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# taz.de -- Reichelt, Kurz, Merz und Co.: Geltungssüchtiger Affentanz
> Ein Netzwerk aus moralisch korrupten Personen und eine Öffentlichkeit,
> die verzeiht. Weil es das gibt, ist die Stehauf-Männlichkeit erfolgreich.
Bild: Düstere Zukunft im kalten Kaffeesatz
Wahrscheinlich habe ich verdammt viele falsche Entscheidungen getroffen.
Denke ich, während ich über dem Kostenvoranschlag für meine neue Heizung
brüte – und nebenbei lese, das [1][Julian Reichelt] bald eine neue
Medienplattform aufmacht.
Reichelt ist im Oktober beim Springer-Verlag rausgeflogen, weil er [2][ein
System aus Machtmissbrauch und sexualisierten Abhängigkeiten aufgebaut (und
darüber gelogen) hatte.] Nun flötet der Ex-Bild-Chef im österreichischen,
[3][tendenziell von rechts finanzierten Sender „Servus TV“] etwas über sein
neues – vages – Businessmodell und twittert auf dem Rückweg gleich Unsinn
aus der Bahn, um sich zu promoten. Ich wärme mir die Hände an zwei
hartgekochten Eiern.
Vielleicht hätte ich so einer werden können wie der Reichelt: gescholten,
geschasst, gecancelt – einundzwanzig, zweiundzwanzig: Medienunternehmer und
gefragtes Enfant terrible der politischen High Society. In Österreich,
ebenda, wo sie erst neulich noch [4][ein anderes Stehaufmännchen]
rausgeworfen haben. Sebastian Kurz, der Ex-Kanzler, arbeitet jetzt beim
rechten Silicon-Valley-Milliardär Peter Thiel für ne halbe Mille im Jahr
und macht Charity. Ich brauche ja keine Millionen, ich würde schon für
weniger jemandes „Global Strategist“ abgeben und hauptsächlich Galas
abhalten. Anyone? Anyone??
Wie diese Stehauf-Männlichkeit funktioniert, ist letztlich ganz einfach. Es
braucht erstens ein Netzwerk aus vergleichbar moralisch korrupten oder
schon gecancelten Personen, das einen auffängt – und zweitens eine breite
Öffentlichkeit, die christlich verzeiht.
## Nicht nur ein Problem des rechten Lagers
In wenigen Tagen wählt die CDU sich voraussichtlich einen eigentlich lange
aussortierten Typen namens Friedrich Merz zum Chef, der seine homophoben
Äußerungen von vor 10 Jahren heute grade mal [5][um das nötige Maß an
gesellschaftlichem Höflichkeitskonsens geupdatet hat]. Und nein,
Stehauf-Männlichkeit ist nicht nur ein Problem des rechten Lagers: Warum
fragte sonst noch irgendjemand in der SPD Gerhard Schröder nach seiner
Meinung?
Ich bin ein optimistischer Mensch und ich finde, dass sich vieles
verbessert hat. Zum Beispiel die Tatsache, dass Reichelt überhaupt bei
Springer geflogen ist. Trotzdem gibt es diese Momente, wo ich in meinem
eiskalten Kaffeesatz eine schreckliche Zukunft sehe.
Trump wieder in Office, Boris Johnson Chef einer privatisierten BBC, Julian
Reichelt und Sebastian Kurz abwechselnd in allen Talkshows – und Boris
Palmer Herausgeber einer linksgrünen Debattenzeitschrift. Aber ich muss
auch sagen – Sie werden es ahnen –, ich habe gar nicht die „Eier“ für …
einen geltungssüchtigen Affentanz. Wenn ich es zu was bringen will, sollte
ich besser etwas tun, was weitestgehend unbeobachtet von der Öffentlichkeit
stattfindet und wo ich nichts falsch machen kann. Ich glaube, ich werde
Lehrer.
20 Jan 2022
## LINKS
[1] /Neues-von-Julian-Reichelt/!5817057
[2] https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/bild-chefredakteur-julian-rei…
[3] /Umstrittenes-Sponsoring-von-Red-Bull-CEO/!5539841
[4] /Narzissmus-in-der-Politik/!5806459
[5] https://www.queer.de/detail.php?article_id=40741
## AUTOREN
Peter Weissenburger
## TAGS
Kolumne Unisex
Julian Reichelt
Friedrich Merz
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