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# taz.de -- Queerbeauftragter über Diversität: „Auch eine soziale Frage“
> Sven Lehmann von den Grünen ist der erste Queerbeauftragte der neuen
> Bundesregierung. Was hat er vor? Und warum ist sein Amt wichtig?
Bild: Sven Lehmann in der Kölner Kreisgeschäftsstelle der Grünen
taz: Herr Lehmann, Sie sind ein mittelalter weißer cis-Mann. Ist das die
richtige Besetzung als Queerbeauftragter?
Sven Lehmann: Ein wichtiges Detail haben Sie vergessen: Ich bin schwul.
Schwule gehören zur Gruppe der Queers – wie lesbische, bisexuelle, trans-
und intergeschlechtliche sowie nichtbinäre Menschen. Ich mache seit mehr
als 20 Jahren Queerpolitik und habe mich für die Community in genau dieser
Vielfalt immer starkgemacht. Deshalb: Ja, ich fühle mich angemessen
qualifiziert.
Warum braucht Deutschland 2022 seinen ersten Queerbeauftragten?
Ich finde diesen Schritt der Bundesregierung ein enorm ermutigendes Signal.
Wir leben in einem Land, in dem Menschen wegen gleichgeschlechtlicher Liebe
vor wenigen Jahrzehnten ins Gefängnis kommen konnten. Und auch heute noch
können queere Menschen nicht überall frei, selbstbestimmt und ungefährdet
leben. Diese Regierung will das ändern.
Der Europäische Regenbogenindex, der den Stand der Gleichstellung von
LGBTIQ untersucht, listet Deutschland auf Platz 16.
Deutschland hinkte schon bei der Einführung der Ehe für Paare gleichen
Geschlechts vor rund vier Jahren hinter Ländern wie Spanien oder Frankreich
hinterher. Seitdem ist queerpolitisch kaum etwas passiert. Mit der neuen
Bundesregierung kommt ein Schub nach vorne. Das Ziel – auch mein
persönliches – ist, Deutschland international an die Spitze zu bringen und
zum Vorreiter für die Akzeptanz von Vielfalt zu machen.
Was haben Sie vor?
Ich nenne drei beispielhafte Vorhaben. Wenn ein Kind in eine Ehe zweier
Frauen geboren wird, hat es rechtlich nur einen Elternteil, das ist eine
enorme Benachteiligung. Wir werden deshalb lesbische Mütter mit
heterosexuellen Paaren [1][beim Abstammungsrecht gleichstellen]. Zudem
wollen wir Mehrelternschaften rechtlich absichern und
Verantwortungsgemeinschaften einführen. Damit können auch Menschen ohne
Kinder rechtlich Verantwortung füreinander übernehmen – zwei verwitwete
Frauen etwa oder der schwule Mann mit zwei queeren Freund:innen zum
Beispiel. Das Transsexuellengesetz schließlich führt zu einer
Fremdbestimmung trans geschlechtlicher Menschen. Sie müssen bisher
psychiatrische Gutachten vorlegen, nur um in dem Geschlecht anerkannt zu
werden, mit dem sie sich identifizieren. Das ist diskriminierend, das
widerspricht der Würde des Menschen, und das müssen wir überwinden.
Was machen Sie als Erstes?
Noch vor dem Sommer will ich den Startschuss für einen bundesweiten
Aktionsplan für Vielfalt und gegen Homo- und Transfeindlichkeit geben.
Dafür stellt die Koalition 70 Millionen Euro jährlich zur Verfügung. Alle
Ministerien, die den Plan umsetzen, sollen an einem Tisch sitzen, sodass
von Polizei über Bildung und Gesundheit bis hin zu Justiz Maßnahmen gegen
Diskriminierung abgestimmt werden können.
Im Koalitionsvertrag finden sich Pläne für rund ein Dutzend Aktionspläne.
Wie bekommt ausgerechnet dieser Substanz?
Dieser Plan wird kein Papiertiger. Erstens beziehen wir aktiv die Community
ein, also die Verbände und Initiativen, von denen wir hören wollen, was
wichtig ist. Zweitens werde ich darauf achten, dass zentrale Stellen wie
Beratungseinrichtungen eine gute, sichere Finanzierung erhalten. Für junge
queere Menschen sind etwa Jugendzentren zum Teil überlebenswichtig. Und
drittens ist entscheidend, dass die Ministerien verbindlich dabei sind. Nur
so entsteht eine nachhaltige Politik für die Akzeptanz von Vielfalt.
Legt Christian Lindner Wert auf die Gleichstellung von Schwulen und Lesben?
Da bin ich sicher, wir haben da ähnliche Vorstellungen. In den
Koalitionsverhandlungen waren wir uns im Bereich Queerpolitik schnell
einig. Es gibt in dieser Ampelkoalition einen Konsens, die Grund- und
Menschenrechte von Minderheiten zu stärken. Justizminister Marco Buschmann
hat schon angekündigt, dass er sich um die Verantwortungsgemeinschaften
kümmern wird. Und ja, es wird auch Geld vom Finanzminister geben.
Eine Quote war mit der FDP genauso wenig zu machen wie die Abschaffung des
Paragrafen 218.
In manchen Punkten mussten wir natürlich Kompromisse eingehen. Da hätten
wir uns als Grüne mehr gewünscht.
Stehen da Frauenrechte gegen Rechte von queeren Personen?
