# taz.de -- Debatte ums Selbstbestimmungsgesetz: „Trans ist keine Mode“ | |
> Wie einfach darf es sein, den Vornamen und das eingetragene Geschlecht zu | |
> ändern? Ein Streitgespräch zum neuen Selbstbestimmungsgesetz mit Till | |
> Amelung, Tessa Ganserer und Kalle Hümpfner. | |
Bild: Till Amelung ist Autor, Tessa Ganserer Grünen-Politikerin und Kalle H�… | |
Weil im Bundestag so viel zu tun ist, kommt die Grünen-Abgeordnete Tessa | |
Ganserer zu spät zum Gespräch in die taz. Eine spontane Fraktionssitzung am | |
Morgen. Die [1][Ampelkoalition] arbeitet gerade an einem ihrer größten | |
geschlechterpolitischen Projekte: In den kommenden Wochen will sie die | |
Eckpunkte des Selbstbestimmungsgesetzes vorstellen. Menschen sollen dann | |
mit einem einfachen Gang zum Amt ihren Geschlechtseintrag ändern lassen | |
können. Ohne Hürden wie Gutachten. Im Konferenzraum der taz sitzen heute | |
drei Menschen gemeinsam an einem Tisch, die das persönlich betrifft: Tessa | |
Ganserer ist eine der beiden ersten geouteten trans Frauen im Bundestag, | |
Kalle Hümpfner ist Referent*in beim Bundesverband Trans*, der | |
bundesweiten Interessenvertretung politisch engagierter trans Personen. | |
Till Randolf Amelung ist Autor und gilt als Kritiker des geplanten | |
Selbstbestimmungsgesetzes. | |
taz am wochenende: Demnächst sollen Menschen selbst wählen dürfen, welches | |
Geschlecht in ihrem Pass steht. Frau Ganserer, wird Geschlecht dadurch | |
beliebig? | |
Tessa Ganserer: Nein. Wir wollen eine rechtliche Grundlage dafür schaffen, | |
dass Menschen selbstbestimmt einen nicht passenden Geschlechtseintrag | |
korrigieren können. Welchem Geschlecht ein Mensch angehört, kann letztlich | |
nur jeder Mensch für sich selbst beantworten. Das ist eine Frage der Würde. | |
Mal in die Runde gefragt: Was meinen Sie, wenn Sie von Geschlecht sprechen? | |
Kalle Hümpfner: Viele Menschen gehen noch immer davon aus, dass es nur zwei | |
Geschlechter gibt und sich das an Genitalien festmachen lässt: Penis oder | |
Vulva als entscheidendes Merkmal für „männlich“ oder „weiblich“. In d… | |
Wissenschaft dagegen herrscht weitgehend Konsens, dass es mehr als zwei | |
Geschlechter gibt und Geschlecht biopsychosozial zu verstehen ist. Das | |
innere Wissen um die eigene geschlechtliche Verortung, also die | |
geschlechtliche Identität, ist entscheidend. | |
Ganserer: Für 99 Prozent der Bevölkerung ändert sich durch eine rechtliche | |
Vereinfachung, die das zur Grundlage macht, überhaupt nichts. | |
Till Amelung: Widerspruch. Es ändert sich sehr wohl etwas, wenn eine | |
Änderung des offiziellen Geschlechtseintrags allein per Selbstauskunft | |
möglich wird. Das verändert fundamental etwas für alle: Die Basis von | |
Geschlecht … | |
Ganserer: … nein! Sie brauchen nur nach Belgien fahren, nach Dänemark oder | |
in die Schweiz, die alle Selbstbestimmungsgesetze haben. Ich habe nicht den | |
Eindruck, dass dort seitdem ein Kulturkampf ausgebrochen oder Geschlecht | |
als solches abgeschafft worden wäre. Die Zivilisation bricht nicht | |
zusammen, weil trans Personen Menschenrechte gewährt werden. | |
Amelung: Wenn bisher das Geschlecht bestimmt wird – sei es nach der Geburt | |
durch die Hebamme oder bei trans Personen später im Leben durch Gutachten | |
–, dann beruht das auf einer Übereinkunft: Was verstehen wir unter Frauen, | |
Männern, Trans- oder Intersexualität? Eine völlig selbstbestimmte Äußerung | |
