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# taz.de -- Geplantes Selbstbestimmungsgesetz: Leichtes Ziel für Konservative
> Das Selbstbestimmungsgesetz geht zu weit. Es wird nicht zu einer
> breiteren Akzeptanz von trans Menschen führen, sondern die Kritik
> befeuern.
Bild: Pride Month 2022
Der weitere Streit zur Sache führt zu nichts mehr, die Argumente sind in
allen Zeitungen, TV- und Radiosendungen ausgetauscht, besser: zur Kenntnis
genommen worden. Trans* im geschlechtlichen Sinne ist den einen eine
Befreiung, alles wird flüssig, die einstmals fixen Kategorien von
„männlich“ und „weiblich“ seien hinfällig, ungültig, historisch übe…
denn ein jeder Mensch verkörpere ein eigenes Geschlecht.
Die anderen bestreiten eben dies und beharren darauf, dass es zwei
biologische Geschlechter gibt. Es spricht wissenschaftlich viel dafür, dass
die These, es gäbe mehr als biologisch zwei Geschlechter, kaum mehr als
eine kreationistische Theorie ist, haltlos, wunschbehaftet. Dass das
biologische Geschlecht gesellschaftlich, psychisch wie politisch, durch
eine Fülle von Faktoren angereichert wird im Laufe eines Lebens – das
festzustellen, ist nicht neu und spätestens seit Sigmund Freud kaum noch
umstritten.
Aber darum kann es praktisch-politisch nicht gehen: Es gibt Wünsche von
trans Menschen, als solche anerkannt zu werden, ohne dass sie sich
rechtfertigen müssen. Gut so! Worum wird also gezankt – und zwar in einer
Weise, die prominente Frauen wie [1][Joanne K. Rowling] und [2][Martina
Navratilova], jüngst auch Bette Midler zum Ziel von globalen Shitstorms der
transaktivistischen Bewegung werden lässt, weil sie darauf beharren, sich
einerseits für trans Rechte einzusetzen, andererseits wollen sie aber nicht
als „Menschen, die menstruieren“ gelten.
Es hilft ihnen allen nichts, dass sie genau das betonen: Trans Frauen und
Männern beizustehen, sich für sie zu verwenden, so dass sie nicht im
Alltag, bei Ämtern und im Job, angefeindet werden. Aber sie bestehen eben
darauf, dass es trans Personen sind, dass eine Geschlechtstransition von
biologischen Männern sie nicht zu Frauen in ihren auch psychosozialen
Gewordenheiten macht und umgekehrt Frauen nicht zu Männern.
## Krass weitgehendes Reformprojekt
Nein, die genannten Promis flottieren in der aggressiven Diskurswelt der
Tweets und Posts als abscheuliche Wesen, fast als Nazis – „Transphobie“
lautet das Verdikt. Das gilt natürlich auch für Feministinnen wie [3][Alice
Schwarzer]: eine TERF – eine Person aus dem Trans-Exclusionary Radical
Feminism, eine, die auf den Unterschied zwischen einer trans Frau und einer
biologischen Frau besteht. TERF, klare Sache, ist das schlimmste Prädikat,
das sich eine zuziehen kann: nicht mehr satisfaktionsfähig.
Trotzdem sind all diese Scharmützel der Regierung, vor allem dem
Justizministerium unter der FDP und dem grün geführten Familienministerium
offenbar gleichgültig. Sie werden Ende des Jahres das sogenannte
[4][Selbstbestimmungsgesetz] verabschieden. Es wird das in der Tat nicht
mehr zeitgemäße Transsexuellengesetz (TSG) ablösen – weil trans eben nicht
als Krankheit zu gelten hat.
Jedenfalls: Ohne weitere Prüfungen – und seien es gewogene Personen im
therapeutischen Bereich – kann dann eine Person bei einer Meldebehörde
ihren Geschlechtswechsel bekanntgeben. In den dann geänderten Papieren gilt
eine trans Frau als Frau. Sogar die Nennung des alten Namens, des
Geschlechts ‚davor‘, steht dann unter Strafe.
