| # taz.de -- Wiederholung der Wahl in Berlin: Richter*innen können Mut zeigen | |
| > Eine komplette Wiederholung der Berliner Abgeordnetenhauswahl wäre | |
| > juristisch gewagt, aber politisch der einzige richtige Weg. | |
| Bild: Ein häufiges Bild in Berlin am 26. September 2021: Lange Schlange vor de… | |
| Nur noch wenige Tage sind es an diesem Samstag, bis die vielleicht | |
| nervenaufreibendste Hängepartie der jüngsten Zeit in Berlin zu Ende geht: | |
| Am Mittwoch will der Verfassungsgerichtshof des Landes verkünden, ob er die | |
| Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den zwölf Bezirksparlamenten vom 26. | |
| September 2021 [1][wirklich für ungültig erklärt]. Dass das Urteil so | |
| ausfällt, daran zweifelt in Berlin kaum jemand: Zu weit hatten sich die | |
| neun Richter*innen bereits Mitte September während einer Anhörung zu dem | |
| Thema aus dem Fenster gelehnt. | |
| Von bekannten Pannen, die nur die [2][„Spitze eines Eisbergs“] seien, | |
| hatten sie damals gesprochen und damit die langen Wartezeiten von teils | |
| mehreren Stunden in Wahllokalen sowie die fehlenden oder fehlerhaften | |
| Stimmzettel gemeint. Zudem sei es bereits bei der Vorbereitung der | |
| Abstimmung zu massiven Fehlern gekommen. Die Landeswahlleiterin sowie die | |
| zuständige Innenverwaltung hätten die erhöhten Anforderungen an die | |
| Organisation ignoriert: An jenem 26. September wurde in Berlin auch der | |
| Bundestag gewählt, ein Volksentscheid stand zur Abstimmung, in der Stadt | |
| fand der Marathon statt mit Zehntausenden Teilnehmenden und noch mehr | |
| Zuschauer*innen, zudem galten Corona-Auflagen. | |
| Um das Vertrauen in die Wahlen wiederherzustellen, so die Schlussfolgerung | |
| der Richter*innen, müssten die beiden Berliner Wahlen komplett wiederholt | |
| werden. Gerechnet hatte damit so gut wie niemand – vor allem, weil das | |
| Bundesverfassungsgericht in ähnlichen Fällen sehr konkrete Vorgaben gemacht | |
| hatte, wann Wahlen oder Teile davon wiederholt werden müssen. | |
| Doch die Berliner Richter*innen zeigen Mut und trauen sich offenbar, | |
| angesichts eines bisher nie dagewesenen Chaos bei diesem wichtigsten | |
| demokratischen Element, juristisches Neuland zu betreten. Absurderweise | |
| könnte ihnen diese Entscheidung leichter fallen, weil die meisten | |
| eigentlich gar nicht mehr im Amt sein sollten: Sechs Richterpositionen | |
| hätte das Parlament bereits nachbesetzen müssen, es aber mit Rücksicht auf | |
| dieses wichtige Urteil zur Gültigkeit der Wahl nicht getan. | |
| ## Es geht um das Vertrauen in die Demokratie | |
| Ganz aus der Luft gegriffen ist die Bewertung der neun Richter*innen | |
| indes nicht: Sie folgen damit einer [3][Expert*innengruppe des | |
| Senats]. In ihrer Schlussfolgerung ist ihnen die politische Dimension des | |
| Wahldebakels wichtiger als die verfassungsrechtliche. Für 10 Prozent der | |
| Wahllokale sind Pannen belegt. Doch eine Wiederholung lediglich in einigen | |
| hundert der 2.256 Berliner Wahllokale würde dort vielleicht zu einem formal | |
| korrekten Ergebnis führen – das aber dann kaum jemand interessiert, weil | |
| die Beteiligung ohne größeren Wahlkampf im Vorfeld extrem niedrig liegen | |
| dürfte. Es wäre reine Kosmetik, um den Rechtsfriedens willen. Das Vertrauen | |
| in die Demokratie würde damit eher geschwächt. | |
| Berlins Politiker*innen bereiten sich derweil auf die Wiederholung | |
| vor, die wohl am 12. Februar 2023 stattfinden würde. Der rot-grün-rote | |
| Senat hat angekündigt, nicht gegen ein entsprechendes Urteil vorzugehen. | |
| Offen halten sich diese Option indes einige Abgeordnete: Mehrere erwägen | |
| nach taz-Informationen angesichts der absehbar mutigen Interpretation der | |
| Richter*innen einen Eilantrag vor dem Bundesverfassungsgericht. Die | |
| Hängepartie könnte also doch noch ein bisschen weitergehen. Doch auch das | |
| würde der Demokratie nicht dienen. | |
| 12 Nov 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Bert Schulz | |
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