entzieht sich dem. Es gäbe keine Überprüfung nach gesellschaftlichen | |
Vorstellungen mehr. | |
Herr Amelung, wäre das so schlimm? | |
Ganserer: Ja, wo ist das Problem? Ich komme aus dem Bayerischen Wald und | |
identifiziere mich viel mehr als Waldlerin denn als trans, obwohl ich schon | |
seit 20 Jahren nicht mehr dort wohne. | |
Amelung: Klare Definition bietet Orientierung – für einen selbst und für | |
die Gesellschaft. Ich möchte nicht, dass Jugendliche den Eindruck bekommen: | |
Nur weil sie den Rollenerwartungen nicht entsprechen, müssen sie sich als | |
trans bezeichnen. Insbesondere junge Mädchen verstecken sich hinter diesem | |
Label trans, weil sie unter den gesellschaftlichen Konventionen leiden. | |
Aber damit sind sie noch lange nicht trans. | |
Hümpfner: Sie reproduzieren hier den Mythos, dass es für Jugendliche, die | |
sich mit den gesellschaftlichen Erwartungen nicht wohl fühlen, ein | |
einfacher Ausweg wäre zu sagen: Okay, dann bin ich eben trans. Trans | |
Jugendliche erfahren so viel Mobbing und [2][Diskriminierung] in der Schule | |
oder der Familie. Niemand kann behaupten, dass sie durch ein Coming-out ein | |
leichteres Leben hätten – ganz im Gegenteil. | |
Was sagen denn die Jugendlichen selbst? | |
Hümpfner: Aus Studien wissen wir, dass trans Jugendliche ihr Coming-out | |
meist mehrere Jahre hinauszögern. Sie leben also lange Zeit mit dem Wissen | |
um ihre geschlechtliche Identität, bevor sie sich outen. Gleichzeitig | |
wurden die Jugendlichen in derselben Studie zu Diskriminierungserfahrungen | |
befragt. 90 Prozent haben solche Erfahrungen gemacht, bis hin zu | |
körperlicher Gewalt. Das ist die traurige Realität. | |
Trotzdem nimmt die Zahl der Menschen, die ihren Geschlechtseintrag ändern | |
lassen, jährlich um ungefähr sieben Prozent zu. Ist trans eine Mode? | |
Ganserer: Nein, trans ist keine Mode. Ich finde es ein Unding, wenn | |
Menschen das behaupten. Aber die Zahl derjenigen, die sich outen, steigt. | |
Das liegt daran, dass die Akzeptanz zunimmt. Uns gibt es ja jetzt schon. | |
Wir tauchen nicht aus dunklen Löchern auf, bloß weil wir bei der amtlichen | |
Personenstandsänderung würdevoll behandelt werden. Wir existieren, wir | |
leben in dieser Gesellschaft. | |
Hümpfner: Bis 2011 mussten sich trans Personen sterilisieren lassen, um | |
ihren Geschlechtseintrag ändern zu können. Natürlich schreckte das ab. Klar | |
gibt es heute mehr sichtbare trans Personen. Bekannt ist auch: trans | |
Personen gab es schon immer in den unterschiedlichsten Gesellschaften, nur | |
die Konzepte und Begriffe haben sich geändert. | |
Amelung: Trotzdem: der Begriff trans ist so offen geworden, dass vieles | |
darunter subsummiert wird. Lange gab es eine medizinisch enge Definition. | |
Da ging es darum, dass jemand ein tiefes, anhaltendes Unbehagen mit dem bei | |
der Geburt zugewiesenen Geschlecht hat und deshalb eine | |
Geschlechtsangleichung will. Seit der Klassifikation der | |
Weltgesundheitsorganisation WHO, die im Januar in Kraft getreten ist, wird | |
trans offener definiert. | |
Trans ist seitdem offiziell keine Krankheit mehr. | |
Hümpfner: Herr Amelung, die Definition, auf die Sie sich beziehen, ist von | |
1990 und längst überholt. Es macht überhaupt keinen Sinn, wenn Sie die | |
rauskramen. Das aktuelle Klassifikationssystem der WHO spiegelt den Stand | |
der wissenschaftlichen Debatte. | |
Amelung: Doch, es ist wichtig, diese Unterschiede zu verstehen. Warum sind | |
