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# taz.de -- Trans Menschen in den Medien: Aus dem Bild gedrängt
> Bis zu ihrer Transition ist Lea Marie eine erfahrene und geschätzte
> Mitarbeiterin eines TV-Senders. Dann wird es kompliziert.
Bild: Krawattenzwang
Ich bin in Washington, an einem Ort, an dem ich immer davon geträumt habe,
Korrespondentin zu sein. Ich soll live von der Straße berichten für den
Social-Media-Auftritt meines Senders. Das erlaubt mir, mich auf dem
Bildschirm in Kleidung zu zeigen, die nicht eindeutig auf mein Geschlecht
hinweist. Vor einiger Zeit habe ich mit meinen Chefs gesprochen, ihnen
gesagt, dass ich transitioniere. In der Hoffnung, dass ich mich bald der
gesamten Redaktion gegenüber mit Unterstützung der Leitung als trans Frau
outen kann.
Doch plötzlich gibt es eine Planänderung. Ich soll nicht von der Straße aus
senden, sondern aus einem richtigen Studio, mit dem Weißen Haus im
Hintergrund. Obwohl ich der Meinung bin, dass ich inhaltlich eine sehr
solide Berichterstattung geleistet habe, vielleicht die beste in meiner
mehr als 25-jährigen Laufbahn, stimmt etwas nicht. Meine Chefs sprechen mit
mehreren Kolleg*innen, diese fordern: Du musst eine Krawatte anlegen! Das
ist Fernsehen! Die Chefs verlangen es!
Wie? Dieselben Vorgesetzten, denen ich eben noch erzählt hatte, dass ich
eine Transition mache, weil ich eine Frau bin, verlangen jetzt von mir,
eine Krawatte zu tragen? Wollen sie mich vor der Kamera bloßstellen? Ich
frage mich, was eine Krawatte mit journalistischer Objektivität zu tun hat.
Meine Interventionen aus dem Studio ohne Krawatte kommen in den sozialen
Medien gut an. Nur ein Twitter-Nutzer fragt sich, ob die Person ein Mann
oder eine Frau sei. Eine durchaus berechtigte Frage, aber auch zweitrangig,
wenn es um die Beurteilung meiner Berichterstattung geht.
Als ich zurück nach Berlin komme, bitte ich die Chefs um Erklärungen.
Offenbar haben sie mir die Transition nicht ganz geglaubt, einem muss ich
sogar meinen Hormonspiegel vorlegen. Er rät mir, den Kolleg*innen von
meiner [1][Transition] zu erzählen, damit ich keine weiteren Probleme
bekomme. Daher beschließe ich, mein Coming-out einige Monate früher zu
machen als geplant. Am 23. November 2018 [2][oute ich mich als trans Frau],
als trans Reporterin in einem deutschen Sender. Ich bekomme viel Zuneigung
von freien Kolleg*innen. Und ich kann anfangen, als Frau zu arbeiten, wovon
ich lange geträumt habe; mit Unterstützung der Leitung, wie ich annehme.
Stattdessen verschärfen sich die Probleme: Ich muss länger arbeiten, in
Besprechungen, die ich leite, werde ich oft unterbrochen, meine
Entscheidungen als News-Koordinatorin werden offen infrage gestellt. Obwohl
es in dieser Situation schwierig ist, darauf hinzuweisen, dass meine
Pronomen und Vornamen respektiert werden müssen, tue ich es. Immer wieder.
Sie geben mir viele anspruchsvolle Schichten in kurzer Zeit, mehr als je
zuvor. Bald darauf kann ich nicht mehr. Zum ersten Mal seit 2012 lasse ich
mich krankschreiben, und die Rückkehr ist schwierig: Eine Vermittlung durch
die Gleichstellungsbeauftragte scheitert. Ich muss akzeptieren, meine
Arbeitszeit zu reduzieren und auf 20 Prozent meines Gehalts zu verzichten,
damit ich bei meiner Transition vorankomme. Dabei sollte doch eigentlich
mein Arbeitgeber für ein diskriminierungsfreies Arbeitsumfeld sorgen.
Mehrere Monate verschwinde ich vom Bildschirm. Ein Chef sagt mir, dass er
mich besser aus Positionen mit hoher redaktioneller Verantwortung
herausnimmt, da ich für meine Behandlung OPs brauche, ich könne ja aus
gesundheitlichen Gründen ausfallen.
Ich bleibe also auf soziale Medien spezialisiert, arbeite meist als
„digitale Koordinatorin“. Bald wird klar, dass es nicht viel zu
koordinieren gibt und dass meine Aufgabe eigentlich darin besteht,
Rechtschreibfehler in alten Beiträgen zu korrigieren. Von der
Berichterstattung in den USA bis zur Überprüfung von Akzenten auf Youtube,
mehr als zwei Jahre geht das so. Ich soll das nicht persönlich nehmen,
heißt es, man wolle mir nur helfen. Ich soll es auch nicht persönlich
nehmen, wenn mir eine Kollegin auf der Damentoilette ein Kreuz mit den
Fingern zeigt, als sei ich ein Vampir; ein Scherz. Die Tatsache, dass ich
es nicht witzig finde, zeigt, dass ich keine normale Frau bin, sagt sie,
erst später entschuldigt sie sich.
Ich verlange, dass man mir endlich wieder Aufgaben zuweist, die meiner
Erfahrung entsprechen. Nichts passiert. Oder doch: Zwei Kolleg*innen
werden befördert, ich werde nicht berücksichtigt. Dies wird ausgerechnet am
Transgender Day of Visibility bekannt gegeben. Ich bin bei der Sitzung
nicht anwesend, weil ich mich auf eine interne Veranstaltung vorbereite,
bei der zum ersten Mal über die Arbeit von trans Personen in den Medien
gesprochen wird. Ich sage dort, dass die Kultur der Organisation den sich
vollziehenden kulturellen Wandel noch nicht widerspiegelt. Die
Verwaltungsdirektorin verspricht künftig mehr Unterstützung.
Erst Tage später erfahre ich die Neuigkeiten in meiner Abteilung und
kündige. Man bittet mich, die Kündigung zurückzunehmen, was ich nach
mehreren Gesprächen akzeptiere. Ich brauche meinen Job auch, um nach zehn
Jahren in Berlin die deutsche Staatsbürgerschaft als Frau beantragen zu
können. Aber ich bitte darum, versetzt zu werden.
Ich fange in der Personalabteilung an, wo ich unter anderem versuche, zur
Schaffung eines Umfelds beizutragen, in dem trans Personen – neben anderen
LGBTQI+ Personen – problemlos arbeiten können. Ich hatte gehofft, in dieser
Hinsicht Ergebnisse zu erzielen, damit ich wieder als Journalistin arbeiten
kann, aber konkrete Schritte verzögern sich, und ich kündige schließlich
endgültig. Es kann nicht sein, dass es meine Aufgabe ist, eine Struktur
davon zu überzeugen, dass sie mich nicht diskriminieren darf. Deshalb
brauchen wir auch – neben vielen anderen Gründen – ein
[3][Selbstbestimmungsgesetz], damit wir als trans Personen und trans
Journalist*innen endlich auf Augenhöhe arbeiten können.
12 Sep 2022
## LINKS
[1] /Soziologin-ueber-Transgender/!5865423
[2] /Pride-Month/!5859220
[3] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/alle-meldungen/eckpunkte-fuer-das-se…
## AUTOREN
Lea Marie Uría
## TAGS
Trans Serie
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