Das ist ein krass weitgehendes Reformprojekt, so fundamental ausgreifend,
das vor allem unter diesem Umstand jetzt schon leidet und das es
Konservativen leicht machen wird, es zu deligitimieren und als
Top-Down-Vorschrifterei der akademisch orientierten Politiken zu
charakterisieren. Sie, wie in Ungarn durch Viktor Orbán, wie durch
republikanisch geführte Bundesstaaten in den USA, wie durch die
Putin-Administration in Russland.
Sie werden es leicht haben darauf hinzuweisen, dass dieser Wandel zur
gesellschaftlichen Vorstellungskraft von dem, was Männer und was Frauen
sind, an den Realitäten und vor allem an Phantasien zur Plausibilität einer
Reform vorbeiregiert. Alle seriösen Umfragen signalisieren: Hierzulande ist
ein Drittel für eine solche Reform, ein Drittel gibt sich unentschieden bis
skeptisch – und ein Drittel lehnt sie explizit ab.
## Lieber nochmal nachdenken
Diese Zahlen sollten die Regierung vielleicht alarmieren, die
Aktivist*innen und Fellows aber ganz besonders: Eine Reform, die so
wenigen Menschen wirklich nützt, aber so vieles umstülpt – wie soll die
akzeptiert werden, nicht nur in woken Kreisen? Alle Gesetze im
Geschlechtsbereich – vom Paragraf 175 im Jahre 1969 über das
Transsexuellengesetz 1980 bis hin zur eingetragenen Lebenspartnerschaft
2000 und die [5][Ehe für alle] 2017 – sind entweder mit Unterstützung der
Union oder wenigstens mit ihrer faktischen Duldung verabschiedet worden.
Solange alles „phob“ ist, was Aktivist*innen nicht passt, wird es nicht
gut. Was es braucht, ist ein Verfahren, das Vertrauen in den Vorgang
schafft, damit die Ergebnisse auch von der nicht trans Bevölkerung
akzeptiert werden. Die Mechanismen sollten verhältnismäßig bleiben – also
mit Beratung, per Attest oder zwei Besuchen mit Wartefristen bei einer
Transberatungsstelle; Änderungen sollten nur alle fünf Jahre möglich sein,
nicht jedes Jahr, wie geplant.
Gerade Jugendlichen mit geschlechtsangleichenden Wünschen muss Zeit gegeben
werden, sich die, zumal pharmakologisch-medizinische Transition, genau zu
überlegen: Nicht, dass aus Angst vor dem Coming-Out als lesbische Frau oder
schwuler Mann voreilig entschieden wird. Und wenn solche Punkte, wie auch
das Verbot von Pubertätsblockern bei Nichtberatung bei Minderjährigen,
beachtet werden: Dann soll, dann muss dieses neue Gesetz kommen, dann
gewinnt es an Popularität und Plausibilität.
Bestimmte Schutzklauseln indes müssen akzeptiert werden, etwa die des
Internationale Schwimmverbands: An Frauenwettbewerben kann nur teilnehmen,
wer keine männliche Pubertät durchlebt hat – es wäre sonst prinzipiell
ungerecht den Sportlerinnen gegenüber, die es mit einem eben noch
biologisch männlichen Körper aufnehmen müssten.
9 Aug 2022
## LINKS
[1] /J-K-Rowlings-transfeindliche-Tweets/!5687871
[2] /Tennisstar--lesbische-Heldin/!5701042
[3] /Transfeindliche-Feministinnen/!5827790
[4] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/alle-meldungen/eckpunkte-fuer-das-se…
[5] /Bundestag-beschliesst-Ehe-fuer-alle/!5425851
## AUTOREN
Jan Feddersen
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