heute mehr Leute trans? Weil sich die Definition maßgeblich verändert hat. | |
Ganserer: Zum Glück! In den 1960er Jahren haben Psycholog*innen den | |
Begriff „Transsexualität“ definiert. Damals wurde das als psychische | |
Störung kategorisiert. Man ging davon aus: Im Kopf von trans Personen | |
stimmt etwas nicht. Nur wer eine komplette körperliche Angleichung | |
anstrebte und heterosexuelle Normen erfüllte, entsprach den herrschenden | |
Vorstellungen von sogenannten „Transsexuellen“. Alle anderen wurden in die | |
Ecke der Perversen gestellt. | |
Amelung: Ich bleibe dabei: Mein Verständnis von trans ist, dass | |
Geschlechtsdysphorie, also das Unbehagen mit dem Körper, der Kern sein | |
muss. | |
Ganserer: Es geht zum Glück nicht um persönliche Meinungen Einzelner, | |
sondern es gibt Expert*innenwissen. Trans ist ein Spektrum. | |
Spektrum, das heißt: Einige trans Personen wollen hormonelle oder operative | |
Angleichungen ihrer Körper, andere nicht. Einige nehmen Hormone, andere | |
nicht. Einige sind binär – also männlich oder weiblich –, andere nicht. | |
Ganserer: Trans definiert sich eben nicht allein an der Frage, welche | |
körperliche Angleichung angestrebt wird. | |
Es gibt fast eine halbe Million trans Menschen in Deutschland, für die es | |
nun ein neues Gesetz geben soll. Warum regt das so viele Menschen auf? | |
Ganserer: Wir werden in eine Welt geboren, in der uns von klein auf | |
beigebracht wird, Geschlecht sei etwas Biologisches und Binäres. Das Thema | |
trans wurde lange tabuisiert, sodass uns buchstäblich die Worte dafür | |
fehlen. Und jetzt treten trans Personen selbstbewusst in der Öffentlichkeit | |
auf, erstreiten ihre Grundrechte, fordern sie ein. Das fordert die | |
Gesellschaft heraus. Es verunsichert manche, es macht Angst, sich | |
eingestehen zu müssen, dass die Welt anders ist, als ihnen beigebracht | |
wurde. Deshalb finden wir diese Ablehnung überall: unter Männern, in Teilen | |
des Feminismus, auch in Teilen der queeren Community. | |
Noch gilt in Deutschland das Transsexuellengesetz. Was ist das Problem | |
daran? | |
Hümpfner: Im Transsexuellengesetz zeigt schon das Wort „transsexuell“, dass | |
es um Pathologisierung geht. Viele Personen lehnen das mittlerweile ab. | |
Dieses Gesetz ist 1981 in Kraft getreten. Seitdem müssen zwei externe | |
Gutachter*innen prüfen, ob eine Person wirklich trans ist. Manche | |
fragen nach der Unterwäsche oder nach sexuellen Vorlieben, was übergriffig | |
ist und in einem solchen Verfahren nichts zu suchen hat. Zudem läuft das | |
Verfahren über das Amtsgericht. Aufwand und Kosten für die rechtliche | |
Änderung des Geschlechtseintrags sind hoch, im Schnitt mehr als 1.800 Euro. | |
Dieses Gesetz verletzt die Menschenwürde. Sogar das | |
Bundesverfassungsgericht sagt, es dürfe keine zu hohen Hürden geben, um den | |
Geschlechtseintrag zu ändern. | |
Frau Ganserer, auf dem Wahlzettel zur Bundestagswahl stand Ihr falscher | |
männlicher Vorname. Was hat das mit dem Transsexuellengesetz zu tun? | |
Ganserer: Ich finde es entwürdigend, dass Menschen sich intimste Fragen und | |
psychologische Gutachten gefallen lassen müssen, damit der Staat sie so | |
akzeptiert, wie sie sind. Niemand sollte sich dem unterziehen müssen. | |
Deswegen habe ich das für mich selbst nicht fertig gebracht. Für mich folgt | |
aus meiner Verweigerung, dass ich mich ständig vor fremden Menschen | |
rechtfertigen muss: bei der Fahrscheinkontrolle, wenn ich einen Mietvertrag | |
