ist ein offenes Geheimnis, dass wir in dieser | |
Farbkombination in den letzten sechs Jahren gut miteinander regiert haben | |
und auch viel für die Stadt erreicht haben. Und deswegen würden wir da | |
gerne weitermachen. | |
Die SPD will sich aber auf keine Koalitionsaussage festlegen. | |
Das war auch von mir keine Koalitionsaussage. | |
Also auch keine Absage an andere Koalitionen wie Grün-Schwarz? | |
Wie gesagt, wir regieren vertrauensvoll mit dieser Farbkombination und | |
kämpfen im Wahlkampf für einen Führungswechsel. Denn Klimaschutz braucht | |
ein grünes Rathaus. | |
Schaden die [6][umstrittenen Protestaktionen von Klimaaktivist*innen] | |
wie der Letzten Generation den Grünen eigentlich? | |
Die Klimabewegung ist sehr vielfältig. Die Leute wissen, dass wir die | |
Partei sind, die seit über 40 Jahren für Klimaschutz eintritt, im Parlament | |
und außerhalb. Seit ich Abgeordnete bin, ist für mich das Instrument von | |
zivilem Ungehorsam nicht das Mittel der Wahl, weil ich die Dinge | |
parlamentarisch vorantreibe. | |
Allerdings profitieren die Grünen auch nicht substanziell von der | |
Aufmerksamkeit für den Klimaaktivismus, jedenfalls spiegelt sich das nicht | |
in den Umfragen. Müssten Sie das Potenzial der Bewegung nicht noch viel | |
mehr nutzen? | |
Genau das machen wir. Es gibt ja ganz viele Klimaproteste, es gibt auch | |
weiter Fridays for Future. Die mischen sich mit Luisa Neubauer sehr | |
wortgewaltig in Debatten ein und haben auch gerade auf unserem | |
Grünen-Bundesparteitag erfolgreich einen Antrag für 100 Milliarden Euro für | |
den Klimaschutz eingebracht. Die Klimaschutzbewegung ist mehr als die | |
Letzte Generation. Und wir als Grüne verstehen uns als die | |
Klimaschutz-Vorreiter. | |
Wie ist denn Ihre persönliche Haltung zu den Straßenblockaden: Kürzlich hat | |
ein mutmaßlich damit in Zusammenhang stehender Stau womöglich die Rettung | |
einer verunglückten Radfahrerin behindert. Heiligt der Zweck alle Mittel? | |
Ich finde nicht, dass der Zweck jemals die Mittel heiligt. Ich glaube auch | |
nicht, dass damit die Akzeptanz für mehr Klimaschutz steigt. Im Gegenteil, | |
man muss sich immer fragen: Was will man eigentlich erreichen? Ich will, | |
dass Berlin klimaneutral wird, das ist mein Ziel, und dafür arbeite ich | |
jeden Tag. | |
Ist es nicht deprimierend für Sie als Grüne, dass Umdenken offenbar nur | |
übers Portemonnaie geht? Aktuell sind Beratungen fürs Energiesparen total | |
ausgebucht. Als Strom und Gas noch billig waren, war das anders. | |
Da ist traurigerweise etwas dran. Das ist eine Frage von Bequemlichkeit, | |
man verändert sein Verhalten eben sehr ungern. Dass uns die Abhängigkeit | |
von Russland nun so auf die Füße fällt, erzeugt aber keine Genugtuung. Im | |
Gegenteil: Viele Menschen stehen nun vor einem harten Winter und wissen | |
nicht mehr, wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollen. Der Erfolg der | |
Energiewende ist deshalb auch eine sozialpolitische Frage. | |
15 Nov 2022 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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