Nein, überhaupt nicht. Ich finde auch nicht, dass man das trennen darf und
sollte. [2][Frauen- und queere Rechte müssen zusammen gedacht und zusammen
politisch gestärkt werden]. Aus der Historie heraus wäre die Queerpolitik
heute längst nicht so stark ohne die Frauenbewegung der 1970er Jahre. Auch
in der Frauenpolitik wollen wir mit dieser Ampelkoalition ja vieles
erreichen: die Abschaffung des Paragrafen 219a, die Verbesserung der
Arbeits- und Lohnsituation in der Pflege und der Kindertagesbetreuung oder
die Förderung von Frauen in Führungspositionen. Außerdem gibt es ja auch
queere, also lesbische oder bisexuelle Frauen. Ich sehe da viel Potenzial
für Bündnisse.
Das sehen sogenannte Terfs anders, also trans exklusive Feministinnen.
Meines Erachtens werden diese Personen, die oft aggressiv vorgehen,
fälschlicherweise als Feministinnen bezeichnet. Nach allem, was ich gelernt
habe, geht es im Feminismus zentral um Selbstbestimmung, zum Beispiel über
den eigenen Körper. Wenn also jemand trans Frauen die Existenz abspricht
und sagt, das seien eigentlich nur Männer in Frauenkleidern, dann ist das
erstens falsch und zweitens keine Basis für einen zielführenden Dialog.
Manche führen an, dass etwa Frauenhäuser gefährdet seien.
Das sind falsche Behauptungen. Wir haben die Frauenhauskoordination in
Deutschland gefragt, solche Fälle sind dort nicht bekannt. Die meisten
Frauenhäuser sind sogar oft explizit offen für trans Frauen und sie
entscheiden ohnehin autonom vor Ort, wen sie aufnehmen. Die Stimmungsmache
durch diese Behauptungen finde ich transfeindlich und sehr gefährlich.
Wie schnell kommt die Abschaffung des Transsexuellengesetzes?
Der Leidensdruck bei trans Menschen ist hoch, das Gesetz muss weg, so
schnell es geht. Aber auch die Streichung eines Gesetzes braucht ein
gründliches Gesetzgebungsverfahren. Zumal wir sicherstellen müssen, dass
bestimmte Ansprüche von trans Personen, etwa auf Gesundheitsleistungen,
bestehen bleiben und verbessert werden. Die wollen und können wir ja nicht
ersatzlos streichen, die müssen wir über andere Rechtsnormen regeln.
Welche Punkte sollen überführt werden?
Zum Beispiel der Anspruch auf Leistungen im Zusammenhang mit der
Transition. Mir ist auch wichtig, dass sich trans Personen zum Beispiel
Hormonblocker oder Bartepilation nicht erst vor Gericht erstreiten müssen.
Da geht es um Fragen, die die persönliche Identität betreffen.
Olaf Scholz hat nach seiner Nominierung zum Kanzlerkandidaten getwittert:
„Ich mache Politik für die normalen Menschen.“ Sie haben das als
gefährliche Spaltung bezeichnet. Warum?
Was soll denn mit normal gemeint sein? Und wer ist nicht normal? Und wer
entscheidet das? Eine solche Aufteilung ist gefährlich.
Gehen Sie da mit Scholz in Konflikt – jetzt, wo er Ihr Kanzler ist?
Olaf Scholz hat in seiner Regierungserklärung als erster Bundeskanzler
gesagt, dass das Transsexuellengesetz abgeschafft werden muss. Mir ist da
das Herz aufgegangen, nach so vielen Jahren Kampf. Einen inhaltlichen
Konflikt sehe ich nicht, und er hat meine volle Unterstützung für das, was
diese Regierung in den nächsten vier Jahren vorhat. Ich habe seine Wortwahl
kritisiert, und das würde ich auch wieder tun. Das Problem ist doch aber,
dass es immer noch quer durch alle politischen und gesellschaftlichen
Gruppen – und da zähle ich auch linke Kreise dazu – die Tendenz gibt, zu
sagen, die Angelegenheiten von trans und queeren Menschen seien
Luxusprobleme. Und das wird dann „harten“ Themen wie der sozialen Frage
gegenübergestellt. Auch diese Spaltung sollten wir nicht betreiben.
Niemandem geht es sozial besser, wenn andere diskriminiert werden. Wir
müssen die Probleme zusammen lösen.
Die soziale Frage kommt im Koalitionsvertrag recht kurz.
Da widerspreche ich: Es sind sehr wichtige Sachen verabredet, wie die
Erhöhung des Mindestlohns, die Überwindung von Hartz IV oder die Förderung
von dauerhaft bezahlbarem Wohnraum.
Im Bereich Queerpolitik ist wenig benannt. Trans Personen sind zum Beispiel
deutlich stärker von Armut betroffen.
Ja, leider, und queer zu sein, bedeutet auch ein höheres Risiko, an
Depressionen zu erkranken oder wohnungslos zu werden. Das zeigt, wie
wichtig es ist, die Belange queerer Menschen stärker zu beachten. Der Kampf
gegen Diskriminierung ist auch eine soziale Frage.
22 Jan 2022
## LINKS
[1] /Anne-Spiegel-ueber-Ampelplaene/!5821001
[2] /Die-These/!5814303
## AUTOREN
Patricia Hecht
## TAGS
Schwerpunkt LGBTQIA
Queer
Diskriminierung
GNS
IG
Transpersonen
Kolumne Zwischen Menschen
Marco Buschmann
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Kolumne Unisex
Bundespräsident
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