unterzeichne oder im Hotel einchecke. Jedes Mal wenn ich meinen | |
Personalausweis vorzeigen muss, muss ich mich erklären, weil ich Frau Tessa | |
Ganserer bin, weil ich mich nicht verleumden kann. Das ist das | |
Demütigendste, was eine Gesellschaft machen kann: einem Menschen die Würde | |
zu nehmen. | |
Wie haben Sie das im Wahlkampf gemacht? | |
Ganserer: Das war eine Höllentour für mich. Ich will gar nicht daran | |
denken, welche Nachteile es mir gebracht hat, dass Menschen meinen Namen | |
auf dem Wahlschein nicht sofort gefunden haben. Mir haben trans Personen, | |
die auf kommunaler Ebene kandidieren wollten, berichtet, dass sie deswegen | |
ihre Kandidatur zurückgezogen haben, weil sie emotional dazu nicht imstande | |
waren. Das Transsexuellengesetz bedeutet fehlende Teilhabe. | |
Amelung: Sie haben sich aber ja bewusst und aus politischen Gründen dafür | |
entschieden, die Verfahren nicht zu durchlaufen. Täten Sie das, könnten Sie | |
die unangenehmen Situationen, die Sie beschreiben, einfach beenden. | |
Hümpfner: Ich kann gut verstehen, dass sich Tessa Ganserer dem verweigert. | |
Ich habe das Verfahren gemacht, aber ich habe auch jahrelang überlegt, ob | |
ich mich dieser Begutachtung aussetzen möchte. Ich bin nicht-binär trans, | |
das heißt, ich verorte mich weder als männlich noch als weiblich. Bis 2018 | |
war es nicht möglich, überhaupt einen Geschlechtseintrag zu bekommen, der | |
zu meiner Identität passt. Ich habe ihn dann ganz streichen lassen. | |
Trotzdem macht es mich wütend, dass dafür die Begutachtung nötig war. | |
Herr Amelung, wie war das bei Ihnen? | |
Amelung: Ich selbst konnte vor 16 Jahren die Erkenntnis formulieren, dass | |
ich trans Mann bin und den Weg der Geschlechtsangleichung gehen möchte. Von | |
diesem Weg wäre ich auch nicht entbunden worden, hätte ich sofort ein | |
Formular beim Standesamt ausfüllen können. Auch mein Äußeres hätte vor der | |
Hormonbehandlung noch Fragen aufgeworfen. Es geht nicht nur um den | |
gewünschten Namen im Pass. Ich engagiere mich ehrenamtlich in einer der | |
größten deutschsprachigen Gruppen für trans Personen und ihre Angehörigen | |
auf Facebook. Dort sagen die meisten: Okay, es mag vielleicht ein bisschen | |
lästig sein, auf die Gutachten warten zu müssen und zum Amtsgericht zu | |
gehen. Aber kaum jemand sagt, das ist furchtbar. | |
Und die hohen Kosten? | |
Amelung: Bei sehr vielen Personen ist Prozesskostenhilfe möglich. | |
Ganserer: Es freut mich, wenn Sie die Begutachtungen als nicht demütigend | |
empfunden haben. Ich freue mich auch für alle, die keine körperliche Gewalt | |
erleben mussten und in ihrem Berufsleben nicht stigmatisiert wurden. Aber | |
die Realität sieht für die Mehrheit anders aus. Was das allein für a Gfrett | |
für mich ist, damit Rechnungen und Verträge auf meinen korrekten | |
Vornamenausgestellt werden! Sogar das Finanzamt akzeptiert mittlerweile | |
nach jahrelangen Diskussionen meinen korrekten Vornamen Tessa. | |
Was ist eine Gfrett? | |
Ganserer: Ein elendiger Aufwand, Mühe, Anstrengung! Tut mir leid – wenn ich | |
emotional werde, falle ich manchmal ins Bairische. Für mich und viele | |
andere trans Personen ist es einfach Psychoterror, den Alltag zu bestehen. | |
Wenn ich in den letzten Monaten in eine Gaststätte oder einkaufen wollte | |
und dafür einen Schnelltest vorlegen musste, musste ich immer meinen | |
Personalausweis vorzeigen. Gleichzeitig hat der allergrößte Teil der | |
Bevölkerung kein Problem mit mir. Für die Menschen spielt das amtliche | |
Dokument keine Rolle für den Umgang miteinander. Ich bin nicht naiv, ich | |
weiß genau, dass man mir meine Transgeschlechtlichkeit an der Nasenspitze | |
ansieht. Trotzdem sind die meisten Menschen in der Lage, mich als die Frau | |
zu lesen, die ich bin, und mich respektvoll zu behandeln. | |
Das Gesetz, für das Sie in den kommenden Wochen Eckpunkte präsentieren | |
wollen, soll beinhalten, dass alle Menschen ab 14 Jahren selbstbestimmt | |
ihren Geschlechtseintrag und Vornamen ändern können. | |
Ganserer: Seit sechs Jahren fordert der Europarat, dass die | |
Mitgliedsstaaten einfache, schnelle, für alle Menschen zugängliche | |
Verfahren zur amtlichen Personenstandsänderung einführen, die ohne | |
Zwangsbegutachtung auskommen. Zahlreiche europäische Länder haben sich auf | |
diesen Weg gemacht. Seit Jahren wird eine Reform des Transsexuellengesetzes | |
versprochen. Die Ampelkoalition hat sich darauf verständigt und wird das | |
jetzt umsetzen. | |
Amelung: In einem früheren Gesetzentwurf der Grünen, der abgelehnt wurde, | |
ging es aber auch darum, das Recht auf medizinische Behandlungen | |
festzuschreiben. Liege ich da richtig oder falsch, Frau Ganserer? | |
Ganserer: Korrekt. Tessa Ganserer macht eine Pause, beugt sich vor und | |
lächelt Amelung provokativ an. Und? | |
Amelung: Ich finde Ihr Verhalten gerade albern. | |
Ganserer: Worauf wollen Sie denn hinaus? Ja, wir wollen als Ampelkoalition | |
auch den Rechtsanspruch auf medizinische Versorgung festschreiben. Aber das | |
wird ein anderes Gesetz. | |
Hümpfner: In der Debatte ist immer wieder wichtig, klar zu machen: Im | |
Selbstbestimmungsgesetz geht es nur um den Verwaltungsakt, einen | |
Geschlechtseintrag personenstandsrechtlich zu ändern. Das ermöglicht | |
Menschen gesellschaftliche Teilhabe. | |
Aber medizinische Behandlung – Hormonbehandlungen, Operationen – sind ja | |
für viele trans Personen ein wichtiges Thema. | |
Hümpfner: Ja, trans Personen müssen ein Recht haben auf | |
Transitionsmaßnahmen. Die Behandlung muss sich am wissenschaftlichen Stand | |
orientieren und zugänglich sein. Es darf keine Reihenfolge geben: erst | |
Hormontherapie, dann OP. Zudem ist es wichtig, auch Jugendliche | |
mitzudenken. Pubertätsblocker sind eine erste wichtige Maßnahme. | |
Das sind Medikamente, die die körperliche Pubertät für Monate oder Jahre | |
aufhalten. | |
Hümpfner: Dadurch lässt sich Zeit gewinnen, um zu überlegen: Welche | |
Maßnahmen möchte ich ergreifen oder auch nicht? Natürlich sollten | |
Jugendliche in dieser Phase die Möglichkeit haben, mit Berater*innen zu | |
sprechen und, wenn gewünscht, mit Psychotherapeut*innen, um eine gute, | |
informierte Entscheidung zu treffen. | |
Amelung: In anderen Ländern wie Großbritannien und Schweden wird man gerade | |
wieder vorsichtiger mit Pubertätsblockern. Sich mit seinem Körper und | |
Geschlecht im Kindes- und Jugendalter nicht wohl zu fühlen, betrifft eben | |
nicht nur trans Personen. Da muss man aufpassen. | |
Ganserer: Vielleicht können wir uns ja darauf einigen, Herr Amelung, dass | |
es ein großes Problem ist, dass Körper derart normiert werden. Ich bin der | |
Überzeugung, dass die gesellschaftliche Akzeptanz für die meisten trans | |
Menschen das Wichtigste ist. Erst dann kommt die Frage, welche körperlichen | |
Veränderungen gebraucht werden. | |
Wie ist es, Herr Amelung, können Sie sich darauf einigen? | |
Amelung: Natürlich spielen gesellschaftliche Normen eine Rolle. Trotzdem | |
muss man sich doch die Frage stellen, an welchen Stellen das bisherige | |
biologische Verständnis von Geschlecht noch Relevanz hat … | |
Spielen Sie auf die Frage an, ob sich zum Beispiel eine trans Frau mit | |
Penis in der Frauenumkleide eines Schwimmbads umziehen darf? | |
Amelung: Genau, das ist elementar. Um solche Fragen kreisen Konflikte. Wenn | |
alle Menschen den Geschlechtseintrag einfach ändern können, sind solche | |
Sachen nicht geregelt. Mein Ansatz wären da zum Beispiel Unisexumkleiden | |
oder -toiletten als Standard mit Einzelkabinen. | |
Hümpfner: Ob Einzelkabinen oder Unisex, da finden wir sicher gute Lösungen. | |
Was mir viel wichtiger ist: Für das Selbstbestimmungsgesetz sind diese | |
Fragen irrelevant. Es gibt keine Ausweiskontrollen vor Toiletten. Auch | |
jetzt schon gibt es Frauen mit Penis. Es ist nicht mehr erlaubt, eine | |
Genitaloperation zu erwarten, um den Geschlechtseintrag zu ändern. | |
Deshalb gibt es ja auch schon Konflikte um Schutzräume, um Frauenhäuser zum | |
Beispiel und die Frage, in welchen Fällen diese auch trans Frauen | |
aufnehmen. | |
Hümpfner: Ich habe mich in den letzten Wochen mit verschiedenen | |
Vertreter*innen von Verbänden ausgetauscht, die sich gegen Gewalt gegen | |
Frauen engagieren. Da ist ganz klar: Wenn eine Person in einem Frauenhaus | |
Unterstützung sucht, gibt es zum Glück einige Häuser, die auch trans Frauen | |
aufnehmen – unabhängig davon, ob diese operiert sind. Ich warne davor, | |
einen Penis mit der Ausübung von sexualisierter Gewalt gleichzusetzen. Es | |
ist schlimm, wie viel Misstrauen trans Frauen erfahren, weil ihnen | |
unterstellt wird, potenzielle Täter*innen zu sein. | |
Amelung: Wenn ein Frauenprojekt sagt: Ich möchte keine trans Frauen | |
aufnehmen, sondern eben nur Frauen nach dem biologischen Geschlecht – dann | |
ist das deren Selbstbestimmung. Dafür sollten sie nicht moralisch unter | |
Druck gesetzt werden. | |
Hümpfner: Natürlich müssen Frauenhäuser Einzelfallentscheidungen treffen. | |
Aber Geschlechtertrennung ist kein Mittel gegen sexualisierte Gewalt. Es | |
gibt auch Gewalt von cis Frauen gegen cis Frauen. Und das | |
Selbstbestimmungsgesetz setzt ja das Strafrecht nicht außer Kraft. | |
Noch ein Konfliktthema: Könnten sich Personen durch Änderung des | |
Geschlechtseintrags Vorteile erschleichen? | |
Hümpfner: Wenn wir die Frauenquote anschauen, zum Beispiel in der Politik, | |
gibt es leider einige Beispiele von cis Männern, die versucht haben, sich | |
für einen Tag als trans Frau auszugeben, um auf eine Liste zu kommen. | |
Zum Beispiel bei den Grünen in Reutlingen, wo ein Kommunalpolitiker bei | |
einer Abstimmung spontan behauptete, er definiere sich als Frau. Er wollte | |
damit die Regelung seiner Partei vorführen, dass bei der Frage, wer für | |
einen Frauenlistenplatz kandidieren kann, nur die Selbstidentifikation | |
zählt. | |
Hümpfner: Das sind Leute, die Gegner des Selbstbestimmungsgesetzes sind. | |
Aktionen wie diese sollen Gegenwind erzeugen. Aber die kommen damit nicht | |
durch, weil klar ist: es geht um Provokation, nicht um ein ehrliches | |
Coming-out. Tatsächlich ist es so, dass trans Frauen in aller Regel keine | |
Vorteile, sondern viele Nachteile gegenüber cis Männern haben. | |
Manche, die sich als Feministinnen bezeichnen, lehnen es offen ab, sich für | |
den Schutz von trans Personen einzusetzen. Warum? | |
Amelung: Feministische Arbeit basiert darauf, bestimmte gesellschaftliche | |
Probleme in den Blick zu nehmen, die Frauen betreffen. Das basiert eben auf | |
der Zuordnung, wer oder was eine Frau ist und welche Probleme sich daraus | |
ergeben. Nehmen wir den Bereich Frauenförderung im Beruf. Mädchen machen im | |
Laufe ihres Lebens bestimmte gesellschaftliche Erfahrungen. Zum Beispiel | |
werden sie nicht unbedingt dazu erzogen, eine Führungsposition anzustreben | |
oder ein selbstbewusstes Verhältnis zu ihrem Körper zu entwickeln. Manche | |
Feministinnen fürchten dann, dass ihre Projekte, diese Mädchen zu fördern, | |
durch ein solches neues Gesetz gefährdet werden. | |
Hümpfer: Die Ursache liegt tiefer. Ja, viele feministische Anliegen sind in | |
unserer Gesellschaft nicht umgesetzt. Auf Gleichstellungs- oder | |
Anti-Gewaltprojekten lastet hoher Druck. Die finanzielle Förderung ist | |
begrenzt, die Aufgaben sind groß. Da herrschen sicher Frustration und | |
Sorge. Ich glaube aber, dass es derzeit vor allem von rechts Kräfte gibt, | |
die sehr gezielt versuchen, feministische Akteur*innen an dieser Stelle | |
gegeneinander auszuspielen. | |
Ganserer: Es ist nicht der Feminismus, der sich gegen trans geschlechtliche | |
Menschen wendet oder gegen das Selbstbestimmungsgesetz. Den Feminismus gibt | |
es nicht, es hat ihn nie gegeben. Die Frage, wer eine Frau ist, wer zur | |
feministischen Bewegung gehört, ist so alt wie die Bewegung selbst. | |
Gleichwohl aber gibt es gewichtige Stimmen wie den Bundesverband der | |
Frauenhäuser, die sich ganz klar für das Selbstbestimmungsgesetz | |
aussprechen und das nicht als Widerspruch zu ihrer Arbeit begreifen. Diese | |
lauten Stimmen, die sich gegen das Selbstbestimmungsgesetz wenden, sprechen | |
nicht für den Feminismus als solchen. | |
Schauen wir in die Zukunft. Wie blicken wir in 20, 30 Jahren auf die | |
derzeitige Debatte zurück? | |
Amelung: Das kommt darauf an, wie sie ausgeht. Wir müssen uns auch mit | |
Themen auseinandersetzen, die vielen in der trans Community nicht behagen. | |
Wenn wir das schaffen, werden wir froh sein, die Debatte geführt zu haben. | |
Ganserer: In 30 Jahren werden wir beim Thema trans ungefähr da sein, wo wir | |
als Gesellschaft heute beim Umgang mit gleichgeschlechtlicher Liebe sind. | |
Die Schwulen- und Lesbenbewegung ist der trans Bewegung im Hinblick auf | |
Gleichstellung und Akzeptanz etwa 30 Jahre voraus. 1990 wurde | |
Homosexualität als psychische Störung gestrichen. Heute ist für viele | |
Menschen völlig unvorstellbar, dass Schwule vor 50 Jahren noch verfolgt | |
wurden. Und trotzdem werden auch heute noch Schwule gehänselt und | |
zusammengeschlagen. In 30 Jahren werden sich die meisten Menschen nicht | |
vorstellen können, dass man von trans Personen psychologische Gutachten und | |
ein Gerichtsverfahren verlangt hat. Aber die gesellschaftliche | |
Diskriminierung von trans Personen wird noch nicht vorbei sein. | |
Hümpfner: Ich glaube, Menschen werden auf diese Debatte schauen und sich | |
mit einem Kopfschütteln fragen: Warum haben die sich denn damals so | |
angestellt? | |
Korrektur: In einer früheren Version des Interviews wurde in einer Frage | |
erwähnt, Menschen könnten wählen, welches Geschlecht im Personalausweis | |
stehe. Gemeint war der Pass, da der Personalausweis keinen | |
Geschlechtseintrag enthält. Das haben wir korrigiert. | |
11 Jun 2022 | |
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